IG Metall nutzt Kampfkraft nicht

Arbeitgeber zufrieden mit Tarifabschluss in der Metall- und Elektroindustrie

Etwa 1,5 Millionen KollegInnen in hunderten Metall- und Elektro-Betrieben haben im Januar und Februar die Arbeit niedergelegt. Im Gegensatz zu vergangenen Tarifrunden fanden die Warnstreiks der IG Metall nicht nur wenige Stunden statt, sondern wurden bundesweit auf 24 Stunden ausgeweitet.

von Angelika Teweleit, Berlin

Die Beteiligung hat gezeigt, dass eine enorme Kampfkraft vorhanden ist. Über viele Jahre hat die IG Metall-Führung außer mit begrenzten Warnstreiks keine Mobilisierungen in den Tarifrunden vorgenommen. Die 24-Stunden-Streiks waren auch ein Test der Mobilisierungsfähigkeit. Allein in Baden-Württemberg betrugen die Umsatzausfälle durch die eintägigen Arbeitsniederlegungen nach Schätzungen eine Viertel Milliarde Euro. Gesamtmetall-Chef Dulger wurde in der Stuttgarter Zeitung (2.2.2018) mit den Worten zitiert: „Wir wollen nicht, dass die Betriebe lange stillstehen und die Straßen voller roter Fahnen sind.“ Leider hat die IG Metall-Führung aber die deutliche Kampfbereitschaft und auch die wirtschaftlich günstige Ausgangsposition nicht ausreichend genutzt.

Arbeitszeit

Das erste Mal seit langem wurde das Thema Arbeitszeit wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Das hatte einerseits einen positiven Effekt. Schon lange sagen eigentlich in allen Branchen viele KollegInnen, dass ihnen außer der Lohnfrage auch der massiv gestiegene Arbeitsdruck unter den Nägeln brennt. Allerdings lag bereits in der Ausrichtung der IG-Metall-Forderung das Problem, da diese von vornherein nicht auf eine kollektive Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich für alle Beschäftigten ausgerichtet wurde. Gefordert wurde stattdessen das individuelle Anrecht auf zeitlich begrenzte Arbeitszeitreduzierung ohne Lohnausgleich. Nur für bestimmte Gruppen von Beschäftigten wurde ein Lohnzuschuss gefordert, mit dem Argument, dass sich diese eine Reduzierung auch leisten können müssen. Der Lohnzuschuss wurde nur für KollegInnen, die ihre Arbeitszeit aufgrund von Kindererziehung oder der Pflege von Angehörigen reduzieren wollen, oder die in Schichten arbeiten, gefordert.

Von vornherein war dies etwas ganz anderes, als der Kampf für die 35-Stundenwoche. Denn hier lautete die Forderung Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit von 40 auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich. Damals ging es der Gewerkschaft darum durch eine solche Arbeitszeitverkürzung mehr Freizeit für alle, eine Reduzierung der Arbeitsbelastung und die Schaffung neuer Arbeitsplätze, durchzusetzen, sowie eine Umverteilung der Produktivitätssteigerung zu Gunsten der Beschäftigten zu erreichen.

Wenn jetzt der IG Metall-Vorsitzende von einem „Meilenstein auf dem Weg zu einer modernen, selbstbestimmten Arbeitswelt“ spricht, der mit dem Tarifabschluss in der Metallindustrie erreicht worden sei, sollte man lieber genau hinschauen, für wen hier tatsächlich ein Fortschritt erzielt wurde. Denn nicht umsonst frohlockte der Arbeitgeberchef von Südwest-Metall Stefan Wolf in der gemeinsamen Pressekonferenz zum Abschluss:

„In vielen Abschlüssen der letzten Jahre haben wir uns nicht in dem Maße so durchsetzen können, wie dieses Mal mit unserer Forderung. Wir haben sehr viel bekommen, nämlich sehr viel Öffnung bei den Arbeitszeiten nach oben.“

Kompliziertes Tarifwerk

Das Tarifwerk, welches hier vereinbart wurde, ist noch komplizierter als schon die Forderungen der IG Metall es waren. Das ist ein Problem, denn es bedeutet, dass das Ergebnis nur noch schwer durchschaubar ist und sich entsprechend auch leichter als Erfolg verkaufen lässt. Selbst für Fachleute ist das Konstrukt kaum zu verstehen. Im Groben sollen hier die wichtigsten Punkte dargestellt werden.

