Für bessere Schule in Berlin – aber wie?

6.000 Beteiligte bei Bildungsdemonstration in Berlin am 10. September 2011


 

Das Bündnis „Für bessere Schule in Berlin“ hat zu einer gemeinsamen Demonstration von LehrerInnen, SchülerInnen und Eltern gegen schlechte Zustände an den Berliner Schulen aufgerufen. Unterstützt wird es von zahlreichen Gremien, wie dem LandesschülerInnenausschuss (LSA), den Landeselternausschüssen (LEA) der Schulen und Kitas, der Lehrergewerkschaft GEW Berlin und anderen Initiativen. Die große Beteiligung trotz mäßiger Mobilisierung weist auf großes Potential für Bildungsproteste in Berlin hin.

von René Kiesel, Berlin

Die Demonstration reiht sich in eine Folge von Bildungsprotesten in Berlin in diesem Jahr ein.

Angefangen bei kleineren und spontanen Protestaktionen und -kundgebungen am Anfang des Jahres, die sich gegen die eklatante Unterversorgung der Schulen mit Personal richteten, gab es am 5. April einen erfolgreichen Warnstreik der LehrerInnen.

Wie sozialismus.info berichtete (Artikel vom 7. April 2011: An Berliner Schulen brodelt es), folgten 6.000 Lehrkräfte allein dem Aufruf der Gewerkschaft. Gemeinsam forderten sie eine Personalausstattung von 110 Prozent, die Wiedereinführung der Altersteilzeit und die Herabsetzung der Pflichtstundenzahl von 28 auf 26 Wochenstunden.

Bereits vorher gab es Bestrebungen, sich weitergehend zu vernetzen, als es beim Bildungsstreik der Fall war, der in Berlin zu einem großen Teil von OberschülerInnen und Studierenden getragen wurde. Gemeinsam sollten LehrerInnen, SchülerInnen und diesmal die Eltern nach einer Initiative und der Kampagne „Rote Karte“ des Landeselternausschusses einbezogen werden.

Dies war ein guter Ansatz, um vor allem die Beschäftigten mit ins Boot zu holen, was den Protesten wesentlich mehr Schlagkraft verleiht. Die seit Jahren angespannte und sich verschärfende Situation hat bei angestellten und beamteten Lehrenden die Bereitschaft, in den Streik zu treten, erheblich gesteigert. Das Bedürfnis nach unmittelbar weitergehenden Aktionen war groß. Viele waren bereit, einen ganzen Tag den Unterricht zu bestreiken.

Die im April tagende Landesdelegiertenversammlung (LDV) der GEW Berlin beschloss, eine weitere Eskalationsstrategie aufzustellen, um den Kampf zum Erfolg zu machen. Die Kampagne „Alte Stärken“ bot dafür mit tarifären Forderungen, die die LehrerInnen streikfähig machten einen guten formellen und praktischen Ansatz. Die Überalterung der PädagogInnen in Berlin ist bei einem Durchschnittsalter von rund 50 Jahren offensichtlich.

(De)eskalationsstrategie?

Im Beschluss der LDV enthielt jedoch keine Aussage, wie die Eskalation konkret aussehen soll, sondern stellte weitergehende Aktionen, die Streik oder eine Großaktion sein könnten, in Aussicht (siehe Beschluss Nr. 15 der GEW Berlin).

Im Rahmen des sich vergrößernden Bündnisses beteiligte sich auch das Bündnis „Bildungblockaden einreißen“, das schon im Bildungsstreik aktiv war, an der Organisation der nächsten Aktion.

Auf der inhaltlichen Seite wurden die Forderungen zu einem Zeitpunkt unkonkreter, als es notwendig gewesen wäre, mit den SchülerInnen und Eltern über ihre Anliegen in eine Diskussion zu treten. Dazu wäre das Bündnis durch Aktivität an den Schulen selbst gestärkt worden und weitere Teile der Schüler- und Elternschaft durch die Formulierung konkreter Ziele einbezogen worden.

Die GEW selbst verzichtete darauf, den Inhalt der Kampagne „Alte Stärken“ zu nutzen, um mehr KollegInnen zu mobilisieren. Dafür wurde das Banner „Für bessere Schule in Berlin“ aufgenommen. Allerdings dürfte dies eines sein, dass sich von CDU bis DIE LINKE alle Parteien im Abgeordnetenhaus umhängen wollen, wie sich im aktuellen Wahlkampf zeigt.

Für den 9. Juni wurde eine weitere Demonstration von Lehrkräften, Eltern und SchülerInnen während der Schulzeit organisiert. Die Beteiligung fiel mit 4.000 TeilnehmerInnen geringer aus, als die OrganisatorInnen erwarteten.

Dies hatte mehrerlei Ursachen. Zuerst gab es verstärkte Drohungen des Senats gegenüber KollegInnen, die sich an Streikaktionen beteiligten oder es wollten. Außendienststellen der Schulaufsicht nahmen kritische Angestellte und Beamte persönlich „ins Gebet“. Dies ging über die Standarddrohungen des Senats im Sinne von Disziplinarmaßnahmen und Gehaltskürzungen hinaus.

