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Betriebliche und soziale Kämpfe
Die Arbeiterklasse war an den Protesten gegen das Regime beteiligt, aber noch nicht als Klasse formiert. Die Repression in den Betrieben ist zum Teil enorm, ArbeiterInnen, die während des Arbeitstages wegen Demonstrationen der Arbeit fern bleiben, sind von Entlassung bedroht. Die ArbeiterInnen von Iran Khodro, dem größten Autohersteller des Nahen Ostens, haben öffentlich Stellung für die Bewegung gegen die Wahlfälschung bezogen und dies mit einem halbstündigen Streik unterstrichen (siehe Text „2009: Die Revolution beginnt“). An dem Autohersteller ist der iranische Staat mit rund 40 Prozent beteiligt, insgesamt arbeiten dort rund 100.000, davon 30.000 in einem einzigen Werk. Die seit Jahren massiver Verfolgung ausgesetzte Gewerkschaft der Busfahrer von Teheran hat sich ebenso positioniert. Aus anderen Betrieben sind keine so expliziten Äußerungen bekannt.
Allerdings haben sich in den letzten Monaten mehrere betriebliche Kämpfe entwickelt. ArbeiterInnen haben gegen die Nicht-Auszahlung von Löhnen und Personalabbau gekämpft. Da viele dieser Betriebe teilweise staatlich sind oder den Stifungen gehören, können diese Kämpfe auch in politische Auseinandersetzungen umschlagen. Gestreikt wurde in der Zuckerfabrik Haft Tapeh in Khusistan, beim Eisenbahn-Waggenbauer Wagon Pars in Arak sowie in der Ölraffinerie der Stadt Abadan. Auch die kommunalen Beschäftigten der Stadt Khorramshar traten in den Ausstand.
Angesichts einer angespannten Haushaltslage gerät die soziale Demagogie Ahmadinedschads an ihre Grenzen. Die Krise der staatlichen Finanzen soll in neoliberaler Manier auf dem Rücken der Arbeitenden und der Armen ausgetragen werden. Die Regierung hatte dem Parlament den Vorschlag unterbreitet, die staatliche Bezuschussung von Lebensmitteln und Treibstoff bis 2015 um rund 62 Milliarden Euro zu verringern. In einem ersten Schritt sollten 2010 rund 10 Mrd. Euro Subventionen gekürzt werden. Ahmadinedschad nennt das Gesetz einen „großen Schritt zur Durchsetzung von Gerechtigkeit.“ Das Parlament beschränkte allerdings die geplanten Kürzungen auf die Hälfte des Volumens. Offensichtlich fürchten sie, dass zu starke Angriffe erneut Unruhen anheizen können.159
Die Armut ist unter Ahmadinedschad angestiegen, laut der iranischen Zentralbank in den ersten zwei Jahren seiner Präsidentschaft von 18 auf 19 Prozent. Jugendliche und Landbevölkerung waren davon stärker betroffen. Das unter Ahmadinedschad verabschiedete neue Arbeitsrecht ist frontral gegen die ArbeiterInnen gerichtet. Nach Schätzungen haben heute bis mehr als die Hälfte der Beschäftigten befristete Verträge, in Kleinbetrieben existiert kein Kündigungsschutz mehr. Diese und andere soziale Attacken werden zu einer verstärkten Gegenwehr führen. Jetzt ergibt sich die Möglichkeit, die Arbeiterkämpfe zu vernetzen und den Kampf um Löhne, Jobs und die Verteilung der Staatsausgaben mit den demokratischen Forderungen der Massenproteste zu verbinden. Das Schah-Regime erlebte viele Jahre von Widerstand, weggefegt wurde es erst, als die industrielle Arbeiterklasse die Bühne betrat, mit Streiks das Land lahm legte und Armee, Polizei und Geheimdienst den Boden unter den Füßen wegzog.