Was die Löhne angeht, war die IG Metall mit der Forderung nach einer monatlichen Erhöhung von sechs Prozent in die Tarifrunde gegangen. Das war, gemessen an den erneuten Rekordgewinnen in der Metall- und Elektroindustrie und der immer weiter auseinander driftenden Schere zwischen Gewinnen und Löhnen, sogar noch wenig. Wenn nun eine Lohnerhöhung um 4,3 Prozent ab dem 1. April 2017 (und eine Einmalzahlung von hundert Euro für Januar bis März 2017) herausgekommen ist, so muss vor allem gesagt werden, dass die Laufzeit des Tarifvertrages nicht 12 sondern 27 Monate beträgt.

Nun kommen noch zwei weitere Einmalzahlungen für das Jahr 2019 hinzu. Einmal 400 Euro für alle. Diese kann allerdings, vorausgesetzt beide Tarifparteien stimmen zu, aufgeschoben oder sogar ausgesetzt werden, mit der Begründung der wirtschaftlichen Situation. Auch hier waren die Arbeitgebervertreter auf der Pressekonferenz voll des Lobes: es sei gelungen, eine Vereinbarung mit „dauerhaften Differenzierungsinstrumenten“ zu treffen. Außerdem soll es ein so genanntes „tarifliches Zusatzentgelt“ in Höhe von 27,5 Prozent eines Monatslohns für das Jahr 2019 geben. Dies soll in einem Zusatztarifvertrag abgeschlossen werden, der aber vom 1.1.2019 bis 31.12.2020 Gültigkeit haben soll.

Insgesamt kommt man auf eine Erhöhung der Löhne von 7 bis 7,4 Prozent für die gesamte Laufzeit, also ca. 3,4 bis 3,6 Prozent pro Jahr. Das ist nicht mehr als eine bescheidene Reallohnsteigerung.

Die tabellenwirksame Erhöhung ist allerdings noch weniger, denn die einhundert Euro für Januar bis März werden nicht auf die Tabelle angerechnet und die Einmalzahlung von 400 Euro im Jahr 2019 soll zwar – wenn sie ausgezahlt wird, auch auf die Tabelle angerechnet werden – ist wie ausgeführt aber nicht sicher.

Nun sollen KollegInnen mit Kindern bis acht Jahren oder pflegebedürftigen Angehörigen und KollegInnen, die schon Schicht arbeiten und schon eine Weile im Betrieb sind, das so genannte tarifliche Zusatzentgelt auch in acht freie Tage umwandeln können. 27,5 Prozent entsprechen sechs Tagen, der Arbeitgeber gibt hier also noch zwei Tage dazu. In der Logik der IG Metall-Führung haben sie also an dieser Stelle einen Teillohnzuschuss für die Gruppe von Kolleginnen raus geholt, für die sie einen Lohnzuschuss bei der Forderung nach einer 28-Stunden-Woche durchbringen wollten. Es kann sein, dass dies für einige KollegInnen ein wenig Entlastung bringt.

Allerdings gibt es die freien Tage nur, wenn man auf einen Teil der Lohnerhöhung für das Jahr 2019 verzichtet. Stattdessen müsste gefordert werden, dass es darum gehen muss, eine dauerhafte Arbeitszeitverkürzung für alle ohne Lohnverzicht zu erkämpfen. Angesichts der Rekordergebnisse der Konzerne wäre das möglich. Doch auch im übrigen Teil des Abschlusses ist genau das nicht der Fall.

