Streik in Kasachstan

Wut der Bergleute entlädt sich

In den Kohlegruben von Karaganda kommt es derzeit zu einem dramatischen Arbeitskampf. Es geht um die Übernahme der Minen durch „Arcellor Mittal Temirtau“.

Bericht von KorrespondentInnen aus Kasachstan

Schon wenige Stunden nach Beginn des Ausstands ist den Bergleuten eine Lohnsteigerung von zunächst 20 Prozent, dann sogar von 50 Prozent angeboten worden. Dennoch haben hunderte von Kumpeln, die sich unter Tage aufhalten, geschworen, solange im Stollen zu bleiben, bis die Gesamtforderung erfüllt ist. Sie wollen direkte Gespräche mit dem Besitzer, dem indischen Milliardär Lakshmi Mittal, der das Land fluchtartig verlassen hat.

Insgesamt sind mehrere tausend Bergleute involviert, die seit einem halbe Jahr schon auf die Erfüllung ihrer Forderungen warten. Jetzt ist ihre Geduld am Ende! Zu ihren Forderungen zählt eine Lohnsteigerung um 100 Prozent sowie die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Minen, um das unsagbare Maß an (teilweise tödlichen) Arbeitsunfällen spürbar zu senken. Darüber hinaus ist die Rückkehr zum Renteneintrittsalter von 50 Jahren das Ziel.

Der „Minister für sozialen Schutz“ hat für eine Zuspitzung des Konflikts gesorgt, indem er behauptet hat, die Beschäftigten würden bereits mehr als 1.000 Dollar im Monat verdienen! Fakt ist, dass sie weniger als die Hälfte dieser Summe dafür bekommen, dass sie jeden Tag Leib und Leben riskieren.

In den vergangenen Tagen haben Streikende und JournalistInnen die Aktionen – teilweise bei Minusgraden unter freiem Himmel – gefilmt und rufen zu internationaler Solidarität auf. Wie die Bergleute in den Filminterviews selbst sagen, ist die Mehrheit der Bevölkerung Kasachstans immer noch von der Kohleenergie und somit von ihrer Hände Arbeit abhängig. Das gilt sowohl für die Stromversorgung als auch für Heizmaterial.

In einem Filmmitschnitt ist ein streikender Bergmann zu sehen, wie er bei einer Massenkundgebung wütend erklärt: „Sie haben ihre feinen Häuser, ihre feinen Limousinen, ihre feinen Gehälter und wir können noch nicht einmal unsere Familien durchbringen!“. Eine andere Aufnahme zeigt einen Streikführer in der Zeche „Lenin“, der vor versammelter Belegschaft eine Rede hält. Unterbrochen von lautem Jubel sagt er: „Lenin wird bis zuletzt zu uns halten!“. Auf die Frage, ob es nicht ein Fünkchen Stabilität in Kasachstan gibt, antwortet ein Streikender mit den Worten: „Stabilität in diesem Land? – Nein!“.

Der 16. Dezember

Während dieser Artikel verfasst wurde, befanden sich alle acht Bergwerke im Ausstand. So kurz vor dem Unabhängigkeitstag des Landes, der jährlich am 16. Dezember begangen wird, nehmen die Spannungen also weiter zu.

Aus historischen Gründen ist dieses Datum in Kasachstan von großer Bedeutung. Am 16. Dezember 1986, als Kasachstan noch zur UdSSR gehörte, ist Dinmuchamed Kunajew, Generalsekretär der Kasachischen SSR, von Moskau abgesetzt und durch Gennadi Kolbin ersetzt worden. das führte zu unmittelbaren Protesten, die von den Studierenden ausgingen. Sie waren der Meinung, ein Mensch aus Kasachstan müsse an der Spitze der Teilrepublik stehen.

In Almaty (Alma-Ata) kam es zu Massendemonstrationen, die auch auf andere kasachische Städte übersprangen. Die Proteste sind energisch unterdrückt worden, wobei auch die Armee zum Einsatz kam. Es gab zahlreiche Opfer und eine Reihe von AktivistInnen ist für eine Zeit lang hinter Gitter verfrachtet worden. Einige von ihnen sind im Gefängnis gestorben. Viele Studierende sind exmatrikuliert worden. 1989 folgte dann Nasarbajew auf Kolbin.

