Wie Terror und die Not der Geflüchteten für eine rechte Agenda missbraucht werden

Foto: Maya-Anaïs Yataghène CC BY 2.0
Foto: Maya-Anaïs Yataghène CC BY 2.0

Skrupellose Angstkampagnen

Der Terror von Paris macht den Menschen in Europa Angst. Die Kriege in der Ukraine und Syrien machen den Menschen in Europa Angst. Auch der Zuzug von vielen aufgrund von Krieg, Unterdrückung und Hunger Geflüchteten macht vielen Menschen Angst. Diese Angst wird von Rechtspopulisten, Medien und bürgerlichen PolitikerInnen geschürt und ausgenutzt, um politische Veränderungen durchzusetzen, die nichts gegen Terror und Krieg erreichen und keine Fluchtursachen bekämpfen.

von Sascha Stanicic, Berlin

In Frankreich wurde ein dreimonatiger Ausnahmezustand verhängt, auch in Belgien wurde der Notstand ausgerufen. Die französische Verfassung soll geändert und dem Präsidenten mehr Vollmachten übertragen werden. Das Ergebnis solcher Maßnahmen: Demonstrationen und Streiks werden verboten, Regierungen können am Parlament vorbei weitreichende Entscheidungen treffen, die Polizei kann willkürlich Hausarreste erteilen und ohne Durchsuchungsbeschluss Wohnungen durchsuchen. In der Bevölkerung gibt es für diese Maßnahmen breite Unterstützung, weil die Angst der Menschen ausgenutzt wird und keine sachliche Debatte stattfindet. Denn der Ausnahmezustand verhindert keinen Terroranschlag, aber die geplanten Massendemonstrationen gegen den Klimagipfel. Die Herrschenden bauen ihre Machtbefugnisse aus und demokratische Rechte ab.

Auch in Deutschland wird die Terrorgefahr täglich beschworen. Wir sollen an die Bilder schwer bewaffnet patrouillierender Polizeikräfte an Bahnhöfen, an Grenzkontrollen und ähnliches gewöhnt werden. So wird der Boden bereitet, im Falle eines Anschlags auch hier Grundrechte außer Kraft zu setzen und den Notstand auszurufen.

Terror bekämpfen

Keine Frage: der Terror des so genannten Islamischen Staates ist in Europa angekommen. Beenden kann man ihn aber nicht durch Krieg, den Abbau demokratischer Rechte und den Ausbau staatlicher und geheimdienstlicher Willkür, sondern indem man seine tieferen Ursachen bekämpft – Krieg, Ausbeutung und Verelendung im Nahen Osten und rassistische Diskriminierung und fehlende Zukunftsperspektiven für migrantische Jugendliche in Deutschland und Europa. Warum gelingt es denn durchgeknallten, reaktionären Islamisten junge Männer (und Frauen!) in Berlin und Bremen anzuwerben? Weil diese sich (zurecht) von dieser kapitalistischen Gesellschaft ausgegrenzt und entwürdigt fühlen, weil sie auf der Suche nach Identifikation und Werten sind, die sie in einer auf Konkurrenz und Profitgier basierenden Gesellschaft nicht finden, weil sie keine positive soziale Perspektive haben. Ähnliche Gründe, weshalb junge deutsche Männer (und Frauen!) zu Pegida, AfD und NPD gehen und weshalb die größte Terrorgefahr in Deutschland seit Jahren ein deutsch-nationalistischer Terror ist. Dabei haben die Pegidisten, AfD-Anhänger und Nazis viel mit den Attentätern von Paris gemein. Sie trennen die Menschheit entlang kultureller, nationaler oder auch religiöser Linien. Sie spalten die einfachen Menschen und verhindern so gemeinsamen Widerstand gegen die wahren Verursacher von Krieg, Gewalt und Terror. Sie verkörpern selber Terror und Gewalt.

Rechtsverschiebung

Gleichzeitig schaffen die Herrschenden den Spagat einerseits zu behaupten, sie würden die Themen Terrorgefahr und Flüchtlinge nicht vermischen wollen und andererseits genau das zu tun. Weshalb sonst wird die Debatte zu Obergrenzen für den Zuzug von Geflüchteten seit den Pariser Anschlägen umso heftiger geführt? Ziel ist es, den politischen Konsens nach Rechts zu verschieben, Spaltungslinien in der arbeitenden Bevölkerung voranzutreiben, staatliche und militärische Aufrüstung zu rechtfertigen. Der Streit zwischen Merkel und der CSU mag reale Differenzen zum Vorschein bringen, seine Wirkung entspricht aber der Logik vom „guten“ und vom „bösen“ Cop. Merkel präsentiert sich als Freundin der Flüchtlinge und am Ende der Debatte steht doch ihre Aussage „Wir werden die Zahl der Flüchtlinge begrenzen!“ und wird das Asylrecht weiter verschärft.

Opfer einer solchen Rechtsverschiebung der herrschenden Politik werden nicht nur Flüchtlinge und MigrantInnen sein. Diese aber ganz besonders. Insbesondere Muslime und Muslima stehen seit Jahren unter Generalverdacht. Das nimmt nun wieder zu. Sie machen alltägliche Diskriminierungserfahrungen, werden mit Skepsis, Abneigung und Schuldzuweisungen begegnet. Dem müssen Gewerkschaften und LINKE unmissverständlich entgegen treten. Diese sollten aber auch deutlich machen: die Rechtsverschiebung der Politik gegen Geflüchtete und MigrantInnen, beim Ausbau des Staates aufgrund angeblicher Terrorgefahr und bei der Militarisierung der Außenpolitik richtet sich gegen alle ArbeiterInnen, egal welcher Nationalität und Religionszugehörigkeit. Eine Republik, in der der rechte Flügel der CDU, Seehofer und seine CSU, die AfD und die heimlichen Sarrazinisten in der SPD mehr Macht und Einfluss haben, wird eine Republik sein, in der früher oder später auch die Sozialleistungen und gewerkschaftlichen Rechte weiter eingeschränkt werden und der aufgerüstete Staat gegen antifaschistische Jugendliche, linke Demonstrationen und Streiks vorgehen wird.

Spaltung verhindern

Die letzten Jahre waren in der Bundesrepublik von relativer politischer und wirtschaftlicher Stabilität geprägt. Das deutsche Kapital ist der Gewinner der Euro-Krise. Ein paar Brotkrumen fielen auch für die arbeitende Bevölkerung in Form von Mindestlohneinführung, Rentenerhöhung und Mietpreisbremse (auch wenn diese kaum den Namen verdient) ab. Die Zeiten haben sich geändert und die Polarisierung in der Gesellschaft nimmt zu. Wenn die einfache Bevölkerung dabei nicht unter die Räder geraten will, muss sie sich gemeinsam gegen die rechte, prokapitalistische Politik der Regierenden und Kapitalisten wehren. Das Potenzial dazu besteht, wie die Massendemonstration gegen TTIP, die vielen Streiks und die massenhafte Hilfsbereitschaft für die Geflüchteten gezeigt haben. Die gerade massiv betriebene Spaltung entlang nationaler und religiöser Linien ist die größte Gefahr, eine solche Gegenwehr zu verhindern. Wenn LINKE und Gewerkschaften eine kämpferische und antikapitalistische Politik betreiben würden, könnten sie all denen, die auf Spaltung, Krieg, Konkurrenz setzen – vom IS über Pegida und der AfD bis zu den Regierungsparteien – effektiv die Tour vermasseln, den jungen Menschen eine Perspektive aufzeigen und dafür sorgen, dass die Veränderung dieser Republik sich nicht nach rechts, sondern nach links vollzieht.