Berlin: Volksentscheid für Gesunde Krankenhäuser gestartet

Nächster Schritt gegen Personalmangel und Profitorientierung im Berliner Gesundheitswesen

Die Krise in den Krankenhäusern spitzt sich zu. Schicht für Schicht gehen zehntausende Pflegekräfte auf dem Zahnfleisch. Bundesweit wehren sich Beschäftigte mit Streiks und Protesten gegen diese Bedingungen. In Berlin nahmen Streiks für mehr Personal an der Charité ihren Anfang. Nun startet im Februar in Berlin die erste Stufe eines Volksentscheides für mehr Personal und höhere Investitionen in die Krankenhäuser. Gemeinsam mit vielen anderen im Berliner Bündnis ist die SAV an der Vorbereitung und Durchführung dieser Kampagne beteiligt.

von Michael Koschitzki, Berlin

Das Berliner Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus gründete sich 2013 aus der Unterstützung der Auseinandersetzung an der Berliner Charité. Es organisierte Solidaritätsveranstaltungen, politische Veranstaltungen, sammelte Unterschriften für eine Petition zum Berliner Krankenhausplan, mobilisierte zu Demonstrationen der Beschäftigten und leistete aktive Streikunterstützung. Über den Streik der Pflegekräfte hinaus unterstützte es auch den Kampf der KollegInnen der ausgegründeten Töchter für tarifliche Bezahlung und die Rückführung aller Tochterunternehmen.

Das Bündnis, das aus ver.di, linken Organisationen und Parteien und AktivistInnen der Charité besteht, dehnte sich über die letzten Jahre auf weitere Krankenhäuser wie das städtische Klinikum Vivantes oder das jüdische Krankenhaus aus. Anfang des Jahres 2017 beschloss das Bündnis, einen Volksentscheid zu initiieren und erarbeitete eine Gesetzesänderung des Landeskrankenhausgesetzes, welche die Versorgung an Berliner Krankenhäusern stark verbessern würde. Der Volksentscheid ersetzt nicht die Streiks und tariflichen Auseinandersetzungen für mehr Personal, sondern ergänzt sie, organisiert Unterstützung, mobilisiert mehr MitstreiterInnen und kann so auch ermutigen, Streiks auf weitere Krankenhäuser auszudehnen.

Informationen, Gesetzestext, Unterschriftenlisten und Aktionen unter https://volksentscheid-gesunde-krankenhaeuser.de

Berliner Pflegenotstand

Veränderungen sind dringend notwendig. Wie im Rest der Republik herrscht auch in Berlin Notstand in der Pflege und im Krankenhaus. Laut Berechnungen von ver.di fehlen circa 3000 Pflegekräfte in Berliner Krankenhäusern. Was ist die Antwort der Krankenhausleitungen darauf? Noch mehr Fälle für weniger Pflegekräfte und noch mehr Arbeitsdruck! Jede fünfte Pflegekraft überlegt, aus dem Beruf auszusteigen, weil die Arbeitsbedingungen zu hart sind. Während die Anfängerklassen in den Pflegeschulen voll sind, bleiben nur wenige im Beruf, nachdem sie die Arbeits- und Pflegebedingungen erlebt haben. Die jetzige Politik wird den Pflegenotstand nur verschärfen, statt ihn zu beheben.

Nur eine radikale Änderung der Arbeits- und Pflegebedingungen wird wieder mehr Menschen ermöglichen, den Beruf aufzunehmen, beizubehalten und Vollzeit darin zu arbeiten. Dann kann sich an der Pflegekrise etwas ändern. Das muss auch mit einer besseren Bezahlung von Pflegekräften einher gehen.

Eine Veränderung ist auch für die Sicherheit der PatientInnen dringend geboten. Personalmangel führt zur Gefährdung von PatientInnen. Es muss gesetzliche Regelungen geben, wieviel Personal auf einer Krankenstation vorgehalten werden muss, so wie zwei PilotInnen im Cockpit eines Flugzeuges sitzen! Das verlangt der Volksentscheid für Gesunde Krankenhäuser.

Finanzierung

Ein Grund, warum Krankenhäuser an Personal sparen, ist die finanzielle Lage, in die sie gebracht werden. Krankenkassen zahlen nicht die tatsächlichen Kosten einer Behandlung, sondern eine Pauschale. Die Einführung dieser Fallpauschalen (DRGs) führte zu erheblichem Kostendruck und Einsparungen beim Personal bei gleichzeitigem Ansteigen von Krankenkassenausgaben durch Mehrfachbehandlungen und unnötigen Diagnosen. Neoliberale Profitkalkulation hielt Einzug ins Gesundheitswesen.

