Schleswig-Holstein: „Küstenkoalition“ abgewählt

Parlamentarische Rechtsverschiebung und Enttäuschung für DIE LINKE

Am 7. Mai hat die CDU in Schleswig-Holstein die Landtagswahl gewonnen. Sie wird vermutlich mit dem zuvor kaum bekannten Daniel Günther den Ministerpräsidenten stellen, mit hoher Wahrscheinlichkeit in einer „Jamaika-Koalition“ mit der erstarkten FDP und den Grünen. Woher kommt dieses Ergebnis und was ist mit der LINKEN?

Von André Czerwinski, Flensburg und Jan Hagel, Reinbek

Die CDU konnte ihren Stimmenanteil gegenüber der Wahl 2012 leicht auf 32 Prozent steigern. Die SPD von Ministerpräsident Thorsten Albig fiel auf 27,2 Prozent, die Grünen stagnieren bei 12,9 und die FDP wurde mit 11,5 Prozent eigentlicher Wahlsieger. Die AfD bekam mit 5,9 Prozent ihr schwächstes Landtagswahl-Ergebnis der letzten zwei Jahre, feiert den Einzug ins mittlerweile zwölfte Landesparlament aber als Sieg. Dem SSW, bisher kleinster Partner in der „Küstenkoalition“ mit SPD und Grünen, war der Wiedereinzug von vornherein sicher – die Partei der dänischen Minderheit ist von der Fünf-Prozent-Hürde ausgenommen. Trotzdem verliert er mit dem schwächsten Wahlergebnis seit 1996 seine Regierungsbeteiligung. Die LINKE konnte ihr Ergebnis gegenüber 2012 zwar verbessern, bleibt aber mit 3,8 Prozent weit von der erhofften Rückkehr in den Landtag entfernt.

Rechtsruck?

CDU, FDP und AfD haben insgesamt 10,5 Prozentpunkte dazugewonnen. Im neuen Landtag gibt es entsprechend eindeutig eine Verschiebung nach rechts. Dennoch unterscheidet sich die Entwicklung in Schleswig-Holstein von den Landtagswahlen der letzten Jahre, bei denen die AfD als alleinige Wahlsiegerin erschien und von verbreiteter Wut auf die Regierungen bzw. die etablierten Parteien, aber auch von rassistisch aufgeladenen Debatten über Geflüchtete profitieren konnte.

Rassismus war kein wahlentscheidendes Thema, laut Umfragen der ARD stimmten zu dieser Wahl deutlich weniger befragte WählerInnen ausländerfeindlichen Thesen zu als bei den verschiedenen Landtagswahlen 2016. Aus der SPD-Landesspitze wurde versucht, das Wahlergebnis mit dem Abschiebestopp der Landesregierung nach Afghanistan zu erklären, für den die Bevölkerung kein Verständnis gehabt habe. Bei einer Umfrage sprachen sich aber 51 Prozent der Befragten für den Abschiebestopp aus.1 Auch wenn der Einzug der AfD eine besorgniserregende Entwicklung ist und die bevorstehende Bildung einer CDU-geführten Regierung für Geflüchtete aus Afghanistan zur realen Gefahr von Abschiebungen führt, kann also von einer parlamentarischen Rechtsverschiebung, nicht aber von einem Rechtsruck im Sinne von massenhafter Unterstützung für rassistische Positionen gesprochen werden.