Die illegale linke Zeitung Die Straße weist auf die Schwächen der Arbeiterbewegung hin:
„Ein Generalstreik braucht landesweit organisierte Arbeiter- und Angestellten-Gewerkschaften in mehreren Branchen von Industrie und Dienstleistungen. Aber dreißig Jahre permanenter Repression gegen Arbeiter und Gewerkschafts-Aktivisten, die Unmöglichkeit, unabhängige Interessenvertretungen im Betrieb zu formieren, haben die realistische Möglichkeit, einen Generalstreik im Land zu organisieren, minimiert.“160
Der Verfasser des Artikel in Die Straße beschreibt weiterhin, dass sich aus kleineren Streiks Organisationen und Vernetzungen ergeben, um Massen- und Generalstreiks vorzubereiten. Gerade der Kampf gegen die Nicht-Auszahlung von Löhnen könne zum Fokus für Streiks und Organisierung werden. Die Hinweise sind richtig. Allerdings zeigen die geschichtlichen Erfahrungen, dass es falsch wäre, in starren Zeiträumen zu denken. Das Zusammenfallen der Regime-Krise mit dem wirtschaftlichem Niedergang kann die Entwicklung gewaltig beschleunigen, kann zu einer schnellen Vereinheitlichung von Kämpfen bis hin zu Massenstreiks führen.
Freiheit, Brot …
Die strategische Herausforderung der iranischen Revolution besteht für die Arbeiterklasse darin, die städtischen Mittelschichten, die Bauern und die Armut unter ihrer Führung zu vereinen. Die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft gehört auf die Tagesordnung.
Lenin hat vier Bedingungen für eine revolutionäre Situation definiert, die auch heute noch bei der Einschätzung der Lage helfen können. Erste Bedingung ist eine tiefe Spaltung innerhalb der herrschenden Klasse. Das ist im Iran in geradezu klassischer Weise geschehen, die Spaltung während des Wahlkampfes öffnete die Ventile der spontanen Protestwelle nach der Wahlfälschung. Zweite Bedingung ist das Schwanken der Mittelschichten, ohne Zweifel ist auch diese erfüllt. Drittens muss die Arbeiterklasse organisiert sein und ein Wille existieren, in Kämpfe einzugreifen und sich an die Spitze des revolutionären Prozesses zu stellen. Und viertens ist eine revolutionäre, sozialistische Partei mit einer klaren Führung notwendig, die für ihre Ideen und Vorschläge eine breite Unterstützung unter den Massen hat – vor allem unter dem aktiven Teil der ArbeiterInnen. Diese beiden Bedingungen sind noch nicht erfüllt. Organisierung, Bewusstsein und Kampfkraft der Arbeiterklasse müssen sich noch entwickeln. Eine revolutionäre Partei existiert nicht.
Die traumatische Niederlage der Linken durch die islamistische Machteroberung, die Fehleinschätzungen, die grausigen Massaker an linken Aktivisten haben für viele Jahre zu einer Lähmung geführt, es fehlte der Schutz der Massen, um größere Organisationen aufzubauen. Nun gibt es erste Ansätze einer linken Neuformierung bei den Studierenden, welche die Fehler von 1979 aufarbeiten und deren Wiederholung vermeiden wollen. Um aus diesem linken Flügel der Bewegung eine revolutionäre Partei zu formieren, sind viele Debatten und eine ganze Reihe von politischen und Klassenkämpfen nötig.
Trotz dieser Schwierigkeiten ist die obige Formulierung, den Sozialismus auf die Tagesordnung zu setzen, korrekt. Nur wenn eine neue Generation von Aktivisten in den Betrieben und den Universitäten die Illusionen abschüttelt, eine Fraktion der Kapitalisten könne das Land entwickeln, wenn sich die Erkenntnis durchsetzt, dass nur die Arbeiterklasse das Land auf neuer Basis reorganisieren kann, wenn die Arbeiterbewegung ihre Unabhängigkeit behält, sich nicht Mussawi oder anderen Kräften politisch unterordnet, wird der Spielraum der bürgerlichen Kräfte eingeschränkt, wird verhindert, dass auch diese Revolution in eine Konterrevolution umschlägt. Daher sollte sich der linke Flügel der Oppositionsbewegung auf der Grundlage eines sozialistischen Programmes organisieren. Dessen Kern wäre die Verknüpfung der demokratischen Forderungen mit den sozialen Interessen der Arbeitenden.
