Aufstand der Mieter*innen

Zehntausende demonstrieren gegen Horrormieten

Nicht weniger als 55.000 Menschen sollen nach Angaben der Veranstalter am Samstag bundesweit gegen Mietenwahnsinn und Wohnungsnot demonstriert haben. Neben zahlreichen Städten im Bundesgebiet – wie Berlin Köln, Hamburg, Stuttgart und Dresden – protestierten auch in mehreren europäischen Städten Menschen gegen die unhaltbaren Zustände auf dem Wohnungsmarkt.

Von Steve Hollasky, Dresden

Zentrum der Proteste war Berlin, wo gut 40.000 Demonstrant*innen ausgehend vom Alexanderplatz einen Zug durch die Stadt veranstalteten. Aufgerufen hatte das Bündnis gegen Mietenwahnsinn und Verdrängung.

Zahlreiche selbst hergestellte Transparente und Schilder zeigten die insgesamt gute und entschlossene Stimmung des gesamten Demonstrationszugs. „Markt macht krank“ oder „Vermieter-Wahnsinn stoppen“ zeigten Menschen auf von Hand gemalten Schildern.

Immer wieder war die Forderung nach der Enteignung des in die Schlagzeilen geratenen Großvermieters „Deutsche Wohnen“ zu vernehmen. Auch der Demo-Block, der explizit die Enteignung größerer Wohnungseigentümer verlangte, kam bei den Teilnehmer*innen sehr gut an.

Mit der Demonstration startete auch das Volksbegehren „Deutsche Wohnen und Co. Enteignen“. Von den 20.000 nötigen Unterschriften in der ersten Stufe auf dem Weg zu einem Volksentscheid wurden auf der Demonstration schon 15.000 gesammelt. Noch nie startete eine solche Initiative so erfolgreich.

Jugendliche, Studierende, Azubis und junge Familien hatten sich ebenso in den riesigen Demonstrationszug eingereiht wie Rentner*innen und Migrant*innen. Was sie alle eint ist, dass sie alle Meiter*innen sind, egal welcher Herkunft oder Nationalität sie sind oder welche Sprache sie sprechen. Sichtbar nahm auch die Partei DIE LINKE an der Demonstration teil.

In Hamburg fand zeitgleich ein Straßentheater über hohe Mieten und Wohnungsnot statt. Die kleine Aktion soll nur ein Vorgeschmack auf die in der Hansestadt für den 4. Mai geplante Großdemonstration sein.

In Dresden hatte das erst vor Kurzem ins Leben gerufene Bündnis „Mietenwahnsinn stoppen“ zur Kundgebung auf den Postplatz gerufen. Etwas mehr als 400 Leute waren gekommen und hörten kämpferische Reden bei strahlendem Sonnenschein. Die Stadt, die 2006 ihren gesamten kommunalen Wohnungsbestand verkauft hatte, leidet unter rasant steigenden Mieten. So stellte eine Rednerin gleich zu Beginn der Kundgebung fest, dass seit dem Verkauf der kommunalen Woba die Mieten in der sächsischen Landeshauptstadt um dreißig Prozent gestiegen seien. Als Folge davon wurde auch auf dieser Kundgebung der Ruf nach der Rekommunalisierung der Vonovia, die seit einigen Jahren im Besitz der ehemals städtischen Wohnungen ist, laut. Carsten Ungewitter, vom Bündnis „Mietenwahnsinn stoppen“ erklärte: „Es gibt ein Menschenrecht auf Wohnen, aber es gibt kein Menschenrecht darauf Profite zu machen.“

Inzwischen ist die Forderung nach Rekommunalisierung ehemals städtischer bzw. die Enteignung von großen Immobilienkonzernen derart laut geworden, dass sogar ausgerechnet manche grüne dem zustimmen. Robert Habeck, einer der zwei Bundesvorsitzenden der Bündnisgrünen, erklärte nach den Protesten vom Samstag Enteignungenn in dieser Frage für denkbar. Der Landesparteitag der Berliner grünen, der zeitgleich zur Demonstration tagte, wollte jedoch noch keine Position dazu beschließen.

Dass nun selbst der Vorsitzende der Partei, die während ihrer Zeit in der Bundesregierung von 1998 bis 2005 Hartz IV mit eingeführt und mit diesem und weiteren Schritten die staatlichen Sozialleistungen drastisch abgesenkt hat, Enteignungen nicht ausschließen will, zeigt, dass der Druck gewaltig ist – und dass sich bürgerliche Politiker*innen nur unter einem solchen Druck bewegen.

Umstritten bleibt die Frage, ob bzw. in welcher Form eine Entschädigung im Falle von Enteignungen geleistet werden soll. Die Artikel 14 und 15 des Grundgesetzes sehen vor, dass dazu entsprechende Gesetze beschlossen werden können – auch diese Frage ist also eine des politischen Willens und der politischen Kräfteverhältnisse.

Ein Rückkauf nach Marktwert der Immobilien würde bedeuten, dass die Immobilienkonzerne doppelt verdienen, denn die von ihnen mit herbeigeführte Situation auf dem Wohnungsmarkt hat sie Riesenprofite machen lassen. Die Initiative „Deutsche Wohnen und Co. Enteignen“ spricht sich für andere, deutlich niedrigere, Entschädigungssummen aus. Aber auch das würde bedeuten, dass die Konzerne einen goldenen Handschlag bekommen. Die SAV spricht sich dafür aus, dass Entschädigung nur bei erwiesener Bedürftigkeit erfolgen soll, was bedeuten würde, dass Kleinaktionär*innen nicht benachteiligt werden sollten.

Wesentlich bedeutender als die Frage nach der Entschädigung, die die Unternehmer ohnehin durch die jahrelangen Mieteinnahmen erhalten haben, steht für uns die Frage nach der Gestaltung des öffentlichen Eigentums nach der Übernahme durch die Kommunen. Wer bestimmt über Gestaltung, Reparaturen, Umbau, Begrünung, Anlage von Spielplätzen und Kulturzentren für Anwohner*innen? Im Grunde können das nur die Mieter*innen zusammen mit den Beschäftigten der Wohnungsunternehmen und Vertreter*innen der arbeitenden Bevölkerung. Die demokratische Kontrolle und Verwaltung der öffentlichen Wohnungsunternehmen und die Gestaltung der Wohngebiete muss durch demokratisch gewählte Ausschüsse erfolgen, in denen Mieter*innen gemeinsam entscheiden.

Und natürlich kann die Enteignung von Immobilienkonzernen nur ein Mittel sein, um den Mietenwahnsinn und die Wohnungsnot zu stoppen. Insbesondere der Neubau von günstigen Wohnungen durch die Kommunen ist hier entscheidend, aber auch die Einführung einer gesetzlichen Kostenmiete, die den Quadratmeterpreis einer Mietwohnung auf fünf Euro begrenzen könnte.