Nach der Auflösung der UdSSR im Jahr 1991 erklärte die Regierung des unabhängigen Kasachstan den 16. Dezember zum Unabhängigkeitstag.

Genau an diesem Tag kamen 25 Jahre später, im Jahr 2011, Beschäftigte der Ölindustrie und ihre Familienangehörigen zu einer friedlichen Kundgebung im Stadtzentrum von Schangaösen im Westen von Kasachstan zusammen. Vorangegangen war ein acht Monate langer Streik für höhere Löhne. Plötzlich wurden sie ohne Vorwarnung von bewaffneten staatlichen Kräften angegriffen. Über 70 Menschen wurden getötet, viele weitere wurden verletzt.

Rigoroses Durchgreifen und Widerstand

Für die Behörden ist der 16. Dezember aufgrund dieser Ereignisse zu einem Tag geworden, an dem sie besonders nervös werden. Man fürchtet, dass die Menschen das Datum aufgreifen, um die MärtyrerInnen der Vergangenheit zu ehren und ihre Wut gegenüber der fortdauernden diktatorischen Herrschaft von Nursultan Nasarbajew. Man hat Angst vor Massenprotesten, die von diesem Tag ausgehen könnten und zum Sturz der Regierung führen könnten. Dieses Jahr haben die Behörden bereits im Vorfeld Vorkehrungen getroffen, bei denen auch die Sondereinheit „Spetsnaz“, das Büro des Oberstaatsanwalts, die Geheimpolizei KNB, Polizei und Armee involviert sind. Telefone werden abgehört, Menschen beschattet, Polizeieinheiten verstärkt und interne ErmittlerInnen eingesetzt. All dies geschieht, um Proteste unmöglich zu machen.

Vor kurzem erst, am 30. November und somit einen Tag vor dem Nationalfeiertag zu Ehren von Präsident Nasarbajew am 1. Dezember, ist es zu einer spontanen Arbeitsniederlegung in einer Kupfer-Mine in Schesqasghan (Zentralkasachstan) gekommen. Das hat die Behörden schwer verunsichert. Die Geschäftsführung des Konzerns „Kazakhmys“ hat umgehend Lohnsteigerungen und umfangreiche Zugeständnisse zugesagt. Es gab jedoch nichts Schriftliches. Jetzt greift sie zusammen mit den Behörden auf verschiedene Methoden der Einschüchterung zurück: Erpressung, Drohungen, Warnungen, Versuche, um die AktivistInnen untereinander zu spalten, und viele andere schmutzige Tricks. Die Behörden versuchen verzweifelt, Proteste zum jetzigen Zeitpunkt zu verhindern.

Die Taktik des Regimes wird nicht aufgehen

Letztes Jahr sind die Leute sogar an den Tagen vor und nach dem 16. Dezember zu Hause geblieben. Die Straßen waren wie leer gefegt. Dieses Jahr könnte es anders kommen. Das Regime ist nervös, tritt aber gleichzeitig auch provokant auf.

Vor dem Hintergrund der ganzen diktatorischen Mittel ist der Flughafen der Hauptstadt Astana nach Nasarbajew benannt worden! In Almaty wurde eine Prachtstraße nach ihm benannt. Es gibt eine Universität, die seinen Namen trägt, einen Park, eine Schule und so weiter. Es gibt Denkmäler zu seinen Ehren und nun schlagen korrupte Parlamentsabgeordnete vor, die Hauptstadt Astana in „Nasarbajew“ umzubenennen!

Die Leute sind zwar außer sich, sie trauen sich bisher jedoch nicht, in der Öffentlichkeit irgendetwas in dieser Richtung zu äußern. Einige haben Angst ihre Arbeit zu verlieren. Andere sorgen sich um das Wohl ihrer Familie. Das ist die Methode, mit der die Schergen Nasarbajews vorgehen. Dem Journalisten Berig Schagiparow wurde offiziell mit Anklage gedroht, weil er in den sozialen Medien einfach nur über die Aktionen bei „Kazakhmys“ in Schesqasghan publiziert hat. Bevor es zum echten Wutausbruch kommt, wird man weiter versuchen, Einzelne herauszupicken. Eine starke Arbeiterbewegung ist wichtiger denn je. Und nun kommt es zu dem beeindruckenden Streik in Karaganda!