Die zweite Säule der Finanzierung eines Krankenhauses ist die Übernahme von Investitionskosten durch das Land. Während Krankenkassen die laufenden Betriebskosten tragen, muss das Land für Investitionen aufkommen. Doch da die Länder an öffentlichen Ausgaben sparen und die Krankenhausinvestitionen immer weiter gesenkt wurden, steht nicht genug Geld zur Verfügung. Da einige Anschaffungen aber nicht warten können, müssen Krankenhäuser Gelder aus dem ersten Topf nehmen und in den zweiten stecken. Gelder für Behandlungen und Pflege werden damit in Technik und Infrastruktur gesteckt: Personalstellen werden zu Baustellen.

Die Berliner Krankenhausgesellschaft (eine Arbeitgebergesellschaft, die sich gegen tarifliche Personalbemessung wehrt) schätzt, dass eine Investitionslücke von circa 2,1 Milliarden Euro an Berliner Krankenhäusern klafft. Sie kritisieren, dass die Zuwendungen immer noch unter dem Bundesdurchschnitt liegen und dass 256 Millionen Euro pro Jahr nur für laufende Investitionen von allen Krankenhäusern (ohne Charité) nötig wären.

Der Berliner Senat steckt im nächsten Jahr 140 Millionen Euro in die Berliner Krankenhäuser (ohne Charité). Nur 90 Millionen Euro kommen aus dem Haushalt. Weitere 50 Millionen Euro sind aus Sondermitteln und Eigenkrediten der Krankenhäuser eingeplant. Die Zukunft der Investitionen ist damit nicht gesichert.

Quelle der Abbildung: Berliner Krankenhausgesellschaft http://www.bkgev.de/

Was will der Volksentscheid?

Die Gesetzesänderung des Volksentscheides für Gesunde Krankenhäuser zielt auf verbindliche Qualitätsregelungen im Landeskrankenhausgesetz in Bezug auf Personalschlüssel. Dabei wird größtenteils auf die Personalregelungen zurückgegriffen, die der Tarifvertrag Gesundheitsschutz an der Charité vorsieht. Sie beinhalten Personalquoten für die Intensivstation (zum Beispiel maximal zwei IntensivpatientInnen mit normalem Pflegebedarf pro Pflegekraft) sowie Vorgaben nach der Personal-Pflege-Regelung PPR, die bis 1996 Gesetz war. Außerdem werden Vorschriften für andere Bereiche wie beisipielweise Radiologie, Kreißsaal und Reinigung gemacht.

Die Krankenhäuser werden dabei verpflichtet, über die Einhaltung dieser Grenzen zu informieren und Personal dafür vorzuhalten. Sollte ein Krankenhaus dem nicht nachkommen, ist das Land verpflichtet, das Krankenhaus anzuweisen, Kapazitäten zu reduzieren.

Außerdem wird eine verbindliche Übernahme von Investitionen festgelegt. Das Land Berlin muss dann laut Gesetz, 8,6 Prozent der bereinigten Kosten eines Krankenhauses übernehmen. Der Senat rechnet mit Mehrkosten von jährlich 160 Millionen Euro gegenüber heute. So eine Finanzspritze würde Krankenhäuser bei den Investitionen deutlich entlasten und Mittel für mehr Personal frei machen. Mittel dafür sollten aufzutreiben sein, gerade wenn man bedenkt, dass die Baustelle vom Berliner Flughafen allein 25 Millionen Euro laufende Kosten pro Monat bedeutet, ohne dass die Verursacher und Nutznießer zur Verantwortung gezogen wurden oder dass pro Jahr 1,3 Milliarden Euro Zinsen an Banken bezahlt werden.

Bundesweite Bewegung

Bundesweit fanden in den letzten Monaten im Rahmen der Tarifbewegung Entlastung eine Reihe von Streiks für mehr Personal in Krankenhäusern statt. Darunter war auch der erste Streik in einer katholischen Einrichtung. In zahlreichen Städten haben sich ähnlich dem Berliner Bündnis Gruppen zur Unterstützung gebildet und in Hamburg gibt es ebenfalls Planungen, einen Volksentscheid zu starten.

Die Gewerkschaft ver.di sollte bundesweit offensiv die Gründung solcher Bündnisse unterstützen und Kampagnen vorantreiben. Die Streiks müssen entschlossen geführt und auf mehr Krankenhäuser ausgedehnt werden. Sie erzeugen den höchsten Druck und tarifliche Regelungen für mehr Personal in einzelnen Krankenhäusern schaffen bessere Voraussetzungen, auch gesetzliche Regelungen für alle Krankenhäuser zu erkämpfen.

