Die Niederlage der USA im Vietnamkrieg

Welche Lehren lassen sich für die Antikriegsbewegung ziehen?


 

Vietnam war die erste — und bisher einzige — militärische Niederlage der USA. Dies hatte enorme politische Auswirkungen in den USA wie auch international. Für rund ein Jahrzehnt war der Vietnamkrieg, in dem auf dem Höhepunkt 550.000 US-Soldaten verwickelt waren, eines der meistdiskutierten internationalen Themen. Für die Antikriegsbewegung ist es wichtig, die Ereignisse von damals, die Parallelen und Unterschiede zur heutigen Situation zu verstehen und die Lehren daraus zu ziehen.

Der Autor dieses aus dem englischen übersetzten sowie überarbeiteten und gekürzten Beitrags, Bob Labi, war seinerzeit Mitglied des Londoner Mobilisierungskomitees der Anti-Vietnamkriegs-Demonstrationen, das im Oktober 1968 über 100.000 Menschen in London auf die Straße brachte.

In Vietnam waren die USA trotz ihrer Macht und ihres Reichtums nicht in der Lage, ein Kolonialland zu besiegen. Seitdem ist die US-Militärspitze bemüht, den „Albtraum Vietnam“ vergessen zu machen.

30 Jahre Unabhängigkeitskampf

Der Kampf der vietnamesischen ArbeiterInnen und BäuerInnen für Unabhängigkeit, gegen Großgrundbesitz und Kapitalismus dauerte über drei Jahrzehnte. Bis 1942 wurde ganz Indochina vom französischen Imperialismus regiert, danach „übernahmen“ die japanischen Imperialisten die Region. Während der japanischen Besatzungszeit setzte die Kommunistische Partei Vietnams einen Kampf für die Unabhängigkeit des Landes in Gang.

Die Niederlage, die Japan am Ende des Zweiten Weltkriegs gegenüber dem US- und britischen Imperialismus einstecken musste, gab der vietnamesischen KP die Möglichkeit zur Initiative, bevor der französische Imperialismus seine Kontrolle wieder aufbauen konnte. Am 2. September 1945 wurde unter Führung der KP die „Demokratische Republik Vietnam“ (DRV) ausgerufen.

Dennoch erhoben die KP-Führer keine Einwände gegen die Landung von britischen, national-chinesischen und 1946 auch französischen Truppen auf vietnamesischem Gebiet. Sie verhandelten sogar mit den französischen Kolonialherren und unterzeichneten im März 1946 eine Erklärung, in der die französische Regierung ein freies (aber nicht unabhängiges!) Vietnam anerkannte und die vietnamesische Regierung sich bereit erklärte, „die französischen Truppen freundlich zu empfangen“.

Diese Bereitschaft der vietnamesischen KP-Führung zur Zusammenarbeit mit den Imperialisten war keine Ausnahmeerscheinung. Stalin versuchte zu dieser Zeit, langfristige Übereinkünfte mit den wichtigsten kapitalistischen Mächten zustande zu bringen und wies die Kommunistischen Parteien weltweit an, mit ihren jeweiligen lokalen Kapitalisten oder Kolonialherrschern Abkommen zu schließen. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs gingen viele Kommunistische Parteien Westeuropas dementsprechend Koalitionsregierungen mit bürgerlichen Parteien ein. Im Rahmen dieser Politik wurde in Vietnam, aber zum Beispiel auch in Griechenland, der Einmarsch imperialistischer Truppen zugelassen, was in beiden Fällen lange Bürgerkriege zur Folge hatte.

Der Kompromiss über die parallele Existenz sowohl der DRV (Demokratische Republik Vietnams) als auch des französischen Kolonialregimes in Vietnam konnte nicht von langer Dauer sein. Während des ganzen Jahres 1946 spitzten sich die Spannungen zwischen beiden Regimes immer mehr zu. Am 23. November 1946 schließlich bombardierte die französische Kriegsmarine den nordvietnamesischen Hafen Haiphong und tötete 6.000 Menschen. Am 19. Dezember brachen die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen französischen und vietnamesischen Truppen, den „Vietminh“, in voller Schärfe aus.

