Portugals Mitte-Links-Regierung zunehmend unter Druck

Der Lack ist ab

Portugal gilt als Musterschüler der EU, hat das Land es doch scheinbar aus dem Schuldensumpf geschafft. Viele Linke schauen auf die Mitte-Linksregierung der Partido Socialismo (PS- Sozialdemokratie), die derzeit vom Linksblock (BE) und der Kommunistischen Partei (PCP) toleriert wird.

Von Anne Engelhardt, derzeit in Lissabon

Die aktuelle Erholung Portugals hat unterschiedliche Gründe. Zum einen ist der Tourismus in den südlichen Ländern Europas enorm angestiegen, Lissabon gilt als eines der sichersten Reiseziele, bisher war die Stadt von keinem Terroranschlag heimgesucht worden. Doch wie schon 2008 deutlich zeigte, ist der Tourismussektor enorm anfällig für wirtschaftliche Schwankungen. Die Arbeitsplätze in den Bereichen sind befristet, schlecht bezahlt und saisonabhängig. Zweitens ist der Wohnungsmarkt ein Investitionsbereich, der ebenfalls enorm vom Tourismus profitiert, Pensionen und AirBnB-Wohnungen schießen überall aus dem Boden und überfluten den Wohnraum, der für durchschnittlich Lohnabhängige nicht mehr erschwinglich ist. Die vorherige Mitte-Rechts-Regierung hat die Rechte für MieterInnen enorm eingeschränkt, die Verträge können schneller gekündigt, geringe Mieten erhöht werden. Geht der Tourismus jedoch zurück, wird sich das auch auf den Immobilienmarkt auswirken, der aktuelle Boom könnte schnell in sich zusammenfallen. Zudem entstehen derzeit überall Call-Center und Start-Up-Unternehmen. Firmen interessieren sich für die hochausgebildete verarmte junge Schicht Lohnabhängiger, die hervorragend Englisch und weitere Sprachen wie Französisch und Italienisch beherrscht. Zahlreiche Call-Center wurden aus diesen Ländern bereits nach Portugal ausgelagert. Auch MediaMarkt und andere Firmen haben ihre europaweite KundInnenberatung in Call-Center ausgelagert, die sich mittlerweile in Portugal befinden. Denn hier sind junge Menschen bereit für Löhne im drei Euro Bereich zu arbeiten. Diese Entwicklung war jedoch nur durch die Arbeitsmarktreformen unter der vorherigen Regierung möglich, die bisher von der Mitte-Links-Regierung nicht rückgängig gemacht wurden. Die Ausweitung von Scheinselbstständigkeit und Leiharbeit ist weiterhin die Regel. Ein weiterer Faktor für den wackeligen Aufschwung der portugiesischen Wirtschaft sind die Investitionen unterschiedlicher Fonds, insbesondere chinesischer Unternehmen in Infrastrukturprojekte. Diese kaufen und investieren vor allem in Häfen, Flughäfen, Autobahnen und Logistikunternehmen. Dieser Boom ist Ausdruck von überschüssigem Kapital, das in der Produktion von Waren nicht mehr rentabel, jedoch mit Handelsfirmen wie Amazon und Transportunternehmen kurzfristig größere Verwertung erzielen kann. Gleichzeitig steigt in diesen Unternehmen der Druck weltweit im Wettbewerb um günstigen Transport rentabel zu sein. Leiharbeitsfirmen und Niedriglöhne sind in dieser in Portugal enorm wachsenden Branche die Regel. Auch hier schiebt die aktuelle Mitte-Links-Regierung keinen Riegel vor. Die Teilprivatisierung der portugiesischen Fluglinie TAP ist nicht abgewendet worden, dass sie nicht komplett verkauft wurde, ist dem enormen Widerstand der Beschäftigten und der Bevölkerung zu verdanken. Die komplette Privatisierung aller Häfen und Autobahnen bleibt unangetastet. Immerhin wurde unter enormem Druck der Belegschaft der Verkauf der U-Bahnen in Lissabon und Porto vorerst gestoppt.

Kürzungen, Klimawandel, Kapitalismus

Portugal hat – für viele vielleicht überraschend, seit sieben Jahren das europaweit größte Anbaugebiet für Eukalyptus. Auch dieser Markt ist instabil, vor allem nachdem in diesem Sommer die Trockenheit und die fehlenden Investitionen in Brandschutz zu mehreren Feuerkatastrophen führten, tausende Hektar Land vernichtet wurden und seit Juni bis in den Oktober hinein über einhundert Menschen ihr Leben und ihre Heimat verloren.

