Castros Kuba – eine marxistische Kritik

Vorwort zur deutschen Ausgabe

In den letzten Jahren sind die Kämpfe von Arbeitern und Bauern in Lateinamerika wieder stärker ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. Nahezu in jedem Land gab es Bewegungen. In Bolivien hatte der Widerstand gegen Privatisierung und Ausverkauf an ausländische Konzerne in der Stadt Cochabamba den Charakter eines Aufstandes angenommen. In Ecuador gelang es im Januar 2000 einer Bewegung, die von der indigenen Bevölkerung und Teilen der Gewerkschaften sowie linken Organisationen getragen war, durch einen Marsch auf die Hauptstadt Quito die Regierung zu stürzen. Diese hatte versucht, den US-Dollar faktisch zur Währung zu machen, was Hunderttausende tiefer in die Armut gerissen hätte.

Die in diesem Buch diskutierten Fragen zur Entwicklung der Revolution in Lateinamerika und in der gesamten ex-kolonialen Welt sind nicht von rein akademischen oder geschichtlichen Interesse. Obwohl sie sich auf die konkrete Epoche der kubanischen Revolution ab 1959 beziehen, tauchen ähnliche Fragestellungen über das Programm und die Strategie von revolutionären Bewegungen auch in den heutigen Kämpfen in Lateinamerika oder zum Beispiel in Indonesien auf.

Mit der Ermordung Che Guevaras erlitt die Guerilla-Bewegung 1967 eine große Niederlage. Ein zweiter Rückschlag war das Scheitern der FMLN in El Salvador 1980. Durch die teilweise verzweifelte Lage der Massen gab es in den letzten Jahren ein erneutes Aufkommen der Guerilla, so die Entstehung der Zapatisten in Chiapas, Mexiko, und die Stärkung der FARC-EP in Kolumbien. Doch geprägt wurden die Kämpfe seit den 70ern Jahren vor allem von der organisierten Arbeiterklasse. In einigen Ländern wie Brasilien und Argentinien konnten die Militärdiktaturen besiegt werden. In der Folgezeit wurden mächtige Organisationen der industriellen Arbeiterklasse aufgebaut wie der brasilianische Gewerkschaftsdachverband CUT. In Bolivien knüpften sowohl Bergarbeiter als auch Beschäftigte im öffentlichen Dienst an ihrer Militanz vom Anfang der 70er Jahre an.

Auch die Bewegungen der Landbevölkerung entwickelten sich oftmals nicht entlang der klassischen Linie eines in die Länge gezogenen Guerilla-Krieges, sondern setzten auf die Methoden von politischer Agitation, Organisierung der Massen, Demonstrationen, Streiks und Landbesetzungen. So die brasilianische Bewegung der Landlosen (MST), die durch beständige Organisierung und Märsche auf die Städte eine enge Verzahnung mit der städtischen Arbeiterklasse erreichte. So in gewisser Weise auch die Zapatisten, die den bewaffneten Aufstand in Chiapas vor allem als Ausgangspunkt sahen, eine breite Bewegung aufzubauen. Das ändert nichts an ihren politischen Schwächen, ihrer reformistischen Beschränktheit, zeigt jedoch, dass sie einige Lehren aus vergangenen Guerilla-Bewegungen gezogen haben. Die Bewegung in Ecuador, die auch dieses Jahr angehalten hat, stützt sich vor allem auf die indigene Bevölkerung aus den agrarischen Gebieten und den Armutsvierteln der Städte, hat jedoch die Methoden der organisierten Arbeiterbewegung – bis hin zu Ansätzen von Räten – übernommen.

Peter Taaffe führt aus, dass eine wirkliche sozialistische Gesellschaft nur durch die organisierte Arbeiterbewegung aufgebaut werden kann, dass die neue Gesellschaft „trainiert“ werden muss in den Massenkämpfen der arbeitenden Bevölkerung, in den demokratischen Räten, dass eine internationale revolutionäre Perspektive nötig ist. Ein Guerilla-Kampf auf dem Land kann in halbkolonialen Länden eine sinnvolle und wichtige Ergänzung zur Bewegung der Arbeiterklasse in den Städten und zur Organisierung der bäuerlichen Massen sein. Doch eine Revolution, deren zentrale Strategie der auf die Bauernschaft gestützte Guerilla-Kampf ist, wird, unabhängig davon, wie heldenhaft, opferbereit und wahrhaft revolutionär ihre Aktivistinnen und Aktivisten sind, unweigerlich auf den Weg Kubas geraten. In Kuba wurden durch die Abschaffung des Kapitalismus trotz der Blockade Washingtons gewaltige Leistungen vollbracht, die Menschen dort haben für die Revolution gekämpft und gelitten, aber Wirtschaft und Gesellschaft stecken letztendlich in der Zwangsjacke der Bürokratie. In Lateinamerika sind in nahezu allen Ländern die Bedingungen gegeben, die Arbeiterbewegung aufzubauen und die Kämpfe von Arbeitern und Bauern miteinander zu verbinden. Doch es gibt keinen Automatismus. Eine bewusste revolutionärsozialistische Führung ist nötig, um die Erfahrungen der Arbeiterbewegung weltweit zu verarbeiten und eine Perspektive für die soziale Befreiung des Subkontinents aufzuzeigen.

Der verkommene Charakter der herrschenden Klassen in Lateinamerika, das Leiden weiter Teile der Bevölkerung, das opportunistische Verhalten z.B. der Gewerkschaftsführer und daraus resultierende Niederlagen der Arbeiterklasse werden einen Teil der Jugend und der Bauern Richtung Guerilla-Kampf drängen. Auch das Eingreifen des US-Imperialismus und der Hass der Massen auf die USA wird dazu beitragen. In Kolumbien existiert mit der FARC-EP eine mächtige Guerilla-Bewegung, die weite Teile des Landes unter Kontrolle hat. Der noch von der Clinton-Regierung aufgelegte „Plan Colombia“ – angeblich ein Hilfspaket – sieht im Kern eine Intensivierung des Krieges der staatlichen Truppen und der rechten paramilitärischen Verbände gegen die Guerilla vor und auch eine US-Intervention vor. Ob es zu einer direkten Intervention kommt, hängt von den konkreten Umständen ab. Es ist möglich, dass in den nächsten Jahren in Kolumbien eine Situation ensteht, in der die FARC-EP die Macht erringen kann. Das würde die Fragen von Arbeiterdemokratie und von Planwirtschaft in aller Schärfe stellen.

Wir sind mit allen Kämpferinnen und Kämpfern gegen den Imperialismus solidarisch. Doch wir trotten wir den Bewegungen nicht einfach hinterher sondern wollen in eine Debatte über das eintreten, was wir als ihre Fehler und Begrenztheiten ansehen. Auch für Kolumbien gilt: ohne das organisierte Proletariat und eine bewusste sozialistische Führung wird keine Arbeiterdemokratie aufgebaut werden können. Zu diskutieren, ob Kolumbien nach einem Sieg der Guerilla Richtung Kuba – eines „bürokratisch deformierten Arbeiterstaates“ – gehen oder den Weg der nicaraguanischen Sandinistas – im Rahmen des Kapitalismus – beschreiten würde, würde hier zu weit führen. Klar ist: die Fragen, denen sich Revolutionäre wie Che Guevara gegenübersahen, werden in den nächsten Jahren verstärkt auf die Tagesordnung kommen. Dieses Buch ist von der Form her eine Polemik gegen die australische Democratic Socialist Party (DSP). Auf der Website der DSP findet sich eine erste Anwort auf die englischsprachige Fassung des Buches. Die Antwort der DSP ist, gelinde gesagt, schwach. Auf eine Vielzahl von Fakten zum bürokratischen Charakter des kubanischen Staates und zu den Grenzen der Guerilla antwortet Doug Lorimer lediglich mit zwei Argumenten.

Erstens beschreibt er auf mehreren Seiten, dass sich Peter Taaffe nur mit dem Thema beschäftigt, weil es innerhalb des CWI offene Fragen gäbe. Tatsächlich haben einzelne Mitglieder, die das CWI mittlerweise verlassen haben, Fragen zum Charakter Kubas aufgeworfen. Doch ist die Frage der Guerilla-Strategie und der Einschätzung Kubas grundsätzlich von großer Bedeutung für die neue Generation von Arbeitern, Bauern und Jugendlichen in der halbkolonialen Welt, die sich beginnt, gegen den Imperialismus zu wehren. Selbst wenn eine interne Debatte im CWI der Anlass wäre, dann wäre es allemal wert, zur Klärung dieser wichtigen Fragen beizutragen. Lorimer kritisiert hier etwas, was prinzipiell nicht kritisierenswert ist. In Wirklichkeit geht es ihm darum, über die angebliche Krise konkurrierender sozialistischer Organisationen zu schwadronieren, um seine eigene Organisation zumindest in Australien und Asien als wichtigsten Ansprechpartner für linke Bewegungen anbieten zu können.