Stalinistische Politik

Zur damaligen Zeit, als der französische Imperialismus seine Herrschaft über Indochina nach dem Krieg wiederherstellen wollte, war in Frankreich eine Koalitionsregierung aus kapitalistischen Parteien, der Sozialistischen und der Kommunistischen Partei im Amt. Aber als der französische Staat versuchte, die Erklärung vom März 1946 als Deckmantel zu nutzen, um die neue vietnamesische Republik zu zerschlagen, leisteten weder die Kommunistischen noch die Sozialistischen Parteiführer Widerstand dagegen. Weil die Kommunistische Partei Frankreichs (KPF) Mitglied der Regierung war, die die Bombardierung von Haiphong anordnete, benannte sich die vietnamesische Kommunistische Partei sogar eine Zeitlang in „Kommunistische Arbeiterpartei“ um. Die KPF aber blieb bis zu ihrem Rauswurf 1947 in der französischen Regierung, die den blutigen Krieg gegen Vietnam führte. Zwar enthielten sich die KP-Abgeordneten im französischen Parlament bei der Abstimmung über die Kriegskredite im Mai 1947 der Stimme. Doch die Parteiführung wies die kommunistischen Minister an, im Kabinett für die Kredite zu stimmen, um ihre Teilnahme an der Regierungskoalition nicht zu gefährden.

Kapitalistische Regierungen versuchen im Kriegsfall immer, keine Opposition aufkommen zu lasen und dem „äußeren Feind“ ein Bild der inneren Geschlossenheit zu präsentieren. Durch ihren Verzicht auf Oppositionspolitik hat die KPF-Führung den französischen Imperialisten den Krieg gegen Vietnam enorm erleichtert. Selbst nachdem die KPF aus der Regierung rausgeworfen worden war und danach eine oppositionelle Haltung gegen den Krieg einnahm, nutzten die Bürgerlichen in ihrer Propaganda weiterhin die Tatsache, dass die KPF den Krieg ursprünglich unterstützt hatte.

Die Einheiten der DRV, die Vietminh, konnten im Krieg gegen Frankreich ihre Bastionen halten und ausbauen, indem sie den Kampf um nationale Unabhängigkeit mit der Frage einer Bodenreform und anderer sozialer Reformen verbanden und zum Beispiel in den von ihnen kontrollierten Gebieten Land an die BäuerInnen verteilten. Die französischen Truppen blieben in den von ihnen kontrollierten Städten isoliert.

Die Teilung Vietnams

1954 wurde in Genf eine internationale Konferenz über Vietnam eröffnet, bei der China und Britannien eine Vermittlerrolle einnahmen. Am Ende dieser Konferenz akzeptierten die Vietminh erneut einen Kompromiss, der die zeitweilige Teilung des Landes vorsah: Frankreich sicherte Vietnam die Unabhängigkeit zu; im Gegenzug verpflichteten sich die Vietminh, ihre Truppen in den Norden des Landes zurückzuziehen (obwohl sie auch im Süden große Unterstützung hatten); vorübergehend sollten zwei Regierungen, im Norden und im Süden Vietnams, gebildet werden, um Wahlen für 1956 und die anschließende Wiedervereinigung vorzubereiten.

Schon bevor die Franzosen zum Eingeständnis ihrer Niederlage gezwungen waren, erhielten sie Unterstützung durch die USA, um die Kolonialherrschaft aufrechterhalten zu können. Nach Abzug der letzten französischen Truppen aus Vietnam traten die USA in deren Fußstapfen und bauten ein pro-kapitalistisches Marionettenregime im Süden auf. Sie stoppten die Durchführung der Wahlen, die Vietnam eigentlich wiedervereinigen sollten. Mittlerweile konnte im Norden die Abschaffung von Großgrundbesitz und Kapitalismus vollendet werden. Das KP-geführte Regime festigte seine Herrschaft auf dieser Grundlage und führte davon ausgehend den Kampf gegen das Regime im Süden und die US-Intervention. Der nordvietnamesische Staat war keine sozialistische Demokratie, sondern eine stalinistische Diktatur. Dennoch hatte er für die Massen in Südvietnam eine gewisse Anziehungskraft im Vergleich zu der verrotteten, US-gestützten Diktatur der Großgrundbesitzer und Kapitalisten im Süden.

