Vor 60 Jahren: Revolution auf Kuba

Guerilla siegt gegen Diktator Batista

Wir veröffentlichen hier einen Artikel des englischen Marxisten Peter Taaffe aus „Peter Taaffe: Castros Kuba – eine marxistische Kritik“

(Das Buch kann für 2,50 Euro inklusive Versand bei der SAV bestellt werden: 030-24723802 oder finanzen@sav-online.de)

Die Ereignisse in Afrika und der Karibik haben dazu geführt, dass Kuba wieder die Bühne der Weltpolitik betreten hat. Der US-Imperialismus hatte Südafrika gedrängt , mit seinen Truppen in Angola einzufallen, um die Revolution niederzuschlagen. Doch er schäumte vor Wut, als kubanische Truppen und Material eingesetzt wurden, um die MLPA zu unterstützen. Das war möglicherweise für die Wende zugunsten der MLPA ausschlaggebend und führte zur Abschaffung von Großgrundbesitz und Kapitalismus in Angola.

Kuba war auch zu einem Anziehungspunkt für die Länder der Karibik wie Jamaika und Guayana geworden, die durch den wirtschaftlichen Einbruch von 1974-75 schwer getroffen worden waren. Für die Massen in Lateinamerika wirkte Kuba angesichts von Militärdiktaturen und Hungersnöten – wie in Argentinien und Chile – wie ein sicherer Hafen des Fortschritts und der Ruhe. In den entwickelten kapitalistischen Ländern betrachten Teile der Jugend die charismatischen Führer der kubanischen Revolution wie Fidel Castro und den ermordeten Che Guevara ganz anders als die grauen Figuren wie Breschnjew und Kossygin [die sowjetischen Staatsführer in den 70er und frühen 80er Jahren]. Selbst Arthur Scargill [der Vorsitzende der britischen Bergarbeitergewerkschaft] sagte kürzlich bei einem TV-Interview, Kuba wäre ein Modell einer Gesellschaft, wie er sie anstrebe.

Kann Kuba für die Arbeiter und Bauern der unterentwickelten Länder oder die Arbeiterbewegung in den entwickelten Ländernein ein Vorbild im Kampf gegen den Kapitalismus sein? Welchen Charakter hat das kubanische Regime? Diese Fragen können nur geklärt werden, wenn man die Ursachen und die Entwicklung der kubanischen Revolution untersucht.

Vor der Revolution war Kuba ein Paradies für die Reichen – eine Spielwiese vor allem für die amerikanischen Touristen – aber ein Alptraum für die Arbeiter und Bauern. 1950-54 betrug das Pro-Kopf-Durchschnittseinkommen in Delaware, dem reichsten US-Bundesstaat, 2.279 Dollar, in Kuba waren es lediglich 312 Dollar, 6 Dollar pro Woche. Selbst in Mississippi, dem ärmsten Staat der USA, betrug das Pro-Kopf-Einkommen 829 Dollar. Fünfzig Prozent der Landbevölkerung verfügten nicht über Toiletten – sie hatten nicht einmal ein Plumpsklo. Tuberkulose und Syphilis waren weit verbreitet. 25 Prozent waren Analphabeten, ebenso hoch war die Arbeitslosigkeit . In den 50er Jahren besuchten anteilsmäßig weniger Schüler im schulfähigen Alter die Schule als in den 20er Jahren. Der Grund und Boden war in den Händen weniger konzentriert, in großen Latifundien. 114 Farmen, weniger als 0,1 Prozent aller Farmen, umfassten 20,1 Prozent des Landes. Acht Prozent aller Farmen verfügten über 71,1 Prozent des Bodens, während andererseits 39 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe bäuerliche Kleinbetriebe mit weniger als einem Hektar Land waren. Sie umfassten nur 3,3 Prozent des Bodens.

Die Dominanz des Imperialismus

Außerdem wurde die kubanische Wirtschaft durch die riesigen US-Monopole dominiert. US-Firmen besaßen 90 Prozent der Telekommunikation und des Elektrizitätssektors, ca. 50 Prozent der öffentlichen Dienstleistungen und 40 Prozent der Rohzuckerproduktion. Da Kuba an die US-Wirtschaft gekettet war, war das Land gezwungen, sich auf die Produktion eines landwirtschaftlichen Erzeugnisses für den amerikanischen Markt, des Zuckers, zu konzentrieren. Der größte Teil der kubanischen Zuckers wurde in die USA exportiert, jährliche Quoten und Preise waren festgesetzt. Die Krönung dieser Verhältnisse war die Diktatur des Gangsters Batista. Schätzungen ergaben, dass zwischen seiner zweiten Machtübernahme 1953 und seinem Sturz 1959 20.000 Menschen von seinen Soldaten und Folterern umgebracht wurden.

Die Aufgaben der kapitalistisch-demokratischen Revolution waren im Kuba der 50er Jahre noch nicht erledigt worden. Die Bauern hatten kein Land erhalten, die Befreiung von der ausländischen wirtschaftlichen und politischen Dominanz und der Aufbau einer modernen Industrie hatten nicht stattgefunden. Die Erfahrung der russischen Revolution, die von Leo Trotzkis Theorie der Permanenten Revolution theoretisch brillant vorweggenommen wurde, zeigte, dass in den unterentwickelten Ländern nur die Arbeiterklasse die Nation zur Vollendung dieser Aufgaben führen konnte. Nachdem sie einmal an die Macht gekommen war und die Aufgaben der kapitalistisch-demokratischen Revolution durchgeführt hatte, ging die Arbeiterklasse zu den sozialistischen Aufgaben weiter – wie der Verstaatlichung der entscheidenden Teile der Wirtschaft – und gab damit auch einen Anschub für den Beginn der internationalen sozialistischen Revolution.

„Fortschrittlich“

Die kubanische KP vertrat wie die meisten „kommunistischen“ Parteien Lateinamerikas eine Linie, die diesen Erfahrungen und den Methoden von Lenin und den Bolschewiki diametral entgegen stand. Sie wollte ein Bündnis mit der sogenannten „fortschrittlichen nationalen Bourgeoisie“, um die „antimperialistische patriotische und demokratische Revolution“ zu verwirklichen. Aber die kubanischen Kapitalisten investierten in Landbesitz und die Besitzer großer Latifundien in die Industrie. Für eine ernsthafte Landreform waren die kubanischen Kapitalisten nicht zu haben. Genauso wenig waren sie in der Lage, einen Kampf gegen den US-Imperialismus zu führen. Sie stützten sich auf ihn, um sich gegen die kubanischen Massen zu verteidigen. Die Suche nach der geheimnisvollen „fortschrittlichen nationalen Bourgeoisie“ führte die kubanische KP so weit, dass sie Batista schon bald nach seiner ersten Machtübernahme 1933 unterstützte.

