Castros Kuba – eine marxistische Kritik (2. Teil)

zweiter Teil des Buches. Zurück zum 1. Teil

Falsche Analyse der Revolution

In all jenen Fällen, wo die Theorie der zwei Etappen oder das glattgebügelte Bild Lenins Idee der „Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft“ in die Praxis umgesetzt wurden wie in China zwischen 1925 und 1927 und in vielen anderen Fällen in der neo-kolonialen Welt, hat es zur Fehlgeburt oder zum Scheitern revolutionärer Prozesse und zur Zerstörung der Blüte des Proletariats geführt. Es hat zur Unterordnung der Vertreter der Arbeiterorganisationen unter kleinbürgerliche Parteien geführt, die in Koalitionsregierungen letztlich die Bourgeoisie vertraten. Mit anderen Worten, der politische Ausdruck der veralteten Losung der „demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft“ in der modernen Epoche sind „Volksfronten“ oder volksfrontähnliche Regierungen, die immer wieder zu Niederlagen der Arbeiterklasse führten.

Die falsche Position von Lorimer und der DSP zur Frage der Permanenten Revolution führte sie zu einer irrigen Analyse der kubanischen Revolution. Sie behaupten, dass ihre „Zwei-Etappen-Theorie“ die kubanische Revolution erklärt. Fidel Castro führte zunächst eine „demokratische“ Etappe durch, wobei er seine wirklichen „sozialistischen“ und „kommunistischen“ Ansichten die ganzen Zeit verbarg, und ging dann etwas später zum Aufbau des „Sozialismus“ über. Die Wirklichkeit der kubanischen Revolution ist davon gänzlich verschieden. Die bedeutsamen Ereignisse dieser Revolution bestätigen in der Tat, wie wir zu zeigen hoffen, eindrucksvoll Trotzkis Theorie der Permanenten Revolution, allerdings in verzerrter Weise. Diese Verzerrungen entstanden, wie wir sehen werden, hauptsächlich wegen des Fehlens einer revolutionären Massenpartei auf Kuba, die sich bewusst auf die Arbeiterklasse stützte.

Lorimers Kritik zielt auf eine kurze, aus drei von mir selbst geschriebenen Artikeln zusammengestellte und 1978 erstmals veröffentlichte Broschüre ab. Dieser Angriff auf diese zwanzig Jahre alte Broschüre wurde jedoch nicht bei vollem Tageslicht durchgeführt, damit Aktivisten und die weltweite Arbeiterbewegung aus den wahrgenommenen „“ von mir, Militant dem CWI lernen könnten. Sie wurde in The Activist öffentlicht, einem internen Bulletin der DSP! Wir erfuhren von Lorimers bissiger Attacke nur, weil uns ein australischer Sympathisant eine Nummer Bulletins zuschickte. Die DSP stellt sich durch ihre Wochenzeitung Green Left Weekly als ein freundlicher, ansprechbarer „Förderer“ von Organisationen und linken Führern auf der ganzen Welt dar, die wirklich für Sozialismus kämpfen. Gelegentlich lassen sie die Maske fallen und werden gegenüber ihren Gegner in der Arbeiterbewegung Australiens und weltweit sehr bissig. Die australischen Unterstützer CWI, die Socialist Party, früher die Militant Socialist Organisation, erfuhren so eine Behandlung. Die DSP hat uns als „bedeutungslos“ abgetan und trotzdem versucht, unsere australische Organisation zu hofieren, versucht, sie in ihre Reihen zu ziehen und ihnen Positionen in ihrem Nationalkomitee angeboten, während sie hinter den Kulissen heimlich und giftig die Führung und die Mitgliedschaft des CWI angegrifffen hat.

Das zeigt sich klar in der Sprache und den Methoden, die von Lorimer verwendet werden, um unsere Analyse zu Kuba in Misskredit zu bringen . Er deutet an, dass ich kein Recht hätte, Castro und die kubanische Führung zu kritisieren. Er schreibt: „Taaffe, von seiner verhältnismäßigen geistigen Freiheit des ‚demokratisch-kapitalistischen‘ England aus, ist sich nicht im Klaren über“ großen Schwierigkeiten der kubanischen Revolution und des kubanischen Staates. Er behauptet, die Socialist Party ein leblose parlamentarische Strategie für Großbritannien. „Taaffe“ versuche, diese Strategie vom „bequemen“ Großbritannien aus einem armen Land wie Kuba aufzuzwingen. „Seiner Ansicht nach hätten die kubanischen Revolutionäre nur ein ‚klares sozialistisches Programm‘ präsentieren sollen, vielleicht wie das, das er (Taaffe) fast ein Vierteljahrhundert lang präsentiert hat, d. h. mit einem ‚Sozialismus’, der durch die Wahl einer mit einem ‚Ermächtigungsgesetz‘ zur Verstaatlichung der Industrie bewaffneten Labour-Party-Mehrheit im Parlament erreicht wird!“22

Wir lesen auch über „Taaffes” angebliche „Märchen” über die kubanische . Lorimer weist unsere angebliche unheilbare „sektiererische Feindschaft gegenüber Castro“ , die „castrophobisch“ . Weil es so schön ist, wird obendrauf das angebliche „undemokratische Regime, das Taaffe im CWI praktiziert“ als für die falsche Analyse, die wir von der kubanischen Revolution gemacht haben aufgeführt. Das kommt alles vom Führer einer Partei, der DSP, die in ihrer eigenen Organisation verbietet und eine ähnliche Haltung innerhalb der Kubanischen Kommunistischen Partei (PCC) ützt. Man vergleiche das mit den Methoden der Socialist Party Großbritannien und dem CWI. Im Verlauf der Auseinandersetzung über die Änderung unseres Namens und in der intensiven Debatte über die Bildung Scottish Socialist Party (SSP) Schottland wurde jeder einzelne schriftliche Beitrag im internen Material veröffentlicht (so umfangreich, dass die Führer der DSP sich mir gegenüber beschwerten, dass sie nicht alle unsere internen Bulletins lesen könnten, als ich 1997 Australien besuchte). Darüber hinaus hat die Socialist Party anders die DSP die Bildung von „Tendenzen“ und Fraktionen erlaubt.23 Lorimer zieht es vor, sich auf meine Broschüre von vor 20 Jahren zu konzentrieren, deren Hauptlinien ich immer noch verteidigen würde, aber ignoriert eifrig die CWI-Broschüre von Tony Saunois, „Che Guevara – Symbol of Struggle„, die eine aktuelle Analyse enthält und die Punkte ausfüllt, die ich 1978 nur gestreift habe. Wir werden trotzdem versuchen, Lorimers Angriffen auf uns zu antworten. Wir werden das in der Reihenfolge machen, in der er sie in seinem Artikel vorbringt. Wir müssen das wegen der unlogischen und unzusammenhängenden Weise machen, in der er seine Argumente vorbringt und wegen der Darstellungsweise seiner Position. Wir werden die wichtigsten Ereignisse der kubanischen Revolution nicht ausbreiten, sondern nur im Vorübergehen berühren. Die interessierten Leserinnen und Leser können sich mit diesen Ereignissen vertraut machen, indem sie die in diesem Buch nachgedruckten Originalartikel lesen.

