Ende Gelände im rheinischen Braunkohlerevier

Bericht von einem Aktivisten

Im rheinischen Braunkohlerevier und insbesondere im Hambacher Forst kämpfen seit Jahren Aktivist*innen für den Umweltschutz, den Kohleausstieg und gegen den Kapitalismus. Dieser Kampf nimmt in den letzten Jahren immer mehr Fahrt auf und erreicht Teile der Bevölkerung, die sich vorher noch nicht mit der Bewegung identifizierten.

von Tobias Koschmieder, Aachen

Neben einer ungefähr sechs Jahre anhaltenden Dauerbesetzung, gab es Solidemos und Waldspaziergänge, zu denen in den letzten Monaten wöchentlich mehrere tausend Menschen gekommen sind und die in einer Großdemo mit 50.000 Menschen gipfelten.

Zusätzlich zu den Demonstrationen gibt es seit 2015 regelmäßige Massenaktionen des zivilen Ungehorsams organisiert von Ende Gelände (ende-gelände.org).

Ziviler Ungehorsam bedeutet, bestehende Gesetze zu übertreten, um legitimen Forderungen Nachdruck zu verleihen oder sie selber durchzusetzen.

Hierzu wird in der Regel ein Aktionskonsens gebildet, dem die Teilnehmenden zustimmen. Im Fall von Ende Gelände bedeutet das z.B. Gewalttfreiheit und keine mutwillige Zerstörung von Eigentum.

Ende Gelände 2018

Bei der Massenaktion am 27. Oktober sollte es darum gehen, die Kohleinfrastruktur im rheinischen Braunkohlerevier (zwischen Aachen und Köln) durch Blockaden zum Stillstand zu bringen. Diese Blockaden sollten bis zum nächsten Tag gehalten werden. Um schwieriger aufgehalten zu werden, teilen sich die Teilnehmer*innen in sogenannte Finger auf, die autonom agieren können. Diese Finger wiederum bestehen aus Bezugsgruppen, die jeweils für sich organisiert sind. Gemeinsame Entscheidungen werden auf Delegiertenplena besprochen und entschieden.

Ende Gelände will dadurch das teilweise oder sogar vollständige Herunterfahren der umliegenden Braunkohlekraftwerke erreichen, um so zu zeigen, dass wir schon jetzt auf Braunkohle verzichten können.

Ende Gelände schreibt dazu:

„Kohle muss im Boden bleiben, um eine Klimakatastrophe zu verhindern. Alle wissen es, doch nichts passiert. Die Bundesregierung stützt die klimaschädlichen Industrien und missachtet ihre eigenen, unzureichenden Klimaziele. Anstatt sofort die Kohlekraftwerke abzuschalten, verschwendet sie weitere wertvolle Zeit mit einer Kommission voller Kohleausstiegsbremser. Doch wir haben keine Zeit mehr: Menschen leiden bereits jetzt unter Dürren, verlieren durch Extremwetter-Ereignisse ihr Zuhause und kommen durch klimabedingte Infektionen und Hunger zu Tode. Deshalb ist es unsere Aufgabe, die Klimazerstörung jetzt dort zu stoppen, wo sie produziert wird.“ (https://www.ende-gelaende.org/de/aufruf-2018/)

Pinker Finger

Ich wollte mit einer kleinen Bezugsgruppe an der Aktion teilnehmen. Leider war es uns nicht möglich an den Vorbesprechungen teilzunehmen. Deshalb konnten wir uns erst am Tag der Aktion von der Solidemo aus informieren, wie wir noch mitmachen können.

Vor Ort hörten wir davon, dass der pinke Finger Zufahrtswege des RWE-Geländes blockieren solle. Wir wären zwar lieber in den Tagebau gegangen, aber diese Aktionsform stellte eine niedrigere Repression in Aussicht, also haben wir uns dem Finger angeschlossen.

Zu Beginn ist unser Finger innerhalb der Solidemo unterwegs gewesen, so ist es für die Polizei schwieriger einzuschätzen, wann sich wieviele Menschen wohin auf den Weg machen.

Kurz vor der Ortschaft Morschenich brach unser Finger aus der Demo aus. Wir liefen quer Feld ein und 6 berittene Polizist*innen formierten sich, um uns den Weg abzuschneiden.

Da unser Finger aus mehreren hundert, laut einer Schätzung sogar aus 1000, Menschen bestand, war es nicht sonderlich schwer, die berittenen Polizist*innen zu umlaufen.

Einige Meter weiter starteten die Polizist*innen dann einen weiteren erfolglosen Versuch uns aufzuhalten.

Danach ging es erstmal ziemlich ruhig über ein Feld auf ein Waldstück zu. Hier hatte ich die Möglichkeit, mich umzublicken und wahrzunehmen, dass sich in unserem Finger nicht nur junge, dem Klischee entsprechende Aktivist*innen befanden, sondern auch ganze Familien mit ihren Kindern und ältere Menschen.