Zu Anfang beschimpfte der Parteiführer Blas Roca Batista als „diesen nationalen, vom Imperialismus bezahlten Verräter“. Aber 1938 fand das KP-Zentralkomitee heraus, dass Batista „nicht mehr die führende Person im reaktionären Lager“ sei! Die wunderbare Verwandlung kam dadurch zustande, dass Batista von niemand anders als dem USPräsidenten Franklin Delano Roosevelt das Prädikat „demokratisch“ verliehen worden war. Die bescheidene Herkunft von „Sergeant Batista“ führte nun dazu, dass er den Segen der „kommunistischen“ Partei erhielt. Batista revanchierte sich 1938, indem er die KP legalisierte.

Vier Jahre später holte er zwei KP-Minister in sein Kabinett. Blas Roca – der auch später in Castros Regierung saß – erschien 1942 zusammen mit Batista auf dem Balkon, um die Huldigungen der Massen entgegenzunehmen. Trotz dieser Unterstützung wurde Batista 1944 aus dem Amt vertrieben. Fidel Castro wurde von der KP 1947 als „Gangster“ angegriffen. Selbst später noch, als die Verhältnisse sie zwangen, ihre Position zu Fidel Castro zu verändern, bezweifelte die KP, dass Batista durch die Guerilla gestürzt werden könne und forderte im November 1958 eine „demokratische Koalitionsregierung“.

Batistas zweiter Putsch 1952 provozierte breite Opposition in Kuba, vor allem seitens der Studierenden und Intellektuellen, darunter Fidel Castro und sein Bruder Raúl. Sie griffen mit 120 Anhängern am 26. Juli 1953 die Moncada-Kaserne an. Die Revolte wurde niedergeschlagen, Castro wurde inhaftiert. Nach seiner Freilassung ging er nach Mexiko, um dort die Guerilla-Truppe zu organisieren, die 1956 in Kuba landete. In einem drei Jahre währenden heldenhaften Kampf bezwang die Guerilla mit Hilfe der verarmten Bauernschaft die zahlenmäßig vielfach überlegenen Truppen Batistas. Einige Soldaten Batistas und selbst Offiziere gingen auf die Seite der Guerilla über.

Harmonie

Castro behauptete 1961, während Kuba gegen den US-Imperialismus auf Leben und Tod kämpfte, er sei „im Herzen schon immer ein Marxist-Leninist“ gewesen. In seinem Buch „Guerillas in Power“ merkt KS Karol allerdings ironisch an: „Einige seiner Genossen, zu denen dieses Etikett noch weniger passte, sagten, sie wären die ganze Zeit schon Marxisten gewesen ohne es zu wissen. Andere waren niemals Antikommunisten gewesen und waren offen daher für die Bekehrung.“

Tatsächlich war Castro bis zu diesem Zeitpunkt nichts anderes als ein radikaler Mittelklasse-Demokrat, dessen Ideal das demokratische kapitalistische Amerika war. Er erklärte in einem Interview mit dem US-Journalisten Herbert Matthews während des Kampfes gegen Batista: „Sie können sicher sein, dass wir die USA und das amerikanische Volk nicht ablehnen … Wir kämpfen für ein demokratisches Kuba und das Ende der Diktatur.“ In einem Dokument von Castros Bewegung – der Bewegung 26. Juli – hieß es 1956, man vertrete eine „Jeffersonsche Philosophie“, wurde die „Lincoln-Formel“ unterstützen und bekräftigte die Absicht „einen Zustand von Solidarität und Harmonie zwischen Kapital und Arbeit zu erreichen, um die Produktivität zu steigern.“

Selbst nach Batistas Sturz erklärte Castro am 6. März 1959 vor einem Treffen von Bänkern, dass er mit ihnen zusammenarbeiten wolle. Laut dem US-amerikanischem News and World Report sagt er außerdem, er hätte „keine Absicht, irgendwelche Industrien zu verstaatlichen“. War das etwa ein Trick, um die Großgrundbesitzer und Kapitalisten an der Nase herumzuführen? Im Gegenteil. Alles weist darauf hin, dass Castro und seine Anhänger ihren Kampf nicht mit klaren sozialistischen Perspektiven und Programm begannen, wie es Lenin und die Bolschewiki in Russland taten. Lenin stützte sich auf die Arbeiterklasse. Er ging davon aus, dass die Arbeiter die arme Bauernschaft in den Kampf gegen den Zarismus führen würden. Castro und Guevara stützten sich auf die Landbevölkerung. Die Arbeiterklasse trat erst mit einem Generalstreik in Havanna in den Kampf, als die Guerilla schon gesiegt hatte und Batista um sein Leben lief. Die russische Arbeiterklasse spielte die führende Rolle. Die bewusste Kontrolle und Verwaltung von Staat und Wirtschaft wurde durch Arbeiter- und Bauernräte ausgeübt – die demokratischsten Institutionen, die man je gesehen hatte. Dies führte zu einer machtvollen Bewegung der Arbeiterklasse in der ganzen Welt, die sich der Sache ihrer russischen Brüder anschloss. Die Arbeiter versuchten, die russische Revolution in ihren eigenen Ländern nachzuahmen.

Sackgasse

Castro kam durch eine überwiegend ländliche Bewegung an die Macht. Davon war der gesamte Charakter seiner Bewegung geprägt. Nur eine besondere Kombination von Umständen führte dazu, dass Castro bei der Enteignung der Großgrundbesitzer und Kapitalisten federführend war. Er hatte zu Beginn nicht die Perspektive, über den Rahmen des Kapitalismus hinauszugehen. Auf der einen Seite gab es auf der Grundlage des bankrotten kubanischen Kapitalismus keinen Ausweg aus der Sackgasse. Auf der anderen Seite existierte ein gewaltiger Druck seitens der Bauernschaft und der Arbeiterklasse. Nach der Niederlage Batistas besetzten die Bauern das Land. Die Arbeiterklasse forderte Lohnerhöhungen und die Wiedereinstellung der unter dem altem Regime Entlassenen. Im Frühjahr forderten 6.000 Arbeiter der kubanischen Elektrizitäts-Gesellschaft eine 20prozentige Lohnerhöhung. 600 Arbeiter, die zuvor entlassen worden waren, begannen einen Protest vor dem Präsidentenpalast. Die Massen waren bewaffnet und bildeten Milizen. Wegen der Radikalisierung der kubanischen Massen verfiel der Vertreter des US-Imperialismus, Präsident Eisenhower, in Panik und versuchte, die kubanische Regierung zu erpressen und zum Gehorsam gegenüber den USA zu zwingen.