Sein erster wichtiger Punkt behandelt den Charakter Kubas nach dem Sturz Batistas und der Beseitigung von Großgrundbesitz und Kapitalismus. Er zieht falsche und oberflächliche Vergleiche mit den Prozessen der russischen Revolution und dem Charakter des Staats unter Lenin und Trotzki und beschäftigt sich damit ob Trotzkis Theorie der Permanenten Revolution richtig war oder nicht. Von Anfang an begrüßten wir die kubanische Revolution als gewaltigen Fortschritt. Auch die inzwischen verstorbenen Führer des VS, vor allem Ernest Mandel sowie Hansen von der amerikanischen Socialist Workers Party üßten den Sieg der kubanischen Revolution korrekterweise. Aber sie machten eine falsche Charakterisierung des Staats, der aus der Revolution entstand. Sie beschrieben das Regime von Castro und Che Guevara als das 60er-Jahre-Gegenstück zu dem, was die Bolschewiki unter Lenin und Trotzki zwischen 1917 und 1923 errichtet hatten. Letzteres war ein gesunder Arbeiterstaat, aber mit gewissen „bürokratischen Deformationen“. Diese „Deformationen“ ergaben sich aus der Isolierung der russischen Revolution, die ein Ergebnis des Verrats an der revolutionären Welle in Westeuropa vor allem durch die Führer der sozialdemokratischen Organisationen war. Vom marxistischen Standpunkt ist jedoch ein gesunder Arbeiterstaat mit „bürokratischen Deformationen“ etwas völlig anderes als ein bürokratisch deformierter Arbeiterstaat.

Ein gesunder Arbeiterstaat mit „bürokratischen Deformationen“ und ein bürokratisch deformierter Arbeiterstaat unterscheiden sich wie eine Warze und ein monströses Geschwür, das den „Körper“, die Planwirtschaft zu vernichten droht. Bei ersterem besteht die Aufgabe im „Reformieren“, der Korrektur der bürokratischen Deformationen durch verstärkte Arbeiterkontrolle und internationale Ausweitung der Revolution. In einem bürokratisch deformierten Arbeiterstaat hat sich eine bürokratische Kaste von der Kontrolle durch die Massen losgelöst. Zur Errichtung eines gesunden Arbeiterstaats reichen keine „Reformen“ aus. Eine Arbeiterdemokratie kann nur durch einen Wechsel des politischen Regimes erreicht werden. Das erfordert wiederum eine politische Revolution.

Die DSP-Führer haben die ursprüngliche Analyse des VS zu ihrer logischen Schlussfolgerung geführt und sind jetzt unkritische Unterstützer von Leuten wie Castro und anderen „radikalen“ Führern oder Organisationen, besonders in der neokolonialen Welt. Sie glauben, dass Kuba ein gesunder Arbeiterstaat war und immer noch ist. Das wird aus dem, was Lorimer sagt, deutlich: „Es reicht nicht, auf die Fälle hinzuweisen, in denen die Castro-Führung Fehler gemacht hat oder falsche Haltungen zu Weltereignissen eingenommen hat. Wenn das ein Kriterium wäre, um zuentscheiden, dass eine Führung nicht die allgemeinen Klasseninteressen des Proletariats ihres Landes vertritt, dann müssten wir folgern, dass es solch eine Führung auf der Welt noch nie gegeben hat. Es hat nie ein revolutionäre proletarische Führung gegeben, – und das schließt Marx und Lenin ein, ganz zu schweigen von ihren heutigen Anhängern – die keine Fehler gemacht hat oder falsche Positionen zu Ereignissen eingenommen hat, die in anderen Ländern stattfanden.“24

Also steht Castro auf gleicher Stufe mit Lenin und Marx (Trotzki wird nicht einbezogen, weil die DSP mit Trotzkis Ideen gebrochen hat). Lorimer fährt fort, das kubanische Regime als gesunden Arbeiterstaat zu charakterisieren: „Eine bloße Auflistung von bürokratischen Deformationen im kubanischen politischen System ist nicht ausreichend, um die Schlussfolgerung zu untermauern, dass die Klasseninteressen des kubanischen Proletariats nur durch den revolutionären Sturz des Castro-Regimes verteidigt und gefördert werden können. Lenin beobachtete 1921-22, dass das proletarische Regime, an dessen Spitze er stand, bürokratische Deformationen hatte. Aber kein echter Marxist hätte gefolgert, dass das bedeutet hätte, dass die Verteidigung der Klasseninteressen des russischen Proletariats damals den revolutionären Sturz des bolschewistischen Regimes erfordert hätten. Wie in Sowjetrussland gab es im revolutionären Kuba von Anfang an ein Problem mit Bürokratismus, der Annahme von Privilegien, der Korruption einzelner Beamter… Aber das ist nicht dasselbe wie der politische Triumph einer herauskristallisierten kleinbürgerlichen gesellschaftlichen Schicht, wie sie in Russland von Stalin vertreten wurde.“

Diese völlig falsche Analyse zeigt, dass die DSP-Führung weder die russische Revolution und den Charakter des aus ihr hervorgegangenen Staates verstanden hat noch die Kräfte, welche die kubanische Revolution prägten und ihr bis heute ihren Stempel aufdrücken. Wir hoffen, es gelingt uns, das im Folgenden zu beweisen.

Lenin und Castro

Sowohl in bezug auf die an der kubanischen Revolution beteiligten Klassenkräfte als auch auf Castros politische Entwicklung bedienen sich Lorimer und die DSP eines krassen Impressionismus. Sie kritisieren meine Broschüre über Kuba, weil sie angeblich falsche Angaben über Castros politische Positionen enthält. Sie bestreiten Einschätzung, dass Castro bis 1961 „nichts anderes war als ein radikaler Mittelklasse- Demokrat, dessen Ideal das demokratische kapitalistische Amerika war.“ Entwicklung von Castros Ideen und Taten ist keine zufällige oder zweitrangige Frage. Sie wirft ein Licht auf die Prozesse in den neo-kolonialen Ländern zum Zeitpunkt der kubanischen Revolution. Sie zeigt, wie radikale Führer in Zeiten extremer wirtschaftlicher und sozialer Krisen ein ganzes Stück weiter gehen können als sie ursprünglich vorhatten. Einige von ihnen, wie im Falle Kubas, gingen dabei über den Rahmen des Kapitalismus hinaus.