Bundesweite Treffen sollten offen für neue AktivistInnen sein und möglichst viele Aktive aus Krankenhäusern einbeziehen. Dort sollte es die Gelegenheit geben, die Forderungen und die weitere Strategie für Entlastung zu besprechen. Die Vorschläge sollten dann entschlossen und mit den nötigen Mitteln umgesetzt werden. Ob solche Volksentscheide wie in Berlin und Hamburg auch woanders sinnvoll sind oder dort von der Orientierung auf Streiks ablenken, könnte dort ebenfalls diskutiert werden.

Grenzen eines Volksentscheides

Dass Volksentscheide in der Form möglich sind, musste über viele Jahre erkämpft werden. Zahlreiche Initiativen setzten sich dafür ein, dieses Instrument zu erhalten und die Hürden dafür zu senken. Erst seit der Reform 2006 gab es in Berlin erfolgreiche Volksbegehren. Doch dieses Zugeständnis an direkte Demokratie hat Grenzen. Volksentscheiden sind enge Grenzen gesetzt bezüglich des Eingriffs in den Haushalt, die unternehmerische Freiheit, in Bundesgesetze oder europäisches Recht. Würde es nach uns gehen, würden wir ein Gesetz schreiben, das private Krankenhäuser rekommunalisiert, Profitmacherei und Ungleichheit aus dem Gesundheitswesen verbannt, Kosten gerecht und bedarfsdeckend übernimmt, das Wohl der PatientInnen in den Mittelpunkt stellt und gute Arbeitsbedingungen und Bezahlungen vorschreibt. Das ist in diesem Rahmen nicht möglich, sondern muss zukünftig zusammen mit einer grundlegenden Veränderung der Macht- und Eigentumsverhältnisse erkämpft werden.

Seit dem erfolgreichen Volksentscheid für die Offenlegung der Teilprivatisierungsverträge der Berliner Wasserbetriebe 2011 hat es zahlreiche Volksbegehren und Volksentscheide in Berlin gegeben. Sie hatten teilweise eine enorme Dynamik entfacht. Der Berliner Fahrradvolksentscheid sammelte über 100.000 Unterschriften in den ersten drei Wochen.

Doch viele Volksentscheide kämpften mit engen gesetzlichen Grenzen, wurden angezweifelt oder scheiterten an der hohen Zustimmungshürde. Am Abstimmungstag muss nicht nur eine Mehrheit mit Ja stimmen, sondern auch ein Viertel aller Wahlberechtigten. Das sind derzeit über 600.000 Menschen. Ohne deutsche Staatsbürgerschaft kann man weder abstimmen noch unterschreiben. Eine Umsetzung des Fahrradvolksentscheides, dessen Inhalten eigentlich zugestimmt wurde, verzögert sich derzeit immer mehr. Ähnliche Probleme könnten auch dem Volksentscheid für Gesunde Krankenhäuser drohen. Er könnte aufgrund der angestrebten bundesweiten Regelung für Personal rechtlich angezweifelt werden oder trotz der großen Unterstützung für das Thema an den immer noch verhältnismäßig hohen Kriterien für eine Zustimmung scheitern. Doch sollte er nicht gestoppt werden können, hätte er unmittelbare Wirkung. Nach einer Übergangszeit müssten zwischen 3.000 und 5.000 Pflegekräfte eingestellt werden und die Versorgung würde sich schnell verbessern.

Kampagne für mehr Personal

Die Kampagne für den Volksentscheid wird einen enormen Druck ausüben und ist eine Gelegenheit, gewerkschaftliche Strukturen in den Krankenhäusern wieder kampfbereit zu machen und die Basis zu vergrößern. Positives Feedback bei Unterschriftensammlungen bei PatientInnen und gute Öffentlichkeit können motivieren und so die gewerkschaftliche Position festigen. Auf der Grundlage ließen sich zukünftige Streiks leichter vorbereiten. In zahlreichen Betriebsgruppen wurde der Volksentscheid schon vorgestellt und Gewerkschaftsmitglieder gehen mit dem Material über Stationen und laden zu nächsten Treffen ein. In fast allen Berliner Krankenhäusern hat das Bündnis Kontakte und AktivistInnen. Die Unterschriftenlisten und die Informationen über Personalnotstand und Alternativen werden in den nächsten Wochen in hunderte Wartezimmer und in zahlreiche Stadtteile getragen. Dadurch kann sich die Schicht von AktivistInnen noch weiter verbreitern.

ver.di Berlin unterstützt den Volksentscheid für Gesunde Krankenhäuser. Andere Gewerkschaften sollten sich der Kampagne ebenfalls anschließen. Alle ihre Mitglieder sind potentielle PatientInnen und haben ein Interesse an einer guten Versorgung. Bei der letzten Berliner DGB- Delegiertenversammlung wurde der Volksentscheid schon vorgestellt. Doch die Unterstützung sollte über eine formale hinaus gehen und bedeuten, dass in Betrieben und Verwaltungen Flugblätter verbreitet und Unterschriften aktiv über Gewerkschaftsstrukturen gesammelt werden.