Widerstand

Dies spitzte sich zu, als Russland auf der Grundlage eines im Januar 1960 unterzeichneten Handelsabkommens mit Kuba Rohöl zu liefern begann. Im Juni verweigerten die drei großen Ölkonzerne (Jersey Standard, Texaco und Shell) unter dem Druck der US-Regierung die Raffinierung des russischen Öls. Aber die kubanische Regierung griff ein und setzte die Bearbeitung des Öls durch. Die Konzerne griffen zu Vergeltungsmaßnahmen und verweigerten, Öl aus Venezuela anzuliefern. Kuba entschied sich, sämtliches Öl aus Russland zu beziehen. Die Eisenhower-Regierung schlug im Juli zurück, indem sie die Abnahme der im Abkommen vereinbarten 700.000 Tonnen kubanischen Zuckers verweigerte. Sie spekulierte darauf, damit das Castro-Regime zu Boden zu zwingen. Aber Russland sprang ein und garantierte, die 700.000 Zucker zu kaufen. Am 6. August wurden die kubanische Telefongesellschaft, die Elektrizitätsgesellschaft sowie alle Öl- und Zucker-Raffinerien – bei denen es zuvor nur ein „Mitspracherecht“ der Regierung gab – verstaatlicht. In den folgenden vier Monaten wurden Schläge und Gegenschläge ausgeteilt, nach und nach wurden sämtliche im Besitz des US-Kapitals befindlichen Betriebe übernommen.

Im September wurden die kubanischen Außenstellen der US-Konzerne in öffentliches Eigentum überführt. Kubanische Gesellschaften wurden im Oktober verstaatlicht. Ende 1960 war der Kapitalismus in Kuba ausradiert. Der US-Imperialismus schlug zurück: er verhängte ein totales Handels-Embargo und bereitete sich auf die militärische Intervention vor, um die kubanische Revolution zu zerschlagen. Der Druck der Massen, die Schwäche des kubanischen Kapitalismus und die Fehlkalkulationen und Schnitzer des US-Imperialismus waren Faktoren, die in ihrer Kombination Castro zur Enteignung von Großgrundbesitz und Kapital drängten.

Wir konnten so in Kuba die Bestätigung von Trotzkis Theorie der Permanenten Revolution in einer karikaturhaften Form beobachten. Die kapitalistisch-demokratische Revolution konnten nur gegen den Widerstand der Kapitalisten in Kuba und international vollzogen werden. Dies führte dazu, dass Castro sich im Gegenzug auf die Massen stützen, die Großkonzerne verstaatlichen und eine geplante Wirtschaft einführen musste. Anders als bei Lenin und Trotzki in der russischen Revolution gab es keine ausgearbeitete Vorstellung oder bewusste Voraussicht. Wenn man Castro vor der Revolution einen Film über seine nachfolgende Entwicklung gezeigt hätte, hätte er dies als eine monströse Fälschung bezeichnet.

Die Sowjets sowie die demokratische Verwaltung und Kontrolle des Staates waren zusammen mit dem Bewusstsein der Massen, dass das Schicksal der Revolution vom Sieg der weltweiten Revolution abhängt, ausschlaggebend dafür, dass der russischen Revolution die revolutionäre Bewegung der Arbeiterklasse in Europa und der ganzen Welt folgte. Weltweit unterstützten die Arbeiter ihre russischen Schwestern und Brüder und versuchten, ihnen während der bewegten Zeiten 1918 und 1919 nachzueifern, weil sie ihre Klasse in Russland an der Macht sahen, egal, welche monströsen Lügen die Herrschenden des eigenen Landes auch verbreiten mochten. Die kubanische Revolution hatte die Folgen eines Erdbebens, vor allem in Lateinamerika. Aber wegen der beteiligten Kräfte – einer überwiegend bäuerlichen Armee – und dem Fehlen der bewussten Kontrolle durch die Arbeiterklasse und die armen Bauern konnte sie nicht die selben Folgen haben wie die russische Revolution. Es wurde ein Arbeiterstaat direkt vor der Nase der USA errichtet, aber die Macht war in den Händen einer Schicht privilegierter Funktionäre konzentriert.

Die Macht in den Händen einer bürokratischen Elite

Die Abschaffung von Großgrundbesitz und Kapitalismus in Kuba 1960 erschütterte Nord- und Südamerika. Der US-Imperialismus wollte die Revolution so schnell wie möglich ersticken und finanzierte und bewaffnete die Invasionsstreitmacht, die im April am Playa Girón (Schweinebucht) landete. Die Invasoren spielten sich als „Retter“ der kubanischen Revolution auf. Die Tatsache, das die 1.500 Männer der Streitmacht zuvor eine Million Hektar Land, 10.000 Häuser, 70 Fabriken, fünf Bergwerke, zwei Banken und zehn Zuckerraffinerien besessen hatten, war natürlich rein zufällig! Doch die Massenbasis der Revolution führte zu ihrer Niederlage und der aller konterrevolutionären Angriffe, die von den vom CIA unterstützen Emigranten unternommen wurden. Ohne Zweifel, das Castro-Regime genoss eine enorm große Unterstützung im Volk. Die Massen waren bewaffnet und in der 200.000 Mann starken Arbeiter- und Bauernmiliz organisiert. Der konservative Historiker Hugh Thomas gab den Kommentar eines 15jährigen bewaffneten Schuljungen von 1961 wider: „Wir Kubaner sind ein bewaffnetes Volk.“

