Spanische Wahlen: Enttäuschung für die Linke

o-UNIDOS-PODEMOS-facebookMassenmobilisierungen und ein kämpferisches Vorgehen notwendig

von Viki Lara, „Socialismo Revolucionario“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Spanien)

Für viele AktivistInnen wie auch für breite Schichten von ArbeiterInnen und jungen Leuten waren die Ergebnisse der vorgezogenen Neuwahlen vom 26. Juni in Spanien fraglos eine große Enttäuschung. Alle Meinungsumfragen hatten im Vorfeld auf den herbeigesehnten „sorpasso“ (sinngemäß: „Durchmarsch“) der alternativen Linken hingedeutet. Demzufolge sollte sie die ehemals sozialdemokratische PSOE als wichtigste Oppositionspartei gegenüber der rechts-konservativen PP („Volkspartei“) ablösen.

Stattdessen brachte dieser Urnengang dem linken Wahlbündnis UNIDOS PODEMOS (dt.: „gemeinsam vereint“), das aus der neuen linken Kraft „Podemos“, der „Vereinigten Linken“ („Izquierda Unida“) und anderen bestand, einen Verlust von mehr als einer Million Stimmen im Vergleich zu den Wahlen vom 20. Dezember 2015. Trotz dieses Stimmenverlusts bleibt das Bündnis bei seinen 71 Parlamentssitzen, wodurch UNIDOS PODEMOS gegenüber der nächsten Regierung erhebliches Gewicht in der Opposition haben wird.

Das Ergebnis dieser Wahlen bestätigt die Neuordnung der politischen Landschaft in Spanien nach den sozialen Auseinandersetzungen des letzten Jahres und der Krise des alten Zwei-Parteien-Systems aus PP und PSOE. Beide Parteien sind weit davon entfernt, ihre dominante Position aus Vor-Krisen-Zeiten wieder einnehmen zu können.

Viele waren mit Sicherheit verblüfft, dass die PP, die im Vergleich zum Dezember 2015 und trotz einer niedrigeren Wahlbeteiligung mehr als 600.000 Stimmen hinzugewinnen konnte, gestärkt aus diesen Wahlen hervorgegangen ist. Schließlich war sie in Korruptionsskandale verwickelt. Unter anderem hatte der konservative Innenminister Fernández Díaz Kontakt zum Amt für Betrugsbekämpfung aufgenommen, um auf diese Weise ganz offen die Beschädigung von PolitikerInnen herbeiführen zu wollen, die sich für die katalanische Unabhängigkeit einsetzen. Hinzu kommen eine Reihe von PP-Vertretern, die in den Skandal um die „Panama Papers“ und den damit einhergehenden Steuerbetrug verstrickt sind.

Der Stimmengewinn der PP kann trotz oder gerade wegen dieser Skandale damit erklärt werden, dass die Stimmung im Land während des Wahlkampfs zunehmend polarisiert worden ist. Die Stimmen für die politische Rechte sind konzentriert an die PP gegangen, da der rechts ausgerichtete Teil der Wählerschaft auf die Vorhersage eines starken Zugewinns für UNIDOS PODEMOS reagiert hat.

So gingen etwa der ebenfalls noch jungen und rechts-populistischen Partei „Ciudadanos“ im Vergleich zum Dezember mehr als 400.000 WählerInnen verloren, die bei diesen Wahlen wieder für die PP gestimmt haben. Auch eine gewisse Wahrnehmung von wirtschaftlicher Erholung – selbst wenn diese nur schwach ausgefallen und mit nur geringen Auswirkungen auf die Lebensstandards geblieben ist – mag ebenfalls der PP zugute gekommen sein.

Auch wenn diese Wahlen mit dem Ziel stattgefunden haben, die „Regierbarkeitskrise“, die seit den Dezember-Wahlen das Land beherrschte, zu beenden, so haben die neuen Wahlergebnisse die Situation des relativen Stillstands nur noch bestätigt.

Die PP ist mit ihren 137 Sitzen weiterhin meilenweit von der absoluten Mehrheit entfernt, für die es 176 Sitze bräuchte. Selbst in der zweiten Runde, in der nur noch eine einfache Mehrheit der Abgeordneten nötig ist und die Wahlenthaltungen nicht mitgezählt werden, ist nicht sicher, ob die Konservativen ihren Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten durchbekommen werden.