Die Mussawi-Fraktion fordert die Einhaltung einiger demokratischer Spielregeln innerhalb des komplett undemokratischen Systems der Islamischen Republik. Nötig ist jedoch die Durchsetzung wirklicher demokratischer Rechte. Statt zwischen Kandidaten zu wählen, welche durch den Wächterrat genehmigt wurden, muss es freie Wahlen auf allen Ebenen geben. Das zahnlose Parlament von Khameneis Gnaden, der Wächterrat, der Sicherheitsrat und sämtliche antidemokratischen Institutionen der Islamischen Republik müssen durch eine revolutionäre verfassungsgebende Versammlung ersetzt werden, die frei ist, über die Zukunft des Landes zu entscheiden. Es sollten aus der Bewegung heraus Komitees gebildet werden, die – regional und landesweit vernetzt – freie Wahlen sicherstellen und vorbereiten sollten.
Jegliche Diskriminierung auf Grundlage von Geschlecht, ethnischer Herkunft, Religion oder sexueller Orientierung muss beendet werden. Die Hoffnung, die Diskriminierung zu beenden und die Gleichstellung von Frauen und Homosexuellen zu erreichen, ist gerade für viele junge Menschen ein wichtiges Motiv, gegen die Diktatur zu rebellieren. Die Kleidungsvorschriften müssen abgeschafft, staatliche Einheiten zur Einschränkung persönlicher Freiheiten wie Pasdaran und Basidschi müssen aufgelöst werden. Die Soldaten müssen das Recht zur gewerkschaftlichen Organisierung bekommen, das Recht, ihre Offiziere zu wählen und abzuwählen. Alle politischen Gefangenen sind sofort in die Freiheit zu entlassen, die Zensur muss abgeschafft werden.
Presse-, Meinungs- und Organisationsfreiheit und der Zugang zum Internet sind vollständig zu gewähren; ebenso das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung für alle ArbeiterInnen sowie das Recht zur Gründung von betrieblichen Komitees. Dabei haben die ArbeiterInnen nicht nur das Ahmadinedschad-Regime zum Gegner. Auch Mussawi und alle anderen Vertreter der herrschenden Klasse fürchten die Macht der Arbeiterklasse. Ihre Pläne zur weiteren Liberalisierung der Wirtschaft werden zu betrieblichen und gewerkschaftlichen Kämpfen führen. Mussawi mag bereit sein, Reformen bezüglich Wahlen, Presse- und Meinungsfreiheit einzuführen, aber in den Betrieben muss jeder Fortschritt von unten erkämpft werden.
Es wäre ein Fehler, beim bürgerlichen Demokratie-Begriff stehen zu bleiben. Die Frage der Demokratie muss in Bezug auf die Betriebe entwickelt werden. Angesichts von Korruption und Verschwendung in den Betrieben muss die Frage der Arbeiterkontrolle über die Produktion auf die Tagesordnung. Arbeiterkomitees zur Verteidigung von Löhnen und Arbeitsbedingungen sollten gebildet werden und sich vernetzen. Daraus können neue Formationen in der Tradition der Schoras, der Räte von 1979, entwickelt werden.
Die Forderung nach Freiheit stellt keinen Gegensatz zur Forderung nach Brot dar, wie es bürgerliche Anhänger Mussawis sehen. Das Almosen-System der islamischen Republik ist verdorben und ungerecht, spaltet die arme Bevölkerung in Gewinner und Verlierer. Es muss durch ein System von garantierten Sozialleistungen für alle ersetzt werden. Sowohl Mussawi als auch Ahmadinedschad wollen die Subventionen reduzieren. Die Linke hingegen sollte angemessene Löhne, Renten und Sozialleistungen fordern, einen Mindestlohn sowie eine gleitende Lohnskala, um die Löhne automatisch an die Inflationsrate anzupassen. Die geplante Kürzung staatlicher Ausgaben zur Subventionierung von Lebensmitteln und Treibstoff könnte ein Fokus für sozialen Widerstand werden.