Es gab in der ersten Phase der Revolution unzweifelhaft Elemente von Arbeiterkontrolle in den Betrieben. Jeder Häuserblock und jede Straße hatte ein „Komitee zur Verteidigung der Revolution“. Anzeichen für die breite Unterstützung für das Regime waren die riesigen Menschenmengen, die sich in Havanna versammelten, um Castros Reden zu hören. Bei der Versammlung, bei der Castro die Rede vortrug, die als „Zweite Erklärung von Havanna“ bekannt wurde, strömte am 4. Februar 1962 eine Million Menschen – bei einer Gesamtbevölkerung von sechs Millionen! – auf dem Plaza de la Revolución zusammen. Aber gleichzeitig hatten die Massen nicht den Staatsapparat unter ihrer Kontrolle. KS Karol kommentiert in seinem Buch „Guerillas in Power“, in dem er stark mit Castro und der kubanischen Revolution symphatisiert, seinen Besuch in Kuba 1961: „Diese enthusiastischen Menschen [die Arbeiterklasse und die armen Bauern] sollten eigentlich über ihre ‚Räte’ und über ihre ‚sozialistischen Pläne’ reden (wenn die Revolution mit Russland oder dem spanischen Bürgerkrieg vergleichbar wäre). Ich hatte allerdings vergebens versucht an der Basis, sowohl in der Provinz als auch in Havanna, Zeichen großer Begeisterung für eines der beiden Dinge zu finden. Es gab eine beeindruckend große Unterstützung für die Revolution, aber das Fehlen politischer Initiativen selbst innerhalb der Miliz und das eher primitive Verständnis von Sozialismus waren doch überraschend.“

Der rein plebiszitäre Charakter der Staates – ein Bestandteil des Bonapartismus – zeigte sich in den Massenveranstaltungen, die von Castro geleitet wurden. Die Arbeiter waren aufgerufen, „Sí“ oder „No“ zu sagen, aber nicht, die Angelegenheiten zu diskutieren und zu entscheiden.

Ungarische Revolution

Doch ohne die bewusste Kontrolle der Massen ist die Entstehung einer neuen Elite unvermeidlich. Selbst in Russland war trotz brillanter Führer wie Lenin und Trotzki und trotz der bewussten Teilnahme der Arbeiterklasse an der Verwaltung der Gesellschaft die bürokratische Entartung unvermeidbar, so lange die Revolution in einem rückständigen Land isoliert blieb.

Die Bolschewiki hatten die Vorstellung, dass die russische Revolution die Revolution in Europa auslösen würde, welche im Gegenzug Russland mit wirtschaftlicher Unterstützung, Technikern usw. zu Hilfe kommen würde. Der Beginn des Sozialismus und damit verbunden das Absterben des Staates ist nur auf der Grundlage höherer Produktivität als im höchstproduktiven kapitalistischen Land, d.h. der USA, möglich.

Die vereinigten sozialistischen Staaten von Europa als Schritt zum weltweiten sozialistischen Staatenbund hätten dies ohne Zweifel ermöglicht. Aber die Isolation der Revolution in einem Land, einem rückständigen noch dazu, führte zur bürokratischen Degeneration, die von Stalin verkörpert wurde. Die Massen wurden von der bürokratischen Elite beiseite gefegt und hatten nichts mehr zu sagen.

In Kuba waren Kontrolle und Verwaltung gleich von Beginn an in den Händen Castros und seiner Anhänger konzentriert, bei den Staatsfunktionären, der regierenden Partei, der Armee usw. Der Charakter des Regimes ließ sich an der Haltung der russischen Bürokratie gegenüber Kuba ablesen, die ganz anders war als ihre Haltung zur ungarischen Revolution 1956. Die Existenz von Räten in Ungarn und die Macht in den Händen der Massen waren eine tödliche Gefahr für die bürokratischen Emporkömmlinge. Hätte man die Revolution gewähren lassen, hätten ähnliche Aufstände – politische Revolutionen – auf Osteuropa und Russland selbst übergegriffen. Es konnte für die Bürokratie keinen Kompromiss mit der ungarischen Revolution geben. Der „liberale“ Chruschtschow war entschlossen, die Revolution in Blut zu ertränken.

Dem Castro-Regime reichte die russische Bürokratie ihre Hand. Tatsächlich wäre die kubanische Revolution ohne russische Hilfe im Volumen von einer Million Dollar pro Tag zusammengebrochen. 40 Prozent des kubanischen Außenhandels werden mit Russland abgewickelt. 95 Prozent der Ölimporte kommen aus Russland. Die russische Bürokratie bezahlt heute 30 Cent für ein Pfund kubanischen Zuckers. Als das Abkommen 1975 unterzeichnet wurde, waren es nur 14 Cent, ursprünglich sollte dieses Abkommen bis 1980 gelten. Außerdem wurde die Bezahlung der enormen Schulden Kubas bei Russland, die zwischen 3 und 4 Milliarden Dollar lagen, durch das selbe Abkommen aufgeschoben.

„Wess’ Brot ich ess, dess’ Lied ich sing’.“ Angeblich hat ein russischer Botschaftsangestellter während eines Streits mit dem kubanischen Regime arrogant verkündet: „Wir müssen nur sagen, dass die Reparaturen in Baku drei Wochen lang gestoppt werden müssen und das wär’s dann.“

Es gab natürlich Differenzen zwischen Castro und der russischen Bürokratie sowie mit deren Messdienern in den „kommunistischen“ Parteien Lateinamerikas. Aber die kubanische Revolution war keine Bedrohung für die privilegierte Elite in Russland. Im Gegenteil, der Aufbau eines dem eigenen ähnelnden Regimes vor der Haustür des US-Imperialismus half, die Macht und das Prestige der russischen Bürokratie zu festigen.

Geplante Wirtschaft

Die gewaltige Wirtschaftshilfe und die aus einer geplanten Wirtschaft resultierenden Vorteile führten zu einer starken Entwicklung der kubanischen Gesellschaft, vor allem im Vergleich mit der Arbeitslosigkeit, dem Hunger und Elend, die den Rest Lateinamerikas plagen. Praktisch in jedem Bereich ist der Lebensstandard der Kubaner weit höher als bei den lateinamerikanischen Nachbarn. Die Sterblichkeitsrate bei Kindern war 1975 mit 27,4 pro Tausend Geburten die geringste in ganz Lateinamerika.

