Diskussionsbeitrag: Die Linke und die Prostitution

LINKEZwölf Jahre nach der Legalisierung der Prostitution gibt es eine neue Debatte über den Umgang mit Prostitution. Die neue Regierung plant Änderungen am Gesetz, die EMMA hat eine ‚Appell gegen Prostitution‘ gestartet. Und es gibt auch einen von ‚Appell FÜR Prostitution‘ vom „Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen“.

von Georg Kümmel, Köln

Anlass für diesen Diskussionsbeitrag ist, dass einige Bundestagsabgeordnete und weitere FunktionsträgerInnen der LINKEN, den „Appell FÜR Prostitution“ unterschrieben haben. (Appell und Liste der UnterzeichnerInnen)

Ein Papier von der ‚LINKE Sozialistische AG Frauen (LISA)-NRW‘, das die „gesellschaftliche Ächtung des Systems Prostitution“ fordert, liefert viele gute Argumente zu dem Thema. Zu empfehlen ist insbesondere auch dieser Artikel aus der sozialismus.info, Nr. 19, 4-2013,

In der Debatte kommt aber nach wie vor ein entscheidender Punkt zu kurz. Das Hauptargument derjenigen, die den „Appell FÜR Prostitution“ initiiert haben, bzw. ihn unterstützen lautet: ‚Prostitution ist eine Dienstleistung oder Arbeit wie andere auch.‘

Zwangsprostitution wird in dem Appell als Vergewaltigung verurteilt. Prostitution als „sexuelle Dienstleistung“ beruhe hingegen auf Freiwilligkeit. Nicht nur deutsche Frauen, sondern auch Migrantinnen seien überwiegend freiwillig und selbstbestimmt in der Sexarbeit tätig. Deshalb dürften sie nicht als Opfer betrachtet werden. Prostitution müsse im Gegenteil endlich gesellschaftlich als normaler Beruf anerkannt werden, so die zentrale Forderung des Appells.

Diese Argumentation blendet aus, welche gesellschaftlichen Auswirkungen es hat, wenn Prostitution als „normal“ betrachtet wird. Die Anerkennung von Prostitution als „normale Arbeit“ hat Folgen für alle Frauen und für das Verhältnis zwischen Männern und Frauen allgemein. Und das hat Konsequenzen für die Bedingungen unter denen der Kampf für bessere Lebensverhältnisse geführt wird.

Dass es Prostituierte gibt, die sich aus ihrer persönlichen Sicht freiwillig prostituieren, braucht nicht bestritten werden. Das ist aber kein Grund, Prostitution als normale Dienstleistung oder Arbeit zu betrachten und gesetzlich als solche anzuerkennen.

Die Frage, welche Gesetzesänderungen im Zusammenhang mit der Prostitution zurückgenommen oder neu formuliert werden sollten, ist nicht einfach zu beantworten. Weder die Rückkehr zur alten Gesetzeslage vor Einführung Prostitutionsgesetz im Jahr 2002, noch der status quo, noch ein Nachtraben hinter irgendwelchen Maßnahmen der Regierung sind hier die beste Lösung.

Nimmt man die Berichte zusammen, wie sich Situation der Prostituierten seit der Legalisierung der Prostitution in Deutschland verändert hat, dann kommt man ganz klar zu dem Schluss, dass sich die Prostitution stark ausgeweitet hat. Für einige Prostituierte mag sich die persönliche Situation verbessert haben, die Mehrzahl hatte entweder nichts davon oder ihre Situation hat sich verschlechtert. Und „verschlechtert“ ist eine sehr zurückhaltende Formulierung. Es gibt auch genügend Berichte, die belegen, dass im Zuge ihrer Legalisierung die Prostitution nicht nur stark ausgeweitet, sondern auch in ihrer Form vielfach noch schlimmer geworden ist. Beides ist natürlich untrennbar verbunden mit der Zunahme von Armut und Perspektivlosigkeit insbesondere in vielen Ländern Ost- und mittlerweile auch Südeuropas.

Das Gesetz hat jedenfalls definitiv nicht die positive Wirkung für die Lage der Prostituierten gehabt, die damit angeblich beabsichtigt war. Das geben mittlerweile auch dessen Initiatoren mehr oder weniger unumwunden zu.

Gesellschaftliche Wirkung

Das an sich ist schon schlecht genug. Das Hauptproblem ist aber die gesellschaftliche Wirkung, die die Gesetzgebung und insbesondere die damit verbundene Argumentation gehabt haben.

Das zentrale Problem ist, dass sich dadurch die gesellschaftspolitische Situation für alle Frauen generell verschlechtert hat. Das Bild der Frau als Ware, deren Körper man kaufen und darüber verfügen kann, ist durch die Gesetzgebung und die sich daraus ergebenden Konsequenzen im Alltag, massiv verstärkt worden.