Die Wirtschaft muss unter der Kontrolle der ArbeiterInnen reorganisiert werden. Die Geschäftsbücher und damit das System aus Vettern- und Klientelwirtschaft sind offen zu legen. Das Geflecht aus Teil-Staatsbetrieben, „Stiftungen“ und Betrieben einzelner Staatsorgane muss zerschlagen, diese und rein private Betriebe verstaatlicht und der demokratischen Kontrolle der Beschäftigten unterstellt werden. Durch eine demokratisch geplante Wirtschaft könnten die natürlichen Reichtümer des Irans zum ersten Mal in der Geschichte des Landes zum Nutzen der Masse der Bevölkerung und nicht zur Bereicherung einer Minderheit genutzt werden.
Der entschiedene Kampf für die Rechte der Frauen wird die Oppositionsbewegung in ideologischen Widerspruch zu vielen gläubigen Muslimen bringen. Es wäre aber ein Fehler, einen Kampf gegen gläubige Menschen an sich zu führen. Beim Kampf gegen die klerikale Diktatur geht es um die Trennung von Staat und Religion, für die Anerkennung von Religion als Privatsache. Oppositionelle sollten in Richtung der gläubigen Muslime die Botschaft vermitteln, dass sie deren Rechte nicht antasten wollen, solange diese keine Freiheitsrechte Anderer verletzen. Es sollte erklärt werden, dass das theokratische Regime keine Lösung für die drängenden sozialen Probleme hat, dass nur ein Staat auf der Basis der Klasseninteresse der Arbeitenden und der Armen in der Lage ist, diese Probleme anzugehen. Es gilt, die Widersprüche auszunutzen, die sich zwischen dem Regime und vielen Muslimen entwickelt haben. Mit der Missachtung der Regel, zum schiitischen Märtyrer-Gedenkfest Aschura kein Blut zu vergießen, hat das Regime auch viele Gläubige gegen sich aufgebracht. Von den Kürzungen sind gerade auf dem Land viele religiöse Menschen betroffen. Sie können auf der Basis von Klasseninteressen für die Bewegung gegen das Regime gewonnen werden.
… und Frieden
Der Sturz des Ahmadinedschad-Regimes hätte gewaltige Auswirkungen im gesamten Nahen Osten. Der Iran würde vorerst aus der nationalistischen und religiösen Frontstellung ausbrechen. Den Herrschenden in Israel und den USA würde ein zentrales Feindbild und Spaltungsinstrument abhanden kommen, zum ersten Mal seit Langem würden nicht ethnische und religiöse Abgrenzung die Debatte dominieren. Es gäbe die Chance, dass die wirklich wichtigen Fragen, die alle ArbeiterInnen, Bauern, Armen und Jugendlichen in der Region berühren, auf die Tagesordnung kämen – sozialer Fortschritt, Jobs und Einkommen, Frieden, Umweltschutz.
Der Fall des Schein-Antiimperialisten Ahmadinedschad, dessen vergiftete Propaganda gegen Israel den Weg zur Einheit der arbeitenden Menschen erschwert, würde den Weg freimachen für einen echten Antiimperialismus, für den gemeinsamen Widerstand gegen die Plünderung und Dominanz der Region durch die USA und die europäischen Mächte. Die Arbeiterbewegung in Ägypten würde durch eine siegreiche Revolte im Iran ermutigt, ebenso Demokratie-Bewegungen in den Golfstaaten.