Die Lebenserwartung in Kuba liegt jetzt bei 69,2 Jahren, verglichen mit 45,3 Jahren in Bolivien, 58,8 in Kolumbien, 59,7 in Brasilien und 60,6 in Chile. Vor 1959 gingen rund die Hälfte aller Kinder im Grundschulalter überhaupt nicht zur Schule. Heute gehen alle zur Schule, es gibt fast 2 Millionen Grundschüler verglichen mit weniger als 720.000 vor 1959, außerdem 79.000 Grundschullehrer, 1959 waren es 17.000. Für alle Kinder gibt es vom 45. Tag an Kinderkrippen. Hugh Thomas gesteht zu: „Nur wenige sterben wegen Unterernährung. Auf dem Land, vor allem in der Provinz Oriente, scheinen die sehr armen Bauern besser ernährt als vor der Revolution … die Arbeitslosigkeit ist ohne Zweifel gefallen, obwohl viele Frauen, die vorher an Heim und Herd gefesselt waren, jetzt in die Wirtschaft gehen.“

Man vergleiche das mit Argentinien, wo geschätzt wurde, dass der Lebensstandard um 50 Prozent gefallen ist, seitdem die Armee an die Macht gekommen ist. Auch aus einer unerwarteten Richtung kam eine Bestätigung der Entwicklung Kubas seit der Revolution. Pat Holt, Sekretär des Senatausschusses für auswärtige Beziehungen, sagte im Juni 1974: „1973 hatte das Land das zweithöchste Pro-Kopf-Einkommen Lateinamerikas (1.578 Dollar)nach Venezuela.“ Und Venezuela liegt nur wegen seiner reichhaltigen Ölreserven vor Kuba.

Auf der anderen Seite ist Kuba ein überwiegend agrarisches Land mit Zucker als wichtigstes Produkt geblieben. 1974 kamen 85 Prozent der Gewinne aus dem Außenhandel vom Zucker. Gleichzeitig gab es eine Entwicklung der Industrie. Zwischen 1959 und 1965 stieg die industrielle Produktion um 50 Prozent. 1975 wuchs die Wirtschaft um ca. 9 Prozent. Nickel hat Tabak als zweitwichtigstes Exportgut des Landes nach Zucker überholt. Die Stahlproduktion soll in der nächsten Phase um ca. eine Million Tonnen erhöht werden. So beeindruckend diese Erfolge sind, sie sind nichts im Vergleich mit dem, was auf der Basis der Arbeiterdemokratie hätte erreicht werden können.

Missmanagement, gewaltige Verschwendung und ein Zick-Zack-Kurs in der Wirtschaftspolitik sind ohne die Planung, den Abgleich, die Kontrolle und die Initiative unvermeidlich, die nur durch Arbeiterdemokratie entstehen können. Die Planwirtschaft braucht dies wie der Körper den Sauerstoff. Ohne Arbeiterdemokratie verstopfen die Poren der Wirtschaft und es ist unvermeidlich, dass der gesellschaftliche Organismus von Krankheiten befallen wird. Diese Situation sehen wir jetzt in Russland und Osteuropa, wo die bürokratische Kaste um Breschnjew und Co. zu einer absoluten Bremse für die weitere Entwicklung der Gesellschaft geworden ist. In einem unterentwickelten Land wie Kuba kann die Bürokratie noch immer eine relativ fortschrittliche Rolle dabei spielen, die Industrie zu entwickeln, indem sie die Technologie der entwickelten Länder nutzt und versucht, gegenüber ihnen aufzuholen – allerdings zu hohen Kosten. Misswirtschaft und Verschwendung sind seit den ersten Tagen der kubanischen Revolution bekannt.

1963 akzeptierte Castor in einer ersten Welle von Enthusiasmus Chruschtschows Angebot von 1.000 Traktoren, um die Zuckerernte zu mechanisieren. Erst nachdem sie nach Kuba geliefert worden waren, wurde festgestellt, dass sie für das Schneiden von Zuckerrohr, für das Spezialmaschinen nötig sind, ungeeignet sind. Zur gleichen Zeit beschimpfte Che Guevara in einer geheimen Rede „für die private Verwendung politischer und wirtschaftlicher Führer“ (Karol, „Guerillas in Power“) die Manager wegen der miesen Qualität vieler Produkte: „Es gibt zur Zeit einen Mangel an Zahnpasta … Erst als die Reserven zur Neige gingen und keine neuen Rohstoffe mehr kamen, handelten die Verantwortlichen … unverzagt schafften es die Genossen, eine Zahnpasta zu machen, die dem Auge gefiel und so weiß war wie jede andere, aber die nach einer Weile hart wird … nach einigen Monaten werden sich die Leute beschweren, weil wir ihnen Steine in Tuben verkaufen.“

Von oben nach unten

Guevara und Castro klagten über die Symptome aber waren nicht in der Lage, die Krankheit zu diagnostizieren oder gar die heilenden Mittel zu verschreiben. Eigenmächtige Entscheidungen und Produkte niedriger Qualität sind eine Begleiterscheinung jedes Regimes, wo die „Macher“ sich nicht der Kritik der Massen, Wahlen und Abwahl stellen müssen. So hatten Krisen und Kursänderungen in der Wirtschaftspolitik das Castro-Regime von Beginn an geprägt. 1961 sagte Guevara voraus, dass Kuba in 12 Monaten ein Industrieland werden würde! Angesichts der Schwäche der kubanischen Wirtschaft war solch eine Perspektive vollkommen utopisch, selbst mit der enormen Hilfe der russischen Bürokratie. Kurze Zeit später musste diese Perspektive der Konzentration auf die Landwirtschaft und vor allem der auf den Zucker weichen. Aber die Ziele der Zucker-Produktion wurden durch die Spitzen entschieden und den Massen lediglich präsentiert.

Die wirklichen Potenziale einer geplanten Wirtschaft können nur durch eine umfassende Diskussion unter den Massen ermittelt werden. So können diese die notwendigen Korrekturen, Ergänzungen usw. vornehmen. Ohne diese Diskussion und ohne das Sich-Stützen auf die Initiative der Massen werden Fehler und Stümperei bei der Umsetzung der Pläne unvermeidlich. Dies bewahrheitete sich in Kuba in Bezug auf die Zuckerindustrie. Castro erklärte, Kuba würde es bis 1970 schaffen, 10 Millionen Tonnen Zucker zu produzieren. Doch die folgenden Jahre machten deutlich, und selbst dann wären immer noch die Launen des Wetters und dessen Auswirkungen auf die Landwirtschaft zu bedenken gewesen, dass dies nur auf der Basis der Mechanisierung der Landwirtschaft und der Entwicklung der Industrie möglich gewesen wäre. Nur das hätte die harmonische Entwicklung von Industrie und Landwirtschaft ermöglicht.