Zweitens führt er aus, dass die Privilegien der Funktionäre in Kuba längst nicht so verfestigt waren wie in Russland. Zu diesem Zweck zitiert er ausführlich den Moskauer Korrespondenten der New York Times, Hedrick Smith, der 1976 in seinem Buch The Russians schildert, wie detailliert die Vergünstigungen und Privilegien innerhalb der bürokratischen Hierarchie geregelt waren. Ein lesenswerter Bericht. Und tatsächlich – in Kuba war und ist es anders. Das nicht jedes bürokratisch beherrschte Planwirtschaft in allen Einzelheiten dem Moskauer „Vorbild“ glich, ist allerdings nicht neu.

Selbst in der als Inbegriff des Stalinismus geltenden DDR wären solche Privilegien nach der Art eines absolutistischen Hofes nicht denkbar gewesen. Es hätte Proteste der Massen gegen diese Art von Bevorzugung gegeben. Die DDR-Bürokratie war teils „bescheidener“, teils informeller organisiert. Viele Privilegien waren nicht einmal bekannt. Daher reagierten die arbeitenden Menschen auf die Enthüllungen im Herbst/Winter 1990 mit Überraschung und Wut. Verglichen mit dem obszönen Reichtum im Kapitalismus waren die Privilegien der meisten DDR-Funktionäre eher gerinfügig. Das änderte allerdings nichts daran, dass die Bürokraten diese verteidigten, so lange es ging, weil diese Privilegien in der DDR den Unterschied zwischen materiellem Wohlstand und Versorgungsengpässen markierten.

Dass vor allem die Unterschiede zwischen einer 40 Jahren lang regierenden bürokratischen Schicht, die ihre Gegner und jegliche Tradition der Arbeiterdemokratie durch blutige Säuberungen schon in den 30er Jahren vernichtet hat – Sowjetunion – und einem frischen Regime, welches noch durch den revolutionären Schwung der

Massen getragen wurde – Kuba –, bemerkenswert sind, sollte nicht überraschen. Lorimer verwirft alle in diesem Buch geschilderten Beispiele der bürokratischen Deformation der kubanischen Gesellschaft als bedeutungslos. Die Leserinnen und Leser mögen das selbst beurteilen.

Doch selbst wenn wir kein einziges Beispiel für Einkommensunterschiede zwischen Arbeitern und Funktionären nennen könnten: ein Marxist sollte in der Lage sein, aus den Handlungen eines Regimes auf dessen sozialen und politischen Charakter zu schließen. Die Innen- und Außenpolitik Castros bietet genug Anschauungsmaterial, um die Parallelen zur Politik der UdSSR oder Chinas zu erkennen – von den Kampagnen „gegen Bürokratismus“ über die Nicht-Unterstützung revolutionärer Kämpfe bis zu den Zick-Zacks zwischen ins Absurde gesteigerter Verstaatlichung und marktwirtschaftlichen Elementen.

All dies sind klare Hinweise darauf, dass Wirtschaft und Gesellschaft nicht bewusst von der Arbeiterklasse kontrolliert und verwaltet werden, sondern dass eine bürokratische Minderheit die Gesellschaft lenkt. Zu Beginn führte das durchaus zu Fortschritten der Gesellschaft, weil das Schmarotzertum der einheimischen Kapitalisten

und des Imperialismus beendet wurde, doch das bürokratische Modell der Lenkung stieß mehr und mehr an seine Grenzen, die gesellschaftliche Entwicklung stockte. Eine Planwirtschaft kann nicht ohne die volle Demokratie der arbeitenden Menschen entwickelt werden. Der genaue Verlauf und der zeitliche Rahmen unterscheiden sich, doch die sozialen Gesetzmäßigkeiten wirken in Kuba ebenso wie in der ehemaligen Sowjetunion, der DDR oder China.

Claus Ludwig

Köln, März 2001

Einleitung

Die kubanische Revolution siegte 1959, vor mehr als vier Jahrzehnten. Aber ihre Auswirkungen, besonders durch ihre charismatischsten Vertreter, Fidel Castro und den ermordeten Che Guevara, begeistern immer noch weltweit Arbeiter und junge Menschen. Dem Sturz der verhassten Diktatur von Batista folgte schnell die Beseitigung von Großgrundbesitz und Kapitalismus. Die weltweite Arbeiterbewegung schaute gebannt auf dieses Ereignis. Ein „sozialistisches“ Regime war direkt vor den „Klauen des Monsters“, des US-Imperialismus, errichtet worden. Kommentatoren zogen Vergleiche mit früheren Revolutionen, besonders der russischen Revolution. Die Geschichte wiederholt sich jedoch nie auf genau auf die gleiche Weise. Revolutionen ebenso wenig. Die kubanische Revolution unterschied sich durch ihre Ursprünge, die politischen Perspektiven ihrer führenden Vertreter und die beteiligten Klassenkräfte grundlegend von der russischen Revolution.

Tatsächlich bereiteten die klassischen sozialistischen und marxistischen Schriften – von Marx, Engels, Lenin, Luxemburg, Trotzki – Marxisten nicht auf die Ereignisse in Kuba vor. Trotzki deutete in seinen letzten Schriften an, dass sich Prozesse vollziehen könnten, wie sie später auf Kuba abliefen. Er wies darauf hin, dass auch nicht-marxistische Führer aus der Mittelschicht unter den Bedingungen einer zugespitzten gesellschaftlichen Krise viel weiter getrieben werden könnten als sie ursprünglich beabsichtigten – bis zum Bruch mit dem Kapitalismus. Auch waren die Marxisten, die später Militant (jetzt The Socialist, die Wochenzeitung der Socialist Party), besser als die meisten anderen auf die kubanische Revolution vorbereitet. Ihre Analyse der chinesischen Revolution von 1944-49 und der Prozesse, die sich in der Nachkriegsperiode in der neo-kolonialen Welt entfalteten, führten dazu, dass sie von den Ereignissen auf Kuba nicht völlig unvorbereitete getroffen wurden. Aber auch die beste Theorie kann nicht präzise vorhersagen, wie sich eine Revolution tatsächlich entwickeln wird.

Die kubanische Revolution wurde von Castro und Guevara und ihrer Bewegung des 26. Juli ührt, die außerhalb der stalinistischen Tradition entstanden war. Sie errichteten ein Regime, das die Unterstützung der breiten Mehrheit der Bevölkerung genoss und Begeisterung auf Kuba selbst und bei den Unterdrückten weltweit hervorrief. Darüber hinaus gab es in der ersten Phase der Revolution Tendenzen einer massenhaften Beteiligung, einschließlich Elementen von Arbeiterkontrolle und „Volksmacht“. Dies stellte alle Sozialisten und Marxisten vor die Aufgabe, den Charakter des kubanischen Regimes genau zu bewerten. Konnte die Regierung von Fidel Castro und Che Guevara mit der Lenins, Trotzkis und der Bolschewiki in der ersten glorreichen Periode der russischen Revolution verglichen werden? Eine Planwirtschaft war errichtet worden, aber gab es wirkliche Arbeiterdemokratie auf Kuba? Was waren die internationalen Dimensionen und die Auswirkungen der kubanischen Revolution? Diese Fragen wurden damals heiß debattiert und waren seitdem eine Quelle ständiger Kontroversen. Das sind die Themen dieses Buchs, die vor dem Hintergrund der Ereignisse seit 1959 bewertet werden. Unserer Meinung nach haben sich viele, einschließlich einiger, die beanspruchten, Sozialisten und Trotzkisten zu sein, von der kubanischen Revolution mitreißen lassen. Sie ersetzten eine ausgewogene marxistische Herangehensweise – Unterstützung für die Revolution, aber verbunden mit Vorschlägen für die Errichtung einer Arbeiterdemokratie auf Kuba – durch Impressionismus. Dazu gehört der Vergleich von Regierung und Staat auf Kuba mit dem der Bolschewiki in der ersten Periode nach 1917.Wir lehnten dies von Anfang an ab und versuchten, eine allseitige Analyse und Erklärung zu geben, welche die Arbeiter auf die künftige Entwicklung Kubas und besonders des kubanischen Staats vorbereiten konnte. Ideen wurden in unserer Wochenzeitung Militant in anderen Veröffentlichungen dargestellt. Ich schrieb 1978 drei Artikel für unsere Zeitung, die daraufhin zusammen als kleine Broschüre veröffentlicht wurden. Ich habe diese Broschüre als Anhang beigefügt. Sie liefert wichtige Hintergrundinformationen über die Ereignisse, die zur Revolution 1959 führten, und über die Jahre danach. Die Leserinnen und Leser mögen unsere ursprüngliche Analyse im Lichte der folgenden Kritik lesen.