Das Bild, wie Frauen von Männern gesehen werden, ist wieder in die uralte Richtung „Die Frau sei dem Manne untertan“ gerückt worden, diese Haltung wird nur nicht mehr religiös begründet sondern, als normales Geldgeschäft, gesetzlich verankert. Wenn es normal ist, dass Frauen sich prostituieren, dann ist es auch „normal“ zu einer Prostituierten zu gehen, sich die sexuelle Verfügung über eine Frau zu kaufen. Formal ist „grob anstößige“ oder „belästigende“ Werbung für Prostitution weiter verboten. Aber es zählt zu den Auswirkungen der Legalisierung von Prostitution, dass auf Großflächenplakaten ziemlich unverhohlen für Flatrate-Bordelle geworben werden kann. Wenn schon Grundschulkinder mit dieser Werbung groß werden, dann beeinflusst das doch wohl das Bild, das Männer von Frauen und Frauen von sich selber haben – und bestimmt nicht in einer Weise, die Linke sich wünschen sollten. Die „Normalisierung“ von Prostitution wirkt sich negativ aus, und zwar sowohl auf das direkte Verhältnis zwischen Männern und Frauen als auch auf die Bedingungen, unter denen Männer und Frauen für bessere Lebensverhältnisse kämpfen.

Prostitution und der Umgang mit ihr, ist, wie alles in einer Klassengesellschaft, eine Klassenfrage. Wir, die wir als Linke mit allen abhängig Beschäftigten, mit den Erwerbslosen und den Armen für bessere Lebensbedingungen kämpfen wollen, müssen uns doch fragen, welche Auswirkungen es auf die Bedingungen dieses Kampfes hat, wenn Männer und am Ende sogar die Frauen, denken, dass man sich die sexuelle Verfügung über eine Frau kaufen könne, wie einen Haarschnitt oder einen Imbiss.

Wirtschaftsliberale Ansichten

Wenn von Organisationen der Prostituierten der Eindruck erweckt wird, der Großteil der Prostituierten arbeite freiwillig, dann ist das, beabsichtigt oder nicht, eine wirtschaftsliberale, bürgerliche Sichtweise. Die bürgerliche Idee dahinter ist simpel: Wenn man selbst der traurigen Realität, dass junge Frauen ihre Heimatländer verlassen, um hier mit Prostitution ihr Geld zu verdienen, den ideologischen Anschein der „Freiwilligkeit“ verpassen kann, wenn sich selbst darüber niemand mehr empört, dann gibt es wenig Grund sich über die Löhne und Arbeitsverhältnisse derer zu empören, die in Deutschland für ein paar Euro in Großschlachtereien schuften und in Baracken wohnen. Und dieser Gedanke gilt in allgemeiner Form: Wenn angeblich selbst die Frauen, die die Benutzung ihres Körpers verkaufen, dass vollkommen „freiwillig“ tun, dann gehen wir ja alle freiwillig arbeiten und leben in einer freien Gesellschaft. Tun wir aber nicht, Freiheit gibt es nur für die besitzende Klasse. Der Kapitalist kann seine Beschäftigten rausschmeißen, aber nicht umgekehrt.

Als sozialistische Linke wollen wir außerdem nicht nur ein bisschen mehr Lohn, nicht nur ein bisschen mehr an Sozialleistungen (die im Kapitalismus nie gesichert sind). Wir wollen eine ganz andere Gesellschaft, eine Gesellschaft in der es keine Ausbeutung, keine Unterdrückung des Menschen durch den Menschen gibt. Wenn aber gesellschaftliche Verhältnisse zunehmend als normal angesehen werden, in denen man gegen Geld sogar den Körper einer Frau kaufen kann, dann werden auch die existierenden gesellschaftlichen Verhältnisse noch viel weniger in Frage gestellt. Verhältnisse in denen es ja auch normal ist, dass der Kapitalbesitzer über die Arbeitskraft der ArbeiterIn verfügen kann, für die Dauer, für die er ihre Arbeitskraft gekauft hat, den Beschäftigten sagen kann, was sie zu tun haben und sie in die Arbeitslosigkeit schicken kann, wenn es ihm beliebt.

Unveränderlich?

Als sozialistische Linke haben wir kein Interesse daran, und die ArbeiterInnenklasse insgesamt hat objektiv kein Interesse daran, dass Verhältnisse als normal angesehen werden, in denen Menschen über andere Menschen bestimmen.