Der linke und sozialistische Flügel in der Bewegung sollte ein internationales Programm haben, um den iranischen Arbeiterklasse eine Vorstellung zu vermitteln, wie der Kampf ausgeweitet werden kann und um Chancen zu nutzen, Kontakte in andere Länder zu knüpfen. Man stelle sich zusätzlich vor, es gäbe in der Bewegung eine starke Strömung, welche diese Ideen formulierte: „Weder Mullahs noch Imperialismus“, „Die Völker müssen selbst entscheiden“; „Demokratische Regelungen für den Nahen Osten, zum Wohle aller Völker und Angehöriger aller Religionen“; „Die Ressourcen wie Öl und Wasser gehören den Völkern, nein zur Ausbeutung“.
Auch wenn es gelänge, im Iran eine Arbeiterdemokratie zu erkämpfen, bliebe das Land umzingelt von kapitalistischen Ländern, für die der Sozialismus eine weit größere Bedrohung darstellt als das islamistische Regime. Der Iran hat enormen Aufholbedarf bezüglich der Entwicklung einer modernen Industrie und einer produktiven Landwirtschaft. Die kapitalistischen Staaten könnten das Land leicht von der benötigten Technologie abschneiden. Ein Sozialismus in einem Land ist nicht machbar. Daher würde eine erfolgreiche Arbeiterrevolution im Iran die Frage der internationalen Ausdehnung auf die Tagesordnung setzen. Die neue iranische Linke sollte sich internationalistisch aufstellen und von Beginn an die Frage einer freiwilligen sozialistischen Föderation aufwerfen, einer Vision des Zusammenlebens der Völker und der Nutzung der natürlichen Reichtümer für die Massen.
Eckpunkte eines solchen Programms wären:
Die Forderung, dass die imperialistischen Truppen in Irak, Afghanistan und anderswo ihre Kriege beenden und sich zurückziehen müssen.
Die Erklärung, dass der Iran kein Nachbarland attackieren wird; Absage an jede Art von nationalistischer Propaganda. Aufruf an die arbeitenden Menschen in der ganzen Region und speziell an die Arbeiterklasse Israels, gemeinsam die Probleme zu lösen.
Der Verzicht auf das Atomprogramm und jegliche Massenvernichtungs- waffen; Umstellung der Forschung auf erneuerbare, umweltfreundliche Energien.
Der Vorschlag, die Ressourcen der Region gemeinsam zu nutzen und die wirtschaftliche Kooperation über Ländergrenzen hinweg zu entwik- keln.
Die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechtes der Nationen (Kurden, Aserbaidschaner, Belutschen u.a.) bis hin zum Recht auf Lostrennung; Erklärung, die kulturellen und demokratischen Rechte aller religiösen und nationalen Gruppen zu respektieren; die Aufforderung an alle Länder der Region, ebenso zu verfahren.
Der Vorschlag, eine freiwillige sozialistische Förderation des Nahen Ostens zu bilden.
Ein revolutionärer Iran würde nicht die Islamisten von Hamas und Hisbollah fördern, sondern unabhängige Arbeiterorganisationen. Dies würde keine Akzeptanz der Unterdrückungspolitik der herrschenden Klasse Israels in Gaza und Westbank bedeuten. Ein revolutionärer Iran müsste für das Selbstbestimmungsrecht der PalästinenserInnen und deren Recht auf Selbstverteidigung eintreten. Durch die Abkehr von Ahmadinedschads israelfeindlichen Parolen und durch das Ende des Atomprogramms wäre es möglich, mit der israelischen Arbeiterklasse in den Dialog zu treten und die anti-iranische und anti-palästinensische Propaganda der Herrschenden in Israel zu schwächen. Der Iran mit seiner Jugend, mit seiner für die Region relativ entwickelten Industrie, mit seinen Rohstoffen ein wäre ein Leuchtfeuer für demokratische und revolutionäre Bewegungen und könnte das Ende der religiösen und nationalen Spaltung einläuten.