Einundzwanzig Jahre später entschloss sich Doug Lorimer, einer der Führer der in beheimateten Democratic Socialist Party, diese Broschüre einer ausführlichen Kritik zu unterwerfen. Dieses Buch ist eine Antwort auf diese Kritik. Bevor wir Lorimers Kritik erhielten, hatte ich schon die Absicht, eine aktuelle Analyse der Lage auf Kuba heute zu schreiben, die eine Neubetrachtung der Ereignisse der kubanischen Revolution selbst beinhalten würde. Die Aktualität solch eines Buchs wurde kürzlich durch die weltweite Medienaufmerksamkeit rund um den kubanischen Jungen Elian Gonzales unterstrichen, die einmal mehr Kuba in das Zentrum der Weltpolitik gerückt hat. Das Ergebnis diese Konflikts, mit der „Eroberung“ Elians durch die INS (US-Einwanderungs- und Einbürgerungsbehörde), die zur Wiedervereinigung mit seinem Vater führte, stellte eine Niederlage für die härtesten ultrarechten Emigranten in Miami dar. Gleichzeitig lenkte sie die Aufmerksamkeit erneut auf Fidel Castros Regierung und politisches Regime und auf die künftigen Aussichten für die Entwicklung in Kuba.

In diesem Buch gehen wir auf einige wichtige Entwicklungen in Kuba ein, aber eine umfangreiche Arbeit, die ein detaillierteres Bild der Ereignisse auf Kuba gibt, musste ich beiseite legen, um auf die Argumente der DSP zu antworten. Dies mag hoffentlich einigen Nutzen bringen. Diskussion, Kritik und Gegenkritik verschiedener Strömungen in der Arbeiterbewegung und unter Marxisten kann der Klärung dienen und bei der Schulung einer neuen Generation helfen, die noch nicht mit unserer Analyse vertraut ist.

Ich habe es für notwendig gehalten, in derselben Reihenfolge auf die Argumente der DSP einzugehen, in der sie ihre Kritik an meiner Broschüre formuliert haben. Um ihre Argumente genau und angemessen zu beantworten, müssen Stil und Lesbarkeit etwas leiden. Es gibt auch einige lange Zitate verschiedener Autorinnen und Autoren, die notwendig sind, weil es zu wegen Meinungsverschiedenheiten zu den dort beschriebenen Tatsachen gibt. Ich hoffe, dass das für die Leserinnen und Leser nicht zu mühsam ist, sondern im Gegenteil die Analyse erhellen und unterstreichen wird, die wir von der kubanischen Revolution, dem Charakter von Fidel Castro und seiner Regierung sowie den aktuellen und künftigen Perspektiven für Kuba gemacht haben. Diese ist für die Arbeiterinnen und Arbeiter auf der ganzen Welt wichtig.

Peter Taaffe, Mai 2000

Kuba heute

Der Fall der Berliner Mauer vor zehn Jahren führte zur Beseitigung der verhassten stalinistischen Regime in Osteuropa und der früheren Sowjetunion sowie der letzten Überreste der Planwirtschaften, welche die wirtschaftliche Grundlage dieser Gesellschaften waren. Die wirtschaftliche Konterrevolution brachte in ihrem Gefolge beispiellose Härten und Leiden für die Masse der Bevölkerung in diesen Ländern. Als Folge schien der Kapitalismus auf dem ganzen Planeten die Oberhand zu behalten, wobei der „Markt“ als einziges lebensfähiges Wirtschaftssystem für die Menschheit dargestellt wurde. Mit der massiven ideologischen Kampagne für den Markt wurde versucht, den Sozialismus und die Ideen der sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft ein für allemal zu begraben. Ein paar Regime haben jedoch dieser Flut der sozialen Konterrevolution standgehalten, von denen Kuba das bekannteste ist. Aus diesem Grund und wegen der beachtlichen geschichtlichen und sozialen Errungenschaften der Revolution und der jüngsten teilweisen Erholung der Wirtschaft scheint Kuba ein Symbol der Hoffnung zu sein, besonders für die jüngere Generation, die sozialistische und marxistische Ideen wiederentdeckt. Kuba scheint zu bestätigten, dass das sozialistische Projekt weiterhin gerechtfertigt ist. Aber Anfang der neunziger Jahre, im Gefolge des Zusammenbruchs der früheren UdSSR und Osteuropas, stand Kuba selbst auf des Messers Schneide. Kuba war abhängig vom Markt der UdSSR, besonders für sein Hauptexportgut Zucker, und von den Subventionen, die es von dort erhielt. Das wurde abrupt beendet, als der pro-kapitalistische Flügel der Bürokratie in der Sowjetunion und Osteuropa die Staatsindustrien stahl und diese Gesellschaften in kapitalistische Staaten umwandelte. Unter dem Druck des Weltkapitalismus, ihrer neuen Freunde, durchtrennten sie eilig Kubas lebenswichtige wirtschaftliche Verbindungslinie.

Das musste schreckliche wirtschaftliche und soziale Folgen für das kubanische Volk haben. Der Verkauf von Öl (aus der UdSSR) gegen Zucker (aus Kuba) über den Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW), den Handelsblock der früheren UdSSR und Osteuropas, und andere Subventionen hatten Kuba zuvor 5 Milliarden Dollar jährlich eingebracht1. Dies wurde drastisch gekürzt und die kubanische Regierung musste den Lebensmittel- und Treibstoffverbrauch rationieren. Castro selbst erklärte, dass das Handeln von Kubas früheren „kommunistischen“ Verbündeten „abstoßend“ sei und dass sie darüber hinaus „im Falle einer [US-]Invasion Blut an ihren Händen haben“ würden.2 Im April 1991 erklärte Castro, dass insgesamt 85 Prozent von Kubas Außenhandel „binnen Monaten zusammenbrachen“.3 Der Zusammenbruch des RGW senkte auch die Importe Kubas um über 80 Prozent und das „globale Sozialprodukt“ der Wirtschaft war 1991 um 25 Prozent gefallen.4

Der US-Kapitalismus versuchte, davon zu profitieren und setzte das Torricelli-Gesetz von 1992 und das Helms-Burton-Gesetz von 1996 in Kraft, um die kubanische Wirtschaft weiter zu schwächen. Es verbot sogar überseeischen Tochterfirmen von US-Firmen, mit Kuba Handel zu treiben. Die Gesamtwirkung von 40 Jahren USSanktionen hat Kuba Verluste von insgesamt 40 Milliarden US-Dollar gebracht „weit mehr als jeder Schaden, welcher der US-Wirtschaft durch die kubanischen Enteignungen von USVermögen zugefügt wurde“.5 Trotzdem schaffte es diese belagerte Festung Kuba in der Hälfte der neunziger Jahre, langsam aus dem wirtschaftlichen Abgrund zu klettern. 1994 gab es ein Wirtschaftswachstum von 0,7 Prozent, 1995 2,5 Prozent und 1996 7,8 Prozent, mit einem Rückgang 1997 aber einer kleinen Erholung in den folgenden Jahren. Das sticht vorteilhaft von dem Zusammenbruch in der früheren Sowjetunion und Osteuropa ab. Im Fall von ersterer war der Rückgang der Produktion der größte, den es jemals in der Geschichte gab, ein noch schärferer Rückgang als der durch die kapitalistische Weltwirtschaftskrise 1929-33 verursachte. Ein Teil der Erklärung für Kubas Wachstum ist die merkliche Zunahme in den Tourismuseinnahmen. Kuba hat jetzt mehr Touristenbetten als der Rest der Karibik zusammengenommen. Aber es war auch ein Ergebnis der Festhaltens an der Planwirtschaft, die es trotz des Fehlens von Arbeiterdemokratie Kuba erlaubt hat, sich zumindest zu halten, obwohl das Land vor gewaltigen Schwierigkeiten stand. Darüberhinaus waren Kubas Leistungen im Gesundheits- und Bildungwesen, in der Renten- und Sozialpolitik im allgemeinen herausragend, besonders wenn man sie vor den Hintergrund der Bedingungen der Massen im benachbarten Mittel- und Südamerika stellt. Vorbeugung und gesundheitliche Erstversorgung haben dazu geführt, dass Kuba eine Kindersterblichkeitsrate hat, die halb so groß wie in Washington DC ist! Es gab spektakuläre Entwicklungen in der Augenchirurgie, die Besucher aus der ganzen Welt angezogen hat. Und trotz der chronischen Engpässe bei Medikamenten und Ausstattung erscheint Kubas Gesundheitsdienst den Massen in der Karibik und Lateinamerika als Leuchtfeuer. Tausende Ärzte und Krankenschwestern, die auf Kuba ausgebildet wurden, arbeiten in Mittelamerika und auf Haiti. Castro behauptete sogar: „Wir werden bessere Ärzte als die Vereinigten Staaten ausbilden.“