Sendet bitte Solidaritätsschreiben an die streikenden Kumpel. Fotos, Emails, Videonachrichten – alles ist in jeder Sprache willkommen. Nehmt über die „Kasachstan-Kampagne“ des CWI („Campaign Kasachstan“) Kontakt auf: campaignkazakhstan@gmail.com.

Schreibt auch der Botschaft Kasachstans in eurer Nähe, um dem Nasarbajew-Regime klarzumachen, dass wir weltweit noch genau das Bild vom Blutbad in Schangaösen vor Augen haben, als streikende ArbeiterInnen internationale Unterstützung für ihre Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen bekamen und dass die willkürliche Verhaftung von Menschen, die die Kämpfe der Arbeiterklasse unterstützen, ein Ende haben muss!

Bitte sendet heute noch Protestschreiben an Präsident Nasarbajew. Schreibt an die kasachische Botschaft: berlin@mfa.kz (https://embassy.goabroad.com/embassies-of/kazakhstan)

Muster für einen Protestbrief an Präsident Nursultan Nasarbajew:

Wir schreiben Ihnen und Ihrer Regierung, um unsere volle Unterstützung für die streikenden Bergleute in Karaganda auszudrücken, die einen entschlossenen Arbeitskampf für angemessene Löhne und Arbeitsbedingungen begonnen haben. Jeden Tag setzen sie ihr Leben auf´s Spiel, um am Monatsende nur rund 500 € zu bekommen, während ein Minister der Regierung lügt und erzählt, sie würden das Doppelte bekommen. Seit einem halben Jahr bitten sie nun schon um bessere Verträge ohne bisher eine Antwort bekommen zu haben. Jetzt sind sie bereit zu streiken, viele von ihnen bleiben unter Tage bis ihnen ein faires Angebot gemacht wird.

Wir haben noch genau vor Augen, was vor sechs Jahren, am 16. Dezember 2011 passiert ist, als Beschäftigte der Ölindustrie in West-Kasachstan den Kampf für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen aufgenommen haben und Ihre Regierung bewaffnete Kräfte gegen friedlich demonstrierende Menschen in Schangaösen zum Einsatz gebracht und damit Dutzende ums Leben sowie viele weitere verletzt hat.

Sie haben schon Blut an den Händen, und wir möchten Sie warnen, dass jede weitere Gewalttat gegen streikende ArbeiterInnen und friedliche Proteste weltweit verurteilt werden wird.

Die Bergleute von Karaganda und andernorts haben die Unterstützung der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung Kasachstans. Sie haben genug von dem, was Sie Regierung nennen. Sie erleben, wie ihnen vertraute Plätze Ihnen zu Ehren umbenannt werden – weil Sie seit Jahzehnten ein Diktator sind. Sie sehen, wie Sie, Ihre Familie und Freunde sich am Reichtum des Landes bereichern, den die ArbeiterInnen aus dem Boden holen. Und sie sind wütend, dass sie immer noch in erbärmlicher Armut und in einem Polizeistaat leben.

Wir möchten Ihnen mitteilen, dass wir niemals vergessen und vergeben, was am 16. Dezember 2011 passiert ist, und dass wir uns weiterhin für Gerechtigkeit einsetzen – für die Familien der Opfer und für all jene, die aufstehen und für ihre berechtigten Forderungen eintreten.

Wir sagen:

  • Geben Sie den ArbeiterInnen, was sie fordern oder bekommen Sie die Folgen zu spüren!
  • Treten sie ab und lassen Sie demokratische Wahlen zu!
  • Lassen Sie alle politischen Gefangenen frei, die Sie in Ihren Gefängnissen festhalten, und lassen sie alle Anklagen gegen sie fallen!
  • Keine Strafverfolgung gegen diejenigen, die sich für Arbeitnehmerrechte einsetzen!