Gute Bildung für alle statt Lernfabriken

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Argumente für ein anderes Bildungssystem

Uns wird immer wieder erzählt, dass Bildung unser höchstes Gut sei. Doch wenn Lernende an ihren Alltag denken, gehen ihnen andere Dinge durch den Kopf: Lernstress, verstopfte Klos, Zukunftsangst. Doch die Probleme müssen wir nicht ewig hinnehmen. Veränderungen können wir uns erkämpfen.

von Tom Hoffmann und Michael Koschitzki, Berlin

Marode Schulen und fehlende Investitionen

Die schwarz-rote Bundesregierung und die Bundesländer – in denen mehrheitlich die SPD mitregiert –, brüsten sich damit, viel Geld für das Bildungssystem auszugeben. 2016 waren das 129 Milliarden Euro und damit fünf Prozent mehr verglichen zum Vorjahr. Durchaus wurde also etwas mehr Geld investiert. Dennoch: Gemessen am Bruttoinlandsprodukt verharren die Ausgaben für Bildung bei mickrigen 4,3 Prozent. Das liegt unter dem Durchschnitt der OECD- und EU-Länder.

Baustellen bleiben die maroden Schulgebäude. Bundesweit beträgt der Investitionsstau 34 Milliarden Euro. Trotz des Haushaltsüberschusses weigert sich die Bundesregierung dieses Problem anzugehen. Mickrige 3,5 Milliarden werden den Kommunen für die Schulinfrastruktur zusätzlich zu Verfügung gestellt.

Für die Bundesländer, die den größten Teil des Lehrpersonals bezahlen, sind keine weiteren Zuschüsse vorgesehen. Statt sicherzustellen, dass flächendeckend in Bildung investiert wird, steckt die Bundesregierung Milliarden in die Spitzenbildung. Um „international wettbewerbsfähig“ zu sein, werden einzelne Elite-Universitäten durch Förderprogramme heran gezüchtet, während bei der Masse an Hochschulen prekäre Bedingungen für Studium, Lehre und Forschung herrschen. Statt elitärer Förderungsauswahl brauchen wir massive, flächendeckende Investitionen! Dabei gibt es genug Geld: 34 Milliarden Euro Investitionsstau sind nicht mal ein Fünftel des Vermögens allein der zehn reichsten Deutschen, sind ungefähr ein Sechstel des Jahresumsatz der Volkswagen AG von 2015.

Die nötigen Mittel für gute und kostenlose Bildung für alle sind da – sie liegen in den Händen der Reichen, Banken und Konzerne.

Forderungen der SAV:

  • Soforteinstellung von 100.000 LehrerInnen und 8.000 ProfessorInnen
  • Für mindestens 110 Prozent Personalausstattung als ersten Schritt zu einer bedarfsgerechten Personalausstattung
  • Verkleinerung der Klassen auf maximal 15 SchülerInnen
  • Für qualifizierte, tariflich bezahlte Lehrerjobs statt billigen Lückenfüllern
  • Massives Investitionsprogramm von 58 Milliarden Euro
  • Die Reichen sollen zahlen – Sofortige 25-prozentige Zwangsabgabe für alle Milliardäre (brächte ca. 170 Milliarden Euro), für eine zehnprozentige Millionärssteuer und eine drastische Besteuerung von Unternehmensgewinnen.

Privatisierungen

Unternehmen versuchen gezielt Einfluss auf Bildungsinhalte zu nehmen bzw. in Form von privaten Zusatzleistungen wie Nachhilfe, Profite zu machen. Die leeren Kassen der Kommunen kommen ihnen dabei zu Gute. Sie versuchen mit eigenem, kostenlos angebotenem Lehrmaterial SchülerInnen wie LehrerInnen zu beeinflussen und neoliberale Ideen unter ihnen zu verbreiten. In Baden-Württemberg wurde zum neuen Schuljahr zum Beispiel ein neues Fach eingeführt, welches den Namen „Wirtschaft, Berufs- und Studienorientierung“ trägt und dessen Lerninhalte in Zusammenarbeit mit arbeitgebernahen Lobbygruppen ausgearbeitet wurde. Wirtschaftliche Probleme sollen ohne Bezug zu sozialen, ökologischen oder politischen Aspekten behandelt werden – Gewerkschaften und andere Arbeiterorganisationen werden vermutlich keine Rolle spielen. Ein Millionengeschäft sind die Dienstleistungen von Nachhilfe-Unternehmen wie dem „Studienkreis“, welcher vor wenigen Jahren von der Private-Equity-Gesellschaft Aurelius aufgekauft wurde und jährlich circa fünfzig Millionen Euro Umsatz macht. Doch wenn Profit- und Unternehmerinteressen in der Bildung weiter Fuß fassen, wird das auf Dauer zu noch schlechteren Lernbedingungen und noch unkritischeren Lerninhalten führen.

