„Dem Senat in die Wunde pieken“

s10_cfm_saschaInterview mit Sascha Kraft, Beschäftigter, Betriebsrat und ver.di-Aktivist bei der Charité Facility Management GmbH*

Sascha, die Charité Facility Management (CFM) begeht seit über zehn Jahren Tarifflucht. Warum habt ihr noch keinen Tarifvertrag?

Die CFM wurde ja aufgrund eines Beschlusses des rot-roten Senats 2006 gegründet. Er hatte beschlossen, dass die Löhne im öffentlichen Bereich gesenkt werden müssen, damit Berlin praktisch spart. So hat man Bereiche in die CFM ausgegliedert und Lohndumping betrieben. Seit dem begeht die Geschäftsführung Tarifflucht.

Dagegen haben wir erstmalig 2011 gestreikt. Das war zu Beginn zusammen mit den Beschäftigten der Charité, die nach einer Woche ein Angebot bekommen haben. Danach stand die CFM alleine draußen. Vierzehn Tage mussten wir alleine streiken, damit sich die Geschäftsführung überhaupt zu Verhandlungen bereit erklärt. Insgesamt haben wir dann bis in den Herbst rein 89 Tage gestreikt. Doch danach war der Arbeitgeber nicht zu einem annehmbaren Angebot bereit, so blieb es bei einem Eckpunktevertrag, der besagte, dass ab Mai 2012 ein Mindestlohn von 8.50 Euro pro Stunde gezahlt wird. Außerdem gab es 300 Euro Einmalzahlung für alle Beschäftigten unter 30.000 Euro Bruttojahreseinkommen. Aber ein Urlaubs- oder Weihnachtsgeld haben wir immer noch nicht. Mehr war nach so einem langen Streik, bei dem wir leider für uns alleine kämpfen mussten, nicht machbar.

Ich konnte 2011 mitstreiken, weil ich entfristet wurde 2010. Es gab sehr viel Repression vom Arbeitgeber. Beschäftigte wurden umgesetzt, man hat mit der Angst der Beschäftigten gespielt, den Arbeitsplatz zu verlieren. Die Befristungsquote ist sehr hoch in der CFM. Die Leute werden teilweise befristet für zwei Jahre und dann nicht wieder eingestellt, damit sie nicht mitstreiken. Das läuft seit 2006. Bis zum heutigen Tage wird die Befristungsquote sehr hoch gehalten.

Was bedeutet eure Situation für die Gesundheitsversorgung bei der Charité?

Wir als CFM erbringen alle nicht-medizinischen Dienstleistungen bei der Charité. Wir machen den Krankentransport, Reinigung, Modullieferung und Blutlieferung. Unsere Arbeit hat enormen Einfluss auf Hygiene und Qualität der Gesundheitsversorung bei der Charité. Ohne unsere Dienstleistungen ist die Charité gar nicht lebensfähig. Deshalb kämpfen wir auch für einen Tarifvertrag: gleiche Arbeit gleicher Lohn.

Wie liefen die letzten Streikmaßnahmen?

Die ersten Warnstreiks sind langsam angelaufen. Die Leute sind sehr gut vernetzt und bekommen Informationen aus erster Hand. Wir sind durch die fünf einzelnen Streiktage schlagkräftiger geworden, auch wenn sich nur eine Minderheit der Beschäftigten bisher beteiligt hat. Wir haben dem Arbeitgeber Nadelstiche gesetzt und damit richtig böse weh getan. Operationen wurden schon am ersten Tag abgesagt.

Und erst dadurch haben wir bei der Politik ein offenes Ohr gefunden. Dafür haben wir uns die letzten ein bis zwei Jahre auch außerhalb der Betriebsgruppen engagiert, im Gewerkschaftlichen Aktionsausschuss „KEINE PREKÄRE ARBEIT UND TARIFFREIE BEREICHE im Verantwortungsbereich des Landes Berlin“

Was erhofft ihr euch vom neuen Berliner Senat?

Wir werden noch schlagkräftiger werden, jetzt nachdem im Koalitionsvertrag drin steht, dass für die Beschäftigten der Tochterunternehmen der Charité sprich der CFM eine vernünftige Bezahlung stattfinden soll. Und wir werden den Politikern so lange in die Wunde pieken, bis sie ihre Wahlversprechen auch einhalten mit dem, was sie sich vor den Wahlen auf die Fahnen geschrieben haben. Vor allem weil nicht klar ist, wie lange es dauern wird, bis wir eine vernünftige Bezahlung erhalten. In anderen Tarifverträgen dauern die Angleichungen über zehn Jahre!

Insbesondere die privaten Anteilseigener werden alles dafür tun, um die politische Absichtserklärung aus dem Koalitionsvertrag zu unterlaufen. Wir fordern weiter die Eingliederung der CFM in die Charité. Zwar will der Senat, die Beteiligung privater Anteilseigener beenden, aber wir fragen uns, warum dann die CFM nicht gleich wieder in die Charité kommt? Deshalb sind wir auch weiter außerhalb unserer Streikaktionen bei der Politik sehr aktiv.

Wie wollt ihr die Blockade des Arbeitgebers brechen?

Wir gehen sehr viel in die Eins-zu-Eins-Gespräche mit den Beschäftigten. Wir investieren sehr viel Freizeit als Tarifkommissionsmitglieder. Die Leute wollen und brauchen das Gefühl, ständig einen Ansprechpartner zu haben. Sie wollen Informationen aus erster Hand. Die Beschäftigten sind so motiviert und begeistert, was wir mit den fünf Streiktagen schon erreicht haben, dass sie das erste schlechte Angebot vom Arbeitgeber vom Tisch gefegt haben. Bei jeder Aktion stehen wir mit fast 200 Beschäftigten draußen. Das hat Signalwirkung.

* Angabe dient nur der Kenntlichmachung der Person

Info: Was ist die Charité Facility Management (CFM)?

2006 wurden die nichtpflegerischen Tätigkeitsbereiche (Krankentransport, Reinigung, Sterilisation, Sicherheitsdienst etc) an der Berliner Charité in der CFM zusammen gefasst, ausgegliedert und teilprivatisiert. Seitdem hält das Land Berlin 51 Prozent und das aus den Firmen Vamed, Dussmann und Hellmann bestehende private Gesellschafterkonsortium 49 Prozent der Anteile. Die zum damaligen Zeitpunkt bei der Charité beschäftigten KollegInnen behielten ihre Arbeitsverträge mit der Charité und werden seitdem an die CFM entliehen. Man nennt diese KollegInnen „Gestellte“. Sie fallen unter den Charité-Haustarifvertrag. Das sind circa ein Drittel der ungefähr 2.600 KollegInnen umfassenden Belegschaft. Die anderen Beschäftigten der CFM, die aus verschiedenen Fremdfirmen in die CFM übergegangen sind oder seit 2006 eingestellt wurden, haben keinen Tarifvertrag und erhalten individuelle Arbeitsverträge. Sie dürfen über ihren Lohn keine Auskunft geben. Untersuchungen von ver.di und dem Solidaritätskomitee für die CFM-Beschäftigten ergaben jedoch Lohnunterschiede von über 250 Prozent und sogar von über einhundert Prozent im selben Tätigkeitsbereich. Bis zum Streik 2011 wurden in einigen Bereichen Stundenlöhne von unter sieben Euro gezahlt. Über zwanzig Prozent der Beschäftigten haben nur einen befristeten Arbeitsvertrag.