Alle mit dem Ziel ihrem Protest friedlich, aber mit Bestimmung, Ausdruck zu verleihen und bereit dafür bestehendes Recht zu hinterfragen, wenn es statt der Umwelt die Profite eines Konzerns schützt.

Wir steuerten auf ein Waldstück zu. Von links und rechts zogen Polizist*innen auf, um uns daran zu hindern.

Allein durch unsere große Menge war es möglich durch die Polizeikette durchzukommen.

Sehr vereinzelt ist es hier zu Pfeffersprayeinsatz gekommen, was den Großteil der Menschen allerdings nicht aufhalten konnte.

Teile unserer Bezugsgruppe hatten schon vor der Aktion angekündigt, dass sie in einem solchen Falle nicht weiter mitkommen würden, weshalb sich unsere Gruppe verkleinerte.

Nach Durchquerung des Waldstückes überquerten wir ein Feld, was uns zum Ziel unseres Fingers brachte. Der Hambachbahn.

Das machte es notwendig in unserer Bezugsgruppe darüber zu diskutieren, ob wir an der Besetzung der Bahnschienen teilnehmen wollen, da hier unter Umständen mehr Repressionen zu erwarten sind, als bei anderen Blockadeformen.

Währenddessen strömten hunderte von Menschen auf die Schienen, um sich dort niederzulassen. Es war jetzt ca. 14:30 Uhr.

Aufgrund der friedlichen Atmosphäre, bisher positionierte sich die Polizei nur am Rand der Bahndämme, beschlossen wir auf die Schienen zu gehen und uns später neu zu beraten.

Auf den Schienen

Auf den Schienen war die Stimmung sehr gut und kämpferisch. Es wurden Essen und Getränke geteilt, miteinander gespielt und jede*r, der*die sich der Blockade anschloss, wurde bejubelt.

Parallel wurden Lieder gesungen, Musik gemacht und Sprechchöre gerufen.

Das erste Delegiertenplenum wurde einberufen, wo grundsätzliche Dinge besprochen worden, wie z.B. wo der Toilettenbereich hin soll, ob es allen gut geht und vor allem, dass auf den Schienen, aufgrund des Kohlestaubes, nicht geraucht werden darf.

Zusätzlich sollten sich die Bezugsgruppen mit mehren Gruppen zusammenschließen, da das Delegiertenplenum sonst auf Dauer zu groß wäre.

Während wir uns also zu größeren Gruppen zusammenschlossen und darüber diskutierten, ob und wie lange wir bleiben wollen, erreichte uns der rote Finger, welcher, wie ich später erfuhr, über die bereits zuvor gesperrte Autobahn zu uns gekommen ist.

Nun waren wir fast 2000 Menschen auf den Schienen, laut Ende Gelände insgesamt sogar 4000. Im Falle einer Räumung, hätte die Polizei also jede*n einzeln den Bahndamm hinauf tragen müssen oder einen Zug zum Abtransport besorgen müssen.

Auf den Schienen half mensch sich solidarisch weiter und die Polizei machte keinerlei Anstalten mit einer Räumung auch nur zu beginnen. Währenddessen stießen vereinzelt weitere Kleingruppen zu der Besetzung.

Leider wollte die Polizei die Support-Crew nicht mit warmen Essen, Klamotten und Decken durchlassen, was uns aber nicht daran hinderte, uns auf die bevorstehende Nacht vorzubereiten.

Die Polizei begann nun regelmäßige Durchsagen, dass es für Menschen, die die Besetzung freiwillig verlassen, keine erkennungsdienstliche Behandlung drohen würde.

Das und das Aufhalten der Support-Crew sollte zu Demotivation und Zermürbung der Blockierenden und so zu einer schnellen freiwilligen Aufgabe der Blockade führen.

Abend

Im Laufe des beginnenden Abends verabschiedeten sich viele Menschen aus der Blockade. Hierzu wurden vorher Zeiten vereinbart, damit Menschen nicht alleine gehen mussten.

Es blieben allerdings noch ungefähr 1000 Menschen in der Blockade, mit dem Vorsatz die Nacht dort zu verbringen.

Nacht

Die Nacht war ziemlich kalt, aber es wurde sich untereinander weitergeholfen und aufeinander aufgepasst.

Gegen 2:30 Uhr (das erste Mal, wegen der Zeitumstellung) schafften es einzelne Leute über Umwege Suppe und Klamotten an der Polizei vorbei zur Besetzung zu bringen.

Die Suppe war zwar nur noch lauwarm, sorgte aber für eine willkommene Stärkung.

Die gesamte Nacht über wiederholte die Polizei die Aufforderung, die Blockade freiwillig zu verlassen, um ohne Kontrolle gehen zu können.

