Für einen sozialistischen Feminismus

Neues Frauenprogramm der SAV

Die SAV bringt zu den Sozialismustagen 2019 ein neues Frauenprogramm heraus. Anders als im bürgerlichen Feminismus, sehen Sozialist*innen die Notwendigkeit, den Kampf für die Gleichstellung mit dem allgemeinen Kampf der arbeitenden Bevölkerung gegen Kürzungen und für soziale Verbesserungen zu verknüpfen. Dabei gilt: Die Befreiung der Frau kann vollständig nur in einer Gesellschaft frei von Ausbeutung und Unterdrückung erreicht werden. Deshalb ist auch die Perspektive der Überwindung des Kapitalismus hin zum Sozialismus notwendiger Bestandteil.

von Aleksandra Setsumei, Aachen

Seit einigen Jahren sehen wir in vielen Ländern neue, massenhafte und Mut machende Proteste gegen Diskriminierung und Benachteiligung von Frauen. Es geht um gleiche Rechte, um ein Ende der Gewalt, um das Recht auf Selbstbestimmung, um ökonomische Gleichstellung, um die Zukunft.

Nach den Frauenmärschen 2017 – den größten Demonstrationen an einem Tag in der US-Geschichte und den größten weltweit seit 2003 – nahmen an den Märschen 2018 bis zu 2,5 Millionen Menschen in US-Städten teil. In Lateinamerika gab es eine Reihe von Massenmobilisierungen durch die Kampagne Ni una menos (dt. nicht eine weniger), um gegen die tödliche Gewalt gegen Frauen vorzugehen. In Chile besetzten Studierende monatelang Universitäten, um gegen Sexismus im Bildungsbereich zu protestieren. In Spanien gab es 2018 und 2019 feministische Streiks mit Beteiligung von Millionen Frauen und Männern. In Polen gab es massive Proteste gegen die Verschärfung der Gesetze zu Schwangerschaftsabbrüchen. In Irland gelang es, mithilfe einer jahrelangen kontinuierlichen Kampagne, ein Referendum durchzusetzen, das das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen aus der Verfassung entfernte. In Deutschland waren es im Jahr 2015 mehrheitlich Frauen, die mit den Streiks im Sozial- und Erziehungsdienst für eine Aufwertung der Berufe und mit dem ersten Kampf für mehr Personal an der Berliner Charité mit dazu beitrugen, dass die Presse von der “Streikrepublik Deutschland” sprach. Es entstanden hier weitere Kämpfe im Gesundheitswesen, wo mehrheitlich Frauen beschäftigt sind.

Die Bewegungen werden sich weiter entwickeln. Denn Gleichberechtigung, wie sie zumindest in den „westlichen Demokratien“ als hinreichend gegeben angenommen wird, wird in der Realität nicht erfüllt. Das liegt am kapitalistischen System, das auf Profite ausgerichtet ist und ohne Diskriminierung und Spaltung nicht auskommt.

Kämpfen lohnt sich

Es ist frustrierend, dass in den letzten Jahren viele Probleme trotz enormer Möglichkeiten nicht gelöst wurden, sondern sich verschärft haben. Doch es ist gerade die Energie und die Macht der emporstrebenden Frauenbewegung, die die klare Botschaft vermittelt: „Es muss nicht so bleiben, wie es ist!“ und es wird nicht so bleiben, wie es ist! Wir können die Gegenwart und die Zukunft verändern.

Die Geschichte hat gezeigt, dass uns nichts geschenkt wird. Jede Errungenschaft und jede Verbesserung muss erkämpft und verteidigt werden. Die Geschichte hat aber auch gezeigt, dass sich der Kampf für diese Errungenschaften lohnt. Die neuen Frauenproteste feiern ihre ersten Erfolge – sei es in Polen, wo der gesetzliche Angriff auf Reproduktionsrechte nach wenigen Tagen massiver Proteste zurückgenommen wurde, oder in Irland, wo durch lange Kampagnen eine Abstimmung über das Recht auf Schwangerschaftsabbruch erreicht und gewonnen wurde. Das kann nur der Anfang sein.

Sexismus als Spaltungsmechanismus

Die herrschende Politik hat kein Interesse an einer Verbesserung der Lage der Frauen, wenn es nicht der Regierung oder Unternehmen selbst nutzt. Zwar behaupten etablierte Politiker*innen, sich für Frauen einzusetzen. Doch es sind die gleichen Politiker*innen, die den Hartz-IV-Empfänger*innen das Kindergeld streichen, wohl wissend, dass dies vor allem alleinerziehende Mütter treffen wird.

Der Kapitalismus profitiert von der Schlechterstellung von Frauen und basiert auf Diskriminierung und Spaltung. Er ist ein System, in dem eine kleine Minderheit fast den gesamten Reichtum der Welt besitzt, während die große Mehrheit den Rest untereinander aufteilen muss. Um diese Macht- und Eigentumsverhältnisse aufrechtzuerhalten, ist eine Spaltung von Männern und Frauen, von Menschen mit und ohne deutschem Pass, von Jung und Alt notwendig. Lohndumping, schlechtere Arbeitsbedingungen, kostenlose Pflege von alten Menschen zu Hause und vieles mehr sind für Unternehmer*innen hochprofitabel. Deshalb gibt es ein objektives Interesse an einer Reproduktion sexistischer Vorstellungen und der Spaltung der Arbeiter*innenklasse. Denn wer nicht gemeinsam für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen für alle streitet, fragt auch nicht, wo der riesige Reichtum bleibt – nämlich bei Banken und Konzernen in Form von Milliardengewinnen und bei den Reichen in Form von Milliardenvermögen.

