Corbyn und der Brexit

Jeremy Corbyn Foto: https://www.flickr.com/photos/theweeklybull/ CC BY-NC-ND 2.0

„Regelungen im Interesse der arbeitenden Menschen“

Eine Rede, die Jeremy Corbyn, Vorsitzender der britschen Labour-Partei , am 26. Februar in Coventry gehalten hat, stellt eine erfreuliche Weiterentwicklung seiner Position gegenüber dem „Brexit“ dar. Er wiederholte, dass er die „Pro-Austritt“-Stimmen, die beim EU-Referendum abgegeben worden waren, respektieren will und verlangte einen „Brexit“, der strikt im Interesse der Menschen aus der Arbeiterklasse gestaltet werden muss.

Von Judy Beishon, London

Auf die Sorgen der abhängig Beschäftigten eingehend, wonach ein „harter Brexit“ unter Führung der konservativen Tory-Regierung zum Verlust von Arbeitsplätzen und Einkommen führen kann, sagte der Labour-Vorsitzende, dass er den EU-Binnenmarkt zwar ablehnt, aber für Verhandlungen über eine „neue“ Zoll-Union ist. Damit könne sichergestellt werden, dass der Warenhandel weiter ohne Zölle auskommt und Kontrollen an der Grenze zu Irland vermieden werden.

Im Wesentlichen hat Corbyn gesagt, er wolle die zur Zeit in Kraft befindliche pro-kapitalistische Zoll-Union der EU durch eine Vereinbarung ersetzen, die im Interesse der arbeitenden Menschen ist. Damit hat er eine „rote Linie“ gezogen zwischen der Position von Labour und der der Tory-Regierung, die auf Druck ihres rechten Parteiflügels derzeit jede Form von Zoll-Union ablehnt.

Corbyn verbessert Haltung

Corbyn liegt auch richtig, wenn er die pro-kapitalistischen „Blairites“ in der Labour-Partei zurückweist, die sich für die Beibehaltung des Binnenmarktes und die damit verbundenen konzernfreundlichen Regelungen einsetzen. Im Rahmen des Parteitags der schottischen Labour-Partei am 9. März erklärte er: „Wir würden uns dafür stark machen, – wo nötig – Absicherungen bzw. Ausnahmen zu verhandeln, die sich von den aktuell geltenden Regularien und Direktiven unterscheiden. Denn letztere stehen nur im Zeichen von Privatisierungen und befördern den Wettbewerb im öffentlichen Dienst oder sie schränken unsere Möglichkeiten der Einflussnahme ein, um etwa die Industrie in der Region unterstützen zu können.“ Er hob außerdem hervor, dass eine Regierung unter Labour in der Lage sein muss, die Arbeitgeber daran zu hindern, „die Möglichkeit zu haben, sich billige Zeitarbeit aus dem Ausland einkaufen zu können, um bestehende Lohn- und Sozialstandards zu umgehen“ und dass es „einen verbindlichen Rahmen für Rechtsansprüche, Standards, soziale Sicherheit für ArbeitnehmerInnen, VerbraucherInnen und die Umwelt geben muss.“

Wenn man das mit der Position vergleicht, die Corbyn vor dem Referendum eingenommen hatte, so hat sich seine Haltung deutlich verbessert. Um den rechten Flügel von Labour zufriedenzustellen, hatte er zu jener Zeit Abstand von der langjährigen Position der Labour-Linken genommen, derzufolge die EU im Grunde nichts anderes ist, als ein Verein der Bosse, der ganz im Sinne des Kapitalismus handelt. Stattdessen hatte Corbyn sich widerstrebend bereit erklärt, für den Verbleib in dieser EU zu werben.

Das hat damals auch dazu geführt, dass rechte NationalistInnen in die Lage versetzt wurden, die Seite der AustrittsbefürworterInnen zu dominieren. Corbyn hätte den Einsatz rassistischer Methoden und einer ausländerfeindlichen Propaganda der EU-feindlichen Rechten durchkreuzen können, wenn er entschlossen für einen anti-rassistischen, sozialistischen und internationalistischen Brexit eingetreten wäre.

Für ein sozialistisches Europa

Viele kapitalistische KommentatorInnen tönten, dass die Position von Corbyn von den führenden Köpfen der EU abgebügelt werden würde. Corbyn kann seine Haltung jedoch nutzen, um die arbeitnehmerfeindliche Kürzungspolitik der EU vor den Augen der Arbeiterklasse ganz Europas in Frage zu stellen und die Motive hinter deren ablehnender Haltung offen zu legen. Ein solches Vorgehen würde – in Verbindung mit einem entschiedenen Aufruf an die Arbeiterbewegungen in den Ländern der EU, dort ebenfalls sozialistische Maßnahmen einzufordern – die Interessen der Menschen aus der Arbeiterklasse und den Mittelschichten auf dem gesamten Kontinent nach vorne bringen. Die EU vertritt neoliberale und kapitalistische Interessen, die in ihren Abkommen und Vereinbarungen zur Geltung kommen. Dem muss die Vorstellung von einer freiwilligen und sozialistischen Föderation der europäischen Staaten entgegengesetzt werden.

Darüber hinaus hat Jeremy Corbyn die Möglichkeit für die Labour-Abgordneten geschaffen, Theresa May in einer künftigen Abstimmung über eine Zoll-Union eine schwere Niederlage zu bereiten, weil auch eine Reihe von Abgeordneten der Tories sich anschließen und ebenfalls gegen die Position der Premierministerin votieren könnten. Das hat das Potential, ihren Führungsanspruch in Frage zu stellen und sogar zu Neuwahlen zu führen.

Zweifellos sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt viele potentielle Labour-WählerInnen, die beim Referendum für den Verbleib in der EU gestimmt haben, ob der Brexit-Positionierung von Corbyn und von Labour im Allgemeinen, verwirrt. Während viele in der britischen Arbeiterbewegung angesichts der jüngsten Rede von Corbyn erleichtert sind, so fürchtet doch eine beträchtliche Anzahl an Austritts-BefürworterInnen unter ihnen, dass er unter dem Druck von rechts wieder ins Wanken geraten und einem pro-kapitalistischen „Brexit nur dem Namen nach“ verfallen könnte oder sich sogar erneut gegen den „Brexit“ an sich aussprechen könnte.

Diese Zweifel werden Labour unter Corbyn nicht notwendigerweise um den Sieg bei den nächsten Wahlen bringen, wenn es um Themen geht, wie seine Forderungen nach mehr bezahlbarem Wohnraum und der Abschaffung der Studiengebühren, aber sicher ist das noch nicht.

Judy Beishon ist Mitglied im Exekutivkomitee der Socialist Party England und Wales