G20: Kampf um die Zahlen

Weniger PolizistInnen verletzt als behauptet

Brennende Barrikaden, Pyrotechnik, Hinterhalte für PolizistInnen und Steine, die durch die nächtlichen Hamburger Himmel fliegen. Einsatzkräfte am Limit, PolizistInnen in Gefahr durch – wie es jetzt vielerorts heißt – linken Terrorismus. „Es wurden 500 Polizisten verletzt“, bemerkte denn auch Wolfgang Bosbach (CDU) in einer Talkrunde bei Sandra Maischberger, die er unter großem Getöse vorzeitig verließ.

Von Steve Hollasky, Dresden

Doch nicht erst seit den Protesten gegen das Treffen der G8 2008 in Heiligendamm weiß man, dass die Polizeiführung gern Zahlen herausgibt, die aufgrund ihrer Ungenauigkeit, leicht den Eindruck entstehen lassen, der Einsatz der Polizei sei deeskalierend, beinahe friedlich; nur die DemonstrantInnen hätten gewütet.

Grund genug sich die Zahlen der Polizei genauer anzuschauen: Schon die Zahl 500 Verletzte ist eine Übertreibung, es waren im Ganzen – immer noch gewaltige – 476 Beamtinnen und Beamte, die im Einsatz verletzt wurden. Das Medienunternehmen „Buzzfeed“ hat diese Zahl noch einmal genauer unter die Lupe genommen. Die Zahl der Verletzten bezieht sich nicht auf den unmittelbaren Zeitraum des Gipfels, sondern auf die Zeitspanne zwischen dem 20. Juni und dem 10. Juli und schließt alle Krankmeldungen (etwa wegen einer ganz normalen Grippe) ein. Unmittelbar im Einsatz gegen die Proteste ringsum das G20-Treffen wurden 231 PolizistInnen gesundheitlich in Mitleidenschaft gezogen.

Von den 476 verletzten Einsatzkräften meldeten sich 455 am Folgetag wieder zum Dienst. Der Großteil von ihnen war der Hitze zum Opfer gefallen: Dehydrierung und Kreislaufversagen waren demnach häufige Ursachen von Ausfällen. Aber kein noch so schwarz gekleideter Autonomer trägt dafür die Verantwortung. Erst recht nicht jene bunt gekleidete Demonstrantin, die – vollkommen gewaltlos – auf einem Räumpanzer der Polizei stand und mittels Pfefferspray von gleich mehreren Polizisten vom Fahrzeug geholt wurde.

Lediglich 21 PolizistInnen waren so schwer verletzt, dass sie auch am Folgetag dienstuntauglich waren. Die Bundespolizei meldete im Übrigen zwei Schwerverletzte, die 16 Länderpolizeien gar keinen, wie das „Handelsblatt“ unlängst bemerkte. Ähnlich wie 2008 in Heiligendamm fielen viele PolizistInnen aus, weil sie sich in der unübersichtlichen Situation – die sie mit dem halsbrecherischen Einsatzstil oft selbst herbeigeführt hatten – unabsichtlich gegenseitig mit Tränengas unter Feuer genommen hatten.

Dem gegenüber stehen ungezählte DemonstrantInnen, die ohne ihr Zutun von den Einsatzkräften verletzt wurden. In einem Fall wurde ein Demonstrant mit einem offenen Bruch nicht etwa ins Krankenhaus gebracht, sondern in die Gefangenensammelstelle, wo die dort Einsitzenden nicht selten ihrer grundlegendsten Rechte beraubt wurden. Ihnen gehört unsere Solidarität.

Eines noch, wer wissentlich falsche bzw. tendenziöse Verletztenzahlen in solch einer Situation verbreitet, der will den Zorn der Einsatzkräfte nur noch mehr erhöhen, der feuert sie an, statt sie zu mäßigen. Genau das hat die Polizeieinsatzleitung spätestens ab Freitag getan. Das allein ist schon eine Eskalationsstrategie!

Auch dieses Vorgehen ist nicht neu. Am 2. Juni 1967, während der Proteste gegen den Schah-Besuch in Westberlin, verbreitete die Polizeiführung, ein Demonstrant habe einen Polizisten erstochen – eine glatte Lüge, die die Stimmung noch weiter anheizte und schließlich zu einem toten Demonstranten führte. Ein rechter Polizist erschoss den Studenten Benno Ohnesorg.