Die Bösartigkeit des US-Embargos hat Kuba gezwungen, auf seine eigenen Ressourcen ückzugreifen: „Wir alle wurden Erfinder, es gab keine Alternative“ ärte Doktor Aleida Guevara (Tochter von Che)7. Als Ergebnis der Entwicklungen von Kubas Biotechnologie-Industrie wurde das Land Pionier bei der Entwicklung eines Impfstoffes gegen Meningitis, der international gefragt ist. Und während die Armen zweifellos unter dem von den USA angeführten Embargo gelitten haben, gilt trotzdem, was der Guardian 1998 beschrieb: „Was den Zugang zu jenen Grundmerkmalen einer menschlichen Gesellschaft angeht, nimmt Kuba einen sehr hohen Rang ein. Im neuesten Human Development Report dargelegten Index gehört Kuba zur Gruppe der fünf Entwicklungsländer, welche die menschliche Armut bis zu dem Punkt reduziert haben, wo sie weniger als 10 Prozent der Bevölkerung betrifft. Kubas Leistung ist über der von Costa Rica und bei weitem über der von Jamaika, El Salvador und Haiti.“All dies zeigt die großen Vorteile der Planwirtschaft, selbst einer von einem bürokratischen Wasserkopf gehemmten, gegenüber dem veralteten Kapitalismus. Die Lebenserwartung auf Kuba beträgt 75 Jahre, volle 20 Jahre höher als in der katastrophenerschütterten früheren UdSSR nach deren Zusammenbruch.

Darüber hinaus hat sich Castro selbst anders als die Ex-Bürokraten Gorbatschow, Jelzin usw. nicht dem Markt in die Arme geworfen. In Worten verteidigt er immer noch den „Sozialismus“ als eine Alternative zum Kapitalismus, auch wenn er auf Kuba selbst gezwungen war, als Preis für das Weiterbestehen des Regimes dem Markt große Zugeständnisse zu machen. Aus diesen Gründen erwarb sich Kuba die Sympathie und Unterstützung von Sozialisten und sogar Marxisten. Es gibt auch erneut Interesse an der kubanischen Revolution und ihrer Bedeutung für den Kampf ür den weltweiten Sozialismus. Die Socialist Party Britannien (früher Militant) und das Komitee für eine Arbeiterinternationale (CWI) immer standhaft die Errungenschaften der kubanischen Revolution verteidigt und zugleich das politische Regime von Castro und der „Kommunistischen“ Partei Kubas kritisiert. Wir fordern ein sofortiges Ende des Embargos gegen Kuba. Andere, von denen einige beanspruchen, Marxisten und Trotzkisten zu sein, haben ihre Augen vor dem Fehlen von Arbeiterdemokratie in Kuba verschlossen. Eine dieser Organisationen ist die Democratic Socialist Party (DSP) Australien.

Die DSP über Nicaragua und Afghanistan

Die Führer dieser Organisation versuchen, aus der zweifellos vorhandenen Sympathie für die Errungenschaften der kubanischen Revolution Nutzen zu ziehen, indem sie als unkritische Cheerleader für Fidel Castro, seine Politik und sein Regime auftreten. Diese Herangehensweise der DSP-Führung ist nicht neu oder außergewöhnlich. Die Organisation ist bloß konsequent. Sie unterstützten die sandinistische Führung der nicaraguanischen Revolution unkritisch, was letztlich zu ihrem Bruch mit dem Trotzkismus führte. „Die nicaraguanische Revolution von 1979 war entscheidend für die Verschiebung unserer Perspektiven. Die nicaraguanische Revolution stürzte unsere trotzkistische Theorie, dass sozialistische Revolutionen einstufige Angelegenheiten seien und bestätigte die von Lenin entwickelte „Zwei-Stufen-Strategie der Revolution.“ Wir werden später mehr über Lenins angebliche „Zwei-Stufen-Strategie“ sagen. Aber es ist eine Tatsache dass die nicaraguanische Revolution wegen der falschen Politik und Methoden der sandinistischen Führung in die Sackgasse geriet und schließlich zurückgeworfen wurde. Die DSP gab eine richtige Theorie, die der permanenten Revolution, zugunsten einer Politik – der Zwei-Stufen-Theorie – auf, die für das Scheitern von Revolutionen verantwortlich war. Sie unterstützte auch den russischen Einmarsch in Afghanistan 1979: „Das sowjetische Eingreifen in Afghanistan im Dezember 1979 war ein anderes Weltereignis, das uns zwang, die Dinge für uns selbst weiter zu durchdenken… Sowjetische Truppen gingen nach Afghanistan, um einen von den USA organisierten Krieg zum Sturz eines radikalen Regimes in Kabul aufzuhalten. Unsere Antwort war prompt – den sowjetischen und Kabuler Regierungskräften im afghanischen Bürgerkrieg starke Unterstützung zu geben.“

Es war für Marxisten völlig falsch, das Eingreifen des stalinistischen Regimes der UdSSR in Afghanistan 1979 auch nur „kritisch“ zu unterstützen. Der Umstand, dass diese Maßnahme das afghanische Regime stützte, das wichtige fortschrittliche Maßnahmen bei der Bodenreform, der Abschaffung des Brautpreises usw. durchführte, war für die Stalinisten in der UdSSR zweitrangig. Sie verfolgten ihre eigenen strategischen Interessen in der Region. Aus diesem Grund lehnten wir die Entscheidung, in Afghanistan einzugreifen, ab. Es erlaubte dem Imperialismus einen Propagandasieg durch die Gleichsetzung von „Sozialismus“ mit bürokratisch-militärischen Mitteln zur Ausdehnung des Einflussbereichs der sowjetischen Elite, auch wenn die DSP es anders sehen wollte. Auf der anderen Seite stellten wir uns denen entgegen, die daraufhin den sofortigen Abzug der russischen Truppen forderten, der konkret dazu geführt hätte, dass viele Jahre früher ein Regime im Stile der monströsen fundamentalistischen Taliban-Regierung, die heute herrscht, errichtet worden wäre.

Die DSP war auch unkritischer Unterstützter von Gorbatschow, der der sozialen Konterrevolution in der früheren Sowjetunion die Tür öffnete. Sie druckten und trugen sogar T-Shirts mit Gorbatschows Bild darauf. Nachdem sie die Idee einer von den Massen in den stalinistischen Staaten gemachten politischen Revolution – eines Regimes der Arbeiterdemokratie – aufgegeben hatten, übertrugen sie ihre Hoffnungen auf Demokratisierung auf die Spitzen der russischen Bürokratie: „Schon bevor Michail Gorbatschow an die Macht kam, hatten wir [die DSP] angefangen, die Möglichkeit offen zu lassen, dass der Prozess demokratischer Reformen in diesen Ländern tatsächlich von innerhalb der herrschenden Kommunistischen Parteien eingeleitet werden könnte.“Zu einer Zeit der höchsten Gefahr für die kubanische Revolution zog Gorbatschow Anfang der neunziger Jahre auf Drängen des US-Imperialismus russische Truppen Militärpersonal ab. Die kubanische KP-Zeitung Granma ärte, dass dies „grünes Licht für eine US-Invasion“11 habe. Die Socialist Party das CWI haben anders als die DSP diesen Verbündeten des US-Imperialismus niemals unterstützt, der den Weg für Jelzins Restauration des Kapitalismus bereitete und versuchte, die kubanische Revolution zu erwürgen.

