„Heute sind wir SchülerInnen, morgen ArbeiterInnen“

sindicato de estudiantesInterview mit Ana García, Sprecherin der spanischen Bildungsgewerkschaft

Am 26. Oktober waren im spanischen Staat zwei Millionen SchülerInnen und StudentInnen im Streik. Wir veröffentlichen hier ein Interview mit Ana García, Generalsekretärin der Sindicato de Estudiantes (SE) zu Hintergründen und Perspektiven der Jugendbewegung in Spanien.

In was für einer Situation befindet sich die spanische Gesellschaft?

Nach der Wirtschaftskrise 2007 gab es heftige Angriffe auf Rechte, welche in der Vergangenheit erkämpft wurden. Die Situation hat sich Jahr für Jahr verschlimmert. ArbeiterInnen haben in vielen beeindruckenden sozialen Bewegungen zurückgeschlagen. In den letzten anderthalb Jahren hatten Millionen große Erwartungen an neue linke Parteien, wie Podemos. Die Hoffnung auf parlamentarischen Wandel wurde aber nicht erfüllt. Der soziale Frieden schwindet – die Menschen gehen wieder auf die Straße. Der Verrat der PSOE, welche der konservativen PP zu Regierung verhalf, spielt in diesem Prozess eine entscheidende Rolle.

Welches Ziel hat euer Streik?

Wir streiken für die Zurücknahme der neuen Bildungsreform LOMCE und der Revalidierungen, welche Teil davon sind. Diese würden das Bildungssystem in die Zeit der Franco-Diktatur zurückwerfen. Bildung wäre nur zugänglich für eine reiche Minderheit. Der letzte Streik war eine Explosion, welche den Premierminister zu einer Stellungnahme gezwungen hat. Die ganze Sache steht jetzt im Zentrum der spanischen Politik. Die Regierung ist schwach und weiß nicht, was sie tun soll. Sie haben eine massive Verwirrungskampagne gestartet und gesagt, die Reformen würden nicht so eingeführt wie geplant, obwohl sich real nichts geändert hat. Wir wissen, das jede Lösung der Regierung, nicht unsere Bedürfnisse befriedigt. Wir schulden es den SchülerInnen, dass wir weiter kämpfen, um den Druck auf die Regierung aufrechtzuerhalten. Deshalb der zweite Streik.

Sindicato de Estudiantes ist die Bildungsgewerkschaft, welche die Streiks anführt. Wie organisiert ihr euch?

Die Bildungsgewerkschaft vertritt hauptsächlich Arbeitersöhne und -töchter. Wir kämpfen für ein gutes öffentliche Bildungssystem, doch das allein reicht nicht. Als revolutionäre, antikapitalistische Gewerkschaft kämpfen wir gegen die tagtäglichen Übel des Kapitalismus und für eine andere Gesellschaft. Heute sind wir SchülerInnen, morgen ArbeiterInnen. Deshalb haben wir enge Verbindungen in die Arbeiterbewegung. Wir sind die wichtigste Schülerorganisation und organisiert im gesamten spanischen Staat. Unsere größte Basis ist in den weiterführenden Schulen. Unsere Mitglieder organisieren Versammlungen, verteilen Flugblätter und kleben Plakate, um unsere Ideen zu erklären und einen Weg nach vorne zu diskutieren. Wir konnten eine Zunahme an Mitgliedern in den letzten Jahren verzeichnen. Letztes Wochenende konnten wir unseren dreißigsten Jahrestag mit ungefähr dreihundert TeilnehmerInnen bei unserem Kongress feiern.

Was habt ihr dort diskutiert?

Der Streik der nächsten Woche war selbstverständlich das Thema des Kongresses. SchülerInnen aus dem ganzen Land teilten ihre örtlichen Erfahrungen des letzten Streiks. Doch wir haben auch andere wichtige Fragen diskutiert. Die Unterdrückung von Nationalitäten spielt eine wichtige Rolle im spanischen Staat. Wir fordern das Recht der Menschen, über ihre Zugehörigkeit zum spanischen Staat entscheiden zu können. Dabei argumentieren wir weiterhin für die Einheit der Arbeiterklasse im Kampf gegen die sozialen Probleme. Außerdem wollen wir Rassismus, Sexismus und Diskriminierung von LGBTQ den Kampf ansagen. Wir solidarisieren uns mit internationalen Protesten, wie zum Beispiel gegen Trump in den USA. Das alles ist wichtig, weil wir uns nur international vereint wehren können.

Das Interview führte Tom Hoffmann. Es wurde wegen des Redaktionsschlusses der Solidarität einen Tag vor dem zweiten Bildungsstreik in Spanien am 24. November 2016 gemacht

 

300 bei Kongress der Sindicato de Estudiantes

Der Kongress der spanischen Bildungsgewerkschaft Sindicato de Estudiantes am 19. und 20.11. war ein voller Erfolg. Der Generalsekretär der Lehrergewerkschaft des Gewerkschaftsbundes CCOO, sowie der Präsident des Elternverbandes CEAPA hielten Grußwörter. Beide hielten kämpferische Reden – mussten sich jedoch Kritik daran gefallen lassen, dass ihre Organisationen nicht wie die SchülerInnen zum Streik gegen die Bildungsreformen aufrufen. Streikende Arbeiter von Coca-Cola wurden dagegen wie Helden empfangen. Die vom CWI (Komitee für eine Arbeiterinternationale, dem die SAV angeschlossen ist) organisierte internationale Solidaritätskampagne wurde extra gewürdigt. Internationale VertreterInnen des CWI konnten mit den AktivistInnen viele Erfahrungen austauschen und Fragen diskutieren.