Als sozialistische Linke können wir uns nämlich durchaus Verhältnisse vorstellen, in denen alle Menschen frei und gleichberechtigt sind. (Und damit meinen wir natürlich nicht die angeblich „sozialistischen“ Länder des ehemaligen Ostblock, sondern eine demokratische Gesellschaft, die erst noch erkämpft werden muss, um das an dieser Stelle sicherheitshalber klarzustellen.)

Deshalb sollten Linke auch die Phrase vom angeblich „ältesten Gewerbe der Welt“ ablehnen. Diese Formulierung ist nicht nur beschönigend, sondern vermittelt auch den Eindruck, Prostitution habe es schon immer gegeben und werde es folglich immer geben, sie sei also „normal“. Es gab aber historisch Gesellschaften, ursprüngliche klassenlose Gesellschaften, die ohne Prostitution ausgekommen sind. Das war vor der Entwicklung von Privateigentum, Erbrecht und Ehe. Wir dürfen annehmen, dass in einer Gesellschaft, in denen Frauen und Männer wirklich gleichberechtigt sind, in der es keine materielle Not gibt, in der es keine ungleichen Besitzverhältnisse gibt, in der kein Mensch Macht über andere Menschen ausüben kann, dass es in solch einer Gesellschaft undenkbar ist, dass ein Mann sich die Verfügung über den Körper einer Frau kaufen kann.

Würde?

Einige Prostituiertenverbände und ihre „liberalen“ Unterstützer argumentieren, wer gegen die Legalisierung von Prostitution sei, wer Prostituierte als Opfer darstelle, verletzt deren Würde und verweigere ihnen den Respekt.

Niemand hat das Recht auf Prostituierte von oben herab zu blicken. Aber menschenunwürdige, unterdrückerische Verhältnisse werden nicht dadurch besser, indem man sich weigert, sie als solche zu benennen. Sie werden durch Beschönigen nicht besser, sondern nur verewigt. Prostitution ist keine normale Arbeit. Aber es gibt eine Parallele zwischen der Unterdrückung als Prostituierte und als ArbeiterIn. Es gibt schlechte und weniger schlechte Arbeitsverhältnisse, aber wer abhängig-beschäftigt ist, ist nicht frei. Die Arbeiterklasse ist eine unterdrückte Klasse. Würde und Respekt gibt es nicht von oben per Gesetz, sondern dadurch, dass die Unterdrückten aufstehen und sich wehren – das gilt ganz allgemein.

Verbieten?

Gegen die Legalisierung und damit Normalisierung der Prostitution zu sein, bedeutet noch lange nicht für ein Verbot, bzw. für schärfere Gesetze zu sein. Weder Legalisierung noch Kriminalisierung sollte das allgemeine Prinzip sein, das Linke in dieser Frage einnehmen sollten.

Um konkrete Positionen zu konkreten gesetzlichen Regelungen zu entwickeln, sollte die Linke eine breit angelegte Diskussion führen, unter Einbeziehung von Prostituierten und mit deren Problemen vertrauten Initiativen – aber nicht nur mit diesen. Keine Frau wird etwas dagegen haben, die konkrete Situation von Prostituierten zu verbessern, aber wenn es um die gesetzliche Anerkennung der Prostitution als Beruf geht oder beispielsweise um die Frage, ob für Prostitution geworben werden darf, dann betrifft das alle Frauen und dann müssen sie auch in die Diskussion einbezogen werden.

Was tun?!

Eine Lösung kann nicht von oben, vom bürgerlichen Staat erwartet werden. Sie kann nur aus der politischen Arbeiterbewegung entstehen. Sie muss auf zwei Wegen kämpfen: ökonomisch und ideologisch. Der größte materielle Förderer der Prostitution ist die Armut. Ihre materielle Ursache und ideologische Stütze findet die Unterdrückung der Frau – die Prostitution ist eine Form dieser Unterdrückung – in den kapitalistischen Verhältnissen.

Nach Jahrtausenden Klassenkampf im allgemeinen und ungefähr zweihundert Jahren kapitalistischem Klassenkampf im besonderen, sollte sich doch zumindest in der Linken langsam die Erkenntnis durchsetzen, dass es im Kampf gegen die Unterdrückung am Dümmsten ist, wenn sich die Unterdrückten auch noch untereinander unterdrücken statt sich als gleichberechtigt zu betrachten und zu behandeln.

Es wäre schon ein großer Schritt getan, wenn das Thema in den Gewerkschaften und der Linken auf die Tagesordnung gesetzt würde.

Man stelle sich vor, Frauen würden in den Publikationen von LINKE und Gewerkschaften mal ihre Sicht der Dinge darstellen können. Man stelle sich vor, eine Gewerkschaft würde in ihrer Mitgliederzeitschrift eine Debatte beginnen, warum Männer nicht als Freier agieren sollen, eine Diskussion darüber beginnen, dass die Einstellung, den Körper einer Frau gegen Geld benutzen zu dürfen, total rückständig ist, weil solcherlei Ansicht ebenso hinderlich für den gemeinsamen Kampf ist, wie sexistische oder rassistische Ideen.