Beginn einer neuen Epoche
1999 nahm die studentische Jugend von Teheran den Kampf erneut auf. Heute kämpfen akademische Jugend, städtische Arme und ArbeiterInnen. Sie knüpfen an den großartigen Traditionen der iranischen Arbeiterklasse an, an den Massenstreiks und Demos von 1978/79, an den Bewegungen der 1940er und 50er Jahre an. Der Prozess der iranischen Revolution ist aus verschiedenen Gründen kompliziert und in die Länge gezogen. Aber er hat begonnen. Es wird Wendungen geben, zeitweilige Rückschläge. Doch die Friedhofsruhe der letzten Jahre ist vorbei. Das junge iranische Proletariat, die Frauen und die Studierenden repräsentieren die Zukunft, das korrupte theokratische Regime wird auf dem Müllhaufen der Geschichte landen.
Die Revolution ist bezüglich ihrer Aufgaben und ihrer Klassenzusammensetzung eine Fortsetzung der Revolutionen von 1906 und 1979. Es geht noch immer darum, die nicht erledigten Aufgaben der bürgerlichen Revolution in Angriff zu nehmen. Aber es hat sich keine bürgerliche Klasse herausgebildet, die in der Lage wäre, dies zu tun. Die iranischen Kapitalisten sind heute untrennbar mit dem klerikalen Regime oder dem Imperialismus verwoben. Die große, teuer bezahlte Illusion der iranischen Linken 1978/79 bestand aus dem Glauben, es könne ein Bündnis mit der „nationalen Bourgeioisie“ um Khomeini geben, um das Land vom Imperialismus zu befreien. Doch Khomeini wollte, ja musste, um seine Macht zu etablieren, die Arbeiterorganisationen zerschlagen.
Es gibt auf kapitalistischer Grundlage keinen Spielraum für eine Entwicklung des Iran, welche den Massen langfristig zugute kommen würde. Ein Iran mit Westbindung würde unweigerlich zu einem komplett abhängigen Rohstoffproduzenten werden, es gäbe Angriffe auf die noch vorhandenen Reste von Sozialleistungen, der Arbeiterklasse würden weiterhin demokratische Rechte verwehrt. Es käme zu einer Variante des Raubritter-Kapitalismus, möglicherweise härter als der Typus, der in Russland gewütet hat. Die Revolution hat als politische Revolution mit bürgerlichen Demokratie-Forderungen begonnen, aber die grundlegenden Bedürfnisse der Massen im Iran werden nur befriedigt werden können, wenn diese selbst ihr Schicksal in die Hand nehmen und nicht nur das Mullah-Regime, sondern mit ihm den Kapitalismus abschaffen.
Solidarität mit der iranischen Revolution
Die Haltung einiger Linker in Iran und Europa, die iranische Opposition zu kritisieren, weil sie nicht sauber und lehrbuchgemäß auf der Arbeiterklasse basiere, zeugt von einem Unverständnis über die Mechanismen des politischen und des Klassenkampfes. Bei allen Schwächen der derzeitigen Bewegung im Iran: Eine Änderung kann es nur durch und mit dieser realen Bewegung geben, indem in ihr ein linker, sozialistischer Flügel aufgebaut wird.