Die derzeitige Krise in Venezuela hat einen kleinbürgerlichen Armee-Offizier, Chavez, extrem radikalisiert. Man kann nicht im voraus sicher sagen, wie weit er gehen wird. Eine neue Weltwirtschaftskrise wird Lateinamerika noch stärker verwüsten und könnte Chavez noch weiter nach links drücken. Diese Entwicklung könnte andererseits auch an eine Grenze gelangen. Das Nicht-Vorhandensein einer revolutionären Massenpartei mit einer klaren, weitsichtigen Führung ist der einzige Grund, warum Kapitalismus und Großgrundbesitz in Venezuela nicht durch eine soziale Revolution abgeschafft werden.

Theoretisch ist es nicht ausgeschlossen, dass sich in den nächsten Jahren eine Massenbewegung nach dem Vorbild der kubanischen Revolution in der neo-kolonialen Welt entwickelt. Andererseits gibt es heute keine stalinistischen Staaten, die zum Zeitpunkt der kubanischen Revolution sowohl als ein Vorbild für die radikalisierten kleinbürgerlichen Führer dienten als auch wirtschaftliche Unterstützung bereit stellten. Trotzdem wird das Beispiel Kubas wieder aktuell werden in den Wellen von Radikalisierung und Revolution, die in den nächsten Jahren vor allem in der neokolonialen Welt aufkommen werden. Es ist daher absolut wichtig für die Arbeiterklasse, ein klares Bild von der kubanischen Revolution zu haben, sowohl von ihren großen Errungenschaften als auch von ihren Begrenztheiten, die ein Ergebnis der Entwicklung der Revolution und ihrer Hauptfiguren sind. Dabei ist vor allem das Fehlen wirklicher Arbeiterdemokratie zu nennen.

In Bezug auf Castros politische Perspektiven gibt Lorimer zu, dass Castro in einem Interview mit dem bekannten amerikanischen Journalisten Herbert Matthews während des Kampfes gegen Batista sagte: „Sie können sicher sein, dass wir die USA und das amerikanische Volk nicht ablehnen … Wir kämpfen für ein demokratisches Kuba und das Ende der Diktatur.“

Aber dann kritisiert Lorimer mich: „Taaffe sagt uns nicht, was seiner Meinung nach Castro zu diesem Zeitpunkt zu einem USJournalisten hätte sagen sollen.“ Die DSP und andere argumentieren, – im Nachhinein –, dass Castro eine bewusste Strategie verfolgte, um Gegner einer sozialistischen Revolution auf Kuba über seine wahren Absichten zu täuschen. Wir gaben in unserer Broschüre von 1978 schon die Antwort auf solche Argumente: „War das vielleicht ein kluger Schachzug, um vor allem die Großgrundbesitzer und Kapitalisten zu täuschen? Im Gegenteil. Alles deutet darauf hin, dass Castro und seine Anhänger ihren Kampf nicht mit klaren sozialistischem Programm und Perspektiven begonnen hatten wie es Lenin und die Bolschewiki in Russland getan hatten.“ 27 Lorimer bestreitet dies und versucht, kaum zu glauben, Lenin für sich in den Zeugenstand zu rufen. Dabei befürwortet Lorimer die stalinistische Etappen-Theorie für die neo-koloniale Welt.

Er behauptet, dass „Lenin und die Bolschewiki ihre Basis unter den Arbeitern und Bauern für den Kampf gegen die zaristische Autokratie oder – nach dem Februar 1917 – gegen die Großgrundbesitzer-Kapitalisten-Regierung von Kerenski nicht auf der Grundlage eines ‚sozialistischen Programms‘ (ein Programm für die vollständige Enteigung des bürgerlichen Eigentums in der Industrie) aufgebaut haben.“ Diese falsche Argumentation passt perfekt zur Ablehnung von Trotzkis Theorie der Permanenten Revolution, welche die russische Revolution und Lenins Aprilthesen theoretisch vorwegnahm, durch die DSP. Als Lenin 1917 am Finnischen Bahnhof ankam, drehte er den opportunistischen Vertretern des Petrograder Sowjets – Sozialrevolutionären und Menschewisten – den Rücken zu und wandte sich mit berühmten Satz an die versammelten Arbeiter: „Ich grüße euch als Avantgarde der kommenden sozialistischen Weltrevolution.“ und die Bolschewiki stellten zwischen Februar und Oktober 1917 eine Reihe von Übergangsforderungen auf, die mit der weiteren Existenz von Großgrundbesitz und Kapitalismus in Russland nicht vereinbar waren.

Lenins Broschüre „Die kommende Katastrophe“ war in der Tat ein Übergangsprogramm, an den Tagesforderungen der russischen Arbeiter und Bauern ansetzte und sie mit der Idee der sozialistischen Revolution verknüpfte. In dieser Broschüre spricht sich Lenin für die Übernahme, Verstaatlichung der „Kommandohöhen der Wirtschaft“ aus. Das wäre unmöglich gewesen, wenn Lenin, wie behauptet, nicht vor dem Oktober 1917 eine sozialistische Revolution befürwortet hätte. In den Aprilthesen kam Lenin zu den gleichen Schlussfolgerungen wie Trotzki. Er argumentierte, dass die Aufgaben der bürgerlich-demokratischen Revolution nur durch die Machteroberung des Proletariats – verbündet mit der Bauernschaft – vollendet werden können. Die Oktoberrevolution war eine sozialistische Revolution. Die Staatsmacht war durch die demokratisch gewählten Sowjets in den Händen der Arbeiterklasse. Wir werden später darauf zurückkommen. Lorimer meint, Lenin und die Bolschewiki hätten genauso wenig wie Castro in der Zeit vor 1960 eine ausgearbeitete Vorstellung gehabt. Er stützt dies darauf, dass die Bolschewiki erst im Herbst 1918 den Großteil der Industrie verstaatlichten, als sie wegen des Verlaufs des Bürgerkrieges und der Sabotage der Kapitalisten dazu gezwungen waren. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Die Bolschewiki analysierten vor ihrer Machtübernahme, dass sie die entscheidenden Teile der Wirtschaft schon bald verstaatlichen müssten und sagten dies offen. Aber um der kulturell niedergedrückten Arbeiterklasse Zeit zu geben, die Kontrolle und Verwaltung der Industrie zu erlernen, wurden die Fabriken im Eigentum der Kapitalisten belassen und ein System der Arbeiterkontrolle wurde eingeführt.