Verbote und Kriminalisierung der Freier, die dann der bürgerliche Staat mit seinen eigenen Methoden und Zielen verfolgen würde, helfen nicht weiter. Die Arbeiterbewegung muss politische Aufklärung in der Gesellschaft betreiben und damit in ihren eigenen Reihen anfangen. Und dann wird es hoffentlich einen einhelligen Sturm der Entrüstung geben, wenn einige LINKE-PolitikerInnen nochmal auf die Idee kommen sollten, einen „Appell FÜR Prostitution“ zu unterzeichnen.

Sexuelle Freiheit

Oftmals werden diejenigen, die sich weigern, Prostitution als normale Sache anzusehen, als prüde und rückwärtsgewandt dargestellt. Prüderie ist sicher das Hauptmotiv konservativer Kräfte in dieser Debatte. Deren Doppelmoral lehnen wir ab. Wie Menschen ihre sexuellen Beziehungen auf gleichberechtigter Grundlage gestalten, ist ihre Sache. Die Linke sollte den Vorwurf der Prüderie aus einer vermeintlich „links-liberalen“ Ecke nicht nur zurückweisen, sie sollte offensiv die Lustfeindlichkeit der kapitalistischen Gesellschaft kritisieren. Das fängt nämlich ganz konkret bei den Arbeitsverhältnissen an. Sexuelle Freiheit ist gewiss mehr als freie Zeit. Aber wenn der Partner/ die Partnerin früh, spät, nachts, am Wochenende arbeiten muss, also genau dann wenn der andere gerade Zeit hätte, gibt es ein praktisches Problem. Und wer arbeiten muss bis zum Umfallen, der hat oft auch keine Lust mehr. Diese ganz einfachen Wahrheiten sollte man insbesondere auch den Möchtegern-Kämpfern für die sexuelle Freiheit in SPD und Grünen bei jeder Gelegenheit öffentlich unter die Nase reiben.

Im übrigen gilt: Sexuelle Freiheit kann man nicht kaufen. Die gesellschaftlichen Verhältnisse unter denen sie sich entfalten kann, muss man erkämpfen.

Forderungen:

  • Armut bekämpfen
  • Weg mit Agenda 2010 und Hartz I bis IV
  • Soziale Mindestsicherung und Mindestrente von 750 Euro plus Warmmiete – ohne Bedürftigkeitsprüfung und Schikanen
  • Mindestlohn von zwölf Euro pro Stunde
  • Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit – in Ost und West, für Frauen und Männer
  • Radikale Arbeitszeitverkürzung zur Schaffung von sinnvollen Arbeitsplätzen für alle: 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich
  • Öffentliche Investitionsprogramm in den Bereichen Soziales, Bildung, Gesundheit und Umwelt, finanziert durch die Profite der Banken und Konzerne
  • Für eine zehnprozentige Millionärssteuer und eine drastische Besteuerung von Unternehmensgewinnen
  • Hilfsangebote für Prostituierte und alle Frauen in sozialer Not
  • Für ein ausreichendes Angebot an gut ausgebauten, öffentlich finanzierten, selbstverwalteten Frauenhäusern
  • Kampf gegen diskriminierende Frauenbilder in Werbung und Medien
  • Breite Diskussion in Gewerkschaften und der LINKEN über die gesellschaftlichen Zusammenhänge und Wirkungen von Sexismus, Pornografie und Prostitution
  • Gegen Diskriminierung und Kriminalisierung von Prostituierten
  • Unterstützung der Prostituierten bei der Durchsetzung von Forderungen die ihre Situation verbessern
  • Für gemeinsamen Kampf von Frauen und Männern gegen jede Form geschlechtsspezifischer Benachteiligung
  • Für eine kostenlose und ganztägige Kinderbetreuung vom ersten bis 13. Lebensjahr
  • Weg mit den Abtreibungsparagraphen 218 und 219
  • Wiederherstellung des Asylrechts und Bleiberecht für Alle
  • Gleiche Rechte für Alle, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben – gegen jede Form von Diskriminierung auf Grund von Nationalität, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, Behinderung oder sexueller Orientierung
  • Statt Konkurrenz und Produktion für den Profit – demokratische Kooperation und nachhaltige Planung entsprechend der Bedürfnisse von Mensch und Umwelt
  • Nein zum Europa der Banken und Konzerne – für ein sozialistisches Europa der arbeitenden Bevölkerung
  • Für sozialistische Demokratie weltweit