Der iranische Linke Bahman Schafigh unterliegt einem schwerwiegenden Irrtum, wenn er meint, die nach außen sichtbare Dominanz der „Grünen“ um Mussawi würde den Charakter der Bewegung bestimmen und die Revolution wäre gar keine:
„Eine gemeinsame Bewegung des städtischen Bürgertums in Koalition mit erzkonservativen Ayatollahs wurde zum Volksaufstand verklärt und ein Machtkampf in Revolution umgedeutet.“161
Reza Shalguni, von Rahe Kargar (Organisation Revolutionärer Arbeiter Irans) merkt dagegen zu Recht an:
„Keine Bewegung kann alleine auf der Basis ihrer Klassenzusammensetzung beurteilt werden … In Ländern, die von einer Diktatur bedrückt sind, sind Liberale in den ersten Stadien einer revolutionären Krise aktiver und stehen stärker im Scheinwerferlicht. Später aber, mit dem Eintritt der entrechteten und werktätigen Massen in die Arena unabhängiger Aktivitäten, ändert sich die Lage normalerweise.“162
Selbst wenn sich die Bewegung nur auf die Frage der Wahlfälschung beschränken würde, wenn die Illusionen in den Westen allgegenwärtig wären, wenn es überhaupt keine linken Kräfte bei den Studierenden gäbe, wenn sich ArbeiterInnen und städtische Arme bisher gar nicht oder kaum beteiligt hätten, könnten sich die Debatte des Programms, die Herausbildung einer revolutionären linken Kraft und eine Perspektive zur Befreiung von Unterdrückung und Ausbeutung nur aus dieser Bewegung, aus der Selbstaktivität der Massen ergeben. Und keines dieser vier einschränkenden „Wenns“ trifft auf die aktuelle Bewegung im vollem Umfang zu.
Wer diese Perspektive ablehnt, der muss entweder daran glauben, dass es eine Reform von oben geben kann – ausgerechnet durch ein Regime, was gleichzeitig kapitalistisch ist und eine extreme Form von Repression anwendet, ein Regime, welches die alte Generation der iranischen Linken und der Arbeiterbewegung abgeschlachtet hat. Oder er glaubt (wie Elsässer, siehe den Text „Der Iran und die deutsche Linke“), dass die Befreiung der iranischen Massen warten muss, weil man den Möchtegern-Antiimperialisten Ahmadinedschad noch als Bündnispartner gegen die USA braucht. Beide Varianten sind zynisch und basieren auf einer Geringschätzung der Masse der Lohnabhängigen und der Armen.
Solidarität heißt nicht, alles unkritisch zu übernehmen, was die iranische Opposition tut, schon gar nicht, eine unkritische Haltung zu Mussawi und anderen prokapitalistischen Kräften einzunehmen. Internationale Solidarität heißt, sich in der Debatte mit den Jugendlichen und ArbeiterInnen zu engagieren, geschichtliche und Erfahrungen aus anderen Länder einzubringen, dabei mitzuwirken, einen linken Pol in der Bewegung zu schaffen.
Die linken Gruppen in Deutschland, die sich zurück halten und bisher mehr oder weniger offen die Position eingenommen haben, dass die IranerInnen erst einmal eine mustergültige Bewegung aufbauen müssen, sollten endlich ihre arrogante Haltung aufgeben und sich aktiv an der Solidaritätsarbeit beteiligen. Über die Beteiligung an den Protesten und Diskussionen der IranerInnen in Europa hinaus können Linke und SozialistInnen eigene Initiativen starten. Die betrieblichen Kämpfe im Iran sollten in die Gewerkschaften in Deutschland und Europa hinein getragen werden, wo möglich, sollten direkte Kontakte aufgebaut und konkrete Hilfen organisiert werden. Die Heuchelei der deutschen Regierung und des Kapitals sollte aufgedeckt werden: Während das iranische Regime lautstark kritisiert wird, lieferte z.B. Siemens-Nokia-Networks Technologien an den Iran, die zur Überwachung von Handy-Netzen und Internet eingesetzt werden. Gegen solche Konzerne sollte von einer linken Iran-Solidarität öffentlich mobil gemacht werden163.
Während wir uns einmischen, weil die internationale Solidarität eines der wichtigsten Instrumente der Arbeiterbewegung ist, muss die linke Iran-Solidarität die Einmischung der Merkel-Regierung ablehnen. Die USA und ihre Verbündeten haben nicht das Recht, dem Iran Bedingungen zu diktieren, Sanktionen zu verhängen und mit kriegerischer Aggression zu drohen. Zur linken Iran-Solidarität gehören die Forderungen für einen Stopp von Sanktionen, Kriegsdrohungen und -vorbereitungen durch die USA oder Israel sowie für einen Rückzug der westlichen Besatzungstruppen aus Afghanistan und dem Irak.