Die Debatte über Castros Ansichten vor seiner Machtübernahme ist 40 Jahre alt. Eines ist allerdings sicher. Castro war, anders als Lenin und Trotzki, nie erklärter „Marxist“. Im Gegenteil, er hat sich Mühe gegeben, sich vom „Marxismus“ und „Kommunismus“ zu distanzieren. Nichts deutet darauf hin, dass er schon zum Zeitpunkt der Revolution ein „Marxist“ war, wie die DSP und Castro selbst später behaupteten. Wenn dies so gewesen ist und er dies aus „taktischen“ Gründen verschwieg, dann war es falsch, dies zu tun. Kann Lorimer uns ein Beispiel dafür geben, dass Lenin zwischen Februar und Oktober 1917 seine Ansichten vor den Arbeitern und Bauern Russland geheim hielt? Lorimer hält es für richtig, dass Castro seine Ansichten verschwieg, wie wir später sehen werden. Das zeigt, dass die DSP nicht nur die stalinistische Etappen-Theorie in bezug auf die neo-koloniale Welt übernommen hat, sondern sich auch der stalinistischen Methode bedient, das wahre Programm vor den Massen zu verstecken, um sie nicht „abzuschrecken“. Allerdings sprechen die Augenzeugenberichte von Mitkämpfern Castros in der Revolution gegen Lorimers Argumente aus dem „bequemen“ Sydney 40 Jahre später. Das gleiche gilt für die fähigsten Kommentatoren zur Zeit der Revolution und seither. Carlos Franqui war ein heldenhafter Aktivist des 26. Juli in der kubanischen zusammen mit Castro und Che Guevara. In der ersten Zeit der Revolution war er verantwortlich für die „castristische Propaganda“ und war Organisator des „Kongresses der Intellektuellen“ in Havanna Ende 1967. Angesichts der Tatsache, dass er durch Castro ins Exil getrieben wurde, ist seine Kritik natürlich manchmal subjektiv und persönlich geprägt. Sie kommt allerdings von einem „sozialistisch-humanistischen“ Standpunkt. In seinem Buch „Familienporträt mit Fidel“ beschreibt er die bürokratische Entartung der Revolution „fast von Beginn an“. Er Castros ideologische Position vor der Revolution: „Die Fragen, welche die Leute immer wieder stellten, waren: war Fidel ein Kommunist? Ist er ein Kommunist geworden? Ist er ein Kommunist? Was war sein Plan? War es wirklich Kubas Situation – die wirtschaftliche Abhängigkeit und die US-Blockade – die Kuba in die Arme der Sowjetunion getrieben hatte? Absolut niemand hielt Fidel für einen Kommunisten.. Wir wussten, dass Raúl ein Kommunist war, auch Che, dass Camilo, Ramiro, Celia, Haydée und einige Kommandanten sowie andere Aktivisten auch Kommunisten waren. Aber niemand, der ihn aus nächster Nähe kannte, schätzte Fidel so ein, mich eingeschlossen, nicht einmal seine intelligentesten Feinde.“

Franqui gibt auch eine Antwort auf Lorimers Behauptung, dass Castro nach dem Sturm auf die Moncada-Kaserne und dem folgenden Gerichtsverfahren und der Haft ein verdeckter „Leninist“ geworden sei: „Während des Gerichtsverfahren der Moncada-Gruppe tauchte ein Lenin-Buch unter den Beweisstücken auf. Es ist schon seltsam, wie sich geschichtliche Ereignisse in nachhinein ändern. Während des Prozesses wurden die von Batistas Staatsanwalt vorgebrachten Anschuldigungen zurückgewiesen. Jahre später wurde das selbe Buch als eine Art Orden behandelt, das erste Mal, dass Lenin im Zusammenhang mit der kubanischen Revolution erwähnt wurde. ‚Die Geschichte wird mir Recht geben‘ war Fidels erste politische Stellungnahme, aber weder die Ideen noch die Sprache lassen auf einen klammheimlichen Kommunismus schließen. Fidels Schriften und Manifeste zwischen 1953 und 1958 sind von den Ideen her folgerichtig. Er spricht darüber, die Verfassung von 1940 wieder einzusetzen, über demokratische Wahlen und über Reformen. Massiv weist er die Anschuldigungen des Batista-Regimes, er sei ein Kommunist, zurück. Als ob das nicht genug wäre, gründete er die ‚Bewegung des 26. Juli‘ zu einem Zeitpunkt, als die Kommunisten [also die moskautreuen Stalinisten] den Aufstand, den Guerilla-Krieg und die Sabotage ablehnten.“

Niemand anders als Che Guevara bezeichnete Castro als einen „linken Bürgerlichen“ 31. Guevaras Aussage wiegt etwas schwerer als Lorimers Geschichts-Idealisierung. einmal Franqui zu Castros bunter ideologischer Entwicklung. : „Im Juli 1958, draußen in der Sierra, machte Fidel einige überraschende Bemerkungen zu Jules Dubois, einem amerikanischen Korrespondenten mit Verbindungen zum US-Außenministerium. Einige der jungen Radikalen aus Santiago – Nilsa Espín, Rivero und der Vorsitzende der Studenten-Vereinigung, Jorge Ibarra, verließen die ‚Bewegung des 26. Juli‘ wegen des Konservativismus dieser Äußerungen. Tatsächlich waren Fidels Stellungnahmen so reaktionär, dass es schon verdächtig war. Bis zum Ende des Krieges und zum Beginn von 1959 hielt niemand Fidel für einen Kommunisten. Als dann 1959 die Agrarreform starten sollte und Fidel sich jeglicher Äußerungen enthielt, begannen Raúl und Che einige Dinge anzupacken, vor allem die Übernahme von Plantagen durch kommunistische Bauernführer. Fidel kritisierte diese Methoden scharf, wies die Rückerstattung der Länderein an und sagte, die Agrarreform würde strikt legal verlaufen. Bei seinen Besuchen an der Universität und den Büros von ‚Bohemia‘ und ‚Revolución‘ sagte er mit lauter Stimme: ‚Ich glaube nur an die Revolution. Ich werde jeden erschießen, der sich gegen die Revolution wendet, Raúl und Che eingeschlossen““. 32

Franqui betont noch einmal Fidel Castros empirische Methode, wie er auf Situationen reagierte und davon beeinflusst wurde: „Fidel spielte kein Spiel mit Raúl und Che. Sie wussten nicht, woran sie bei ihm waren. Raúl hatte so die Nase voll davon, dass er mir eines Tags sagte, dass er nach Santo Domingo ginge wenn sich die Dinge nicht bald ändern würden. Noch einmal: war Fidel ein Kommunist oder nicht? Lasst uns damit beginnen, objektiv zu sein und das heißt, Fidel nicht ernst zu nehmen, wenn er sagt: ‚Ich bin jetzt kein Kommunist noch bin ich es je gewesen‘ oder ‚Ich bin Marxist-Leninist und werde das immer sein.‘ Lasst uns mit Fidel im Gefängnis auf der Isla de Pinos beginnen, wo er nach dem Überfall auf die Moncada-Kaserne anderthalb Jahre saß. Er schien die meiste Zeit mit Lesen zugebracht zu haben und hat dabei ernsthaft Marx, Engels, Lenin und Trotzki studiert. Lenin faszinierte ihn, aber nicht nur Lenin, auch Robespierre.“