In der neo-kolonialen Welt ist die DSP unkritisch, um nicht zu sagen unterwürfig gegenüber der Führung linker Organisationen, verstärkt deren theoretische und programmatische Fehler und vertritt eine Spielart der stalinistischen „Etappentheorie“ für die Revolution in diesen Ländern. Sie hat Trotzkis Theorie der Permanenten Revolution ausdrücklich verworfen, sowohl als Erklärung der Triebkräfte der russischen Revolution als auch deren Bedeutung für die Kämpfe in Asien, Lateinamerika und Afrika heute. Letzteres wiegt schwerer. Wenn die Ideen der DSP in Indonesien zu Leitprinzipien für die Massenbewegung der Arbeiter würden, würde dies katastrophale Folgen haben. Die Revolution, die gerade erst begonnen hat, würde aus der Bahn geworfen werden.

Die DSP verstärkt die Fehler der Führung des Vereinigten Sekretariats der Vierten Internationale (VS), welche diese während des größten Teils der Periode nach 1945 machte. Da sie nicht fähig war, nennenswerte Gruppen innerhalb der Arbeiterklasse aufzubauen, gab sie immer wieder die unabhängige marxistische Analyse auf und handelte als politische Anwalt von „Radikalen“, Stalinisten oder Führern der nationalen Befreiungsbewegungen in der neo-kolonialen Welt. Das VS entwickelte nach dem Sieg der chinesischen Revolution eine relativ unkritische Haltung gegenüber Mao Tse-tung. Die Mehrheit des VS glaubte, dass eine politische Revolution in China unnötig sei. Sie unterstützten Tito in Jugoslawiens Auseinandersetzung mit dem Stalinismus in der UdSSR unkritisch. In Vietnam nahmen sie eine ähnlich unkritische gegenüber der Nationalen Befreiungsfront (FNL) . Ihr Hauptslogan bei Demonstrationen gegen die Intervention des US-Imperialismus war „Ho, Ho, Ho Chi Minh“. wurde ein Führer des stalinistischen Staates Nordvietnam zum Helden erhoben. Militant (jetzt die Socialist Party) verteidigte entschieden den Kampf der Arbeiter und Bauern Südvietnams und die Revolution. Aber wir unterstützten die Führer der FNL oder Ho Chi Minh nie unkritisch. Der Sieg der vietnamesischen Revolution war ein großer Schritt vorwärts, aber wegen der nationalistischen Beschränkungen Führung und der am Kampf beteiligten Hauptkräfte – der Vietcong war weitgehend eine Bauernarmee – sagten wir voraus, dass der Staat, der aus der Revolution hervorgehen würde, eine Planwirtschaft mit einem stalinistischen Einparteienregime sein würde. Es war daher notwendig, die Arbeiter im voraus vor dem wahrscheinlichen Ergebnis der Ereignisse zu warnen. Wir unterstützten auch die algerische Revolution im nationalen Befreiungskrieg gegen den französischen Imperialismus Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre politisch und materiell. Aber gleichzeitig gaben wir nie der Führung der FNL oder Ben Bella unkritische Unterstützung, wie es das VS machte.

Wegen der relativen politischen Ruhe der Arbeiterklasse vor allem während des langen Booms der fünfziger und sechziger Jahre gab das VS die Idee von der Arbeiterklasse als Träger der sozialistischen Revolution auf. Anderen Kräften – Studenten in den „roten Basen“ in den Universitäten, der radikalisierten Bauernschaft und der Intelligenz in der neo-kolonialen Welt und „reformerischen“ stalinistischen Bürokraten – wurde diese Rolle vom VS zugewiesen. Der Marxismus hatte sich seit der Zeit von Marx und Engels selbst nicht aus romantischen oder zweitrangigen Gründen auf die Arbeiterklasse gestützt, sondern wegen der Rolle, die diese Klasse in Produktion und Gesellschaft spielt. Sie ist durch ihre Organisation in den Großbetrieben die einzige Klasse, welche die potenzielle kollektive Kraft und das Bewusstsein besitzt, die sozialistische Revolution durchzuführen. Andere Klassen, die Mittelschicht oder die Bauern zum Beispiel, sind uneinheitlich. Sie sind in verschiedene Schichten aufgeteilt, wobei der obere Teil zu den Kapitalisten schaut und die unteren, ärmeren Teile der Bauernschaft dazu neigen, mit der Arbeiterklasse zu verschmelzen. In der neo-kolonialen Welt kann die Bauernschaft in einem Bündnis mit der Arbeiterklasse bei der Umgestaltung der Gesellschaft eine unterstützende Rolle spielen, aber die Hauptrolle, die Führung der sozialistischen Revolution, muss die Arbeiterklasse übernehmen. Das VS hatte diese grundlegende Idee des Marxismus aufgegeben. Die Folgen waren in Frankreich 1968 zu sehen, als es den größten Generalstreik in der Geschichte gab, an dem zehn Millionen Arbeiter teilnahmen. Diese mutmaßlichen „Führer“ der Arbeiterklasse wurden völlig überrascht. Sie schauten in die falsche Richtung, zu den „roten Basen“ in den Universitäten und nicht zur Arbeiterklasse.

Ungeduld und die Sehnsucht, zu ernten, was noch nicht gesät worden war, führte dazu, dass viele der kleinen Kräfte des Trotzkismus nach anderen Klassen suchten und nach anderen politischen Kräften Ausschau hielten, welche die Arbeit machen sollten, zu der sie selbst nicht fähig waren. Die DSP entstand aus dieser Tradition. Sie ist jedoch weiter darin gegangen, radikalen Organisationen und Führern in der „Dritten Welt“ hinterherzulaufen. Sie beschönigen deren theoretische Fehler und programmatische Mängel und beehren sie sogar mit falschen Theorien, die in diesen Ländern vorher nicht vorhanden waren. Für kommende Bewegungen der Arbeiterkasse und armen Bauernschaft könnte sich das als fatal erweisen. Das zeigt sich klar in dem Artikel von Doug Lorimer, einem der Führer der DSP, die Haltung des Komitees für eine Arbeiterinternationale Kuba angreift.12 hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Führung des CWI zu kritisieren immer wieder. Letztes Beispiel ist ein Angriff auf eine Broschüre von mir über die kubanische Revolution. Er nennt dies eine „Kritik“.

Wir geben zu, dass von Lorimer und seiner besonders zahnlosen Spielart des „Marxismus“ angegriffen zu werden, dem gleichkommt, was der britische Politiker Dennis Healey als „von einem toten Schaf angefallen zu werden“ bezeichnete. Normalerweise wäre es witzlos, auf solche Schmähschriften zu antworten, von denen man in Großbritannien von jeder bedeutungslosen Sekte zehn Stück für einen Groschen kriegen kann. Sie haben nie etwas erreicht, aber knirschen mit den Zähnen fruchtlosem Frust über unsere Erfolge. Militant es als einzige der trotzkistischen Organisationen in Westeuropa bei zwei Gelegenheiten in Großbritannien, sich eine beachtliche Basis in Massenbewegungen von arbeitenden Menschen aufzubauen: Im Liverpool-Kampf 1983-87 und in dem mächtigen Kampf gegen die Poll tax, der Thatcher demütigte und sie zu politischer Bedeutungslosigkeit verdammte. Wir haben auch in einer Reihe anderer Länder erfolgreiche Massenarbeit gemacht: Irland, Schweden, Sri Lanka, Nigeria, Österreich usw.

Der Zweck von Lorimers „Artikel“ (der sich auf 25 A4-Seiten beläuft), wird gleich am Anfang enthüllt: „Der folgende Artikel wurde auf Anfrage von Farooq Tariq, Generalsekretär der Labour Party Pakistan, als erster Beitrag zu einer Diskussion zwischen LPP und DSP über den Charakter des kubanischen sozialistischen Staats und der Kommunistischen Partei Kubas geschrieben.“Es scheint also, dass die DSP von Farooq Tariq gedrängt wurde, ihn mit Argumenten zu beliefern, die es ihm erlauben würden, sich von seiner früheren Haltung gegenüber Kuba zu distanzieren, als er ein Mitglied des CWI war. Er wurde aus den Reihen des CWI ausgeschlossen, weil seine „Partei“ nicht mehr als eine Frontorganisation für eine Nichtregierungsorganisation (NGO) war, die von den schwedischen Gewerkschaften und Sozialdemokraten subventioniert wurde und auf der Basis von Vetternwirtschaft und unkritischer Unterstützung für korrupte Gewerkschaftsführer arbeitete, statt den Aufbau einer unabhängigen revolutionären Partei in Pakistan anzustreben. Die DSP erleichtert somit Leuten wie Farooq Tariq den politischen Rückzug, der einmal zumindest in Worten – obwohl es zweifelhaft ist, ob er die Ideen vollständig verstanden hat – eine prinzipienfeste, trotzkistische, marxistische Herangehensweise an die kubanische Revolution hatte.

