An einem Wendepunkt

iekBericht vom Internationalen Vorstand des CWI

Vom 27. November bis 4. Dezember traf sich der Internationale Vorstand des Komitees für eine Arbeiterinternationale (englische Abkürzung: CWI) zu seiner jährlichen Tagung in Belgien. Teil nahmen rund neunzig Mitglieder und Gäste aus 35 Ländern von allen Kontinenten.

Alle TeilnehmerInnen waren sich einig, dass es sich um das erfolgreichste Treffen seit vielen Jahren handelte. Dies vor allem, weil das CWI in einer Reihe von Ländern wichtige Fortschritte macht, die eine neue Stufe in der Entwicklung der Internationale markieren.

Von Sascha Stanicic

Mit besonderer Begeisterung wurden die Vertreter der spanischen Organisation Izquierda Revolucionaria (Revolutionäre Linke, auch bekannt als El Militante-Gruppe nach der gleichnamigen Zeitung) begrüßt. Die Wege dieser Organisation und des CWI hatten sich vor 25 Jahren getrennt. Nun finden sie wieder zusammen. Intensive Diskussionen in den letzten Monaten, ein Austausch von Dokumenten und gegenseitige Besuche haben eine weitgehende politische Übereinstimmung erkennen lassen, die nach dem Wunsch aller Beteiligten zum Zusammenschluss der Organisationen führen soll, zu denen auf Seiten von Izquierda Revolucionaria noch Organisationen in Mexiko und Venezuela gehören. Izquierda Revolucionaria hat eine wichtige Basis unter der spanischen Jugend und führt seit vielen Jahren die SchülerInnen- und Studierendengewerkschaft Sindicato de Estudiantes (SE), die im Oktober und November zwei landesweite Bildungsstreiks mit zwei bzw. über einer Million TeilnehmerInnen organisierte, die erfolgreich die Rücknahme der geplanten Bildungsreformen erzwangen. Die SE ist in über 600 Bildungseinrichtungen, vor allem Schulen, Spaniens registriert und seit Mitte der 1980er Jahre die wichtigste Schülerorganisation. Aber auch unter Lohnabhängigen hat IR eine wichtige Basis und spielt eine wichtige Rolle in dem linken Netzwerk Ganemos innerhalb des Gewerkschaftsverbandes CC.OO.

Der geplante Zusammenschluss wird den Einfluss des CWI in Südeuropa und der gesamten spanischsprachigen Welt deutlich erhöhen, nicht zuletzt durch die erfolgreich durch IR betriebene „Fundacion Federico Engels“, welche marxistische Literatur in Spanien und ganz Lateinamerika vertreibt. Er wird aber auch dem gegen TrotzkistInnen oft vorgebrachten Vorurteil, dass diese sich gerne spalten und ungerne vereinigen, etwas entgegen setzen. Ein Zusammenschluss auf Basis prinzipieller Übereinstimmung ist zwar nichts Neues in der Geschichte des CWI, aber unterstreicht, dass die Organisation alle Möglichkeiten der Kooperation mit anderen revolutionären Kräften sucht und testet. Das gilt auch für die zwei anderen Organisationen, die VertreterInnen zur Tagung gesendet haben: die Akshaya-Gruppe aus Sri Lanka und die International Youth and Workers‘ Movement (IYWM) aus Pakistan.

USA

Doch nicht nur diese Entwicklung markiert den Fortschritt für das CWI. Auch Mitgliederwachstum und wachsender Einfluss in einer ganzen Reihe von Ländern konnte bei der Tagung des Internationalen Vorstands diskutiert werden.

Dazu gehört vor allem die Entwicklung der Socialist Alternative in den USA, der es vor drei Jahren erstmals gelang mit Kshama Sawant in Seattle eine Stadtratssitz zu gewinnen (die damit die erste offen als solche auftretende Sozialistin war, die seit hundert Jahren eine solche Position eroberte) und die die am schnellsten wachsende revolutionär-sozialistische Kraft in den USA ist. Aber auch die Arbeit der Socialist Party in Irland, die über drei Parlamentsmitglieder für die Anti-Austerity-Alliance verfügt und die einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet hat, dass eine Zahlboykottkampagne erfolgreich die Einführung von Wassergebühren zurückschlagen konnte, ragt heraus. Sie hat einen Einfluss auf nationaler Ebene erreicht, der auf der Basis der zunehmenden Klassenkämpfe im Land in den nächsten Jahren weiter ausgebaut werden kann. Dem ist sich offenbar auch der irische Staat bewusst, der gerade einen de facto politischen Gerichtsprozess gegen Aktivisten der Bewegung gegen die Wassergebühren und der Socialist Party anstrengt. Wegen einer friedlichen Sitzblockade vor dem Auto der damaligen stellvertretenden Premierministerin wurde schon ein siebzehnjähriger Jugendlicher wegen Freiheitsberaubung (!) verurteilt. Der Prozess gegen siebzehn erwachsene Angeklagte beginnt im Frühjahr. Es drohen Freiheitsstrafen und der Parlamentsabgeordnete Paul Murphy könnte bei einem Strafmaß ab sechs Monaten sein Abgeordnetenmandat verlieren. Der Vorstand des CWI beschloss, eine internationale Solidaritätskampagne zur Unterstützung der Angeklagten zu organisieren.