Castro hatte weder eine „verborgene“ noch eine ausdrückliche Perspektive, die jener der Bolschewiki ähnelte noch hatte er ein Programm wie Lenins Aprilthesen, die auf die Machtergreifung in Russland im Oktober 1917 abzielten. Das wird absolut klar, wenn wir die Äußerungen von Castro, Guevara und vielen anderen zu Rate ziehen, die am Guerilla-Kampf gegen das Batista-Regime teilnahmen. In der Stellungnahme, die zur Zeit des Angriffes auf die Moncada-Kaserne verfasst und nach der Einnahme eines Radio-Senders 1953 verlesen wurde, erklärt Castro: „Die Revolution erklärt ihre feste Absicht, auf Kuba ein Programm der allgemeinen Wohlfahrt und der wirtschaftlichen Prosperität zu verwirklichen: Die Fruchtbarkeit seines Bodens soll erhalten bleiben, die Vorteile der geografischen Lage werden genutzt und die Diversifizierung der Landwirtschaft und die Industrialisierung vorangetrieben … Die Revolution spricht den Arbeitern ihren Respekt aus … und erklärt, dass von nun an endgültig und vollständig soziale Gerechtigkeit herrscht. Die Grundlagen dafür ist ökonomischer und industrieller Fortschritt, entsprechend einem gut organisierten und zeitlich festgelegten Plan … Die Revolution bekennt sich zu den Idealen von Martí und stützt sich auf sie … und übernimmt das revolutionäre Programm von Joven Cuba, der ABC Radikal und der PRC (Orthodoxo) … Die Revolution erklärt ihren unbedingten und ehrfürchtigen Respekt vor der Verfassung, die dem Volk 1940 gegeben wurde.“

Außerdem waren die fünf Punkte Castros, die nach der Eroberung der Moncada-Kaserne 1953 verkündet werden sollten, sehr gemäßigt und in keiner Weise unvereinbar mit dem Fortbestand des Kapitalismus auf Kuba. Hugh Thomas, der bekannte Historiker der kubanischen Revolution, kommentiert: „Man kann nicht sagen, dass dieses Programm einer bestimmten politischen Philosophie verpflichtet war … Das Programm konzentrierte sich auf jene Aspekte der kubanischen Gesellschaft, die Castro aus eigener Anschauung kannte – Landwirtschaft und Erziehungswesen, Wohnungsmarkt und soziale Frage. Viele der im Programm genannten Maßnahmen scheint sich Castro selbst ausgedacht haben … und vermutlich hat Castro … niemanden zu Rate gezogen … An diesem Programm überrascht die maßvolle Zurückhaltung, mit der Castro das Zuckerproblem angehen wollte … Insgesamt wäre den ‚colonos‘ ein Anteil von 55 Prozent der Zuckerproduktion zugestanden worden … … Die Verwirklichung aller geplanten Maßnahmen hätte kaum ausgereicht um Kuba – wie gefordert – wirtschaftlich unabhängig zu machen..“

Thomas fährt fort: „Castro hat sehr viel Aufhebens gemacht um Yara und Baire, Martí und Maceo: Castro mochte etwas über Marx wissen und jene, die Lenin nicht kannten, als Ignoranten betrachten, aber er kannte Martí eindeutig besser. Wie andere zuvor sah er sich selbst als Martí, als den jungen Mann, der die verschiedenen in Opposition zu Spanien stehenden Gruppen zu einer Bewegung vereinte, den Mann der heroischen Reden wie der Taten, den Redner und Soldaten, Gegner der Tyrannen par excellence, unbestechlicher Erneuerer. Castro ließ sich auf den Moncada-Angriff tatsächlich ein, ohne eine ausgearbeitete Ideologie zu haben, nur mit dem Wunsch ausgestattet, den ‚Tyrannen‘ Batista zu stürzen und dann weiterzumachen und die verrottete Gesellschaft zu zerstören, die institutionalisierte ‚normale‘ Gewalt des alten Kuba, dessen Symptom und nicht Grund Batista war.“

Während der Haft, die dem Scheitern des Moncada-Angriffs folgte, so erklärt , las Castro Lenin, so wie Dutzende anderer Führer nationaler Befreiungsbewegungen vor und nach ihm. Das bedeutete jedoch nicht, dass er zum Zeitpunkt des Beginns des Guerilla-Kampfes eine ausgearbeitete marxistische Ideologie samt Programm und Perspektiven entwickelt hätte. Wie zuvor erwähnt, nahm er in seinem Interview mit Herbert Matthews Stellung: „Sie können sicher sein, dass wir keine Ablehnung gegen die Vereinigten Staaten oder das amerikanischen Volk empfinden … wir kämpfen für ein demokratisches Kuba und das Ende der Diktatur. Wir sind keine Gegner der Militärs … wir wissen, viele einfache Soldaten sind gut, viele Offiziere.“ Hugh Thomas erklärt: „Klar ist, dass Matthews in Castro einen Sozialdemokraten sah. Das heißt natürlich nicht, dass Castro sich selbst auch so verstand. Begriffe wie ‚Anti-Imperialismus‘ und ‚demokratisch‘ sind Auslegungssache.“ Nachdem die Fakten geschaffen und die Macht erobert war, behauptete Castro, dass er schon immer auf eine marxistische Sicht der Dinge festgelegt war, offensichtlich ein Versuch, seinen Kampf und den der Guerilla als bewusster sozialistisch darzustellen als er tatsächlich war.

Und die DSP akzeptiert Castros Worte. Die Zeugnisse nicht nur von bürgerlichen Historikern wie Hugh Thomas und anderen weisen auf das Gegenteil hin. Guevara selbst, ein unbestechlicher Augenzeuge, erklärte im Oktober 1960: „Die Hauptakteure der Revolution haben keinen in sich schlüssigen Standpunkt. …“ Er fügt hinzu: „Aber es kann nicht behauptet werden, dass sie die verschiedenen Konzepte der Geschichte, der Gesellschaft, der Wirtschaft und der Revolution, die heute in der Welt diskutiert werden, ignoriert hätten.“

In seinem Buch „Che Guevara“ kommentiert Jon Lee Anderson: „Che ging davon aus, dass die Mitstreiter des 26. Juli von ihrer bürgerlichen Erziehung und ihrer privilegierten Schulbildung geprägt waren und daher bei ihrem Kampf keine sonderlich radikalen Ziele verfolgten. Seine Vermutung, dass zwischen seinen und ihren Vorstellungen Welten lagen, erwies sich als richtig. Die marxistische Konzeption einer radikalen gesellschaftlichen Umwälzung war ihnen fremd. Die meisten sahen das Ziel ihres Kampfes darin, eine korrrupte Diktatur zu beseitigen und durch eine Demokratie nach westlichem Vorbild zu ersetzen … ‚In Einzelgesprächen’, vermerkt Che in seinem Tagebuch, ‚konnte ich bei den meisten … antikommunistische Tendenzen feststellen.’“ kommentiert auch Matthews berühmtes Interview mit Castro: „Matthews definierte die politischen Ziele der ‚Rebellenarmee‘ praktisch mit den Kategorien eines Roosevelt“schen Liberalismus. ‚Es handelt sich um eine revolutionäre Bewegung, die sich selbst als sozialistisch bezeichnet. Sie ist jedoch auch nationalistisch, was in Lateinamerika in der Regel gleichbedeutend mit antiamerikanisch ist. Ihr Programm ist eher vage und beschränkt sich auf einige grundsätzliche Prinzipien, doch es bietet Kuba eine Art New Deal, es ist radikal, demokratisch und deshalb antikommunistisch. Seine wahre Stärke beruht darauf, dass es gegen die Militärdiktatur von Präsident Batista gerichtet ist … [Castro] glaubt an Freiheit und Demokratie, an soziale Gerechtigkeit und an die Notwendigkeit einer neuen Verfassung und freier Wahlen.““

