Die GroKo und die Altenpflege

Nicht mehr als Lippenbekenntnisse

8000 zusätzliche Stellen, verbindliche Personalbemessung, Tarifverträge, Ausbildungsoffensive … Der Entwurf für einen Koalitionsvertrag scheint einiges zu versprechen. Wenn man ihn genauer unter die Lupe nimmt, bleibt davon allerdings nicht mehr viel übrig.

Von Julia Blum, Aachen

SeniorInnen „sollen möglichst lange gesund und aktiv bleiben, am gesellschaftlichen und kulturellen Leben teilhaben und selbstbestimmt in Würde alt werden können.“ Ja, das wünschen sich alle, sowohl Pflegebedürftige als auch die MitarbeiterInnen, die diese versorgen. Mit der Realität in den meisten Pflegeheimen hat das aber reichlich wenig zu tun. Die Pflegemängel gehen teilweise sogar so weit, dass schon mehrfach Heime geschlossen werden mussten, um die BewohnerInnen vor dem Hintergrund fehlender Fachkräfte nicht zu gefährden – zuletzt eine Einrichtung bei Lörrach in Baden-Württemberg.

8000 zusätzliche Stellen

Aus den Mitteln der Krankenversicherung (also aus unseren Beiträgen) will die kommende Bundesregierung 8000 zusätzliche Stellen für die medizinische Behandlungspflege schaffen. Bei ca. 13.600 stationären Pflegeeinrichtungen sind das für jedes Heim rechnerisch 0,6 Stellen. Dass das zu wenig ist, ist offensichtlich. Die Gewerkschaft ver.di fordert dagegen 40.000 zusätzliche Stellen in der stationären Altenpflege, der Paritätische Wohlfahrtsverband geht sogar davon aus, dass 100.000 zusätzliche Pflegekräfte eingestellt werden müssten.

Woher nehmen, wenn nicht stehlen

Nun könnte man natürlich sagen, 8000 Stellen mehr sind besser als nichts, vor allem nachdem mit den Pflegestärkungsgesetzen das Aufgabenspektrum der Pflegekräfte erheblich erweitert wurde. Wenn da nicht der Fachkräftemangel wäre. 2017 kamen auf 100 bei den Jobcentern gemeldeten Pflegefachkraftstellen nur 29 BewerberInnen. (Quelle: Fachkräfteengpassanalyse der Bundesagentur für Arbeit) Heime können so schon länger ihre Planstellen nicht besetzen, geschweige denn zusätzliche Stellen. Unter diesen Voraussetzungen ist die Gefahr groß, dass zwar mehr Geld in den Kassen der Pflegekonzerne landet, aber nicht mehr Personal auf den Wohnbereichen der Heime.

„Konzertierte Aktion Pflege“

Immerhin ist die Zahl der Auszubildenden in der Altenpflege in den letzten Jahren gestiegen. Im Schuljahr 2015/2016 begannen circa 68.000 Personen die Ausbildung, ein Wert, der um 31 Prozent höher ausfiel als im Schuljahr 2010/2011 (Quelle: Berufsbildungsbericht 2017). Das ist gut, auch wenn zahlenmäßig immer noch nicht ausreichend. Wenn allerdings, laut DGB, Altenpflegekräfte oftmals nicht länger als sieben oder acht Jahre in ihrem Beruf verbleiben, dann greifen die geplanten Maßnahmen zu kurz. Unkonkrete Versprechungen, wie die einer Ausbildungsoffensive, Anreize für eine bessere Rückkehr von Teil- in Vollzeit, ein Wiedereinstiegsprogramm, die Schaffung von verbindlichen Personalbemessungsinstrumenten, eine bessere Gesundheitsvorsorge für die Beschäftigten, sowie eine Weiterqualifizierung von PflegehelferInnen zu Pflegefachkräften ändern nichts an der mangelnden Attraktivität des Altenpflegeberufes. Um diese zu steigern wären einerseits bessere Arbeitsbedingungen wichtig, damit laut DGB nicht jeder Dritte aus gesundheitlichen Gründen aus dem Erwerbsleben ausscheidet. Andererseits wäre eine Aufwertung durch eine deutlich höhere Entlohnung zu erreichen. Der Ruf nach flächendeckenden Tarifverträgen verhallt allerdings in der Leere.

Pflege vom Profitprinzip befreien

An der Vereinbarung von Tarifverträgen hat solange niemand ein Interesse, solange Pflege in Unternehmerhand ist und Profite abwerfen muss. Das Marktvolumen des ambulanten und stationären Pflegebereiches lag laut Pflegeheim Rating Report 2013 bei ca. vierzig Milliarden Euro und ist damit äußerst attraktiv für Unternehmen, die kaum etwas daran hindert, ihre Profite auf Kosten der Pflegebedürftigen und Beschäftigen zu generieren. Daran ändern auch die vagen Absichtserklärungen unter Finanzierungsvorbehalt der möglichen Neuauflage der Großen Koalition nichts. Verbessern kann man die Pflegesituation nur, wenn sie sich an dem realen Pflegebedarf orientiert und eben keine Profite abwerfen muss. Ziel sollte ein kostenloses, öffentliches und aus Steuermitteln finanziertes Gesundheitswesen sein, in dem Menschen nicht zu Tode gepflegt werden. Zur Kasse bitten könnte man dafür über die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und eine stark progressive Besteuerung von Unternehmensgewinnen die Unternehmen, deren Profite jahrzehntelang von den nun Pflegebedürftigen erwirtschaftet wurden.

Julia Blum (Name geändert) arbeitet in der Altenpflege und ist aktiv bei ver.di.