Gewerkschaften: Günstige Kampfbedingungen nutzen

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Bei der Tarifrunde im öffentlichen Dienst ist viel drin

Die IG Metall hat Chance für Offensive verpasst und in ver.di muss Druck für ein entschlossenes Vorgehen gemacht werden.

Von Angelika Teweleit, Berlin

Das Jahr begann mit 24-stündigen Warnstreiks in der Metall- und Elektroindustrie. Im März und April gehen weitere Tarifauseinandersetzungen in die heiße Phase. Die größte Beschäftigtengruppe sind die in Bund und Kommunen mit über zwei Millionen Beschäftigten.

Metall-Abschluss

Insgesamt haben sich laut dem IG Metall-Vorsitzenden Jörg Hoffmann 1,5 Millionen Beschäftigte an Aktionen ihrer Gewerkschaft beteiligt. Zum ersten Mal seit langem hatte die IG Metall die Arbeitszeitfrage auf die Tagesordnung gesetzt. Durch die hohe Auslastung in den Betrieben gab es gute Voraussetzungen, Druck zu entfalten. Die Gewerkschaftsführung hat diese Situation nicht konsequent genutzt. Das Ergebnis mit einer Laufzeit von 27 Monaten, bei einer Entgelterhöhung mit etwa 3,4 bis 3,6 Prozent pro Jahr,wird zwar von vielen KollegInnen als „akzeptabel“ angesehen, ist aber im Verhältnis zur  Profitsteigerung der letzten Jahre zu wenig. Teile der Lohnerhöhungen 2019 sind zudem abhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung.

Jörg Hoffmann lobt den Abschluss als „zukunftsweisend“, weil „Flexibilität nicht länger ein Privileg der Arbeitgeber“ sei. Gleichzeitig frohlockt der Präsident vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall Rainer Dulger: „Wir haben das erreicht, was für uns wichtig war.“ Dafür hat er gute Gründe. Die 28-Stunden-Woche gibt es nur bei vollem Lohnabschlag und nur für maximal zehn Prozent der Belegschaft. Dafür haben die Arbeitgeber die Möglichkeit, viel weitgehender als bisher von der 35-Stunden-Woche nach oben abzuweichen. Die Angleichung im Osten ist wieder vertagt – hier gibt es nur eine Verpflichtung zu weiteren Gesprächen. Unterm Strich birgt der Abschluss große Gefahren und wird wahrscheinlich eine weitere Verlängerung der durchschnittlichen Arbeitszeiten zur Folge haben.

Mit Forderungen nach einer Arbeitszeitverkürzung für alle – bei vollem Lohn- und Personalausgleich – hätte die IG Metall in diesem Jahr alle Möglichkeiten gehabt, wirkliche Verbesserungen zu erkämpfen. Dazu hätten vielleicht schon wenige Tage Erzwingungsstreik ausgereicht.

Tarifrunde öffentlicher Dienst

Bei Bund und Kommunen gehen die Gewerkschaften ver.di, GEW, GdP und dbb mit Forderungen nach sechs Prozent mehr Lohn, aber mindestens 200 Euro, 100 Euro mehr für die Auszubildenden und Angleichung der Jahressonderzahlung im Osten in die Auseinandersetzung. Obwohl vielen KollegInnen die gestiegene Arbeitsbelastung unter den Nägeln brennt, wird nur eine Erhöhung des Zusatzurlaubs für Beschäftigte im Schichtdienst gefordert. Allerdings gibt es Aussagen von führenden ver.di-VertreterInnen, die Arbeitszeit in der folgenden Tarifrunde zum Thema zu machen. Dies sollte von Aktiven aufgegriffen werden. Versammlungen im Rahmen von Aktionen und Streiks müssen genutzt werden, um deutlich zu machen, dass für die nächste Tarifrunde Arbeitszeitverkürzung in einem großen Schritt bei vollem Lohn- und Personalausgleich gefordert werden muss.

Streiktaktik

Es muss auch Druck von unten geben, die Kampfkraft der Beschäftigten in Bund und Kommunen voll einzusetzen. Einige ver.di-SekretärInnen haben für halbtägige Warnstreiks argumentiert. Solche sind gerade im öffentlichen Dienst völlig ungeeignet. Größere Kundgebungen werden damit unmöglich und die Streikenden haben kaum Zeit, sich in Versammlungen auszutauschen. Daher haben sich viele Aktive auf gewerkschaftlichen Versammlungen gegen diese Taktik ausgesprochen.

Anstatt auf Schmusekurs mit der Groko zu gehen, sollten die Gewerkschaftsführungen die Chance jetzt nutzen, den Druck auf die neu zu bildende Regierung zu maximieren. Entsprechend sollte ver.di die Mitglieder möglichst schnell bundesweit zu flächendeckenden eintägigen Warnstreiks mit Kundgebungen in allen Städten aufrufen. Ziel muss die volle Durchsetzung der Forderungen sein, und zwar nicht auf zwei Jahre, sondern für die geforderten zwölf Monate Laufzeit.

Geld ist genug da

Der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske weist darauf hin, dass Überschüsse in den öffentlichen Kassen vorhanden sind. Die Tarifauseinandersetzung muss genutzt werden, um den Druck aufzubauen, dass das Geld da geholt wird, wo es im Überfluss vorhanden ist. Über eine höhere und konsequentere Besteuerung der Reichen und auf Konzerngewinne könnte dieses Geld für den öffentlichen Dienst nutzbar gemacht werden. Allein die Wiedereinführung und Anhebung der Vermögenssteuer auf fünf Prozent ab einer Million Euro, wie von der LINKEN gefordert, würde 85 Milliarden Euro jährlich mehr in die Kasse spülen.

Forderungen sind durchsetzbar

Es ist keine utopische Vorstellung, dass man Forderungen durch entsprechende Kampfmaßnahmen voll durchsetzen kann. Das Ergebnis eines Arbeitskampfes ist allein eine Frage der Kräfteverhältnisse. Diese sind in der diesjährigen Tarifrunde auch im öffentlichen Dienst sehr günstig. Zum einen gibt es eine hohe Beschäftigungsrate, was es den Arbeitgebern weniger leicht macht, ein Drohszenario aufzubauen. Zum anderen stehen die Parteien durch schwindende Zustimmungsraten unter Druck. Am wichtigsten aber ist die potenzielle Kampfkraft in den Betrieben und Dienststellen.

Diese hat sich bei den Warnstreiks der vergangenen Jahre als sehr groß erwiesen. Nichts spricht für eine Abnahme der Kampfbereitschaft. Im Gegenteil zeigen die Erfahrungen, dass mit entschlossenen Streikmaßnahmen mehr KollegInnen in die Gewerkschaft eintreten und der Aktivitätsgrad zunimmt.  Ein entschlossener Tarifkampf in diesem Jahr wäre die optimale Voraussetzung dafür, in der nächsten Tarifrunde einen ebenso entschlossenen Kampf für eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich im öffentlichen Dienst zu führen. Damit würde endlich eine tarifpolitische und gesellschaftliche Bewegung in Gang gesetzt, die dringend nötig ist.

 Angelika Teweleit ist betriebs- und gewerkschaftspolitische Sprecherin der SAV. Bei den Sozialismustagen spricht sie zusammen mit Winfried Wolf auf einer veranstaltung zur Lage in der Autoindustrie.