Die permanente Revolution

Die Rechtfertigung für eine ausführliche Antwort auf die von ihnen vorgebrachten Argumente liegt nicht in der Bedeutung der DSP oder von Farooq Tariq selbst. Sie ergibt sich aus der Notwendigkeit, die Führungen und Mitglieder wichtiger Organisationen, die es jetzt in der neo-kolonialen Welt und anderswo gibt und die in der Zukunft entstehen werden, zu erreichen und von unverfälschten marxistischen Analysemethoden zu überzeugen. Die kubanische Revolution ist nicht von ausschließlich geschichtlichem Interesse. Die komplizierten und widersprüchlichen Umstände, unter denen die kubanische Revolution stattfand, haben Bedeutung für die Lage, die sich gegenwärtig in der neo-kolonialen Revolution entwickelt. In den stürmischen Ereignissen in Venezuela und möglicherweise auch in Ecuador kann man viele der Merkmale finden, welche die Revolution vor mehr als 40 Jahren beinhaltete. Ob diese oder andere Länder den kubanischen Weg beschreiten, ob es überhaupt möglich ist, unter modernen Bedingungen zu wiederholen, was auf Kuba geschah, ist sehr wichtig für die sozialistischen und marxistischen Kräfte in Lateinamerika heute. Ein Missverstehen der wirklichen Lehren der kubanischen Revolution könnte für die revolutionären Kräfte heute fatal sein. Es ist deshalb nicht Pedanterie oder ein Versuch der Selbstrechtfertigung, was uns dazu geführt hat, die Argumente der DSP-Führung in Bezug auf Kuba aufzugreifen. Bevor wir uns jedoch mit der kubanischen Revolution an sich befassen, ist es notwendig, eine kurze Skizze von Trotzkis Theorie der Permanenten Revolution und ihrer Bedeutung für heute zu geben. Mit Blick auf die Kritik der DSP an dieser Theorie, sowohl geschichtlich als auch in ihrer Bedeutung für die kubanische Revolution und die Probleme der neo-kolonialen Welt heute ist das besonders notwendig. DSP-Führer John Percy schreibt:„Unsere Irrtümer entsprangen dem Schema, das wir hatten – Trotzkis Theorie der Permanenten Revolution.“

Angesichts dessen, was sie als eine „sozialistische Revolution“ in Nicaragua betrachteten, warf die DSP, wie wir gesehen haben, Trotzkis Theorie der Permanenten Revolution über Bord. Trotzki hatte mit Hilfe dieser Theorie die an der russischen Revolution beteiligten Klassenkräfte und deren Ablauf richtig eingeschätzt. Er hatte die Errichtung des ersten Arbeiterstaates im Oktober 1917 theoretisch vorweggenommen. Das wichtigste Gesetz der Dialektik ist: „Wahrheit ist konkret“. Diese des Marxismus ist Lorimer fremd. An ihrer Stelle treten leere geschichtliche Abstraktionen ohne einen Versuch, sich mit der jüngsten oder früheren Geschichte zu befassen. Die Führung der DSP hat jetzt einige Schwierigkeiten, zu erklären, warum die „sozialistische Revolution“, die in Nicaragua unter dem Etikett der „zwei Stufen“ durchgeführt worden war, zur Niederlage und zum Zerfall der sandinistischen Bewegung führte. Der entscheidende Test der Geschichte ist die Praxis. Wenn die nicaraguanische Revolution für die DSP ausreichender Grund war, die Theorie der Permanenten Revolution über Bord zu werfen, warum hat sie dann nicht zum Bruch mit Großgrundbesitz und Kapitalismus und der Errichtung eines Arbeiterstaates in Nicaragua geführt? Lorimer schießt nicht nur eine Breitseite gegen Socialist Party, sondern hat in einer kürzlich erschienenen Broschüre auch 78 Seiten („Trotsky’s Theory of Permanent Revolution: A Leninist Critique„) auf die angebliche Widerlegung von Trotzki verwendet, und dennoch erwähnt er kein einziges Mal, was sich daraus für die Periode nach 1945 und die gegenwärtige Weltlage ergibt. Das ist kein Zufall. Denn wo Lorimers Ideen ausprobiert wurden, haben sie wie in Nicaragua zu einer Fehlgeburt der Revolution geführt. Darüber hinaus sahen wir in der Vergangenheit in jeder Revolution oder revolutionären Lage, wo sie von den Stalinisten und den zu stalinistischen Theorien Bekehrten wie der DSP angewandt wurden, das selbe Ergebnis.

Was ist Trotzkis Theorie der Permanenten Revolution? Wie weit stimmt sie mit Lenins Ideen vor 1917 überein und worin unterschied sie sich von ihnen? Die DSP ist unfähig, diese Fragen zu beantworten. Trotzki und Lenin, in der Tat der ganze russische Marxismus, stimmten darin überein, die Hauptaufgabe der russischen Revolution in der Vollendung der bürgerlich-demokratischen Revolution zu sehen: Beseitigung der feudalen und halbfeudalen Beziehungen auf dem Land, Vereinigung des Landes und die Lösung der nationalen Frage, Demokratie – das Recht, ein demokratisches Parlament zu wählen, freie Presse, Gewerkschaftsrechte usw. – und die Befreiung der Wirtschaft von der Beherrschung durch den Imperialismus. Lenin und Trotzki unterschieden sich von den Menschewiki, die glaubten, dass es die Aufgabe der Arbeiterklasse sei, der liberalen Bourgeoisie hinterherzulaufen, die sie als wichtigste Kraft der bürgerlich-demokratischen Revolution betrachteten. Darüber hinaus sahen sie die bürgerlich-demokratische Revolution als notwendige Entwicklungsstufe für Russland ohne ernsthafte internationale Auswirkungen. Die verspätete Entwicklung der Bourgeoisie als Klasse und der bürgerlich-demokratischen Revolution in Russland bedeuteten jedoch, dass sie unfähig zur Vollendung dieser geschichtlichen Aufgabe war. Die Kapitalisten investierten in Grund und Boden und die Großgrundbesitzer investierten in der Industrie. Daher würde jede tiefgreifende bürgerlich-demokratische Revolution auf die Opposition nicht nur der , sondern auch der Bourgeoisie und ihrer politischen Vertreter stoßen, der liberalen bürgerlichen Parteien. Sie hatten immer wieder nicht nur in Russland, sondern auch in Deutschland im neunzehnten Jahrhundert und anderswo gezeigt, dass sie unfähig zur Durchführung ihrer eigenen Revolution bis zum Ende waren.

Die mächtige und damals einzigartige Entwicklung des russischen Proletariats, die von Trotzki beschrieben wurde, beeinflusste auch die Bereitschaft der liberalen Bourgeoisie, die Revolution durchzuführen. Sie hatten fürchterliche Angst, – ganz zu Recht, wie die Ereignisse zeigten – dass ein Kampf gegen das tausendjährige zaristische Regime und die sozialen Grundlagen, auf denen es beruhte, die Schleusen öffnen würde, durch die die Arbeiterklasse zusammen mit der Bauernschaft strömen und ihre eigenen Forderungen auf die Tagesordnung stellen würden. Sowohl Trotzki als auch Lenin stimmten daher überein, dass ein Bündnis zwischen der Arbeiterklasse und der Bauernschaft, der Mehrheit der Bevölkerung Russlands, die einzige zur Vollendung der bürgerlich-demokratischen Revolution in Russland fähige Kraft sei. Worin sie sich unterschieden, war die Frage, wer die Führung in diesem Bündnis ausüben würde, das Proletariat oder die Bauernschaft. Wer würde die führende Kraft in der Regierung sein, sobald dieses Bündnis an die Macht gekommen war? Würde es bloß die bürgerlich-demokratische Revolution durchführen oder wäre es gezwungen weiterzugehen?