US-Intervention

Etwa ab 1957 trat der Vietnamkrieg in seine zweite Phase, als die Vietcong (wie die Vietminh-Linke im Süden sich jetzt nannte) den Kampf gegen die Truppen des südvietnamesischen Regimes aufnahm. Je schwächer das südvietnamesische Regime unter diesem Ansturm wurde, um so stärker engagierten sich die USA, besonders unter Präsident Kennedy. Bis 1961 kamen zahlreiche US-„Militärberater“ ins Land.

Anfang der sechziger Jahre sahen sich die USA zur direkten Entsendung von Truppen gezwungen, um einen Sieg der Vietcong zu verhindern. Doch musste zunächst die Unterstützung der amerikanischen Öffentlichkeit gewonnen werden. Um dies zu erreichen, wurde eine gezielte Falschmeldung lanciert: US-Schiffe seien im Golf von Tonkin von Nordvietnam unter Beschuss genommen worden. Auf Grund dieser Lüge verabschiedete der US-Kongress eine Resolution, die zu militärischen Aktionen gegen Nordvietnam ermächtigte.

1965 wurde Nordvietnam systematisch von der US-Luftwaffe bombardiert und im Mai 1965 die ersten Bodentruppen entsandt, die schnell auf 400.000 Mann aufgestockt wurden. US-Präsident Johnson (Demokratische Partei) verkündete: „Jetzt herrscht wirklich Krieg“.

Mitte bis Ende der sechziger Jahre unternahmen die USA entschlossene militärische Anstrengungen, um die Einheiten der Vietcong und der nordvietnamesischen Armee (NVA), die sich inzwischen auch zunehmend in die Kämpfe eingeschaltet hatten, zu zerschlagen. Doch die so genannte „Tet-Offensive“ der Vietcong und der NVA im Januar 1968 zeigte, dass der Widerstand ungebrochen war. Und das war nicht verwunderlich. Die US-Truppen standen für die Fortsetzung der ausländischen Beherrschung des Landes, für die Unterstützung einer Militärdiktatur (zu dieser Zeit unter den Generälen Ky und Zhieu), für den Schutz der Kapitalisten und Großgrundbesitzer. Demgegenüber kämpften Vietcong und NVA für die nationale Unabhängigkeit des Landes, für die Verteilung des Landes an die BäuerInnen, für den Sturz der Kapitalisten, für soziale Reformen und bessere Lebensbedingungen.

Antikriegsstimmung

Obwohl die „Tet-Offensive“ nach zahlreichen erbitterten Kämpfen zurückgeschlagen werden konnte, begann vielen — besonders den US-amerikanischen Soldaten — zu dämmern, dass dieser Krieg für die USA nicht zu gewinnen war. Anfangs unterstützte die Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung die Intervention als Teil des „notwendigen Kampfes für Demokratie und gegen Kommunismus“. Aber die tatsächliche Kriegserfahrung trug schnell zum Bröckeln dieser Unterstützung bei.

Mit der steigenden Zahl amerikanischer Kriegsopfer wuchs auch die Antikriegsopposition in den USA. Die Bewegung begann vor allem unter Studierenden, breitete sich aber schnell aus. In vielerlei Hinsicht erreichte sie ihren Höhepunkt mit dem so genannten „Moratorium“ am Mittwoch, dem 15. Oktober 1969, als sich 36 Millionen Menschen an einem Anti-Kriegs-Aktionstag in nahezu jedem Winkel der USA beteiligten. In gewisser Weise war dies ein Massenstreik gegen den Krieg. Über eine Million nahmen an Demonstrationen teil, und in Vietnam trugen viele amerikanische Soldaten an diesem Tag schwarze Armbinden zum Zeichen ihrer Solidarität.

Bezeichnenderweise wurde dieser Aktionstag von der „Alliance for Labor“ (Arbeiterbündnis) unterstützt, einem kurzfristigen Zusammenschluss verschiedener Gewerkschaften (Automobil-, Transport-, Chemie- und andere Gewerkschaften). Zwar hatte die Mehrheit der ArbeiterInnen den Krieg zu Beginn unterstützt; in einigen Städten wurden Mitte der sechziger Jahre sogar Anti-Kriegs-DemonstrantInnen von Bauarbeitern verprügelt. Aber die Stimmung unter den ArbeiterInnen war umgeschlagen, je länger der Krieg andauerte und je mehr Opfer er kostete. Deshalb bedeutete die Unterstützung der „Alliance for Labor“ für den Aktionstag einen wichtigen Schritt nach vorn.