Allerdings blieb auch die mögliche Polarisierung nach links aus, die als Reaktion auf den Aufstieg rechter und rassistischer Kräfte entstehen kann. Die Wahlbeteiligung stieg zwar leicht von 60 auf 65 Prozent und sicherlich sind einige Menschen mit dem Ziel zur Wahl gegangen, die AfD aus dem Landtag zu halten, aber antirassistische und antifaschistische Kräfte wie DIE LINKE wurden nicht deutlich gestärkt. Dennoch gab es im Wahlkampf wirkungsvolle Proteste gegen AfD-Veranstaltungen etwa in Kiel, Aukrug bei Neumünster und Westerholz bei Flensburg, den Rassisten fiel es zunehmend schwer Räume zu mieten und ihre Plakate verschwanden vielerorts schnell von den Straßen. Auch nach der Wahl bleiben antirassistische Proteste notwendig – nicht nur gegen den anstehenden Bundestagswahlkampf der AfD, sondern auch gegen den staatlichen Rassismus, der in Schleswig-Holstein bisher etwas „gemäßigt“ erschien, sich unter einer CDU-geführten Regierung aber bald auf das bundesweit übliche Niveau steigern wird.

Warum?

In den letzten Jahren hat die „Küstenkoalition“ zwar für die Mehrheit der Bevölkerung nichts verbessert, aber auch keine größeren Angriffe auf Sozialleistungen, Daseinsfürsorge und öffentliche Dienstleistungen geführt, so dass es keinen konkreten Anlass gab, an dem sich Protestbewegungen hätten bilden können. Deshalb waren soziale Fragen im Wahlkampf in den Medien wenig präsent.

Die bürgerlichen Parteien setzten vor allem auf die Themen innere Sicherheit und Infrastruktur bzw. Straßenbau, von denen CDU und FDP traditionell profitieren konnten. Mit einem klassischen „law and order“-Wahlkampf zeichneten sie das Bild allgegenwärtiger Kriminalität, der mit einer Aufrüstung der Polizei begegnet werden müsse.

Auch die Bildungspolitik war ein wichtiges Thema, hier konnte die CDU mit ihrer Forderung nach „G9“ punkten, also dem Abitur nach 13 statt nach 12 Schuljahren – obwohl sie selbst vor knapp zehn Jahren bundesweit die Abschaffung des 13. Schuljahrs und damit eine deutliche Erhöhung des Leistungsdrucks in den Schulen mit durchgesetzt hat, um Geld für Bildung zu sparen und SchülerInnen früher auf den Arbeitsmarkt zu befördern.

Die FDP profitiert davon, dass sie in den bürgerlichen medien zur Zeit eine Beachtung findet, die ihrer parlamentarischen Position nicht entspricht und den Wunsch des Bürgertums zum Ausdruck bringt, die „kleine Partei des großen Kapitals“ im Herbst wieder in den Bundestag zu hieven. In Schleswig-Holstein kommt die hohe Popularität des, oftmals populistisch auftretenden, langjährigen Landesfürsten Wolfgang Kubicki hinzu, der im Gegensatz zum blassen CDU-Spitzenkandidaten Günther sehr bekannt ist. Eine verbreitete Sehnsucht nach Neoliberalismus und verstärkter Umverteilung von unten nach oben lässt sich aus dem FDP-Ergebnis nicht ableiten.

Die SPD hatte selbst außer „weiter so“ nichts anzubieten, wie üblich hatte sie in der Regierung viele ihrer Wahlversprechen, etwa zu Kita-Beiträgen und Wohnungsbau nicht eingehalten. Auch sexistische Äußerungen Albigs über seine Ex-Frau im Klatschmagazin „Bunte“ kurz vor der Wahl haben ihr wohl geschadet. Von einem Schulz-Effekt war auch an der Küste nichts zu spüren, was vor allem damit zusammen hängen wird, dass Martin Schulz seinen großen Versprechen von sozialer Gerechtigkeit nun monatelang keine klaren Reformforderungen im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung hat folgen lassen, sondern stattdessen seine Nähe zur Wirtschaft und zur FDP betont hat.

Bundesweite Faktoren spielten sicher auch eine Rolle. 46 Prozent der CDU-WählerInnen gaben an, der Hauptgrund für ihre Wahlentscheidung sei Angela Merkel. Offenbar wirkt die ständige Propaganda, dass Merkels Politik der Grund für geringe Arbeitslosigkeit und relative wirtschaftliche Stabilität bei einem Teil der WählerInnen. Die Tatsache, dass eine große Mehrheit der Befragten in Umfragen angibt, die eigene und allgemeine wirtschaftliche Situation als positiv zu bewerten, hilft den traditionellen bürgerlichen Parteien.

