1968 – 2008: Kampf für Sozialismus

Die Medien sind voll von Berichten über 1968. 40 Jahre danach. Aber wer eine Würdigung der internationalen Bewegung gegen Krieg, Kapitalismus, für Freiheit und sozialistische Demokratie erwartet hat, wird bitter enttäuscht. Berichte und Reportagen über 1968 in bürgerlichen Medien dienen heute bestenfalls als flache historische Abhandlungen der Geschichte und drehen sich um drittrangige Fragen wie „In welchem Museum hängt Rudi Dutschkes berühmter Pulli heute?“ oder „Wie wurde Joschka Fischer, was er heute ist?“ Schlechtestenfalls fungieren Berichte als wüste Beschimpfungen und Verunglimpfungen der ganzen Bewegung.


 

von Lucy Redler, Berlin

Frei nach Variante 2 titelte der SPIEGEL (Nr. 8/2008) „Dutschke, Goebbels und Co.“ und behandelte detailliert Götz Alys Kampfschrift gegen die 68er. Aly, der früher selbst in der Bewegung aktiv war, konstruiert in seinem Buch „Unser Kampf 1968 – ein irritierter Blick zurück“ einen Vergleich zwischen der 68er-Bewegung und den Nazis. Schon der Titel des Buchs ist eine Anspielung auf Hitlers „Mein Kampf“.

Damals wie heute

Warum werden die 68er heute entweder verunglimpft oder heruntergespielt? Die Antwort ist einfach: Weil auch heute noch der Kapitalismus herrscht. Der Klassenkampf von oben hat sich seit dem Ende des Nachkriegsaufschwungs noch verschärft, die Krisenhaftigkeit des Systems tritt deutlicher zu Tage. Die ganzen Gründe, 1968 auf die Straße zu gehen, gelten auch heute noch und sind oftmals noch drängender als vor vierzig Jahren.

Auch heute führt der Kapitalismus im Irak und in Afghanistan zu Krieg und Elend – wie seinerzeit in Vietnam. Kämpften damals nationale Befreiungsbewegungen gegen koloniale Unterdrückung, so richtet sich der Kampf für Befreiung heute oftmals gegen die dieselben Ausbeuter in Protektoraten von UNO oder NATO. Auch heute kämpfen ArbeiterInnen und Angestellte weltweit gegen miese Arbeitsbedingungen und für höhere Löhne. Studierende wehrten sich vor vierzig Jahren gegen die bestehende soziale Polarisierung an den Hochschulen mit dem Ziel, den Anteil von Arbeiterkindern an Unis zu erhöhen. Heute kämpfen Studierende gegen Studiengebühren, die dazu führen, dass die soziale Polarisierung weiter zunimmt.

Die Frauen- und Arbeiterbewegung hat in Folge der 68er viele Rechte für Frauen erkämpft, wie die Abschaffung der Leichtlohngruppen oder die stärkere rechtliche Unabhängigkeit vom Mann. Heute sind Frauen mit Billigjobs, ungeschützten Beschäftigungsverhältnissen und einer neuen sozialen Abhängigkeit vom Mann dank Hartz IV konfrontiert.

Unterschiede

Einerseits war das sozialistische Bewusstsein vor 40 Jahren weiter verbreitet als heute. Die Lektüre von Karl Marx gehörte zum Standardrepertoire vieler Studierender. Auch die Kämpfe der Lohnabhängigen waren in dem Zeitraum auf einem höheren Niveau. Die wilden Streiks 1969 und 1973 in der Bundesrepublik zum Beispiel verliehen der Stärke und dem Selbstbewusstsein der Arbeiterklasse beeindruckend Ausdruck.

Zum anderen haben jedoch die Erfahrungen der Arbeiterklasse mit der neoliberalen Offensive des Kapitals und dem Klassenkampf von oben dazu geführt, dass heute immer weniger Illusionen in das Funktionieren des Kapitalismus bestehen. Nur noch 24 Prozent glauben heute, dass die „soziale Marktwirtschaft“ sozial ist. Die große Mehrheit der Bevölkerung lehnt Neoliberalismus, Privatisierung und Deregulierung ab. Für Millionen von Menschen wird die Polarisierung zwischen den Klassen am eigenen Leib erfahrbar.

Es ist richtig, dass die Klassenkämpfe heute von einem niedrigeren Niveau und Bewusstseinsstand ausgehen. Zentraler Grund hierfür ist der Rückschritt im politischen Bewusstsein der Arbeiterbewegung und der Jugend in Folge des Zusammenbruchs der stalinistischen Staaten. Jahrelang wurde uns eingetrichtert, dass der Kapitalismus nach 1989 gesiegt hat und es keine Alternative zu diesem System gibt. Die Herrschenden waren in der Offensive.