Die Beschäftigten sollen einen Anspruch darauf haben, die Arbeitszeit für bis zu zwei Jahre auf bis zu 28 Stunden zu verkürzen – bei vollem Lohnabzug – und haben dann das Recht, wieder in Vollzeit zu gehen (oder einen neuen Antrag zu stellen). Hier handelt es sich nicht um Arbeitszeitverkürzung im eigentlichen Sinne, sondern um ein tarifvertragliches Anrecht auf zeitlich befristete Teilzeit mit garantierter Rückkehr in Vollzeit. Wie viele KollegInnen können sich das überhaupt leisten? Hinzu kommt aber, dass der Arbeitgeber Anträge auf die befristeten 28-Stunden-Verträge auch ablehnen kann. Insofern ist es kein Anrecht, welches man ohne weiteres einfach geltend machen kann. Die Arbeitgeber können dies zum einen ablehnen, wenn eine Quote von zehn Prozent solcher verkürzter Vollzeitverträge im Betrieb erreicht wurde, oder aber, wenn es im Betrieb insgesamt mehr als 18 Prozent an Teilzeitverträgen gibt. Außerdem kann der Arbeitgeber einen Antrag ablehnen, wenn auf diese bestimmte Fachkraft nicht verzichtet werden kann.

35-Stunden-Woche weiter ausgehöhlt

Hier dürfte es viel Spielraum für die Arbeitgeber geben und von einem „individuellen Anrecht“ auf „verkürzte Vollzeit“ kann man unter diesen Vorzeichen im Grunde nicht sprechen. Gleichzeitig – und das ist das größte Problem an diesem Abschluss – wurde eine massive Öffnung der Arbeitszeiten nach oben vereinbart. Bisher gab es in Baden-Württemberg eine Quote von 18 Prozent für 40-Stunden-Verträge anstatt der tariflichen 35-Stunden-Woche. Diese Quote soll es generell zwar weiter geben, und wenn sie mit vier Prozent überschritten wird, hat der Betriebsrat ein Widerspruchsrecht. Bei „nachgewiesenem Fachkräftemangel“ kann aber per Betriebsvereinbarung eine Quote von dreißig Prozent abgeschlossen werden. Und in „Technologiebetrieben“ kann die Quote von 40-Stunden-Verträgen auf fünfzig Prozent gesteigert werden.

Ein weiteres kompliziertes Details ist die Möglichkeit für den Arbeitgeber, anstatt dieser Quotenregelung auf ein anderes Modell bei der Berechnung umzusteigen. So kann er stattdessen eine Durchschnittszeit von 35,9 Stunden pro Beschäftigten im Betrieb ansetzen. Dabei werden alle Teilzeitverträge ab 15 Stunden angerechnet. Dabei könnte, wenn es in einem Betrieb einen bestimmten Anteil von Teilzeitbeschäftigten gibt, eine deutliche Erhöhung von möglichen 40-Stunden-Verträgen herauskommen, die auch weit über die Quote von 18 Prozent hinausgeht. Auch, wenn hier das Prinzip der „Freiwilligkeit“ gilt, bedeutet es in der Praxis – je nach Kräfteverhältnis im Betrieb oder je nachdem, wie der Betriebsrat damit umgeht, dass in Wahrheit der Druck auf die KollegInnen hoch ist, zu akzeptieren was vom Arbeitgeber verlangt wird.

Es ist wenig verwunderlich, dass auch der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Dr. Rainer Dulger“ das als Grund zur großen Zufriedenheit sieht. Auf der Homepage von Gesamtmetall wird er mit den Worten zitiert: „Wir haben das erreicht, was für uns besonders wichtig war.“ Bei der Pressekonferenz äußerte er vor allem Freude darüber, dass die Kapazitäten nach oben erweitert werden können, womit die Tarifparteien „den Grundstein für ein flexibles Arbeitszeitsystem für das 21. Jahrhundert gelegt“ hätten.