In Portugal gibt es jedes Jahr Waldbrände. Diese werden zum Teil von den privatisierten Brandschutzunternehmen bewusst verursacht, da sie dadurch Versicherungssummen vom Staat kassieren können. Papierfirmen haben ebenfalls ein Interesse an verbranntem Eukalyptus, den sie aufgrund des verbrannten Holzes billiger kaufen und verwerten können. Doch dieses Jahr entwickelten sich die teilweise mutwillig gelegten Feuer besonders schwer, da über vier Monate der Regen vollständig ausblieb. Zur selben Zeit als in London der Grenfell-Tower brannte, starben auch in Portugal in zwei Tagen über sechzig Menschen bei einer Feuersbrunst – die Gründe waren zum Teil dieselben: Kürzungen und Profitgier. So wurden seit Jahren Investitionen in die Forstwirtschaft gekürzt, es gibt so gut wie keine FörsterInnen mehr, die die Auswirkungen und Veränderungen der Wälder überwachen und einschreiten können, zudem wurden die Sicherheitsschneisen zwischen den Eukalyptuswäldern reduziert, um noch mehr Profit aus dem Anbau zu schlagen und: die Feuer werden zum Teil absichtlich gelegt. Zuletzt waren es BewohnerInnen der Gebiete, die aus Wut und Verzweiflung und Angst vor dem Feuer begannen, die Wälder in ihrer Nähe abzuholzen, um ihre Höfe und ihr Leben zu schützen. Die Bilder der verbrannten Tierherden, verkohlten Autos und Häuser setzen eine Menge Potential für neue Proteste frei, die jedoch weder vom Linksblock, noch von der Kommunistischen Partei politisch unterstützt wurden. So behauptete die Kommunistische Partei sogar, dass es nun einmal die Umwelt sei, die solche Schäden anrichte und wenig auszurichten sei. Daher konnten rechte Parteien und Netzwerke die sehr kleinen Proteste anführen, linke AktivistInnen wurden sogar aus einer der Demonstrationen gewaltsam rausgeworfen.

Die Ausgaben für den neuen Haushalt sind höher, da Versicherungs- und Reparationszahlungen getätigt werden müssen. Die Kommunistische Partei und der Linksblock stehen hinter diesem Haushalt, der jedoch abgesehen von ein paar Investitionen in den Brandschutz keine bedeutenden Veränderungen enthält. Weder wird die Privatisierung des Brandschutzes rückgängig gemacht, die bewusste Legung von Feuern unterbunden und geahndet, noch wird der Druck auf kleine Gehöfte, Eukalyptus anbauen und billig an Papierunternehmen verkaufen zu müssen, irgendwie problematisiert. Dies wäre jedoch notwendig, um ähnliche Katastrophen in Zukunft zu verhindern.

Kommunalwahlen zur Halbzeit

Am 1. Oktober hatte die portugiesische Regierung vor diesem Hintergrund ihre erste eigene Feuertaufe. Die Kommunalwahlen finden im gesamten Land gleichzeitig statt, genau zwei Jahre nachdem die Sozialistische Partei sich von der Kommunistischen Partei und dem Linksblock ins Amt hieven ließ. Das führte zunächst zum Aufatmen unter einem Großteil der Bevölkerung: einige Kürzungen wurden zurückgenommen, doch es gab trotzdem neue. So werden momentan neue Steuern auf Nebenjobs erhoben, die Steuern auf Lebensmittel mit Zucker- und Salzzusatz steigen, was nahezu alle günstigeren Produkte und damit den ärmeren Teil der Bevölkerung trifft. Die Ausweitung des Niedriglohnsektors auch im öffentlichen Dienst, ist keineswegs gestoppt worden. Gleichzeitig wurden die vier gekürzten Feiertage wiedereingeführt und die Privatisierung der Metro in Porto und Lissabon verhindert. Die Verbesserungen werden der PS zugeschrieben, während der Druck, den die linken Parteien ausgeübt haben, aufgrund der anhaltenden Verschlechterungen unsichtbar bleibt. Während die PS ein für die europäische Sozialdemokratie aktuell untypisch hohes Ergebnis von über vierzig Prozent einfuhr, verlor die PCP die Hälfte der Kommunalparlamente, in denen sie bislang die Regierung stellte. Der Linksblock schnitt wie erwartet noch schwächer ab, was vor allem daran liegt, dass er kaum kommunal verankert ist.

