Kapitalismus macht krank

Junge Erwachsene sind zunehmend von psychischen Erkrankungen betroffen

JedeR sechste StudentIn ist psychisch krank. Diese schockierende Zahl wurde beim Arztreport 2018 veröffentlicht. Die Barmer Ersatzkasse wertete ihre Versichertendaten von 2005 bis 2016 aus und dabei kam heraus, dass psychische Diagnosen bei jungen Erwachsenen drastisch angestiegen sind.

Von Marlene Frauendorf, Berlin

Vor allem seien StudentInnen betroffen. Dabei galten diese immer als eine vergleichsweise gesunde PatientInnengruppe. Mit 18 sind sie nur halb so oft betroffen, wie Nichtstudierenden in ihrem Alter, im Verlauf des Studiums ändert sich das jedoch. Während bei jungen Nichtstudierenden das Depressionsrisiko ab 25 sinkt, steigt es bei Studierenden. Den jungen Erwachsenen insgesamt geht es jedoch noch schlechter. In dem genannten Zeitraum erhielt jeder vierte Mensch zwischen 18 und 25 eine psychische Diagnose. Allein bei der Diagnose Depression gab es einen Zuwachs von 76 Prozent.

Frauen sind dabei öfter betroffen als Männer und am größten sind die Raten der psychischen Diagnosen in Ballungszentren wie Berlin, Hamburg und Bremen.

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass junge Menschen unter einem hohen Druck stehen, auch wenn die Ursachen für psychische Krisen vielfältig und individuell unterschiedlich sind.

Mögliche Ursachen

Bereits in der Schule kommt es durch das mehrgliedrige Schulsystem zu einer Sortierung in gut und schlecht, die dafür sorgt, dass vielen SchülerInnen eine Berufswahl nach Wunsch verwehrt wird. Das kann zu großen Zukunfts- und Versagensängsten führen, wie zu einem niedrigen Selbstwertgefühl. Wird man von diesem auf Leistung und Konkurrenz basierenden System abgehängt, ist die Gefahr groß, in ein Loch zu fallen und das auch in jungem Alter.

Viele StudentInnen arbeiten neben ihrem Studium in prekären, meist befristeten Jobs. Bei immer weiter steigenden Mieten und Lebenshaltungskosten sind viele junge Erwachsene schon früh von Existenzängsten betroffen. Gerade Anfang diesen Jahres machte der Arbeitskampf der studentischen Beschäftigten in Berlin, die seit 16 Jahren keine Lohnanpassung mehr hatten, darauf aufmerksam.

Auch Auszubildende arbeiten oft in Beschäftigungsverhältnissen zu miesen Bedingungen. Viele bekommen eine viel zu niedrige Vergütung, müssen Überstunden leisten und sind auf Nebenjobs angewiesen. Diese Belastungen führen schon bei jungen Erwachsenen zu Burnouts und Depressionen.

Die Auswertung der Versichertendaten ergab auch, dass bei StudentInnen ab dem Alter von 29 das Risiko, an einer Depression zu erkranke,n am höchsten ist. Mit 29 haben viele StudentInnen gerade ihren Abschluss und müssen sich nun auf dem Arbeitsmarkt zurechtfinden. Die Aussichten sind hier nicht rosig. Es wird sich mit Zusatz- und Sonderqualifikationen übertroffen, um in das Profil der Unternehmen zu passen. Es wird erwartet, dass man immer bereit, engagiert und topfit ist. Viele finden sich dann in unsicheren Arbeitsverhältnissen wieder. Meist sind diese befristet und oftmals schlecht bezahlt. Es ist also kein Wunder, dass viele junge Erwachsene von Zukunfts- und Existenzängsten betroffen sind, wenn sie schon so früh die neoliberale Profitlogik zu spüren bekommen.

Dazu kommt, dass es in unserer Gesellschaft immer noch eine Hürde gibt, offen mit psychischen Krisen umzugehen. Obwohl sich in dem Punkt schon einiges getan hat, wird oft noch vermittelt, eine depressive Krise sei ein Zeichen von Schwäche, statt eine ernstzunehmende Erkrankung. Dabei sollten körperliche und psychische Erkrankungen gleichermaßen ernst genommen werden. Nur, weil eine Depression nicht sichtbar ist, ist sie nicht weniger bedrohlich und bedeutet nicht weniger Leid.

Hilfsangebote

Die Barmer schlägt niedrigschwellige Hilfsangebote vor. Zusammen mit ForscherInnen und Forschern schufen sie Online Trainings mit denen von psychischen Krisen Betroffene diese selbstständig meistern sollen. Obwohl Achtsamkeitstrainings auch eine Hilfe sein können, um mehr Bewusstsein für sich selbst zu schaffen und es Aufklärung, wie in diesen Online Trainings, braucht, greift dieser Ansatz zu kurz. Anstatt Betroffenen das Gefühl zu geben, schwierige Phasen alleine meistern zu müssen, sind dringend ausreichend Therapieplätze nötig. Doch so wichtig es ist, die unmittelbaren Hilfsangebote auszubauen, gilt es vor allem, den gesellschaftlichen Ursachen den Boden zu entziehen. Solange wir in einer Gesellschaft leben, die Konkurrenz- und Leistungsdruck zur Grundlage hat und Krisenherde schafft, werden auch psychische Krisen und Leid befördert.