International war es aber eine der Hauptschwächen der vor allem von Studierenden und Mittelschichten getragenen Antikriegsbewegung, dass sie sich nicht auf die Arbeiterbewegung orientierte. Sie versuchten nicht ernsthaft, unter den ArbeiterInnen für eine Unterstützung von Klassenaktionen gegen den Krieg zu werben, zum Beispiel für gewerkschaftliche Streik- und Boykottmaßnahmen gegen Waffenexporte und Nachschublieferungen an die Armee.

Demoralisierung der Armee

Schon ein Jahr vor dem Moratorium-Aktionstag war die Stimmung gegen den Krieg so stark, dass Präsident Johnson sich gezwungen sah, auf eine erneute Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl 1968 zu verzichten. Der republikanische Kandidat Richard Nixon gewann diese Wahl mit dem Versprechen, „den Krieg zu beenden“. Er erkannte, dass Johnsons Administration durch die wachsende Kriegsopposition im Lande untergraben worden war. Kurz vor dem Moratorium-Aktionstag, im September 1969, kündigte er eine neue Politik der „Vietnamisierung“ des Konflikts an, die darauf hinauslief, nur noch finanzielle Unterstützung für den Kampf der südvietnamesischen Regierungstruppen zu leisten.

Hintergrund dieser neuen Politik war auch die zunehmende Demoralisierung unter den in Vietnam stationierten US-amerikanischen Einheiten. Immer mehr Soldaten bezweifelten den Sinn dieses Krieges, der ihnen nichts bedeutete und der nicht zu gewinnen war. Immer mehr amerikanische Jugendliche verließen die USA, um der Einberufung zur Armee zu entkommen; auch die Zahl der Deserteure stieg. Obwohl die US-Militärführung immer genug Soldaten für den „Nachschub“ hatte, war dies doch ein deutliches Symptom für den wachsenden Unmut der US-Jugend gegenüber dem Krieg.

Aus Sicht der Generäle noch alarmierender war die um sich greifende Stimmung von Demoralisierung und Rebellion bei den US-Einheiten in Vietnam selbst, die sich nach der „Tet-Offensive“ und sinnlosen Schlachten mit hohen Verlusten noch verstärkte. Drogenkonsum und Alkoholismus breiteten sich in der Armee ebenso aus wie Anschläge einfacher Soldaten auf unpopuläre Offiziere, indem zum Beispiel Bruchstücke von Handgranaten in die Zelte der Offiziere geworfen wurden (das so genannte „fragging“). Allein 1970 registrierte die Armeeführung offiziell 271 solcher Anschläge. Manche Einheiten weigerten sich, in die Schlacht zu ziehen. Ein General nannte die US-Armee „die demoralisierteste Armee der Geschichte“. Dabei verbrachten wehrpflichtige Soldaten nur eine relativ kurze Zeit in Vietnam und wurden dann wieder ausgetauscht. Andernfalls hätten sich die Meutereien noch wesentlich stärker ausgedehnt. Andererseits führte die Tatsache, dass Hunderttausende Jugendliche zumindest zeitweise in Vietnam gedient hatten, zur Radikalisierung breiter Schichten der Jugend in den USA.

Krise der US-Gesellschaft

Gegen Ende der sechziger Jahre entwickelten sich in den USA alle Anzeichen einer Gesellschaft, die sich auf eine revolutionäre Situation zu bewegt: Die herrschende Klasse war gespalten; die Mittelschicht, besonders die Studierenden, radikalisierten sich; die Arbeiterklasse, vor allem Afro-AmerikanerInnen und jugendliche ArbeiterInnen, begannen aktiv zu werden; die Armee war demoralisiert und die einfachen Soldaten standen in Opposition zu ihren Offizieren und zur Regierung. Nicht zufällig handeln viele US-Rocksongs aus dieser Zeit von „Revolution“, sie spiegeln die damalige Stimmung unter der Jugend.

Die Antikriegsbewegung vereinigte zwar die verschiedenen Kräfte einer breiten Oppositionsbewegung gegen den Krieg. Aber sie versuchte nicht einmal ansatzweise, eine Alternative zum kapitalistischen System aufzuzeigen, das solche Kriege hervorbringt. Tragischerweise wurde so durch das Fehlen einer starken marxistischen Kraft eine Gelegenheit verpasst, aus dem Antikriegskampf heraus eine sozialistische Bewegung zum Sturz des Kapitalismus im stärksten imperialistischen Land zu entwickeln.