Gemeinsamer Kampf

Der Kapitalismus basiert auf Ausbeutung, Spaltung und Unterdrückung der Lohnabhängigen. Deswegen kann er sich nicht leisten, ein Ende der Frauendiskriminierung zuzulassen. Befreiung kann nur durch eine revolutionäre Veränderung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen erreicht werden.

Doch nicht nur Frauen haben ein Interesse an einer solchen Veränderung. Der Kapitalismus macht das Leben der großen Mehrheit der Menschen zur Hölle auf Erden – unabhängig davon, ob sie Männer oder Frauen sind: Hunger, unmenschliche Arbeitsbedingungen, kein Zugang zu sauberem Wasser oder Medikamenten gehören für viele Menschen zur traurigen Realität.

Um den Kapitalismus zu stürzen, ist eine Vereinigung und Organisierung aller Lohnabhängigen, Erwerbslosen, Rentner*innen und Jugendlichen notwendig. Dabei sind wir so stark wie wir einig sind. Ein Ausschluss der Hälfte durch sexistische Diskriminierung wird eine Revolution unmöglich machen. Aus dem Grund muss eine sozialistische Bewegung gegen jede Art der Diskriminierung kämpfen. Und deswegen hat auch jede*r einzelne Lohnabhängige, Erwerbslose, Rentner*in und Jugendliche ein objektives Interesse daran, dass sich die Situation von Frauen verbessert und diese mit ihr bzw. ihm für eine sozialistische Welt kämpfen.

Wie die Welt sein könnte

In einer sozialistischen Gesellschaft gehören die Fabriken und weitere Produktionsmittel nicht einer kleinen, auf Profitmaximierung ausgerichteten Minderheit, sondern der arbeitenden Bevölkerung. So kann die Produktion demokratisch durch die Beschäftigten geplant und kontrolliert werden. Als Folge wird der produzierte Wohlstand im Interesse von Menschen und Natur eingesetzt. Die Wirtschaft hat nicht mehr das Ziel, möglichst große Profite abzuwerfen, sondern richtet sich nach den Bedürfnissen von Mensch und Umwelt. Durch die Beendigung der Überproduktion, die der Kapitalismus verursacht, und Abschaffung unproduktiver oder destruktiver Industriezweige (wie Werbe- oder Rüstungsindustrie), werden riesige Kapazitäten frei, die zur Abschaffung der Armut und Sicherung des Wohlstandes für alle eingesetzt werden können. Erst so werden Grundlagen geschaffen, um Ungleichheit, Diskriminierung und Unterdrückung abzuschaffen.

Im Sozialismus werden Probleme und Aufgaben solidarisch auf gesellschaftlicher Basis gelöst. Dies bedeutet unter anderem, dass es eine breite öffentliche Daseinsvorsorge gibt, die niemanden in Armut stürzen lässt, der oder die aufgrund von Krankheit oder Alter arbeitsunfähig wird. Wohnraum und öffentliche Infrastruktur werden im ausreichenden Maß zur Verfügung gestellt, die es allen ermöglicht, selbstbestimmt zu leben. Auch die im Kapitalismus private Hausarbeit wird, sofern es sinnvoll und effizient ist, zu einer kollektiven Aufgabe. Durch gute Planung können häusliche Arbeiten effizienter, ressourcenschonender und qualitativ besser verrichtet werden. Ein breites Angebot von öffentlichen Restaurants, öffentlichen Wäschereien, ganztägiger Kinderbetreuung und menschenwürdiger Pflege von Pflegebedürftigen wird sichergestellt.

Das Leben der Frauen in einer solchen Gesellschaft unterscheidet sich diametral von dem im Kapitalismus. Durch die Daseinsvorsorge und Ausbau von Infrastruktur werden Frauen im Sozialismus finanziell unabhängig und können selbstbestimmt leben, ohne Angst vor Armut haben zu müssen. Durch die Vergesellschaftung der Hausarbeit, werden Frauen endlich von der Last der Reproduktionsarbeit befreit. Verbunden mit einer massiven Arbeitszeitverkürzung eröffnet sie Möglichkeiten für Frauen, gleichberechtigt am öffentlichen Leben teilzuhaben.

Das Gesundheitssystem im Sozialismus wird Frauen ermöglichen, darüber zu entscheiden, ob oder wann sie Kinder bekommen möchten. Durch Erforschung sicherer und nicht gesundheitsgefährdender Verhütungsmittel sowie kostenloser Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruchs, erhalten Frauen endlich die echte Entscheidungsfreiheit über ihren Körper. Die Anzahl der ungewollten Schwangerschaften wird durch Aufklärung, kostenlose Verhütung und soziale Absicherung sinken.

Die materiellen Grundlagen des Sozialismus, in dem es keine Armut, keinen Mangel und keine gegensätzlichen Interessen gibt, wird dazu führen, dass nicht nur Sexismus, sondern auch andere Diskriminierungen und Vorurteile, wie Rassismus oder Homophobie, an Einfluss verlieren. Doch sie werden nicht automatisch verschwinden – dazu ist eine gezielte Aufarbeitung und Bildungsarbeit notwendig. Da im Sozialismus niemand ein Interesse an solchen Spaltungsmechanismen hat, wird dem nichts im Wege stehen. Wenn diese Aufgabe bewältigt wird, werden die künftigen Generationen „Sexismus“ im Schwarzbuch des Kapitalismus nachschlagen müssen.