Auch der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hoffmann ist voll des Lobes über den in Baden-Württemberg getätigten Abschluss: Endlich sei es gelungen, dass Flexibilisierung nicht als Einbahnstraße für die Arbeitgeber gilt, sondern dass es auch um die Bedürfnisse der Beschäftigten ginge. Schaut man sich aber an, mit welchen Begründungen die Arbeitgeber die „verkürzte Vollzeit“ ablehnen können, scheint das wenig überzeugend. Denn ist die Quote aus Sicht der Arbeitgeber überschritten, oder gibt es zu wenig Fachkräfte, kann diese abgelehnt werden. Dann spielt es keine Rolle, wie alt das Kind bzw. wie pflegebedürftig die Angehörige ersten Grades ist oder wie kaputt sich eine Kollegin oder ein Kollege nach langen Jahren von Schichtarbeit fühlt und mal etwas kürzer treten möchte. Vor allem bedeutet die Flexibilisierung nach oben eine massive Unterhöhlung der 35-Stunden-Woche, die 1984 in sieben Wochen Streik erkämpft wurde!

Die Logik der IG Metall-Führung bleibt die der Standortsicherung. Die IGM-Führung hat diesen Abschluss nicht etwa unterschrieben, weil sie kein Vertrauen in die Kampfbereitschaft der Beschäftigten oder Zweifel hatte, mehr durchsetzen zu können. Nein, sie steht hinter der Sicherung der Profitabilität, der „Wettbewerbsfähigkeit“ der deutschen Unternehmen und beschränkt bewusst die Forderungen auf das, was die Unternehmer als tragbar ansehen. Damit zementiert die IGM-Führung mit diesem Tarifvertrag ihre Politik des Co-Managements. Der Protest aus den Betrieben wird wahrscheinlich zunächst verhalten bleiben. Jahrelanges Co-Management und die gute Konjunktur haben dafür gesorgt, dass Teile der Belegschaften die Argumente der Lohnzurückhaltung erst einmal akzeptieren. Zudem ist der Tarifabschluss schwer zu durchschauen und mag auf den ersten Blick als positiv gesehen werden, so dass sich der Unmut bei vielen erst später entwickeln wird.

Wenn der Abschluss nun wegweisend für die anderen Branchen sein soll und sogar international Beachtung findet, sollte davor gewarnt werden, dass hier weiter an der Flexibilisierungsschraube gedreht wird – und zwar nicht zum Vorteil für die Beschäftigten! Bernd Riexinger, Co-Vorsitzender der Partei die LINKE, findet richtigerweise Worte der Kritik für diesen Abschluss:

„Hier wurde nicht nur eine Möglichkeit für die Beschäftigten erreicht, die Zeiten begrenzt auf 28 Stunden zu reduzieren, sondern auch eine Arbeitszeitverlängerung. Die Zahl derjenigen, die künftig bis zu 40 Stunden in der Woche arbeiten können (im Westen gilt regulär die 35-Stunden-Woche, jW), ist erhöht worden. Das geht in die falsche Richtung.“ https://www.jungewelt.de/artikel/326792.neue-offensive-zur-arbeitszeit-w%C3%A4re-n%C3%B6tig.html

Arbeitszeit im Osten außen vor

Sowohl der Arbeitgeberpräsident als auch der IG Metall-Vorstand empfehlen den anderen Tarifbezirken nun die Übernahme des Abschlusses im Süd-Westen. Hierbei gäbe es nur einige Zahlen auszutauschen – so gilt zum Beispiel bundesweit bisher eine Maximalquote von 13 anstatt 18 Prozent für die 40-Stundenverträge.