Leo Trotzki bewies in seiner Kritik an Stalins Stümperhaftigkeit in der Agrarfrage, dass ein Regime des bürokratischen Absolutismus eine ausgewogene Beziehung zwischen Industrie und Landwirtschaft unmöglich macht. Castro beging nicht die selben Verbrechen wie Stalin. Doch auch er versuchte, Kubas Mangel an technischen und industriellen Mitteln durch die massive Nutzung freiwilliger Arbeit und manchmal sogar durch Zwangsarbeit auszugleichen, um die beschlossenen Ziele zu erreichen. Bei der Zuckerernte 1970 wurden 400.000 Kubaner mobilisiert, um das Ziel von zehn Millionen Tonnen Zucker zu erreichen. Industriearbeiter, Hausfrauen und Jugendliche wurden zur Einbringung der Ernte mobilisiert, die Kosten der Unterbrechungen und Beeinträchtigungen in der Industrie waren gewaltig. Es wurden trotzdem nur 8,5 Millionen Tonnen produziert. 1975 waren es nur 5,4 Millionen Tonnen. Für 1980 ist geplant, 8,7 Millionen Tonnen zu produzieren. Das ist eine klare Demonstration, dass die vorherigen Ziele auf der Basis des derzeitigen Regimes praktisch nicht zu erreichen waren.

Diesen Zielen ging die „Große Revolutionäre Offensive“ voraus, eine kubanische Version der „Kulturrevolution“. Anschuldigungen gegen die „Bürokratie“ und die praktische Militarisierung der Arbeit wurden mit Erklärungen verbunden, Kuba „bewege sich Richtung Kommunismus“ sowie mit einer Kampagne, Kleinunternehmen abzuschaffen. 1968 wurden ungefähr 58.000 Kleinbetriebe, darunter Geschäfte, Stände und 9.179 Handwerker, die selbständig arbeiteten, verstaatlicht. Die Regierung behauptete damals, Kuba sei jetzt das „sozialistische Land mit dem größten verstaatlichten Sektor“. Doch die Abschaffung sämtlicher kleiner Läden, ohne dass die Bedingungen geschaffen waren, die den Staatsbetrieben ermöglicht hätten, ausreichend Produkte – vor allem Konsumgüter – herzustellen, führte zur Verschärfung des allgemeinen Mangels. Dies wiederum ließ die Unzufriedenheit anwachsen. Weitere Ziele der Kampagne waren, die Privilegien der Bürokratie zu beschneiden, um notwendige Mittel für die Industrialisierung und die Mechanisierung der Landwirtschaft freizusetzen sowie eine Verschärfung des Tempos, um den Plan zu erfüllen. Dies war von der Regierung nach eigenem Gutdünken entschieden worden. Castro stellte in Bezug auf den Lebensstandard reichlich kühne Thesen auf. 1960 prophezeite er, Kuba würde bis 1965 einen mit Schweden vergleichbaren Lebensstandard haben. Im darauffolgenden Jahre wurde eine scharfe Rationierung von Lebensmitteln und Kleidung eingeführt! Rationierungsmaßnahmen hielten bis in die 70er Jahre an und wurden für einige Konsumgüter erst in den letzten Jahren aufgehoben oder gelokkert.

Für die vereinigten sozialistischen Staaten der Karibik und Lateinamerikas

Castro sah sich in der Sackgasse und war gezwungen, seinen Kurs zu ändern. So gab er im November 1973 beim Gewerkschaftskongress zu, „Kuba war noch nicht reif für den Kommunismus und musste in einigen Bereichten wegen der revolutionären Unerfahrenheit vieler Kubaner und der niedrigen Wachstumsrate in einigen Bereichen der Industrie Rückschritte machen.“ Am 14. Januar 1974 gestand er ein, dass „mehr Arbeiter für die gleichen Arbeiten gebraucht werden als zu der Zeit, wo die Betriebe US-Konzernen gehörten.“

1966 betrug der nationale Durchschnitt in Kuba vier produktive Arbeitsstunden am Tag. Fehlzeiten in der Leichtindustrie waren auf 16 Prozent, in der Nahrungsmittelindustrie auf 31 Prozent angestiegen. Castro erklärte 1975: „Das Volk kann jeden ersetzen, mich eingeschlossen, wenn sie wollen“ und rief zu mehr Beteiligung bei Entscheidungen auf. In Wirklichkeit gab es keine demokratischen Kanäle für die Massen, um die Politik ihrer Führer zu verändern. KS Karol kommentiert: „Alle Organe [der KP] vom Zentralkomitee bis zum Büro auf niedriger Ebene werden von oben ernannt, durch Fidel Castro und seine engsten Mitstreiter.“

Die castristische kubanische KP wurde 1965 gegründet, hielt ihren ersten Kongress jedoch 1975 ab! Selbst während des russischen Bürgerkrieges hielt die bolschewistische Partei unter Lenin und Trotzki jährlich ihre Konferenz ab.

Es blieb Dr. Jorge Risquest, Castros Arbeitsminister, überlassen, zumindest eine Ahnung der wahren Gründe der Misere zu vermitteln. Im Juli 1975 gab er zu, „die wirtschaftlichen Probleme des Landes [resultieren] hauptsächlich aus dem weitverbreiteten passiven Widerstand der Arbeiter.“ Er räumte ein, „dass es „keinen angemessenen Beziehungen zwischen den Arbeitern einerseits und der staatlichen Verwaltung, den Funktionären der kommunistischen Partei und den Gewerkschaften andererseits gibt.“ Um die sich häufenden Beschwerden gegen die Bürokratie zu zerstreuen, wurde 1975 ein Entwurf für eine Verfassung vorgelegt, mit der die sogenannte „Volksmacht“ errichtet werden sollte. In der Provinz Matanzas wurden im selben Jahr testweise Wahlen zu den „städtischen Versammlungen“ abgehalten. Normalerweise standen zwei Kandidaten zur Wahl, manchmal nahmen jedoch bis zu 15 an der Wahl teil.