Castros Ideologie

Die Ansichten von Zeitzeugen, die Kommentare von Leuten wie Anderson, welche die Tatsachen sorgfältig abgewogen hatten, bedeuten für Lorimer und die DSP . Castro hatte einen „gerissenen Plan“, den er vor der Mehrheit der Kämpfer des 26. Juli, vor den Bauern, der Masse der kubanischen Arbeiterklasse und denjenigen geheim hielt, welche die Guerilla unterstützen und zum Sieg verhalfen. Wenn es so war, zeigt das nur, das Castro eine machiavellistische Person war, bevor er an die Macht kam. Tatsächlich gibt Franqui Beispiele für seine bonapartistischen Tendenzen, denen er zwischen verschiedenen Gruppen des 26. Juli und welche sich nach dem Triumph der Revolution frei entfalten konnten. Sein Programm war, wie die DSP glaubt, „Sozialismus durch Tarnung“, welches sozialdemokratische Führer und Stalinisten in der Vergangenheit vertreten hatten. Das ist nicht dasselbe wie die wahren Ideen des Marxismus, von Marx, Engels, Lenin und Trotzki. Che Guevara nannte ein passendes Argument gegen die „getarnten“ von Lorimer und der DSP. Er anwortete auf ein Mitglied des 26. Juli, der für Vorsicht eintrat, um die USA nicht zu provozieren: „Du gehörst also zu jenen, die meinen, wir könnten eine Revolution hinter dem Rücken der Amerikaner machen … Was bist du für ein Scheiße-Fresser! Wir müssen diese Revolution von Anfang an zu einem Kampf bis zum Tod gegen den Imperialismus machen. Eine wirkliche Revolution kann nicht versteckt werden.“

Man vergleiche dies mit einer früheren Aussage von Castro, die von Tad Szulc bei dessen USA-Besuch 1959 dokumentiert wurde. Szulc ist ein besonders wichtiger Zeuge. Während der Arbeit an seinem Buch hatte er unbegrenzten Zugang zu Fidel Castro. Er schreibt: „In bezug auf die Frage des Kommunismus in Kuba, die in Washington [mit Castro] immer wieder angesprochen wurde, wiederholte er immer wieder, dass ‚wir keine Kommunisten sind“, dass, wenn tatsächlich Kommunisten in seiner Regierung vertreten seien, ‚ihr Einfluss gleich null ist‘ und dass er nicht mit dem Kommunismus übereinstimme. Um die Amerikaner in der Phase nach dem Sieg zu beschwichtigen, während des Prozesses der Konsolidierung, kündigte Castro an, dass Kuba kein ausländisches privates Kapital (was hauptsächlich den Besitz von amerikanischen Konzernen betraf) enteignen und sogar zusätzlich Investitionen fördern würde, um neue Arbeitsplätze zu schafffen.“

Lasst uns für einen Moment annehmen, dass Castro klug taktierte und wirklich sein Programm für die sozialistische Revolution verheimlichte. Wir meinen, dass es auch in diesem Fall falsch gewesen wäre, wie auch Che Guevara argumentierte, wenn Marxisten die Tatsache verheimlicht hätten, dass sie für die sozialistische Revolution und die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft stehen. Es mag richtig sein, unter den Bedingungen des Kampfes gegen eine Diktatur oder eine Autokratie geschickte Redewendungen zu nutzen. Die Bolschewiki machten dies zum Beispiel in der zaristischen Duma, einem undemokratischen Parlament, um Übergangsforderungen aufzustellen, welche die Massen zur Notwendigkeit der sozialistischen Revolution hinleiten, ohne ausdrücklich Sozialismus zu erwähnen. Sie mussten sich beispielsweise der Niederlage der Revolution von 1905-07 wegen der Zensur Konsequente Demokraten . Es war auch nötig am Vorabend der Oktoberrevolution das genaue Datum und die einzelnen Schritte des Aufstandes, der Großgrundbesitz und Kapitalismus stürzen sollte, vor der herrschenden Klasse zu verheimlichen. solchen Bedingungen sah sich Castro oder die Bewegung 26. Juli gegenüber, vor allem nicht nach der Machtübernahme 1959. Es wäre legitim gewesen, hätte sich Castro von den Stalinisten, den „Kommunisten“ distanziert, die eine so traurige Rolle während der kubanischen Revolution gespielt hatten, aber nicht, einfach zu sagen „Wir sind keine Kommunisten“. Eine bewusste sozialistische Führung wäre schon vorher und zum Zeitpunkt der Revolution über die Notwendigkeit im Klarengewesen, die Arbeiterklasse vorzubereiten und ihr in Kuba und weltweit den Charakter der Revolution und das Programm ihrer Führung zu erklären. Von Beginn an die Notwendigkeit des Sozialismus zu erklären, dies mit einem Programm der Arbeiterdemokratie zu verbinden – von Räten, der jederzeitigen Wähl- und Abwählbarkeit von Funktionären – dies hätte die Kampfbereitschaft und das Bewusstsein der kubanischen Arbeiterklasse gesteigert. Doch es waren nur die Ereignisse, die Angriffe und Provokationen des US-Imperialismus und deren Auswirkungen auf die kubanischen Massen, welche Castro zögernd und empirisch in die Richtung drängten, mit Großgrundbesitz und Kapitalismus zu brechen.

