Streik an der Charité

Interview mit Carsten Becker  (Sprecher von ver.di Charité)

Vor zwei Jahren wurde an der Charité eine tarifliche Personalbemessung erkämpft. Damit sollte die andauernde Überlastung beendet werden. Erstmals wurden in einem Tarifvertrag für Gesundheitsschutz Minimalbesetzungen für Krankenhausstationen vereinbart, die je nach Pflegebedarf vorsehen, wie viel Personal eingesetzt werden muss. Das hat bundesweit Wellen geschlagen und Beschäftigte in vielen Krankenhäusern ermutigt, sich auf den Weg zu machen für tarifliche Entlastung. Und es hat zu einer politischen Debatte über den Pflegenotstand geführt.

Leider hat sich seitdem für die Beschäftigten an der Charite real wenig verändert, weil der Arbeitgeber sich nicht an die Umsetzung hält. Immer noch fehlt Personal und sind Stationen unterbesetzt. Deshalb hat ver.di den Tarifvertrag Gesundheitsschutz nicht verlängert. Nachdem die Verhandlungen mit dem Arbeitgeber für einen verbesserten Tarifvertrag gescheitert waren, begann am gestrigen Montag (18.09.) morgen ein Erzwingungsstreik an der Charité.

Michael Koschitzki sprach für sozialismus.info mit Carsten Becker, Sprecher der ver.di-Betriebsgruppe an der Charité.

Wofür seid ihr erneut in den Streik getreten?

Damit die vor anderthalb Jahren vereinbarten Mindeststandards in jeder Schicht endlich verbindlich umgesetzt werden.

Wie verlief der erste Streiktag?

Der erste Streiktag lief schwierig an, da die Charité die Notdienstvereinbarung nicht unterschrieben hat. Dadurch hatten wir in vielen Bereichen die Situation, dass tatsächlich immer noch zu viele PatientInnen auf den Stationen waren, für die wir bereits letzte Woche Streiks angemeldet hatten. Durch viele Gespräche und durch die Standhaftigkeit der KollegInnen konnten wir aber bereits einige Teilerfolge erreichen, so dass wir zuversichtlich in die nächsten Streiktage gehen können.

Worum geht es bei der Notdienstvereinbarung, was sieht diese vor?

Der wesentliche Kern der Notdienstvereinbarung ist, dass wir der Charité vorzeitig anzeigen, dass wir eine solch hohe Streikbereitschaft in den unterschiedlichen Teams haben, dass entweder mit Vorankündigungszeiten Betten gesperrt werden müssen, damit darin keine PatientInnen liegen, die dann gefährdet wären, weil zu wenig Personal da ist, oder dass mit einer etwas längeren Vorlaufzeit von einer Woche der Charité gemeldet wird, dass eine ganze Station geschlossen werden muss.

Streik im Krankenhaus: Wie funktioniert das?

Streik im Krankenhaus funktioniert bei uns so, dass wir erstens wissen, dass nicht alle streiken können, die streiken wollen, denn eine Patientenversorgung muss ja in irgendeiner Form gewährleistet sein. Es läuft dann so, dass eine bestimmte Anzahl von KollegInnen eines Teams sagen, wir wollen eine bestimmte Anzahl von Betten sperren, damit eine gewisse Anzahl von KollegInnen in Früh-, Spät- und Nachtdienst in den Arbeitskampf gehen können. Oder die Streikbereitschaft im Team ist so groß, dass man dann mit einer längeren Ankündigungszeit sagt, die Station muss komplett geschlossen werden, denn wo kein Patient ist, dort kann auch kein Patient gefährdet werden.

Es gibt relativ viele Widerstände vom ärztlichen Personal und von der Leitung der Charité. Was denkst du, woran liegt das?

Wir hatten ja in den Streiks 2011 und 2015 mit einer Notdienstvereinbarung gute Erfahrungen gemacht. Ich denke, die Charité will gegenüber anderen Arbeitgebern in den Krankenhäusern hier nun den starken Max markieren. Wahrscheinlich hat die Charité von anderen Arbeitgebern zu viel Prügel für die Unterzeichnung des Tarifvertrages Gesundheitsschutz kassiert und jetzt versucht die Charité dagegen zu halten.

Habt ihr trotzdem weitere KollegInnen mobilisieren können?

Wir haben morgens erst mal die Lage sondiert. So hatten wir bereits Sonntag Nachmittag die ersten Rückmeldungen darüber erhalten, wie so die Belegungssituation aussieht. Das haben wir morgens noch mal für die einzelnen Bereiche konkretisiert. Dann sind wir mit den streikenden KollegInnen über die einzelnen Bereiche und Stationen gegangen, haben mit den KollegInnen dort gesprochen und noch mal die Verwirrungen seitens des Arbeitgebers aufgeklärt. So gab es Behauptungen wie „ihr dürft nicht streiken“ oder „der Streik ist illegal“. Das konnten wir dann erst mal aushebeln und haben dadurch weitere KollegInnen in den Streik holen können. Wir haben mit diesen Aktivitäten dem Arbeitgeber noch mal deutlich gemacht, wie ernst wir es meinen, so dass es dann auch zu weiteren Verlegungen von PatientInnen gekommen ist.

Am Nachmittag gab es dann eine Kundgebung vorm Aufsichtsrat. Was war eure Botschaft? 

Wir haben ziemlich deutlich gemacht, dass wir da und dass wir laut sind. Und wir haben natürlich die Situation genutzt, dass dort gestern die Ausschüsse des Aufsichtsrates mit VertreterInnen der Berliner Landespolitik wie dem Finanzsenator und dem Regierenden Bürgermeister getagt haben. Wir haben ihnen deutlich gemacht, dass wir sie bei dem, was hier an der Charite läuft, nicht aus der Verantwortung nehmen.

Wie geht es in den nächsten Tagen weiter?

Dienstag früh werden wir damit beginnen dafür zu sorgen, dass die Stationen, die ab diesem Tag ihre Schließung anmelden können, es auch tatsächlich umsetzen können. Ab 15 Uhr wird es eine Demonstration vom Standort Wedding zum Standort Mitte geben, so dass wir uns dann gemeinsam an der Kundgebung der Berliner und Brandenburger Krankenhäuser beteiligen können, die um 17 Uhr vor dem Bundesgesundheitsministerium in der Friedrichstraße beginnen wird.

Wie kann man euch unterstützen?

Uns kann man unterstützen, indem man in den Streiklokalen vorbei schaut und den KollegInnen auf die Schultern klopft, denn es ist eine mutige Entscheidung, in einem Krankenhaus zu streiken. Man kann uns noch mehr unterstützen, indem man im Aktionsbündnis Berlinerinnen und Berliner für mehr Personal im Krankenhaus aktiv wird.

Vielen Dank für das Gespräch!