Ausschluss von KritikerInnen aus dem Linksblock

Insgesamt findet derzeit eine Rechtsverschiebung des Linksblocks statt. So würdigte er den aktuellen Haushalt als ersten Haushalt in denen nur Kürzungen stehen, die mit der Verfassung vereinbar sind. Als ob das für die betroffenen Jugendlichen und Lohnabhängigen eine Rolle spielen würde. Es gibt dennoch insbesondere unter jungen Menschen, ein enorm hohes Interesse politisch aktiv zu werden. Doch die Führung des Linksblocks hat zu sehr Angst davor, dass neue Mitglieder ihren Anpassungskurs an die SP-Regierung kritisieren könnten. Daher wurde im Linksblock jegliches Parteileben eingedämpft. Es gibt keine unabhängigen Gruppen mehr, die eigenständige Aktivitäten organisieren, die Arbeit ist weitestgehend zentralisiert, demokratische Diskussionen über Ausrichtungen, vor allem jetzt nach den Kommunalwahlen, finden nicht statt.

Unsere Schwesterorganisation Socialismo Revolutionário (SR) arbeitet seit Oktober 2015 im Linksblock. Genau wie die SAV in Deutschland hat SR von Beginn an transparent gemacht, wer sie sind, welches Programm sie vertreten und wie sie den Linksblock aufbauen wollen. Dabei konzentrierten sich die GenossInnen insbesondere auf den Aufbau der Linksblockjugend und unterstützen deren Herausgabe einer zweimonatigen Zeitschrift. Bereits vor einem Jahr wurden führende Mitglieder von der Führung SR’s aus dem Linksblock ausgeschlossen, weil sie als SR-Mitglieder und nicht als ‚Individuen‘ eingetreten waren. Der aktuelle Vorwurf ist noch bizarrer: Mitglieder von SR, die immer noch Mitglieder des Linksblocks sind, haben bei den Kommunalwahlen eine einmonatige Kampagne zur Unterstützung des Linksblocks organisiert. Die Linksblockführung verweigerte ihnen jedoch die Verwendung von offiziellem Linksblock-Wahlmaterial und organisierte nur wenige zentrale Aktivitäten. Die GenossInnen druckten daraufhin ihr eigenes Material, was ihnen das Statut der Partei auch erlaubt. Um dieses zu finanzieren, sammelten sie Spenden von UnterstützerInnen und machten diese Ergebnisse nach jeder Aktion transparent. Der Vorwurf der Linksblockführung lautet nun ‚Betrug‘, da sie das Geld nicht hätten einsammeln dürfen. Dieser offizielle Grund ist vorgeschoben, aber lässt tief blicken: anstatt sich über Wahlkampfunterstützung zu freuen, wird ihnen vorgeworfen, Wahlkampfaktivitäten nicht ausschließlich im Rahmen des Linksblocks, sondern unter dem Banner von SR geführt und dafür Spenden gesammelt zu haben.

Neue Anläufe zur Selbstorganisation

Unsere GenossInnen haben sich jedoch von dieser Kampagne nicht einschüchtern lassen. Aufgrund der vergangenen Massenproteste zwischen 2010 und 2013 haben viele junge Beschäftigte und Studierende den Schluss gezogen, sich zu organisieren, was zu den Zeiten, als sie schlicht jeden Tag auf die Straße gehen und aktiv sein konnten, so nicht bestand. Unsere GenossInnen von SR versuchen diesem Bedürfnis auf unterschiedliche Weise gerecht zu werden. Da sie daran gehindert werden, neue Aktive im Linksblock zu organisieren und es unter Studierenden aus der AbeiterInnenklasse ein besonderes Organisationsbedürfnis gibt, haben sie vor zwei Monaten anlehnend an die spanische Sindicato de Estudiantes eine Studierendengewerkschaft gegründet. Innerhalb dieser Zeit haben bereits über 300 Studierende aus unterschiedlichen Fakultäten und Städten die Gewerkschaft kontaktiert, die erste Ausgabe der Gewerkschaftszeitung gekauft und begonnen in ihren eigenen Fakultäten Gruppen aufzubauen. Das Interesse an der Studierendengewerkschaft ist ungebrochen. Die erste Kampagne dieser Gewerkschaft wird sich gegen die Studiengebühren richten, die im Jahr zwischen 1.000 und 1.500 Euro betragen. Für Studierende aus Brasilien sind sie sieben Mal so hoch. Aus diesem Grund gibt es auch unter ihnen viele Anfragen.

Zudem ist auch in Portugal das Thema Sexismus und häusliche Gewalt auf der Tagesordnung. So wurden laut der portugiesischen Organisation UMAR in den letzten zwölf Jahren 454 Frauen von ihrem Partner oder Ex-Partner ermordet; 526 wurden Opfer versuchten Mordes. Zudem wurde vor einem Monat ein gewalttätiger Ehemann freigesprochen, der seine Frau verschleppt und mit einem Baseballschläger verprügelt hatte, nachdem sie eine außereheliche Beziehung eingegangen war. Der Ex-Geliebte war ebenfalls angeklagt, dem Ehemann bei ihrer Verschleppung geholfen zu haben. Der Richter urteilte, dass die Frau an ihrer Lage selbst schuld sei, da sie die Ehre ihres Mannes beschmutzt habe und auch aus der Bibel hervorginge, dass auf Ehebruch die Todesstrafe stünde.