Der nächste Morgen

Gegen sieben Uhr begann der Tag mit Sprechchören und gemeinsamen Frühsport, der von „Wir sind sportlich, was seid ihr?“-Rufen begleitet wurde.

Nach einem weiteren Deli-Plenum fingen wir gemeinsam an, unsere Sachen zusammen zu packen und den Müll einzusammeln.

Es wurde abenfalls ausgemacht gemeinsam um elf Uhr aufzubrechen, um in Richtung Ende Gelände-Camp zu gehen, von wo aus Shuttlebusse fahren würden.

Die Polizei versprach immer noch sanktionsfreien Abreise, bei freiwilligem Abzug, schüttete aber den Tee weg, den Unterstützer*innen bringen wollten.

Da meine Bezugsgruppe nicht noch einmal ins Camp wollte, beschlossen wir etwas früher aus der Blockade zu gehen, um zum Bahnhof und zurück nach hause zu kommen.

Wir sind dabei nicht von der Polizei kontrolliert worden, allerdings ließ die Polizei auch niemanden zur Besetzung durch, wer also einmal durchgegangen war, durfte nicht mehr zurück und auch die nächste Ladung Tee wurde nicht durch gelassen.

Der Großteil der Besetzung löste sich ca. um elf Uhr auf. Es blieben jedoch einzelne Bezugsgruppen vor Ort, um die Besetzung unter anderem mit sogenannten Lock-Ons länger aufrecht zu halten.

So wurde der Verkehr auf der RWE eigenen Strecke, auf der keine Personenzüge fahren, für etwas über 24 Stunden stillgelegt.

Gedanken zur Aktion

Insgesamt haben sich 6500 Menschen an diesem Protest beteiligt. Für RWE ist ein finanzieller Schaden entstanden, der bisher nicht beziffert wurde. Das Kraftwerk musste allerdings nicht runtergefahren werden.

Ich habe während der Aktion mit unterschiedlichsten Menschen gesprochen, von jungen Eltern über ältere Menschen, sogar mit einem Priester.

Die von den Gegnern der Bewegung beschworenen Chaot*innen, denen es nur um Zerstörung geht, habe ich aber nicht getroffen.

Stattdessen wurde von mehreren Menschen darauf hingewiesen, dass dies nicht zum Aktionskonsens gehören würde, als jemand vorschlug, die Bahn zu schottern, also die Gleise zu unterhöhlen.

Den meisten Menschen in der Blockade war bewusst, dass der Hauptklimakiller der Kapitalismus ist, allerdings fehlt bei vielen eine klare Vorstellung, wie man diesen überwinden kann.

Ich habe bei meinen Gesprächen nach Möglichkeit von meinen Erfahrungen, von der IG BCE-Demo, auf der ich ebenfalls war (https://www.archiv.sozialismus.info/2018/10/gewerkschaftsdemo-fuer-braunkohe-verhaertete-fronten-und-lehrreiche-erfahrungen/) und meinen Erfahrungen dort berichtet.

Natürlich gab es Menschen, denen die Situation der RWE-Angestellten egal war, aber der Großteil stimmte mir zu, dass Arbeitsplatzerhalt und Umweltschutz kein Widerspruch sind.

Um die Fronten zwischen der Umweltschutzbewegung und den Beschäftigten aufzubrechen, schlug ich vor die Angestellten in die Slogans und Forderungen mit einzubeziehen. Unser Kampf kann nicht gegen die Angestellten gewonnen werden, sondern nur mit ihnen.

Um einen sofortigen Kohlausstieg hinzubekommen, muss unsere Aufgabe jetzt sein, die Forderungen der Umweltbewegung und die der Angestellten miteinander zu verbinden.

Der Druck, den die Umweltbewegung zusammen mit den Gewerkschaften aufbauen könnte, wäre so groß, dass selbst der Forderung nach Enteignung von RWE und anderen Energiekonzernen nachgekommen werden müsste.

Dann lässt sich eine schnelle, arbeitplatzfreundliche und umweltschonende Energiewende hinkriegen, die demokratisch von Verbraucher*innen, Belegschaft und Regierung geplant wird.

Die Umweltbewegung muss die Sorgen, Nöte und Bedürfnisse der Angestellten ernst und mit in ihre Forderungen aufnehmen.

Zur Umsetzung braucht es ein Programm, dass Probleme, wie Durchführbarkeit und Finanzierung berücksichtigt.

Die SAV fordert deshalb:

  • Enteignung von RWE
  •  den sofortigen Ausstieg aus der Braunkohleverstromung
  •  Umstieg auf erneuerbare Energiequellen
  •  gleichwertige garantierte Beschäftigung für alle RWE-MitarbeiterInnen – bezahlt durch die Profite von RWE
  •  Investitionen in die Forschung