Letzen Endes war diese krisenhafte Situation in den USA und in den US-Einheiten in Vietnam die Ursache für die Niederlage des Imperialismus. Natürlich hätte sich die Krise ohne den heroischen Widerstand des vietnamesischen Volkes über drei Jahrzehnte hinweg nicht entwickelt. Aber weder die nordvietnamesische Regierung noch die Vietcong konnten an die US-Soldaten oder die US-Bevölkerung appellieren, denn die Kombination von nationalistischer Propaganda und Stalinismus des nordvietnamesischen Regimes hatte keinerlei Anziehungskraft für die Masse der amerikanischen ArbeiterInnen und Jugendlichen. Anders als die Führung der russischen Oktoberrevolution vor der stalinistischen Ära machte die vietnamesische Führung keine ernsthaften Anstrengungen, die internationale Arbeiterbewegung gegen die imperialistische Intervention und für den weltweiten Kampf für Sozialismus zu gewinnen.

Die zersetzenden Auswirkungen des Vietnamkrieges auf die US-Armee waren so tief, dass die Militärführung nach Kriegsende dazu überging, die Wehrpflichtigen-Armee aufzulösen und auf ihren Trümmern eine ganz neue Berufsarmee aufzubauen. Dieselben Gründe, welche die Generäle dazu veranlassen, eine Berufsarmee zu favorisieren, treiben SozialistInnen zur entgegengesetzten Schlussfolgerung: Eine Berufsarmee ist wesentlich isolierter von der Stimmung der Bevölkerung und kann leichter für die Zwecke der Herrschenden missbraucht werden.

Wenngleich die heutige US-Armee eine Berufsarmee ist, so sind doch für viele Soldaten vor allem ökonomische Gründe für den Dienst in der Armee ausschlaggebend. Die Suche nach einem Job oder einer kostenlosen Ausbildung veranlassen viele Menschen gerade auch aus Arbeiterfamilien, in die Armee einzutreten. Dies widerspiegelt sich auch in der Tatsache, dass Amerikaner afro-amerikanischer Herkunft einen sehr viel größeren Anteil an der US-Armee als an der US-Gesellschaft insgesamt ausmachen.

Rückzug und Niederlage

Trotz der neuen Politik der „Vietnamisierung“ versuchte Nixon immer noch, den Krieg zu gewinnen. Er setzte auf die Überlegenheit der US-Luftwaffe in Kombination mit den südvietnamesischen Bodentruppen, die 481.000 reguläre Soldaten und 705.000 Teilzeit-Soldaten umfassten, ausgerüstet mit modernsten US-Waffen. Auf dem Papier war die Überlegenheit gewaltig. Denn auf der Gegenseite standen nur 140.000 Vietcong und 200.000 NVA-Soldaten, die in Südvietnam kämpften — schlechter ausgerüstet und ohne Flugzeuge und Helikopter. Doch dieses zahlenmäßige Kräfteverhältnis lässt die soziale Grundlage außer Acht: Trotz ihrer Stärke konnten die südvietnamesischen Streitkräfte nicht gewinnen, weil sie für die Fortsetzung der imperialistischen Beherrschung des Landes und der korrupten Militärdiktatur kämpften, sie hatten deswegen keinen Rückhalt in der Bevölkerung.

In einem verzweifelten Versuch, die Nachschublinien der NVA und die örtlichen Guerilla-Stützpunkte des Vietcong anzugreifen, ordnete Nixon 1970 in einem Geheimbefehl eine flächendeckende Bombardierung sowie den Einmarsch nach Kambodscha an (dem 1971 die Invasion von Laos folgte). Als die Informationen darüber an die Öffentlichkeit gelangten, erhielt die Antikriegsbewegung noch einmal mächtigen Auftrieb. Die herrschende Klasse der USA sah sich genötigt, Maßnahmen zur festeren Kontrolle über den Staatsapparat und die Militärführung zu ergreifen. Der spätere Sturz Nixons über den Watergate-Skandal (1974) ist auch vor diesem Hintergrund zu sehen.