Trotzki argumentierte in seiner Theorie der Permanenten Revolution, dass die Geschichte die Tatsache bestätigt habe, dass die Bauernschaft (wie oben erklärt) niemals eine unabhängige Rolle gespielt habe. Sie muss von einer der anderen großen Klassen in der Gesellschaft geführt werden: der Bourgeoisie oder der Arbeiterklasse. Lenin und Trotzki stimmten jedoch darin überein, dass die Bourgeoisie ihre eigene Revolution nicht durchführen konnte. Daher, so argumentierte Trotzki, muss die Arbeiterklasse die Führung der Revolution übernehmen und die Massen auf dem Lande hinter sich versammeln. In einer sehr wichtigen Zusammenfassung der „drei Konzeptionen der russischen Revolution“ im August 1939, ein Jahr vor seiner Ermordung durch die Stalinisten, macht Trotzki den folgenden Kommentar über Formel der „demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft“. erklärt: „Lenins Auffassung stellte insofern einen gewaltigen Schritt nach vorn dar, als sie nicht von den konstitutionellen Reformen, sondern von der bäuerlichen Erhebung ausging, die sie für die Hauptaufgabe der Revolution hielt, und die einzige realistische Verbindung der realen Kräfte anzeigte, die diese Erhebung erfolgreich durchführen konnten. Der schwache Punkt der Lenin’schen Konzeption war jedoch der in sich widersprüchliche Begriff der ‚demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft‘. Lenin selbst betonte die fundamentale Einschränkung dieser Diktatur, wenn er sie offen ‚bürgerlich‘ nannte. Er wollte damit sagen, dass das Proletariat zur Erhaltung seines Bündnisses mit der Bauernschaft gezwungen sein würde, darauf zu verzichten, der unmittelbar bevorstehenden Revolution sogleich sozialistische Aufgaben zu stellen. Das aber bedeutete den Verzicht des Proletariats auf seine Diktatur. Es handelte sich infolgedessen im Grunde um eine Diktatur der Bauernschaft unter Beteiligung der Arbeiter.“ Aber dann fährt Trotzki fort mit dem Kommentar: „Die Bauernschaft war über die Weite eines riesigen Landes verstreut, in dem die Städte die Kontaktstellen bildeten. Auf sich allein gestellt, ist die Bauernschaft nicht imstande, ihre Interessen zu formulieren, da sich diese in jeder Region in einer anderen Weise darstellen. Das ökonomische Band zwischen den Provinzen wird vom Markte und von den Eisenbahnen geschaffen, aber Markt und Eisenbahnen sind in den Händen der Stadt. Versucht sie, sich aus der Enge des Dorfes zu befreien und das Gemeinsame ihrer Ansprüche herauszustellen, so gerät die Bauernschaft unvermeidlich in politische Abhängigkeit von der Stadt. Schließlich bildet die Bauernschaft ihren sozialen Verhältnissen nach keine homogene Klasse: die Schicht der ‚Kulaken‘ [reiche Bauern] will sie natürlich in ein Bündnis der städtischen Bourgeoisie hineinziehen, die unteren Schichten des Dorfes tendieren im Gegensatz dazu nach den städtischen Arbeitern. Unter diesen Umständen ist die Bauernschaft als solche absolut unfähig, die Macht zu übernehmen. Gewiss, im alten China brachten die Revolutionen die Bauernschaft an die Macht, genauer gesagt, die militärischen Führer der bäuerlichen Aufstände. Das führte jedes Mal zur Neuverteilung des Bodens und zur Errichtung einer neuen ‚bäuerlichen‘ Dynastie, worauf die Geschichte von vorn begann: neue Konzentration des Bodens, neues Blühen des Wuchers, neuer Aufstand.“

Lenin argumentierte, dass die Geschichte entscheiden würde, ob die Bauernschaft in dem vorgeschlagenen Bündnis eine unabhängige Rolle werde spielen können. Lenins Idee war praktisch eine „algebraische Formel“ bezüglich der Frage, welche Klasse, Proletariat oder Bauernschaft, das Bündnis führen würde, was das genaue Erscheinungsbild der Regierung wäre und wie weit es in die Macht der Kapitalisten eingreifen würde. Trotz aller Versuche von Lorimer, die Formel zu verteidigen, sagte ihr Autor, Lenin, im April 1917 selbst, dass die Geschichte sie mit einem „negativen Inhalt“ gefüllt habe. Er brachte zum Ausdruck, dass die Aufgabe jetzt sei, dass das Proletariat unterstützt von der Bauernschaft die Macht übernehme. Um das zu betonen, schlug Lenin auch vor, dass die Bolschewiki ihren Namen in „Kommunistische Partei“ ändern sollten.

Die Lorimers jener Periode – Kamenjew, Sinowjew und Stalin – lehnten Lenins Vorschlag ab und behielten seine alte Formel der „demokratischen Diktatur“ bei. Trotzkis Theorie der Permanenten Revolution wurde durch die Oktoberrevolution bestätigt, als die Arbeiterklasse durch die Räte die Macht übernahm und die viele Millionen starke Bauernmasse hinter sich führte. Verbunden mit den Diskussionen innerhalb der russischen revolutionären Bewegung über die wechselseitigen Beziehungen zwischen der Arbeiterklasse und der Bauernschaft war die Frage, ob die Bauernschaft ihre eigene Partei schaffen könne oder nicht. Die Arbeiterklasse kam unter Führung der bolschewistischen Partei an die Macht, das heißt, sie errichtete die „Diktatur des Proletariats“ (Arbeiterdemokratie) und führte dann zusammen mit der Bauernschaft die bürgerlich-demokratische Revolution durch, während sie gleichzeitig die sozialistische, das heißt kollektivistische Tätigkeit des Proletariats selbst auf die Tagesordnung stellte.

Eine „leninistische Kritik“?

Aber Lorimer bestreitet all dies und stellt Lenins „demokratische Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft“ Ideen der Permanenten Revolution gegenüber. In einer unglaublichen Ansammlung von gewollten Fehlinterpretationen, halben Zitaten und Andeutungen fälscht Lorimer zynisch die Geschichte. Er zieht die Ideen, die zum größten Sieg der Arbeiterklasse in der Geschichte führten, in den Schmutz. Radek war einmal ein führendes Mitglied der Linken Opposition, kapitulierte dann aber und machte seinen Frieden mit Stalin, indem er die Theorie der Permanenten Revolution angriff. In seiner Antwort auf ihn wies Trotzki darauf hin, dass Radek „kein einziges Argument gegen die Theorie der Permanenten Revolution ausgedacht“ habe. Er war, sagte Trotzki, ein „Epigone“ (ein sklavischer, nicht-denkender Anhänger) der (stalinistischen) Epigonen Lenins. Lorimer ist der moderne Radek, mit der Einschränkung, dass er bei seinen Argumenten gegen Trotzki weniger Talent als Radek zeigt. In seinem Angriff auf Trotzkis Theorie ist kein neuer Kritikpunkt. Ohne unseren Text mit zu vielen abstrakten Zitaten zu belasten, ist es hier notwendig, die Kritik Lorimers über die Permanente Revolution kurz zu skizzieren und zu beantworten. Nur indem man das macht, ist es möglich, die Ursachen für die Rechtfertigung des kubanischen Regimes durch die DSP zu verstehen. Über die russsische Revolution von 1905 argumentiert Lorimer: „Lenin argumentierte, dass die Vollendung der bürgerlich-demokratischen Revolution durch ein Bündnis von Arbeitern und Bauern unter der Führung einer marxistischen Partei, der Arbeiterklasse im Bündnis mit der armen, halbproletarischen Mehrheit der Bauernschaft ermöglichen würde, ununterbrochen zur sozialistischen Revolution weiterzugehen.“Das ist einfach falsch. Lenin sprach nur gelegentlich vom „ununterbrochenen“ Vorwärtsgehen zur sozialistischen Revolution. Diese Idee, „ununterbrochene“ oder „permanente Revolution“ wurde von Trotzki in seinem Buch „Ergebnisse und Perspektiven“ beschrieben, wie wir oben erklärt haben. Lenins zentrale Idee war, dass die bürgerlich-demokratische Revolution dazu führen könnte, die sozialistische Revolution in Westeuropa „anzuregen“, die dann den Arbeitern und Bauern in Russland zur Hilfe kommen und den „Sozialismus“ auf die Tagesordnung setzen würden.