Nach diesem Urteil gab es in ganz Portugal eine Reihe von Protesten. Aufgrund des hohen Interesses insbesondere unter jungen Frauen haben unsere Genossinnen, angelehnt an die erfolgreiche Initiative in Irland die Plattform ROSA (für das Recht auf Selbstbestimmung, gegen Unterdrückung, Sexismus und Kürzungen) gegründet. Auf die erste Veranstaltung zum Thema „ zehn Jahre Abtreibungsrecht in Portugal“ gibt es bereits jetzt riesiges Interesse.

Neuer Aufwind für soziale Kämpfe

Dennoch ist das Banner des Linksblocks für viele Schichten immer noch attraktiv und eine Demokratisierung und die Ausrichtung des BE auf außerparlamentarische Kämpfe gerade jetzt wichtig: Am 18. November gab es eine gewerkschaftlich organisierte Demonstration für die Rentenerhöhung. In den privatisierten Häfen gibt seit 2012 erfolgreiche Kämpfe gegen Union Busting und Leiharbeitsfirmen. So hat die Hafengewerkschaft Lissabons 2016 mit einem 38-tägigen Streik dafür gesorgt, dass die Leiharbeit in ihrem Betrieb abgeschafft werden musste und alle prekär Beschäftigten in den Vertrag der festangestellten KollegInnen aufgenommen wurden. Die Gewerkschaft hat nun begonnen, sich auf ganz Portugal auszuweiten. In zwei weiteren Häfen konnte sie den gleichen Vertrag durchsetzen und in zwei weiteren Häfen Proteste und Aktionen gegen Union Busting organisieren. Der Sektor stellt derzeit das stärkste Bataillon im erfolgreichen Kampf gegen prekäre Arbeit in Portugal dar. Daran nehmen sich nun immer mehr Bereiche ein Beispiel: So gab es im November einen LehrerInnenstreik für Lohnerhöhungen, die Löhne waren durch die Kürzungen im öffentlichen Dienst teilweise über zehn Jahre eingefroren worden. Gleichzeitig kämpfen PflegerInnen für eine Anpassung ihrer Wochenarbeitszeit an die 35-Stunden-Woche. Die vorherige Regierung hatte die Wochenarbeitszeit für alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst auf vierzig Stunden heraufgesetzt. Die Mitte-Links-Regierung hatte versprochen, dies rückgängig zu machen. Jedoch gab es zunächst eine Reihe von Streiks, um der Einlösung dieses Versprechens Nachdruck zu verleihen. So hat ein Teil des öffentlichen Dienstes wieder die 35-Stunden-Woche erhalten, aber sämtliche Beschäftigte, die der Scheinselbstständigkeit zugeordnet werden, müssen weiterhin vierzig Stunden pro-Woche arbeiten. Das betrifft insbesondere die Pflegekräfte. Im VW-Tochterwerk Autoeuropa soll derzeit der Samstag als fester Arbeitstag eingeführt werden, wogegen die Angestellten streiken und sich bereits Beratung durch die Lissabonner Hafengewerkschaft organisiert haben.

Die Mitte-Linksregierung toleriert von BE und PCP wird jedoch zunehmend als Gegnerin wahrgenommen – der matte Glanz des Tolerierungsprojektes ist verschwunden. Während es in den vergangenen Jahren von der PCP und dem BE Strukturen von Studierenden gab, die gegen Studiengebühren protestierten, ist davon heute nichts mehr übrig. Während bei Streiks und Demonstrationen Linksblock und Kommunistische Partei eigene Blöcke organisierten, wollen sie es sich momentan nicht mit ihrer Tolerierungspartnerin verderben. Der neue Haushalt wird vom PCP und vom BE mitgetragen, obwohl er insbesondere für junge Lohnabhängige Verschlechterungen enthält und: er enthält vor allem keine Verbesserungen. Keine Reichensteuer, keine Vermögenssteuer, keine Programme zur Verstaatlichung, keine notwendigen Investitionen in Schulen, Universitäten, Krankenhäuser. Die Mehrheit der neuen Investitionen gehen stattdessen an private Anbieter im Bildungs- und Gesundheitsbereich. Als Vorbild für linke Regierungsbeteiligung kann dieses Projekt daher keineswegs gelten, vielmehr ist es ein Beispiel für ein weiteres Scheitern linker Parteien, die sich von unabhängiger, außerparlamentarischer, demokratischer Arbeit für Lohnabhängige, Jugendliche und RentnerInnen verabschiedet haben.