Genau das beginnt sich jetzt aber zu ändern. Allein in den letzten Monaten gab es eine qualitative Zunahme von Streiks. Das Selbstbewusstsein steigt in Kämpfen, und die Radikalisierung nimmt zu. Und das ist erst der Anfang.

Wenn sich die Rezession ausgehend von den USA zu einer Weltwirtschaftskrise ausweitet, werden Millionen die Funktionsfähigkeit des Kapitalismus in Frage stellen. Die kommende Krise wird enorme ökonomische, politische und soziale Verwerfungen zur Folge haben und die Arbeiterklasse massiv treffen. Die Offenheit für sozialistische Ideen wird anwachsen. Bittere Kämpfe werden sich in der Krise zunehmend politisieren und sich auch an der Gewerkschaftsführung vorbei Bahn brechen.

Lehren

Gerade vor diesem Hintergrund ist es nötig, am radikalen Antikapitalismus der 68er-Bewegung anzuknüpfen. Der Kampf für eine sozialistische Demokratie ist jedoch nur möglich, wenn dieser mit einer klaren und eindeutigen Ablehnung der stalinistischen Bürokratien in Osteuropa einhergeht.

Die Partei DIE LINKE ist heute die einzige Partei, die die Hoffnungen unter Beschäftigten und Erwerbslosen in Ansätzen zum Ausdruck bringt. Gerade vor dem Hintergrund der drohenden Krise gilt: Ohne ein kämpferisches, sozialistisches Programm wird DIE LINKE bei Sozialabbau und der Verwaltung des Kapitalismus wie im Berliner Senat landen. Wenn sie ihren Kurs auf Parlamentarismus und Regierungsbeteiligung statt Klassenkampf und Organisierung von Widerstand fortsetzt, wird sie ihre Anziehungskraft verlieren. Entscheidend ist, ob DIE LINKE und der Jugendverband Linksju-gend[‘solid] ein Instrument in Kämpfen sein werden und die oftmals als Bremse fungierende Gewerkschaftsführung offen herausfordern. Um für eine kämpferische, sozialistische Ausrichtung der Partei zu kämpfen, ist eine starke marxistische Opposition in der Partei nötig.

Rolle der Arbeiterklasse

Eine weitere zentrale Lehre aus 1968 ist die Rolle der Arbeiterklasse. Während in Deutschland Studierende und die Arbeiterklasse 1968 weitgehend getrennt marschierten und die Bewegung vieles, aber nicht den Kapitalismus ins Wanken brachte, lösten in Frankreich die Kämpfe der Studierenden Massenstreiks der abhängig Beschäftigten aus, auf deren Höhepunkt zehn Millionen im Generalstreik standen. In Frankreich stand die Revolution zum Sturz des Kapitalismus auf der Tagesordnung. Dort wurde Wirklichkeit, was Karl Marx früher formuliert hatte: „Es können Tage kommen, worin sich 20 Jahre zusammenfassen.“

Die Rolle der Arbeiterklasse ist auch heute zentral. Aufgrund ihrer Stellung in der Produktion kann sie den höchsten ökonomischen und auch politischen Druck ausüben. Das wurde kürzlich im Streik der Lokführer, die den Bahnverkehr im ganzen Land lahmlegten, deutlich.

Aufbau einer marxistischen Organisation

Die Geschichte von 1968 zeigt auch, dass der Aufbau einer revolutionär-sozialistischen Organisation nötig ist. Charles de Gaulle, damaliger französischer Präsident, sagte im Mai ’68 etwas sehr Bemerkenswertes: „Ohne Organisationen können diese ganzen Bewegungen unmöglich alle zur gleichen Zeit und in so vielen verschiedenen Ländern ausgelöst worden sein.“ De Gaulle war davon überzeugt, dass eine internationale Verschwörung im Gange sei. Doch er hatte sich getäuscht: Der Ausbruch von Massenbewegungen, die – wie in Frankreich – revolutionären Charakter hatten, war auch ohne internationale revolutionäre Organisation möglich. Aber der dauerhafte Sieg war ohne eine starke marxistische, internationale Massenpartei nicht möglich. Der Aufbau einer marxistischen Internationale, die die Lehren der Geschichte verarbeitet, sich aktiv in die Kämpfe einbringt, die nächsten Schritte aufzeigt und in der Arbeiterbewegung für marxistische Ideen entritt, ist heute so aktuell wie vor vierzig Jahren.

In den letzten Jahren kam es erneut zu Massenprotesten in Frankreich, in den letzten Monaten in Griechenland und Portugal. Das sind Vorboten von dem, was in Deutschland bevor steht. Noch im März 1968 hatte der Autor Pierre Viansson-Ponté in einem Leitartikel für Le Monde geschrieben: „Frankreich langweilt sich.“ Mit der Langeweile war es schnell vorbei.

Lucy Redler ist Mitglied der SAV-Bundesleitung und gehört dem Vorstand der Berliner Alternative für Solidarität und Gegenwehr (BASG) an