Wenn Lenin konsequent die von Lorimer skizzierte Idee vertreten hätte, dann hätte es bezüglich der Revolution keinen grundlegenden Unterschied zwischen ihm und Trotzki gegeben. Tatsächlich werden die Unterschiede zwischen ihm und Trotzki ein paar Absätze weiter angedeutet, wenn Lorimer schreibt: „Die Bolschewiki glaubten, dass der Sieg der demokratischen Arbeiter-Bauern-Revolution in Russland die proletarisch-sozialistische Revolution in den industriell entwickelteren Ländern Westeuropas anregen würde. Der Sieg der proletarisch-sozialistischen Revolutionen in Westeuropa wiederum würde den Weg für das russische Proletariat freimachen, auf dem Weg der sozialistischen Umorganisierung der Wirtschaft vorzurücken.“ Es ist deutlich, dass Lenin sich eine Entwicklungsperiode der Gesellschaft und der zwischen der Machtübernahme durch die „demokratische Diktatur des Proletariats und die Bauernschaft“ dem Sozialismus vorstellte. Darin ist nichts „Ununterbrochenes“. Lorimer wiederholt die Legende der Stalinisten, dass Trotzki die Bauernschaft unterschätzt habe, geglaubt habe, dass die Arbeiterklasse in Russland die Revolution allein durchführen könne und gegen ein wirkliches Bündnis der Bauernschaft mit der Arbeiterklasse gewesen sei. Es gibt keine bessere Antwort auf die Kritik, die dieses Argument verwendet, als Trotzki selbst zu zitieren.

Als ob er auf seine neuesten Kritiker wie Lorimer antworten wolle, die eifrig alle und jeden Artikel von Trotzki studieren, um einen Unterschied zu Lenin zu finden, schreibt er: „Der Teufel kann zu diesem Zweck die Bibel zitieren.“ In seiner Polemik gegen Radek gab er ehrlich zu, dass es „Lücken“ in seiner ursprünglichen Theorie der Permanenten Revolution gab, wobei man bedenken muss, dass sie 1906 veröffentlicht wurde. Die Geschichte, besonders die große Erfahrung der Februar- und Oktoberrevolutionen 1917, hatte diese „Lücken“ gefüllt, aber Trotzkis allgemeine Idee keinesfalls widerlegt, sondern vielmehr bestätigt. Man schaue sich die Ehrlichkeit an, mit der Trotzki die Entwicklung seiner Ideen behandelt im Vergleich zu ihrer falschen Darstellung durch Lorimer. Trotzki schreibt in seiner Antwort auf Radek: „Damit will ich aber keineswegs sagen, dass die Konzeption der Revolution in allen meinen Schriften die gleiche, unverrückbare Linie darstellt. Es gibt auch solche Artikel, in denen die Konjunkturverhältnisse und sogar die im Kampfe unvermeidlichen konjunkturpolemischen Übertreibungen unter Verletzung der strategischen Linie hervorstechen. So kann man zum Beispiel Artikel finden, in denen ich über die zukünftige revolutionäre Rolle der Bauernschaft als eines Standes Zweifel äußerte und in Verbindung damit es ablehnte, besonders während des imperialistischen Krieges, die zukünftige russische Revolution als eine ‚nationale‘ zu bezeichnen, da ich diese Bezeichnung als zweideutig empfand. Man darf aber dabei nicht vergessen, dass die uns interessierenden historischen Prozesse, auch die in der Bauernschaft, jetzt bedeutend klarer zu Tage liegen, nachdem sie sich vollzogen haben, als in jenen Tagen, wo sie sich erst entwickelten. Ich will nebenbei bemerken, dass Lenin, – der die Bauernfrage in ihrem ganzen gigantischen historischen Ausmaße keinen Augenblick außer Acht gelassen hat, und von dem wir alle dies gelernt haben – sogar noch nach der Februarrevolution es als ungewiss betrachtete, ob es gelingen würde, die Bauernschaft von der Bourgeoisie loszureißen und dem Proletariat anzugliedern.“

Lorimer legt großes Gewicht auf den Umstand, dass Trotzki in seinen früheren Schriften auf ein Bündnis zwischen der Arbeiterklasse und den armen Bauern abzielte statt der „Bauernschaft insgesamt“. Lenin selbst sprach manchmal in der Weise, wie es auch Trotzki machte, von der Verbindung mit den ärmeren Schichten in den Dörfern. Aber die von Lorimer umgangene Schlüsselfrage war, dass die Arbeiterklasse in der Oktoberrevolution 1917 die Masse der Bauernschaft zur Vollendung der bürgerlich-demokratischen Revolution führte, aber dort nicht stoppte. Sie ging dann auf „ununterbrochene“ Weise zum Beginn der sozialistischen Aufgaben in Russland und zur internationalen Ausdehnung der Revolution über. Das fantastische Schema von Lorimer ist, dass die Oktoberrevolution keine sozialistische Revolution gewesen sei, sondern den Sieg der bürgerlich-demokratischen Revolution durch die „demokratische Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft“ . Dies wurde als erste Etappe – entsprechend der Zwei-Etappen-Theorie – von der sozialistischen Revolution getrennt, die angeblich erst im Sommer und Herbst 1918 durchgeführt wurde.

Diese mechanistische Idee, mit der die Vollendung der bürgerlich-demokratischen Revolution künstlich von den sozialistischen Aufgaben zu trennen versucht wird, ist nicht nur eine völlig unangemessene Einschätzung dessen, was im Oktober 1917 geschah, sondern es wäre auch extrem schädlich, wenn sie auf die gegenwärtig in der neo-kolonialen Welt bestehende Lage angewandt würde. Lorimer und die DSP – wie schon die Stalinisten vor ihnen – denken, dass die bürgerlich-demokratische Revolution eine „demokratische Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft“ ührt werden kann.

Das spiegelt sich konkret in einem Bündnis zwischen Parteien wider und ist mit der von Lorimer verteidigten Idee verbunden, dass „unabhängige“ Bauernparteien bestehen können, die in einer Koalitionsregierung mit Arbeiterparteien zusammenkommen können, um die bürgerliche Revolution durchzuführen. Entgegen Trotzkis Behauptung in seiner Antwort auf Radek, dass die russische Geschichte vor 1917 die Tatsache bestätige, dass es keine stabile, unabhängige Bauernpartei gebe, verweist Lorimer auf die Sozialrevolutionäre. Natürlich gab es in Russland vor 1917 Bauernorganisationen oder Parteien, die vorgaben, die Bauern zu vertreten. Aber diese alle bestanden nur in kurzen, relativ stabilen Perioden und zerfielen dann in Perioden von sozialer Krise, weil sie entlang von Klassenlinien getrennt wurden. Sozialrevolutionäre (SR) dies 1917 wider. Nach der Februarrevolution 1917 waren sie zusammen mit den Menschewiki eine Stütze für die bürgerliche Koalition und lehnten es ab, das Land den Bauern zu geben. Sie wurden von der Mehrheit der Bauern in Taten abgelehnt. Es ist wahr, dass die Linken Sozialrevolutionäre, die sich von den SR abspalteten, für eine kurze Zeit nach der Oktoberrevolution an der Macht teilhatten. Sie nahmen im Vergleich zu den Bolschewiki eine Minderheitenposition ein, was in Lenins ursprünglicher Idee der demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft nicht klar vorhergesehen war (er ließ es offen, welche Klasse oder welche eine Klasse vertretende Partei in der Koalitionsregierung vorherrschen würde).

Trotzki argumentierte in seiner Theorie der Permanenten Revolution klar dafür, dass die Arbeiterklasse vorherrschen und die Bauernschaft führen würde. Darüber hinaus war die schnelle Trennung der Linken SR von der Regierung selbst eine Widerspiegelung des wachsenden Klassenkonflikts an ihrer Basis, unter der Bauernschaft und ein Anzeichen für ihren unausgereiften Mittelklasse-Charakter. Trotzki antwortete auf diejenigen, welche wie Lorimer heute argumentierten, dass die Situation der Doppelherrschaft zwischen Februar und Oktober 1917 eine Verwirklichung oder teilweise Verwirklichung der demokratischen Diktatur gewesen sei, als er schrieb: „Hinweise darauf, dass die demokratische Diktatur sich in der ‚Doppelherrschaft (in bestimmten Formen und bis zu einem bestimmten Grade) verwirklicht‘ hätte, hat Lenin nur in der Periode zwischen dem April und dem Oktober 1917 gemacht, d.h. bevor die wahre Verwirklichung der demokratischen Revolution tatsächlich vollzogen wurde.“21 Es erforderte die Machtübernahme durch die Arbeiterklasse im Oktober 1917, um die bürgerlich-demokratische Revolution durchzuführen und dann sowohl im nationalen als auch im internationalen Maßstab zu den sozialistischen Aufgaben überzugehen.

weiter zum zweiten Teil