Mehr und mehr wurden auch den Herrschenden die negativen Auswirkungen des Krieges auf die Streitkräfte und die Gesellschaft insgesamt klar. Dennoch waren sie in der Frage der weiteren Kriegführung gespalten. Ein Teil der herrschenden Klasse wollte so schnell wie möglich den Rückzug der US-Truppen, um den politischen und finanziellen Schaden zu begrenzen (mittlerweile hatten die hohen Kriegskosten zu drastisch gestiegener Staatsverschuldung und Inflation geführt). Ein anderer Teil plädierte für die Fortsetzung um jeden Preis; sie befürchteten den so genannten „Domino-Effekt“, den der Sieg der Vietcong-Guerilla in ganz Asien und in etwas abgeschwächtem Maße auch in der übrigen kolonialen Welt hätte haben können.

Nixon verstärkte zwar das US-Bombardement auf Vietnam, aber die US-Bodentruppen wurden Zug um Zug abgezogen. Als die NVA im März 1972 eine Offensive startete, nahmen die bis dahin noch verbliebenen 69.000 US-Soldaten kaum noch an den Kämpfen teil. Bis Januar 1973 verließen die letzten US-Truppen das Land, die Militärberater blieben allerdings zurück.

Die Pariser Friedenskonferenz 1973 besiegelte das Schicksal der südvietnamesischen Regierung. Die USA stoppten die direkte militärische Intervention. Die Schlussoffensive der Vietcong fand Anfang 1975 statt und endete am 30. April 1975 mit der Einnahme Saigons und dem Zusammenbruch des südvietnamesischen Regimes. Kapitalismus und Großgrundbesitz wurden auch im Süden abgeschafft und die Wiedervereinigung des Landes auf stalinistischer Grundlage vollzogen.

Politische Lehren

Die sich später erwiesene Unfähigkeit des stalinistischen Regimes, die Probleme des Wiederaufbaus und der Entwicklung des Landes zu lösen, dürfen nicht über die Bedeutung dieser historischen Niederlage des US-Imperialismus hinwegtäuschen. Auf kapitalistischer Grundlage gab es für die Masse der Bevölkerung in Asien keine Aussicht auf die Befriedigung selbst der elementarsten Grundbedürfnisse. Insofern war der Sturz von Kapitalismus und Großgrundbesitz ein Schritt nach vorn. Doch der Aufbau eines stalinistischen Staates bedeutete auch, dass die Vorzüge einer geplanten Wirtschaft nicht voll zur Entfaltung kommen konnten.

Leider verhielten sich viele der führenden politischen Strömungen in der Antikriegsbewegung Europas vollkommen unkritisch gegenüber der Politik der Vietcong und der nordvietnamesischen Regierung. Sie versäumten es, die Bewegung vor den Folgen einer stalinistischen Herrschaft zu warnen. Die Mitglieder vom Komitee für eine Arbeiterinternationale (CWI) beteiligten sich seinerzeit in Europa am Aufbau der Antikriegsbewegung, doch auf der Grundlage einer klaren Orientierung auf die Arbeiterbewegung und der Unterstützung für die vietnamesische Revolution — nicht jedoch für deren stalinistische Führer. Wir erklärten die Notwendigkeit des Aufbaus einer echten Arbeiterdemokratie in Vietnam und einer Politik des Internationalismus, und waren auf diese Weise politisch vorbereitet auf das, was sich nach 1975 in Vietnam entwickelte.

Heutzutage ist es um so wichtiger, eine kritische und unabhängige Position einzunehmen, ohne dabei den Imperialismus zu unterstützen.

Die erste Lehre aus dem Kampf des vietnamesischen Volkes ist die, dass Imperialismus und Kapitalismus geschlagen werden können. Aber die Entwicklung Vietnams nach 1975 zeigt auch die Grenzen des Stalinismus und die Notwendigkeit marxistischer Politik, damit eine sozialistische Demokratie Wirklichkeit werden kann.

Die Opfer des US-Krieges

Über 2,2 Millionen Todesopfer – Mehr als 10 Prozent der Bevölkerung Vietnams, Laos’ und Kambodschas wurde entweder getötet oder verwundet – 56.000 US-Soldaten fanden den Tod

Die Mittel der USA im Vietnamkrieg

6,7 Millionen Tonnen Sprengstoff wurden über Südostasien abgeworfen (im Zweiten Weltkrieg warfen die USA und Britannien 2,7 Millionen Tonnen ab) – 5 Millionen Liter Entlaubungsgifte wurden versprüht.