Lehren für DIE LINKE

DIE LINKE konnte die Anzahl ihrer Stimmen gegenüber 2012 fast verdoppeln, dennoch ist das Wahlergebnis eine große Enttäuschung – Schönreden hilft hier nicht.

Trotz eines großen Niedriglohnsektors ist Schleswig-Holstein ein schweres Pflaster für DIE LINKE. Die Mehrheit der Bevölkerung lebt auf dem Land und in kleinen Städten, wo die Partei kaum verankert ist. Hier waren ihre Wahlergebnisse deutlich schlechter als in Kiel und Flensburg, wo sie jeweils sieben Prozent erreicht hat. Im Wahlkampf wurde DIE LINKE von den bürgerlichen Medien lange weitgehend ignoriert. Ohne Strukturen vor Ort war es schwer, ihre korrekten Forderungen nach kostenlosem ÖPNV, bezahlbaren Mieten, guter und kostenloser Bildung und mehr Pflegepersonal ins Bewusstsein der Bevölkerung zu bringen.

Zudem gab es im Wahlkampf gewisse Widersprüche. SPD, Grüne und SSW hatten sich immer wieder eindeutig für eine Weiterführung ihrer Koalition ausgesprochen. Und obwohl SPD-Landeschef Ralf Stegner und Albig als Ziel proklamierten, DIE LINKE aus dem Landtag zu halten, sendete deren Führung unklare Signale aus. Einerseits wurde unter dem zentralen Wahlkampfslogan „Was der Politik fehlt, ist Haltung“ der Opportunismus der SPD und die Untätigkeit der Regierung kritisiert, andererseits gab es in Interviews, bei Veranstaltungen und in Tweets des LINKE-Landesverbands mehrfach Bekenntnisse zu einer „links-sozialliberalen Mehrheit“, als sei der Eintritt in die Küstenkoalition selbstverständliches Ziel der Partei.

Aber nur wenn DIE LINKE sich weiter verankert und nicht nur als Ergänzung zu SPD und Grünen, sondern als wirkliche Alternative zum neoliberalen „Weiter so“ mit antikapitalistischem Profil auftritt, kann sie wachsen und auch in Schleswig-Holstein zu einer relevanten Kraft werden.

Potential dafür ist trotz allem vorhanden – besonders bei Jugendlichen, von denen immerhin sieben Prozent DIE LINKE gewählt haben, bei Erwerbslosen (neun Prozent) und Lohnabhängigen (vier bis fünf Prozent). Um Lohnabhängigen, Erwerbslosen und Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, aktiv zu werden und Politik für ihre eigenen sozialen Interessen zu machen ist es wichtig, die Kreis- und Ortsverbände aufzubauen und die Möglichkeiten der Kreistags- und Stadtratsfraktionen für Öffentlichkeitsarbeit stärker zu nutzen.

Die Bundestagswahl im September und die Kommunalwahl im Mai 2018 bieten Gelegenheiten, mit einem aktivierenden Wahlkampf Mitglieder zu gewinnen und so die Parteistrukturen im ländlichen Raum zu stärken. Allerdings darf sich DIE LINKE nicht auf Wahlen und Arbeit in Kommunalparlamenten beschränken. Sie muss auch außerhalb von Wahlkämpfen gegen Probleme wie den Mangel an bezahlbaren Wohnraum und Kitaplätzen oder die Überlastung von Kranken- und AltenpflegerInnen kämpfen, Streiks und Protestbewegungen unterstützen und wahrnehmbar aktiv sein.

Unsere Autoren sind aktiv in der Linksjugend[’solid].

1http://wahl.tagesschau.de/wahlen/2017-05-07-LT-DE-SH/umfrage-fluechtlingspolitik.shtml