Wie es nun mit dem Thema der Angleichung der tariflichen Wochenarbeitszeit im Osten weiter geht, ist unklar. Hier steht nach fast dreißig Jahren noch immer die Tarifmauer: die Beschäftigten müssen jede Woche drei Stunden mehr arbeiten als ihre KollegInnen im Westen. Die IG Metall Berlin-Brandenburg fordert die Angleichung. Wenn die Arbeitgeber hier mauern, wird es nicht einfach. Allerdings ist die Ausgangslage sogar für lokal begrenzte Streiks nach wie vor gut. Durch die Just-in Time-Produktion und die hohe Auslastung könnte sicher auch ein Streik in Berlin-Brandenburg zu schwerwiegenden Problemen für die Arbeitgeber führen, die sie gerade nicht gebrauchen können. Hier sollten kämpferische und kritische Teile in der IG Metall sich vernetzen und gemeinsam überlegen, wie der Kampf geführt werden könnte. Der bereits begonnene Ansatz eines Zusammenschlusses von linken Hauptamtlichen in der IG Metall sollte auch die Lehren aus dieser Tarifauseinandersetzung ziehen, eine Strategie für die nächste Tarifrunde diskutiert werden und sich für alle kämpferischen IG Metall-Mitglieder öffnen.

Ein gefährlicher Abschluss

Oft wurde in den letzten Jahren von der Schwächung der Gewerkschaften gesprochen. Häufig wurde dieses Argument dazu benutzt, um zu rechtfertigen, warum es nicht möglich gewesen sei, mehr herauszuholen. Doch diesmal ist eigentlich allen klar, dass die Bedingungen für einen Streik günstig wie nie waren. Ein Kommentator auf spiegel online begrüßt den Abschluss, weil die IG Metall auf das Mittel des Streiks verzichtet habe: „Das ist umso bemerkenswerter, da sich die Kräfteverhältnisse deutlich zugunsten der Gewerkschaften verschoben haben. Arbeitskräfte, zumal qualifizierte, sind vielerorts in der Metallbranche derart rar, dass den Arbeitgebern ihr wichtigstes Druckmittel verloren gegangen ist: der drohende Verlust von Arbeitsplätzen. (…) Ein Flächenstreik wäre für die Unternehmen der Metallbranche angesichts der derzeit hohen Auslastung so schmerzhaft gewesen, dass die Arbeitgeberverbände wahrscheinlich nach kurzer Zeit alles unterschrieben hätten, was ihn beendet.“(spiegel online 6.2.18) Damit hat der Autor recht, auch wenn er den Verzicht auf einen Erzwingungsstreik begrüßt, weil ein solcher das „Ende der konstruktiven Tarifpartnerschaft bedeutet“ hätte. Doch diese „konstruktive Tarifpartnerschaft“ bedeutet schrittweisen Abbau des bereits Erkämpften.

Leider verharrt die IG Metall-Führung, trotz der Mobilisierung der Beschäftigten zu den 24-Stunden-Warnstreiks, in der Standortlogik und der Politik des Co-Managements. Dies wird auch in ihrer Haltung gegenüber der Großen Koalition deutlich, die sie offensiv begrüßt, obwohl klar ist, dass diese eine Regierung im Interesse des Kapitals und nicht der Masse Beschäftigten handeln wird.

Die IGM hat eine – angesichts proppevoller Auftragsbücher und Rekordgewinnen – sehr bescheidene Lohnerhöhung von effektiv ca. 3,5 Prozent jährlich erreicht. Bei einer Preissteigerungsrate von durchschnittlich 1,5 Prozent wurde nur ein geringer Teil des Produktivitätszuwachses in Richtung der Beschäftigten umgeleitet. Von einer substanziellen Umverteilung kann keine Rede sein. Da Teile der Erhöhung nicht in die Gehaltstabellen eingehen, sondern als tarifliche Zulagen einzeln geregelt sind, ergeben sich zukünftig Risiken, dass diese nicht erneut gezahlt oder verschoben werden. Insofern sind selbst die moderaten 3,5 Prozent mit Vorsicht zu betrachten.

Das eigentliche Problem dieses Abschlusses ist allerdings die Arbeitszeitfrage. Von einer Verkürzung kann keine Rede sein, durchgesetzt wurde lediglich die Möglichkeit zur befristeten Teilzeit für einige Gruppen von Beschäftigten, wie es in vielen anderen Bereichen ohnehin schon praktiziert wird, meist mit weniger Beschränkungen. Im Gegenzug wurden den Unternehmen Instrumente in die Hand zu geben, die 35-Stunden-Woche auszuhebeln und die Arbeitszeit zu verlängern.