Die Führer der kubanischen Revolution hatten nicht das bewusste Programm und die Perspektiven von Lenin und den Bolschewiki. Allerdings behauptet Lorimer, dass Lenin bis zur Revolution im Februar 1917 nicht für den Sozialismus eingetreten sei. Es stimmt, dass Lenin eine Reihe spezieller Forderungen aufstellte – Land für alle Bauern, alle Macht den Sowjets, sofortigen Frieden, Arbeiterkontrolle in der Industrie usw. Aber der Grundton, die umfassende Idee, die mit all diesen Forderungen im ganzen Jahr 1917 verbunden war, war die Notwendigkeit der sozialistischen Revolution in Russland als Auftakt der weltweiten sozialistischen Revolution. Während des Kampfes um die Verwirklichung der Übergangsforderungen würden die Massen verstehen, auch die Bauernschaft, dass diese Forderungen nicht im Rahmen von Großgrundbesitz und Kapitalismus verwirklicht werden können und würden daher die Idee des sozialistischen Umsturzes unterstützen. Das war der Kern der Lenin“schen Ideen, die entgegen den Argumenten der DSP, mit Trotzkis Perspektiven übereinstimmen, welche dieser in seiner berühmten Theorie der Permanenten Revolution ausgeführt hatte. Es ist einfach unglaublich, auf der Basis einen einzigen Artikels aus dem September 1917 zu argumentieren, die Bolschewiki wären nicht für den Sozialismus eingetreten. Das schreibt Lorimer: „Es gibt keinen einzigen Hinweis auf ‚Sozialimus‘ oder ‚sozialistische Revolution‘ in diesem ganzen Artikel.“ 44

Wenn die Bolschewiki nicht die Idee der sozialistischen Revolution vertreten hätten, beschreibt dann John Reed in „Zehn Tage, die die Welt erschütterten“ , wie er auf dem zweiten Sowjetkongress nach der Revolution die Worte benutzt: „Wir sollen jetzt vorwärts schreiten, um die sozialistische Ordnung aufzubauen.“45 ßerdem erklärt John Reed, dass selbst die Bauernsoldaten, als sie von Menschewiki in Diskussionen herausgefordert wurden, die Revolution als den Beginn der sozialistischen Weltrevolution sahen.

In Lorimers Händen wird Lenin von einem revolutionären Sozialisten zu einer liberalen Pappkameraden, die niemals den russischen Arbeitern und Bauern offen die Notwendigkeit der sozialistischen Revolution erklärte. Damit zeigt er seine vollkommene Ignoranz gegenüber den realen Prozessen der russischen Revolution. Das lässt sich auch an seinen Kommentaren über Trotzkis Übergangsprogramm von 1938 erkennen, welches er versucht, argumentativ gegen uns zu verwenden. Trotzki war mit Haut und Haaren gegen die stalinistische Idee der zwei Etappen in der Revolution (was hingegen die DSP beständig vertritt). Die Vertreter dieser falschen Idee gehen davon aus, dass Bewegungen in der neo-kolonialen Welt sich darauf beschränken sollten, die Agrarrevolution zu vollenden, das Erbe des Feudalismus zu beseitigen, den Imperialismus zu entmachten und nationale Unabhängigkeit zu erreichen und den Sozialismus auf später zu verschieben. Aber die Verwirklichung der oben beschriebenen Aufgaben, so argumentierte Trotzki, sei unauflöslich damit verbunden, dass die Arbeiterklasse die Macht ergreifen müsse, in einem Bündnis mit der armen Bauernschaft. Dies wäre der Ausgangspunkt für die sozialistische Revolution. Der Kampf für demokratische Übergangsforderungen war verbunden mit der Idee des Sozialismus und der sozialistischen Revolution.

Die DSP verwirft diese Herangehensweise und vertritt die Meinung, dass radikale und revolutionäre Bewegungen in der neo-kolonialen Welt wie in Kuba 1959 oder in Indonesien heute vermeiden sollten, sich als sozialistisch zu bezeichnen oder auch nur zu erklären, dass ihr Endziel Sozialismus sei. In Bezug auf Kuba erklärt Lorimer: „Wenn [Castro und der 26. Juli] dies getan hätten, wäre es sehr unwahrscheinlich gewesen, dass sie hätten erfolgreich sein können, weil die überwältigende Mehrheit der kubanischen Arbeiter und Bauern ‚Sozialismus‘ mit den stalinistischen Polizeistaaten in Osteuropa gleichsetzte (erinnern wir uns daran, dass Castro seinen Kampf auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges begann – zwischen Stalins Niederschlagung des ostdeutschen Arbeiteraufstandes 1953 und Chrustchows Zerschlagung der ungarischen Arbeiterrevolution 1956).“

Es lohnt sich, bei den erstaunlichen Ideen Lorimers und der DSP zu verweilen. Die kapitalistischen Ideologen haben ohne Zweifel die Existenz der stalinistischen Regime als Schreckgespenst benutzt, um den Massen Angst vor einem wirklichen demokratischen Sozialismus einzujagen, nicht nur in der neo-kolonialen Welt sondern auch in den industrialisierten Ländern. Doch wirkliche Marxisten und Sozialisten können dies nicht bekämpfen, indem sie das sozialistische Programm über Bord werfen. Es war und es ist nötig zu unterscheiden zwischen der ökonomischen Basis Osteuropas und der Sowjetunion – einer geplanten Wirtschaft – und der entsetzlichen Karikatur auf den Sozialismus andererseits, den die stalinistischen Einparteien-Regime darstellten.

Trat die DSP während des Kalten Krieges für den Sozialismus ein? Wenn ja, sündigte sie gegen eines der Gebote, welches Lorimer in seiner unglücklichen Abhandlung formuliert hat: die Existenz von stalinistischen Regimes führt dazu, dass es Marxisten verwehrt ist, für eine Form des demokratischen, pluralistischen Sozialismus einzutreten. Das bezieht sich nicht nur auf die Vergangenheit während des Kalten Krieges, sondern betrifft auch die Vertreter sozialistischer Ideen heute. Die totalitären Einparteien-Regime sind zwar verschwunden, aber die Erinnerung an sie bleibt und wird ohne Zweifel wieder von den bürgerlichen Ideologen belebt werden, wenn sich erneut eine mächtige Bewegung für Sozialismus in der Arbeiterklasse entwickelt. Ideologie Fidel Castros, wie die der meisten Kämpfer des 26. Juli, war nicht in sich geschlossen. Unbestritten ist, dass Castro, während er im Gefängnis saß, wie viele andere Führer nationaler Befreiungsbewegungen Ideen von Lenin, Marx und Mao aufnahm (sicher trifft das auf Guevara zu), aber er hatte keine Ideologie ähnlich den Ideen Lenins, dem Marxismus, ganz zu schweigen von Trotzki. Er zielte auch nicht darauf, eine Bewegung oder eine Partei auf der Grundlage der kollektiven historischen Erfahrung der Arbeiterklasse aufzubauen.

Die Unfähigkeit Lorimers, die grundlegenden Unterschiede in Bezug auf die beteiligten gesellschaftlichen Kräfte zwischen der russischen Revolution und Kuba zu erkennen, führt auch dazu, dass er das Phänomen der chinesischen Revolution von 1944 bis 1949 und später auch der vietnamesischen Revolution nicht versteht. (Aus den Vietnam-Protesten entstand der Vorläufer der DSP). Im Fall der russischen Revolution fiel der Arbeiterklasse, geführt von einer bewussten marxistischen Partei, die Schlüsselrolle zu. Die revolutionäre Abschaffung des Großgrundbesitzes und des Kapitalismus in der neo-kolonialen Welt nach 1945 entwickelte sich in gänzlich anderer Form. Die Revolution basierte anfänglich auf den Kämpfen der ländlichen Massen.