Forderungen der SAV:

  • Unternehmen raus aus den Schulen und Hochschulen – Schluss mit Privatisierung
  • Nein zu Sponsoring und kommerzieller Werbung an öffentlichen Bildungseinrichtungen!
  • Flächendeckende Lehr- und Lernmittelfreiheit – Kostenlose Bildung ist unser Recht!

Stress, Druck und Prüfungen…

Die zeitliche Belastung für SchülerInnen, Studierende und Auszubildende hat in den letzten Jahren enorm zugenommen. Das liegt vor allem an der Verkürzung der Abiturlaufzeit, vermehrten Prüfungsdruck durch zusätzliche Zentralprüfungen, dem Studiensystem und Überstunden für Auszubildende. Dahinter steht eine Bildungspolitik, die auf schnellere und frühere Abschlüsse und verstärkte Messbarkeit abzielt. Egal ob CDU/CSU, SPD, FDP oder Grüne, sie wollen ein Bildungssystem, das schnell Arbeitskräfte hervorbringen soll und nicht vielseitig gebildete Menschen.

Zwei von fünf SchülerInnen haben wöchentlich Kopfschmerzen vom Stress – fast vier von fünf mindestens alle drei Monate. Das sogenannte Turbo-Abitur nach zwölf Jahren Schule wurde bundesweit einheitlich eingeführt, um „international wettbewerbsfähig“ zu sein. Schließlich kommen SchülerInnen in Frankreich schon nach zwölf Jahren aus der Schule. Der Stoff wurde einfach auf weniger Jahre umgelegt.

Hausaufgaben fördern Ungleichheit

Zusätzlich zur hohen Anzahl von Stunden steigt nicht selten die Zahl der Hausaufgaben. Diese fördern den Stress und sind zudem oft wirkungslos, wie Studien gezeigt haben. Sie belegen auch, dass Hausaufgaben gleichzeitig Ungleichheit zementieren. Bereits gute SchülerInnen kommen besser damit zurecht, „leistungsschwache“ frustrieren daran. Stattdessen würden Ganztagsschulen mit Freiarbeitszeit und professioneller Betreuung sowie wirklicher Freizeit im Anschluss viel besser funktionieren, wie zum Beispiel eine Modellschule in Wuppertal zeigt. In Spanien, wo Schüler im Schnitt drei Stunden mehr Hausaufgaben machen müssen als in Deutschland, rief der Elternverband im November zum Streik gegen Hausaufgaben auf.

Weg mit Zentralprüfungen

Ein weiteres Problem ist die Einführung von Zentralprüfungen, wie sie dieses Jahr im Fach Mathematik von 14 Bundesländern im Abitur erprobt werden. Zentralprüfungen sollen gerechtere Vergabe von beispielsweise Studienplätze ergeben. Doch stattdessen führen sie zu standardisierter einheitlicher Wissensabgabe und zu Prüfungsangst, weil der Stoff nicht bekannt ist und Lehrer eine noch größere Bandbreite abarbeiten müssen.

Zentralprüfungen führen auch zu Wettbewerb zwischen Schulen und Bundesländern statt zu an den Bedürfnissen der Lernenden orientierter Bildung. Es wird auf Notenschnitte geachtet und nicht auf eine gute Lernatmosphäre. Anstatt mehr und mehr Zentralprüfungen einzuführen, sollte die Anzahl von Prüfungen gesenkt werden und ausreichend Studienplätze nach Bedarf eingerichtet werden.

Ein freies Lernen, dass den Wissenszuwachs in den Mittelpunkt stellt und nicht in möglichst kurzer Zeit Ergebnisse aus Lernenden rauspressen will, führt zu einer vielseitigeren und besseren Bildung.

Forderungen der SAV:

  • Statt BA/MA, Stress und Turbo-Abi: Demokratische Neugestaltung der Lehrpläne, Bildungsdauer, Prüfungs- und Studienordnungen durch Lernende, Lehrende und VertreterInnen der Gewerkschaften
  • Master für Alle: Weg mit Zulassungsbeschränkungen!
  • Schluss mit Zentralprüfungen
  • Ganztagsschule statt Hausaufgaben
  • Nein zu Zwangsexmatrikulation und Anwesenheitspflicht an den Hochschulen!

Kostenlose und gute Bildung für Alle

Bildung hängt in Deutschland in erster Linie am Geldbeutel der Eltern. Die PISA-Studie (zuletzt erhoben 2013) zeigt: Kinder aus wohlhabenderen Familien haben gegenüber Kinder aus ärmeren Familien beispielsweise im Fach Mathematik 1 ½ Jahre Wissensvorsprung. Das wurde zuletzt wieder bestätigt durch die Kermit-Studie in Hamburg. Sie teilte Schulen nach sozialer Situation des Umfeldes ein. Während an Schulen in einem günstigen sozialen Umfeld nur 9,1 Prozent die Mindeststandards im Fach Mathematik nicht erfüllen, sind es 44 Prozent in einem ärmeren Umfeld.