Abgesehen davon, dass die Arbeitsbelastung in vielen Metall-Betrieben steigen könnte, schadet dieser Umgang mit der Arbeitszeitfrage der gesamten Gewerkschaftsbewegung. Wenn sich in den Köpfen der Kolleginnen und Kollegen der Eindruck verfestigt, bei „Arbeitszeitverkürzung“ ginge es um verlustbehaftete Teilzeit für die einen und längeres Arbeiten für die anderen, werden sie nicht bereit sein, sich dafür einzusetzen.

Kämpferische GewerkschafterInnen müssen jetzt einen Kampf darum führen, den eigentlichen Sinn der Forderung nach einer kürzeren Arbeitszeit zu verdeutlichen und Mehrheiten dafür zu organisieren. Nötig ist eine breite gewerkschaftliche Kampagne mit zwei Zielen: einer gesellschaftlichen Umverteilung des vorhandenen Reichtums von oben nach unten und einer breiten Kampagne für eine wirkliche Entlastung. Hier ist die Forderung nach drastischer Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich zentral.

Dafür sollten endlich auch die Tarifbewegungen aus verschiedenen Branchen koordiniert werden, um gemeinsame Streik- und Protesttage zu organisieren. Auf diese Weise könnten hunderttausende bis Millionen von Beschäftigten zeitgleich für ihre – im Kern gemeinsamen – Interessen auf die Straße gehen und eine gesellschaftliche Bewegung für Umverteilung von oben nach unten angestoßen werden.

Kampagne für Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich

Während der Abschluss der IG Metall in punkto Arbeitszeit nicht den richtigen Weg aufzeigt, wurde gleichzeitig das Thema Arbeitszeit in die Öffentlichkeit gebracht. Nun kommt es dringend darauf an, dass die linken und kämpferischen Teile in den Gewerkschaften größtmöglichen Einfluss auf die Debatten nehmen. Ziel sollte eine Kampagne für eine wirkliche Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich sein – in großen Schritten und für alle Beschäftigten.

Dabei muss dem Modell „Geld oder Zeit“, wie es jetzt beim Metall-Abschluss, aber auch schon vorher bei der Bahn im Abschluss der EVG vereinbart wurde, eine klare Absage erteilt werden! Es darf nicht um einen Ausweitung von Teilzeitverträgen gehen, denn das können sich die wenigsten Beschäftigten leisten. Im Kampf um die Arbeitszeitverkürzung muss das Argument gelten, dass es mithilfe von Digitalisierung und besseren Maschinen einen Produktivitätszuwachs gibt, der im Interesse der Beschäftigten genutzt werden soll und nicht, um die Profite weiter zu erhöhen.

Und warum sollen die einen ohne Arbeit sein und die anderen sich kaputt arbeiten? Von jeher ist ein zentrales Argument im Kampf um Arbeitszeitverkürzung die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Deshalb geht es nicht nur darum, den vollen Lohnausgleich zu erkämpfen, sondern auch einen Personalausgleich. Das heißt, dass die kürzere Arbeitszeit nicht dadurch kompensiert werden sollte, dass andere länger arbeiten, sondern indem neue Stellen geschaffen werden.

Linke und kämpferische KollegInnen und Zusammenschlüsse in den Gewerkschaften sollten gemeinsame Initiativen ergreifen, um in ihren Gewerkschaften Anträge für die Aufnahme der Forderung nach Arbeitszeitverkürzung für alle in großen Schritten bei vollem Lohn- und Personalausgleich bei den nächsten Tarifrunden stark zu machen. Denkbar ist eine Konferenz von Zusammenschlüssen der Gewerkschaftslinken, um hier ein koordiniertes Vorgehen abzustimmen. Die Debatte um Arbeitszeitverkürzung ist neu auf die Tagesordnung gesetzt worden. Die Chance sollte genutzt werden, um jetzt in die Offensive zu kommen – aus Sicht der Beschäftigten und nicht der Bosse!