Eine Partei

Der Trick dabei war, dass alle Kandidaten Mitglieder der „kommunistischen“ Partei oder ihren Unterorganisationen wie der dem Bund der jungen Kommunisten sein mussten! Mit anderen Worten, die Wahlen waren ein Farce. Man stelle sich die Reaktion der britischen Arbeiter vor, wenn man ihnen sagen würde, sie könnten bei einer Vertrauensleute- oder Gewerkschaftswahl nur die Kandidaten einer Partei wählen.

Die Befürworter des castristischen Regimes – unter ihnen auch einige angebliche „Trotzkisten“ – wenden ein, dass Castro in der Vergangenheit nicht gezögert hätte, die Bürokratie zu beschuldigen, vor allem die russische Bürokratie, indem er sie als „Pseudo-Revolutionäre“ bezeichnete. Außerdem, so sagen sie, hätte Castro versucht, die Revolution auf das lateinamerikanische Festland auszubreiten und wäre dabei in einen Konflikt mit den „kommunistischen“ Parteiführern der Region geraten. Stalin, Mao Tse-Tung und Tito haben alle zu ihrer Zeit die „Bürokratie“ beschuldigt. Aber sie griffen damit die Exzesse ihres eigenen Systems auf, nutzten die aufälligsten und krassesten Fälle von bürokratischer Misswirtschaft, Verschwendung und Gier, um die Privilegien der Kaste, die sie vertraten, insgesamt umso besser verteidigen zu können. Castro stieß mit der russischen Bürokratie zusammen, als die Interessen des kubanischen Staates gefährdet waren. Daher beschuldigte er Aníbal Escalante 1962 und 1968 ein Erzbürokrat zu sein.

Doch hinter dem Konflikt um Escalante stand der Streit zweier nationaler Bürokratien. Escalante war schon vor dem Zusammenschluss der „Kommunisten“ mit den Castristen ein KP-Führer gewesen. Er war ein gefügiges Werkzeug der russsischen Bürokratie und verbreitete die Kritik, die diese hinter vorgehaltener Hand an Castro äußerte. Er klagte Castro an, „undankbar“ gegenüber seinen russischen Wohltätern zu sein und verurteilte dessen „Abenteurertum“ auf dem lateinamerikanischen Kontinent. Wie mit ihm umgegangen wurde, spricht jedoch auch gegen die Methoden Castros.

Guerilla-Krieg

Escalante wurde beschuldigt, eine „Mikro-Fraktion“ zu organisieren, dieses Verbrechen existierte jedoch laute kubanischem Gesetz gar nicht. Man vergleiche die Haltung Castros mit der Lenins zur Zeit des russischen Bürgerkrieges. Lenin gestand Bucharin, Radek und anderen zu, eine Tageszeitung zu veröffenlichten, die leidenschaftlich gegen Lenins Haltung zum Friedensvertrag von Brest-Litowsk und damit zusammenhängenden Angelegenheiten argumentierte.

In der ersten Phase, als die Lava der Revolution noch nicht abgekühlt war, konnten wir Zeugen der „Zweiten Erklärung von Havanna“ werden, die brillant das Elend der lateinamerikanischen Massen beschrieb und zur Revolution aufrief. Che Guevara wurde während des heldenhaften aber sinnlosen Abenteuers in Bolivien ermordet. Doch Castro griff die opportunistischen „kommunistischen“ Parteien – vor allem in Venezuela – nicht wegen ihrer Aufgabe der revolutionären Perspektive an, sondern wegen ihrer Weigerung, die Waffen zu ergreifen und seiner Guerilla-Strategie zu folgen. Zu keinem Zeitpunkt orientierte sich Castro auf die mächtige Arbeiterklasse Lateinamerikas als dem Dreh- und Angelpunkt für die sozialistische Veränderung. Die Guerilla-Erfahrung der kubanischen Revolution sollte künstlich auf den Kontinent übertragen werden, alle Hoffnung wurde auf die Bauernschaft gesetzt. Der Grund für diesen Versuch, die Erfahrung der kubanischen Revolution in Lateinamerika zu wiederholen, war das brutale Handelsembargo, das der US-Imperialismus und seine Satelliten Kuba aufgezwungen hatten.

Die Außenpolitik ist die Fortsetzung der Politik im Inneren. Die Festigung der kubanischen Bürokratie zusammen mit der Abschwächung des Boykotts führten zu einer Änderung der Außenpolitik des Regimes. Es gab Versuche, sich mit dem USImperialismus und seiner Gefolschaft in Lateinamerika zu arrangieren, was zur Abschwächung

selbst der verbalen Unterstützung für die Revolution im Kontinent führte. Als die getarnte Militärdiktatur im Mexiko im Oktober 1968 mehr als 300 Studenten ermordete kam kein Wort des Protestes von der kubanischen Regierung oder der KP. Die Studenten hatten erklärt, sie würden Kuba unterstützen, aber Mexiko war eines der wenigen kapitalistischen Länder, welches die diplomatischen Beziehungen mit Kuba aufrechterhalten hatte. Die nationalen Interessen des kubanischen Staates waren hier wichtiger als die internationale Solidarität. Auch herrschte in Havanna eisernes Schweigen, als zehn Millionen Arbeiter in Frankreich die Fabriken besetzten und den Kapitalismus in Europa und weltweit bis in seine Grundfesten erschütterten. Nicht einmal eine Solidaritätsbotschaft für die französischen Studierenden kam von der staatlichen kontrollierten Studentenbewegung, der UJC-FEU.

Diese Tendenz wird verstärkt werden, wenn der Boykott des US-Imperialismus gegen Kuba aufgehoben und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern aufgenommen werden. Die Carter-Regierung ist bereit, das kubanische Regime anzuerkennen, wenn es sein Engagement auf dem afrikanischen Kontinent

beendet. Mit unverhohlener Befriedigung hat der US-Imperialismus registriert, dass das Castro-Regime seine früheren „Abenteuer“ in Lateinamerika aufgegeben hat.