Einige Schulen wurden unsicher, was ihre Teilnahme betraf. Die GEW verzichtete darauf, zu einer Streikaktion aufzurufen, was von Repression Betroffenen den Rücken gestärkt hätte und die Streikenden formell abgesichert hätte. So wurde „nur“ zu einer gemeinsamen Demonstration während der Schulzeit aufgerufen, was hinter einem Streik der Beschäftigten zurückblieb.

Wie die SAV in einem Flugblatt vom 9. Juni betonte (LehrerInnen, SchülerInnen, Eltern – für bessere Bildung gemeinsam streiken!), käme es darauf an, direkt an den Schulen Komitees von LehrerInnen, SchülerInnen und Eltern zu schaffen, um die Proteste an die Schulen zu tragen, sich zu organisieren und selbst die Belange der einzelnen Einrichtungen einzubringen. Gemeinsam mit einer Strategie, die der Stimmung für Streiks Rechnung trägt und nicht davor zurückschreckt, diese umzusetzen, wäre es möglich gewesen den SPD/LINKE-Senat weiter unter Druck zu setzen.

Eine Woche vor der Wahl – viele warme Worte, keine Perspektive

Der Bildungsbereich in Berlin ist wie ein Wespennest. Trotz des Endes der großen Bildungsstreikbewegung 2009/10 kann man an einer Stelle ansetzen und es schlägt einem eine Welle des Unmuts entgegen.

Dieses Potential wird von den OrganisatorInnen nicht genutzt. Vor allem direkt vor der Abgeordnetenhauswahl werden keine offensiven Forderungen aufgestellt. Der Aufruf enthält bis auf zwei konkrete Forderungen (freier Zugang zu Kita und Hort und kostenloses Mittagsessen) viele Allgemeinplätze.

Günter Peiritsch, Vorsitzender des Landeselternausschusses betonte richtig, das Recht der Vertretungsgremien auf Landesebene, politische Aussagen zu treffen und zu politischen Aktionen aufzurufen. Der Senat versucht seit geraumer Zeit, die offiziellen Gremien zu unpolitischen Tätigkeiten zu zwingen. Dagegen müssen wir uns gemeinsam zu Wehr setzen, damit dort kein Exempel statuiert werden kann, das dem bürgerlichen Staat die Möglichkeit gibt, die politische Aktivität in offiziellen Gremien einzuschränken oder gar zu verbieten.

Jonas Botta, Vorsitzender des Landesschülerausschusses und Grünen-Kandidat für die Bezirksverordnetenversammlung in Steglitz-Zehlendorf hatte, wie andere RednerInnen, viele warme Worte für die DemonstrantInnen übrig.

In Hinblick auf die Politik wurde der Zeigefinger erhoben und versprochen, dass man auf den zukünftigen Senat ein Auge haben werde und sich nichts entgehen lasse und wiederkomme, wenn sich nichts ändert.

Das Bündnis „Bildungsblockaden einreißen“ erhob als einziger Teilnehmender den Anspruch, weitergehende Aktionen zu planen und rief zu einer Berliner Bildungsstreikkonferenz am 22. September auf. Parallel zur Demonstration findet an diesem Wochenende in Berlin eine bundesweite Konferenz statt, die über Streikaktionen im November diskutiert.

Zur Situation in Berlin: zur Zeit findet seit mehr als drei Wochen der Streik von Alpenlandbeschäftigten statt, die im Osten der Stadt für einen Tarifvertrag in der Altenpflege kämpfen. Ab Montag werden die KollegInnen bei Charité Facility Management (CFM) für einen Tarifvertrag streiken. Es gibt eine Mieterbewegung, die vor einer Woche eine große Demonstration organisierte.

Dies bietet Anknüpfungspunkte, in einer Zeit erhöhter politischer Aufmerksamkeit, Proteste zu verbinden und auszuweiten. So kann der Senat und die Parteien, die ihn ablösen werden unter starken Druck gesetzt werden. An den Zugeständnissen, die eventuelle Koalitionsparteien im Wahlkampf machen, wird man sie in der nächsten Legislaturperiode messen. Doch selbst verbale Zugeständnisse müssen erkämpft werden, gar nicht zu sprechen von realen Verbesserungen.

Die Akteure der diesjährigen Bildungsproteste verzögerten die Aktionen über einen langen Zeitraum und bauten vor den Sommerferien keine starke Streikbewegung auf, an die man jetzt anknüpfen könnte.

Ein neues oder wiederbelebtes Bildungsstreikbündnis muss zeigen, dass es aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat. Bereits vor zehn Jahren gab es eine Bewegung der Lehrkräfte um konkrete Forderungen, die mit einer ähnlichen Strategie zum Erliegen gebracht wurde.

Für weitergehende Aktionen im Herbst ist es wichtig, den Kontakt zu den Angestellten und Beamten aufrecht zu erhalten und demokratische Strukturen in Form von Streikkomitees an den Schulen zu schaffen. So können mehr Aktive gewonnen werden und konkrete Forderungen demokratisch beschlossen werden. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, den Blick nicht allein auf den Bildungsbereich zu beschränken, sondern ihn in den gesellschaftlichen Kontext zu stellen. Das bedeutet, über soziale Forderungen zu diskutieren. Die Frage, warum das Bildungssystem auf die „Produktion“ von billigen Arbeitskräften ausgerichtet ist, muss mit Forderungen beantwortet werden, die die Profiteure zur Kasse bitten.