Zementiert werden solche Unterschiede durch das mehrgliedrige Schulsystem. In der Stadtteilschule Hamburg Altona erfüllen 75 Prozent nicht die Mindeststandards, bei gleichaltrigen Gymniasasten sind es 6,9 Prozent. Das mehrgliedrige Schulsystem selektiert damit SchülerInnen entlang der sozialen Herkunft. Ein Zugang zu höherer Bildung ist für ärmere SchülerInnen schwerer. Eine Studie des Deutschen Studierendenwerks hat gezeigt – von hundert Akademikerkindern studieren 77 von Nicht-AkademikerInnen nur 23.3 Die soziale Abhängigkeit hängt mit einem Bildungssystem zusammen, dass einen großen Anteil der Bildungsförderung ins Private verlegt (Hausaufgaben, Nachhilfe, Sprachreisen, Freizeitangebote) und an öffentlichen Angeboten spart (Bibliotheken, Stadtteilarbeit, Jugendclubs usw.).

Da die Auswirkungen zu weit gingen und die Unternehmen tendenziell besser gebildete Arbeitskräfte brauchen als in der Vergangenheit, wurde versucht etwas gegenzusteuern. Es wurden Förderprogramme und Kampagnen wie Arbeiterkind.de aufgelegt, die SchülerInnen aus ärmeren Familien motivieren sollen, zu studieren. Tatsächlich wurden auch die Abiturquoten erhöht.

Doch grundlegend geändert wurde nichts. Weiterhin wird in jedem Bundesland selektiert nach Gymnasium und restlichen SchülerInnen. Jugendliche, die Deutsch als Zweitsprache erlernten, sind besonders betroffen. Es gibt zu wenig Ausbildungs- und Studienplätze, um allen eine Perspektive zu bieten. In ärmeren Familien gibt es finanziellen Druck dahingehend, dass auch jüngere Familienmitglieder ab 16 Jahren zum Einkommen beisteuern müssen, statt in die Schule zu gehen.

Stattdessen brauchen wir Bildungsgerechtigkeit, die allen unabhängig von Geschlecht, Herkunft und sozialer Lage die gleichen Chancen ermöglicht. Dazu bedarf es eine Schule, die nicht selektiert, die gut ausgestattet ist und ausreichend Personal hat, auch zur individuellen Förderung – in einer integrierten Gemeinschaftsschule.

Forderungen der SAV:

  • Einen Ausbildungs- oder Studienplatz im gewünschten Beruf / Fach für jede und jeden!
  • Nein zum mehrgliedrigen Schulsystem: Für eine integrierte Gemeinschaftsschule für Alle!
  • Für eine soziale Mindestsicherung von 750 Euro plus Warmmiete ab 16 Jahren

Bildung im Kapitalismus

In einem Wirtschaftssystem, das nach Profitstreben und nicht nach den Bedürfnissen der Menschen organisiert ist, wird auch Bildung zur Ware. Weitergehende Studiengänge, Privatschulen, -hochschulen und KITAs preisen Bildung für gutes Geld an. Zur weiteren Verwertung werden mehr Bereiche einbezogen.

Andererseits dient die öffentliche Bildung dem Ausbilden und der Auswahl von Arbeitskräften. Künstlerische und politische Bildung wird zurückgefahren, alles was der Wirtschaft nutzt, gefördert. Einzelne PädagogInnen können sich dem nur kaum widersetzen. Bildungspolitische Entscheidungen der Parteien, für die Konzerne spenden und der Druck für SchülerInnen gute Noten zu bekommen oder einfach die sozialen Probleme, die SchülerInnen in die Schule mitbringen, machen es schwierig dagegen zu halten.

Das Bildungssystem kann nicht von innen heraus verändert werden. Jede große Reform im Bildungswesen war das Resultat großer gesellschaftlicher Veränderungen, wie der Aufstände und internationalen Revolutionen Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts. Um ein gerechtes und gutes Bildungssystem zu erreichen, bedarf es der Abschaffung des Kapitalismus. Ein demokratisches und sozialistisches System, in dem es um die Bedürfnisse der Menschen geht, würde eine umfassende und gerechte Bildung für alle sicherstellen. n

Sindicato de Estudiantes – SchülerInnen wehren sich mit Erfolg

Im spanischen Staat versuchen die etablierten Politiker, die Wirtschaftskrise auf dem Rücken der Arbeiterklasse und auch der SchülerInnen auszusitzen. Doch besonders die Jugendlichen nehmen das nicht hin. Am 26. Oktober streikten knapp zwei Millionen SchülerInnen gegen eine von der Regierung geplante Bildungsreform. Nach einem zweiten Streik im November knickte die Regierung ein und zog die krassesten Angriffe zurück. Organisiert wurden die Streikaktionen vom Sindicato de Estudiantes, der größten Schülergewerkschaft Spaniens. Zum internationalen Frauentag mobilisierte sie ebenfalls Hunderttausende gegen Gewalt an Frauen. Der SE verbindet seine kämpferischen Mobilisierungen mit einem revolutionären, antikapitalistischen Programm. Ana García, Sprecherin des SE, ist einer der internationalen Gäste auf den Sozialismustagen der SAV.