Privilegien

Unter seinen glühendsten Anhängern in Lateinamerika hat die Desillusionierung über Castro begonnen. 1967 griff Castro die venezolanische „kommunistische“ Partei an und unterstützte den Guerilla-Kampf von Douglas Bravo. Doch 1970 „stoppten die Castristen laut Bravo die Hilfe für die lateinamerikanische Revolution in dem Moment, als sie sich entschieden, sich auf ihre eigenen ökonomischen Probleme zu konzentrieren und enger mit der

Sowjetunion zusammenzurücken.“ Castro unterstrich den Charakter seines Regimes als er die Intervention der russischen Bürokratie in der Tschechoslowakei 1968 unterstütze. Kurz danach meinte einer seiner Minister, Llanusa, zu Studenten: „Wir sollten hier nicht etwas wie in der Tschechoslowakei erleben.“ Diese Entwicklungen sind nicht irgendeine Art von Verirrung. Ideen fallen nicht vom Himmel. Von politischen Führern ausgesprochen, widerspiegeln sie die materiellen Interessen von Klassen und sozialen Gruppen in der Gesellschaft.

Die kubanische Bürokratie fürchtet inzwischen sowohl die sozialistische Revolution im Westen als auch die politische Revolution im Osten. Beides würde die Ersetzung der bürokratischen Elite durch eine Arbeiter- und Bauerndemokratie und die Abschaffung ihrer Privilegien bedeuten. Castro ist der Vertreter und der oberste Gebieter der kubanischen Bürokratie. Seine Haltung sowohl zu Frankreich als auch zur Tschechoslowakei lässt ahnen, welche Angst die wachsende kubanische Elite angesichts dieser Ereignisse ergriffen hatte.

Die Elemente der Arbeiterkontrolle, die Arbeitermilizen usw., die es in der ersten Phase der Revolution gab, sind schon längst geschwächt oder ganz abgeschafft. KS Karol schreibt:„Die Kubaner erzählen nicht mehr stolz von ihrer Arbeitermiliz oder den Komitees zur Verteidigung der Revolution. Letztere haben nur noch rein repressive Funktionen.“ Die Privilegien dieser Schicht existierten von Beginn der Revolution an. Aber auf dem niedrigen wirtschaftlichen und kulturellen Niveau konnten die Unterschiede zwischen Arbeiter und Bauern auf der einen, der Bürokratie auf der anderen Seite, nie so groß sein wie Russland oder Osteuropa. Trotzdem merkt KS Karol an, dass er schon 1963 in einer Fabrik einen Ingenieur getroffen, der ein 17fach höheres Gehalt erhielt als ein Arbeiter. Er nennt andere Vergünstigungen und Privilegien der Bürokratie wie „hochklassige“ Restaurants wie „Monseñor“, das „Torre“, das „1830“, das „Floridita“, welche gewaltige Preise für ein Essen verlangen. Auf der Parteikonferenz der KP 1975 wurde beschlossen, Kubanern zu erlauben, Autos zu kaufen – was bis dahin ein Vorrecht der Partei- und Staatsfunktionäre war!

Mit der Weiterentwicklung der kubanischen Wirtschaft werden diese Unterschiede nicht verschwinden, sondern wachsen. Aber mit der Differenzierung der kubanischen Gesellschaft wird auch die Opposition gegen das drückende gesellschaftliche Klima wachsen, das von der herrschenden privilegierten Funktionärsschicht geschaffen wurde.

Herrschte in der ersten Phase eine relativ liberale Atmosphäre, so ist das Niederhalten sämtlicher Abweichung zur Norm geworden. 1962 konnte man in Havanna noch die Werke Leo Trotzkis kaufen, Kultur und Kunst blühten auf. Jetzt haftet an allem der muffige Geruch der Bürokratie. Die unorthodoxen Schriftsteller, Dichter und Künstler wie Padilla werden vom Regime schikaniert. Wie in Russland, China und Osteuropa scheint die Tolerierung von Freiheiten für Künstler die Gefahr heraufzubeschwören, dass die Massen die gleichen Recht auch für sich verlangen. Die ungarische Revolution begann mit der Opposition der Schriftsteller, die sich im Petöfi-Kreis versammelten.

Die kubanische Revolution hat das gewaltige Potenzial von Verstaatlichung und einer geplanten Produktion deutlich gemacht. Allein die Statistiken für Gesundheitsversorgung, Bildung, soziale Sicherheit und die Entwicklung der Wirtschaft beweisen, dass sie absolut gerechtfertigt war. Sie hat der Revolution in der Karibik

und Lateinamerika großen Auftrieb gegeben.

Aber weil die Revolution in einem rückständigen Land stattfand, dazu mit einer Führung, die sich vorwiegend auf die Bauernschaft stützte und gewissermaßen einen national beschränkten Horizont hatte, war die bürokratische Entartung unvermeidlich. Ohne Zweifel hat das Castro-Regime noch immer viel mehr Unterstützung im Volk als die stalinistischen Regime in Russland und Osteuropa. Aber die Entwicklung der Industrie wird auch zum Wachstum der Arbeiterklasse führen und damit zum verstärkten Aufkommen von Forderungen nach Arbeiterdemokratie. Außerdem werden politische Revolutionen in Osteuropa oder die soziale Revolution in Europa, Amerika oder Japan Auswirkungen auf Kuba haben.

Der Sieg der sozialistischen Revolution zum Beispiel in Argentinien oder Brasilien würde dramatische Auswirkungen auf Kuba haben. In diesen Ländern ist das soziale Gewicht der Arbeiterklasse so entscheidend, dass die sozialistische Revolution sich ähnlich wie die russische Revolution entwickeln würde. Ein Sieg der Arbeiterklasse in einem dieser Länder würde zur explosionsartigen Ausbreitung der sozialistischen Revolution auf dem ganzen Kontinent und zu einer neuen Revolution in Kuba führen – dieses Mal zu einer politischen Revolution zur Schaffung einer Arbeiterdemokratie.

Die Länder Mittel- und Südamerikas, selbst Nordamerikas, würden zusammen mit der Karibik in einen großen sozialistischen Staatenbund von Nord- und Südamerika gezogen werden wie Metallspäne in Richtung eines Magneten. Die kubanische Revolution hat das gewaltige Potenzial aufgezeigt, welches in der geplanten Wirtschaft steckt. Aber selbst diese Errungenschaften werden gegenüber den großartigen Möglichkeiten verblassen, die sich durch die Arbeiterdemokratie und einen sozialistischen Staatenbund ergeben würden. Die kubanische Revolution zeigt, dass nur die sozialistische Revolution und die Arbeiterdemokratie eine Erlösung der Arbeiter und Bauern Lateinamerikas und der Karibik vom Alptraum des Feudalismus und Kapitalismus bringen können.