England und Wales

Die Socialist Party in England und Wales hatte erst vor wenigen Wochen ihren öffentlichen Socialism-Kongress mit über eintausend TeilnehmerInnen durchgeführt. Die SP unterstützt den neuen linken Vorsitzenden der Labour Party Jeremy Corbyn gegen die Versuche des rechten Parteiflügels, ihn zu stürzen. Sie tritt für eine demokratische föderal strukturierte Labour Party ein, in der sie mitarbeiten würde. Bisher verweigert jedoch die Labour-Führung SP-AktivistInnen die Mitgliedschaft. Trotzdem konnte die SP sich Gehör in den Debatten um die Entwicklungen der Labour Party verschaffen und hat eine mediale Präsenz, wie seit vielen Jahren nicht mehr. Ausdruck von dieser gestiegenen Aufmerksamkeit, welche letztlich auch das gestiegene Interesse an sozialistischen Ideen unter ArbeiterInnen und Jugendlichen ausdrückt, ist auch, dass ein Buch über „Militant“ (so hieß die Vorläuferorganisation der SP, die bis in die 1990er Jahre in Labour aktiv war und dort ausgeschlossen wurde) kürzlich neu aufgelegt wurde. Vor allem der Einfluss der SP in den Gewerkschaften macht sie zur wichtigsten Organisation der revolutionären Linken in Großbritannien. Ihre Mitglieder leiten mit den Socialist Students aber auch die größte sozialistische Studierendenorganisation auf der Insel.

Auch aus anderen Ländern wurde von der positiven Entwicklung der jeweiligen CWI-Sektionen berichtet. Ob aus Griechenland, wo Xekinima wahrscheinlich die einzige Organisation der revolutionären Linken ist, die sich im Zuge der Regierungsbildung und des Verrats durch Syriza nicht gespalten hat, aus Südafrika, wo die Workers‘ and Socialist Party (WASP) eine entscheidende Rolle bei den Kämpfen gegen Studiengebühren und Outsourcing spielt, aus Brasilien, wo Socialismo Revolucionario innerhalb der sozialistischen Partei P-SoL mit anderen Kräften zusammen einen revolutionären Pol bildet und gerade mit zwei weiteren trotzkistischen Gruppen die Zusammenarbeit intensiviert oder auch aus Deutschland, wo die SAV nicht nur ihre Mitgliedergewinnung gesteigert hat, sondern auch den Einfluss in der LINKEN und Linksjugend ausbauen konnte.

Neue Weltlage

Diese Entwicklungen finden statt vor dem Hintergrund einer Weltlage, die durch die Wahl von Trump zum US-Präsidenten noch instabiler, gefährlicher und krisenhafter geworden ist. Ein Redner meinte, das Jahr 2016 sei für die internationalen Kapitalisten nach dem berühmten „Murphy‘s Law“ verlaufen, nachdem alles schief geht, was schief gehen kann – Brexit, Wahl von Trump, Sackgasse im Syrien-Krieg (mittlerweile auch der Ausgang des italienischen Referendums). Tatsächlich verlieren die Mächtigen dieser Welt immer mehr die Kontrolle und werden immer mehr in Frage gestellt. Die Wahl von Trump drückt das in verzerrter Form für die USA aus, was aber weltweite Auswirkungen haben wird. In den Diskussionen bei der Sitzung wurde betont, dass die Wahl von Trump die internationalen Beziehungen der Staaten durcheinander wirbeln kann und zu einer weiteren Destabilisierung zum Beispiel im pazifischen Raum führen kann, aber auch die Krisenprozesse der Weltwirtschaft verstärken wird, sollte Trump tatsächlich protektionistische Maßnahmen ergreifen, die den ohnehin schwächelnden Welthandel weiter abbremsen würden.

In den Debatten wurde auch betont, dass der Sieg rechter Kräfte bei Wahlen bzw, die Regierungsübernahme durch solche (wie in den USA, Brasilien etc.) keinen allgemeinen gesellschaftlichen Rechtsruck markiert. Vielmehr werden wir Zeuge einer tiefen Polarisierung und eines Entfremdungsprozesses von den etablierten bürgerlichen Institutionen, der nach links und rechts ausschlägt. Die TeilnehmerInnen aus den USA betonten, dass die US-Gesellschaft sich eher nach links verändert (schließlich hat Trump weder mehr Stimmen erhalten als die republikanischen Kandidaten bei den letzten Wahlen noch hat er überhaupt mehr Stimmen als Hillary Clinton erhalten), was in der Kampagne des linken demokratischen Kandidaten Bernie Sanders, aber auch in vielen sozialen Bewegungen und seit kurzem auch einer Zunahme von Arbeitskämpfen deutlich wird. Dieser Prozess wird durch die durch Trump zu erwartenden Angriffe auf Minderheiten und soziale Rechte der Arbeiterklasse eher verstärkt werden.In Lateinamerika sind die neuen rechten Regierungen in Brasilien und Argentinien schon mit Massenprotesten konfrontiert. Und auch in Europa sehen wir nicht nur das Wachstum rechtspopulistischer Kräfte, sondern eben auch die wachsende Unterstützung für Jeremy Corbyn in Großbritannien, die Wahlerfolge linker Parteien in Irland, der Aufstieg von Podemos und nun die riesigen Bildungsstreiks in Spanien, die Streikbewegung in Frankreich (die zwar ihren Zenit überschritten hat, aber immer noch finden täglich bis zu einhundert Streiks statt), die Massenproteste gegen TTIP in Deutschland und die erfolgreichen Massenbewegungen von Frauen in Polen und der Türkei.

All das sind Entwicklungen, die die Perspektiven des CWI bestätigen, die von einer Zunahme von Krisenprozessen und Klassenauseinandersetzungen ausgehen, in denen die Chancen für sozialistische Kräfte, ihren Einfluss und ihre Mitgliederzahlen auszudehnen steigen werden. Die TeilnehmerInnen der Sitzung des Internationalen Vorstands des CWI waren zuversichtlich, dass ihre internationale Organisation dabei an vorderster Front stehen wird.

Sascha Stanicic ist Bundessprecher der SAV und Mitglied im Internationalen Vorstand des CWI.