Zahlreiche Mitglieder der LINKEN sind schon jetzt an der Kampagne beteiligt. DIE LINKE Neukölln hilft mit, eine breite Kampagnenstruktur im Bezirk zu etablieren. DIE LINKE Berlin hat auf dem Parteitag im November die Unterstützung beschlossen. Mitglieder sollten sich überall aktiv in die Kampagne einbringen und beim Sammeln helfen. Im Wahlprogramm der LINKEN von 2017 heißt es: „Um den Personalnotstand zu bekämpfen, will DIE LINKE eine gesetzliche Personalbemessung einführen. Wir brauchen verbindliche bundesweite Vorgaben, wie viele Pflegekräfte für wie viele Patientinnen und Patienten vorhanden sein müssen.“

Wie wird sich der rot-rot-grüne Senat zum Volksentscheid verhalten? An der Charité wird der abgeschlossene Tarifvertrag Gesundheitsschutz nur unzureichend umgesetzt und der Senat, auch unter Beteiligung der LINKEN, unternimmt zu wenig, den Aufsichtsrat zur Umsetzung verbindlicher Regelungen zu zwingen. Auch die Kolleg*innen der Charité Tochtergesellschaft CFM warten weiterhin auf einen vernünftigen Tarifvertrag.

Der Volksentscheid wird auch Druck ausüben auf die bundesweite Diskussion über gesetzliche Regelungen für eine Personalbemessung im Krankenhaus. Dort sollen Krankenkassen und Krankenhausgesellschaft bis Sommer diesen Jahres einen Vorschlag für Personalregelungen unterbreiten. Es ist zu befürchten, dass sie vollkommen unzureichend sein werden. Im Sondierungspapier von CDU, CSU und SPD für die Große Koalition wird angekündigt, Untergrenzen für alle bettenführenden Bereiche einzuführen. Was und wieviel da kommt, ist jedoch noch offen.

Für ein sozialistisches Gesundheitswesen

Die Kampagne für mehr Personal im Krankenhaus ist auch ein Angriff auf die weitere Profitorientierung im Krankenhaus und in der Gesundheitsversorgung. Der Kampf dagegen wird nicht mit einer Unterschriftensammlung enden und nicht an der Berliner Landesgrenze halt machen. Schon jetzt sind weitere Demonstrationen von Pflegekräften geplant, so zum Beispiel mit der Demonstration von PflegeschülerInnen am 12. Mai in Berlin.

Die SAV ist seit Anfang an Teil der Bewegung für mehr Personal im Krankenhaus. Unsere Mitglieder in und außerhalb der Charité haben die Streiks für bessere Löhne, gegen Ausgründung und den ersten Streik für mehr Personal unterstützt und vorangetrieben. Die SAV war gemeinsam mit vielen anderen an der Gründung und der erfolgreichen Arbeit des Berliner Bündnisses für mehr Personal im Krankenhaus beteiligt und treibt den Volksentscheid mit voran.

Wir wollen eine umfassende Veränderung des Gesundheitssystems. Zusätzlich zu einer bedarfsgerechten Personalausstattung streiten wir für ein Ende des DRG-Systems, die Rekommunalisierung der privaten Kliniken und ein öffentliches kostenloses Gesundheitssystem. Das muss ausreichend und nach den Bedürfnissen der PatientInnen und Beschäftigten finanziert sein. Das wollen wir durch eine drastische Besteuerung von Reichtum und Gewinnen erreichen. Pharmakonzerne gehören enteignet und unter demokratische Kontrolle und Verwaltung gestellt. So würde nicht erforscht, was Gewinn bringt, sondern transparent daran gearbeitet, was dringend nötig gebraucht wird. Diese Veränderungen gehen für uns einher mit einer grundlegenden Veränderung der Gesellschaft zu einer sozialistischen Demokratie.

Werde aktiv für mehr Personal im Krankenhaus. Unterstütze den Volksentscheid für Gesunde Krankenhäuser und schließe dich der SAV an.

 

Mehr Informationen über die Kämpfe in Krankenhäusern und unser Programm für ein sozialistisches Gesundheitswesen sind hier zu finden:

Übersicht: https://www.archiv.sozialismus.info/category/themen/sozialesundgesundheit/gesundheitspolitik/

Gesundheit im Sozialismus: https://www.archiv.sozialismus.info/2017/08/gesundheit-im-sozialismus/

Kampf an der Charité: https://www.archiv.sozialismus.info/2016/05/charit-erster-tarifvertrag-fuer-gesundheitsschutz-und-mindestbesetzung/