Lorimer versucht irgendwie unsere Annahme, dass die Bewegung 26. Juli auf die Bauernschaft und die ländliche Bevölkerung stützte, zu erschüttern. Es macht ihn nicht einmal die Tatsache nachdenklich, dass der Kampf Castros und Guevaras sich auf den Guerilla-Krieg stützte. Jeder des Lesens kundige Marxist versteht, dass dies nicht die traditionelle Kampfmethode der Arbeiterklasse, sondern der Bauernschaft ist. Guevara macht dies kategorisch klar. 1960 schrieb er: „Im unterentwickelten Lateinamerika muss das Land der Schauplatz des bewaffneten Kampfes sein.“

Er wies jene zurück, die „dogmatisch annehmen, dass der Kampf der Massen sich in den städtischen Bewegungen konzentriert und dabei total vergessen, dass die ländliche Bevölkerung in den unterentwickelten Ländern Lateinamerika eine enorm wichtige Rolle spielt.“ Guevara hatte bei seiner Kritik der „Dogmatiker“ die stalinisierten „Kommunistischen“ Parteien des Kontinents im Kopf, die eine Politik der Passivität praktizierten und eine Etappen-Theorie vertraten und den Kampf der städtischen Arbeiterklasse nicht mit dem der ländlichen Massen verbanden. Sowohl Castro als auch Guevara und alle ernsthaften Kommentatoren der kubanischen Revolution verstanden, der Kampf der Bewegung 26. Juli auf dem Land stattfand. Nur Lorimer meint, dass in Castros Bewegung die Landbevölkerung und die Arbeiterklasse gleichermaßen einbezogen worden wären. Um die Realität in sein abstraktes Schema zu zwängen, bestreitet er, dass die treibende Kraft der Revolution vor allem die Landbevölkerung war, eine Auffassung, die sämtliche ernst zu nehmende Zeitzeugen der kubanischen Revolution, einschließlich ihrer führenden Kämpfer vertraten. keiner Stelle unserer Broschüre sprechen wir davon, dass sich Castro „ausschließlich“ auf die Bauernschaft stützte, wie auch Lorimer zugeben muss, indem er eine von uns zitiert: „Castro und Guevara stützten sich auf die Bauern und die Landbevölkerung.“

Hugh Thomas beschäftigte sich mit der Klassenstruktur Kubas Mitte der 50er Jahre beschreibt, dass es 200.000 Bauernfamilien gab, von denen „140.000 sehr arm waren und nicht mehr als eine caballeria (etwa 15,4 ha) bestellten – Boden, der häufig nicht einmal Eigentum, sondern gepachtet war oder illegal benutzt wurde.“ dem seiner Aussage nach „großen Anteil an Bauern“ es in Kuba ca. 600.000 Landarbeiter, rund die Hälfte davon Zuckerrohrschneider, die nur während der Erntezeit beschäftigt werden. Er kommentiert: „Ein Teil von ihnen betrieb ein wenig Landwirtschaft nebenher – wenn man bei dem Besitz von etwas eigenem Land mit einigen Hühnern davon überhaupt sprechen kann. Von diesen Landarbeitern deutlich unterschieden waren die etwa 100.000 Arbeiter in den Zuckerfabriken: Sie bildeten die Aristokratie der Arbeiterschaft und spielten eine dominierende Rolle in Kubas Gewerkschaftsbewegung. Einen hohen Organisationsgrad wies auch das städtische Proletariat mit seinen 400.000 Familien auf.“

Der Guerilla-Kampf von Ende 1956 an bis zur Flucht Batistas Anfang 1959 stützte sich auf die Bevölkerung in den ländlichen Gebieten. Die städtische Arbeiterklasse wurde für materielle und moralische Unterstützung genutzt, manchmal auch durch Streikaktionen, aber der Brennpunkt des Kampfes lag auf dem Land, wie von Castro und Guevara ausdrücklich beschrieben wurde. Lorimer und die DSP argumentieren, es falsch wäre, davon zu sprechen, die Bewegung 26. Juli ätte sich auf die „Bauernschaft und die ländliche Bevölkerung“ ützt, da es schließlich ein großes ländliches Proletariat gegeben hatte. Doch dieses Argument ist nur ein Taschenspielertrick. Richtig, die Existenz eines großen ländlichen „Proletariats“ war wichtig, aber es änderte daran, dass sich der 26. Juli die Bauernschaft stützte. Wie das obige Zitat von Hugh Thomas zeigt, hatten einige dieser Arbeiter, mit ihren Hühnern und ihrem kleinen Stücken Land, ein gemischtes Bewusstsein, halb Bauer, halb Arbeiter. Wir wiederholen: ihre Unterstützung, genau wie die des städtischen Proletariats, war ein Hilfsmittel für die Guerilla, die sich vor allem auf die armen Bauern und die Landbevölkerung stützte. Dies drückte der Bewegung ihren Stempel auf und markierte den Unterschied zur Basis der bolschewistischen Partei, für die in der russischen Revolution die bewusste Bewegung der Arbeiterklasse zentral war. Die Argumente der DSP, dass Castros Guerilla-Armee sich ebenso auf die Arbeiter wie auf die Bauern stützte, können mit Guevara widerlegt werden: „Der Guerillero ist vor allem ein Agrarrevolutionär. Er setzt die Wünsche der bäuerlichen Massen um, die zu den Besitzern des Landes werden wollen, zu den Besitzern der Produktionsmitteln, der Tiere, von allem, wonach sie nach Jahren dürsten, was ihr Leben ausmacht und sie ins Grab bringen wird.“

Die DSP zieht die Unterstützung der Arbeiterklasse für die Guerilla an den Haaren herbei. Natürlich gab es sie. Es gab ähnliche Unterstützung für die chinesische Revolution. Aber im Unterschied zur russischen Revolution waren in China und Kuba jeweils andere soziale Kräfte dominierend – die Bauern – und die Arbeiterklasse spielte eine untergeordnete Rolle. Die DSP zitiert zwar unsere Annahme aber antwortet nicht darauf:

„Lenin stütze sich auf die Arbeiterklasse. Er ging davon aus, das die Arbeiter im Kampf gegen den Zarismus die Bauern führen würden. Castro und Guevara stützen sich auf die Bauern und die Landbevölkerung. Die Arbeiterklasse trat erst mit einem Generalstreik in Havanna in den Kampf, als die Guerilla schon gesiegt hatte und Batista um sein Leben rannte.“ Die Tatsache, dass Castro durch eine überwiegend ländliche Bewegung an die Macht kam, hat den Charakter seiner ganzen Bewegung bestimmt. Nur durch die besondere Kombination von Umständen kam Castro – der sich zu Beginn niemals hätte vorstellen können, über die kapitalistische Demokratie hinauszugehen – in die Situation, bei der Abschaffung des Kapitalismus auf Kuba federführend zu sein.

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