Auch wenn eine erneute Neuwahl nicht völlig auszuschließen ist, so scheint es doch wahrscheinlicher, dass es zu irgendeiner Variante einer „Großen Koalition“ bzw. einer entsprechenden Vereinbarung über eine solche kommen wird. es wird sich hierbei voraussichtlich um eine Minderheitsregierung der PP handeln, die aufgrund von Enthaltungen und Stimmen von der PSOE und von „Ciudadanos“ zustande kommt.

Wie „Socialismo Revolucionario“ zuvor schon bemerkt hat, wird in dieser Situation der wesentliche Aspekt darin bestehen, dass die kommende Regierung unstabil und geschwächt ist – egal, wie sie zusammengestellt sein mag.

Wir werden es mit einer Regierung zu tun haben, die noch anfälliger auf den Druck und die Forderungen von der Straße und auf die Mobilisierungsfähigkeit der Arbeiterklasse reagieren wird als die vorangegangene Mehrheitsregierung der PP.

Egal, wie „gestärkt“ sich das Establishment nach diesen Wahlen auch fühlen mag. Klar ist, dass sie nicht in der Lage sein werden, die derzeitige Krise zu lösen. Es wird zu neuen Spannungen kommen, die der neuen Regierung Kopfzerbrechen bereiten werden. Das geht von der Umsetzung neuer Kürzungen bis hin zu den nationalen Spannungen, die sich durch das Ergebnis dieser Wahlen weiter verstärken werden.

In Katalonien und dem Baskenland, wo das Linksbündnis die Wahlen gewonnen hat, wird verstärkt die Ansicht herrschen, dass „Spanien“ nicht reformierbar ist. Das wird den Unabhängigkeitsbewegungen neuen Autrieb verleihen.

Neue Kämpfe

Nach 2011 hat in Spanien eine neue Phase eingesetzt, die von sehr bedeutenden Kämpfen gekennzeichnet ist. Es kam zur Bewegung der „Indignados“ und der „15M“-Bewegung, zu unbefristeten Streiks in vielen Betrieben, mehreren Generalstreiks, den riesigen „Märschen für die Würde“ und so weiter.

Seit mehr als zwei Jahren ist nun jedoch eine Flaute festzustellen. Diese Kampfpause geht seit 2014 mit einer ganzen Reihe von Wahlen einher (den Beginn machten damals die Europawahlen) und mit einem Erstarken der Anti-Kürzungs-Partei „Podemos“.

Eine neue und noch schwächere Regierung wird die Möglichkeit mit sich bringen, dass es nicht nur zu erneuten Neuwahlen kommen wird, sollte die PP es nicht über die gesamte Legislatur schaffen. Es kann auch zu neuen Mobilisierungen auf der Straße gegen die neue Austeritätspolitik kommen, die die Regierung umzusetzen versucht.

Um dem Druck der EU und von Seiten des kapitalistischen Establishment etwas entgegenzusetzen, wäre eine Kampagne zur Mobilisierung der Massen auch dann unumgänglich gewesen, wenn die Linke gewonnen bei diesen Wahlen gewonnen hätte. Die „Institutionen“ werden auf jeden Fall dafür sorgen, dass die Austerität fortgesetzt wird und es zu keiner arbeitnehmerfreundlichen Politik kommt.

Über die Gründe, weshalb UNIDOS PODEMOS an Unterstützung verloren hat, ist viel spekuliert worden. Einige haben den Nutzen des Zusammengehens schon in Frage gestellt. Andere Stimmen kritisieren den Mangel an Klarheit im Verlauf des Wahlkampfs und was das Programm angeht. Wieder andere fragen sich immer noch, ob nicht gerade „Podemos“ von vielen WählerInnen für die Neuwahlen „abgeurteilt“ worden ist (einige Teile der weniger politisierten WählerInnen könnten „Podemos“ dafür verantwortlich gemacht haben). Hinzu kommt natürlich die Angst-Kampagne, mit der gegen die Linke Stimmung gemacht worden ist.

All diese Faktoren mögen eine Rolle gespielt haben. „Socialismo Revolucionario“ sieht den wichtigsten Grund, der zur Erklärung dieses Wahlergebnisses beiträgt, darin, dass Kämpfe und Mobilisierungen in den letzten beiden Jahren ausgeblieben sind.

Das wiederum hängt mit der Politik des Parteivorstands von „Podemos“ und der IU zusammen, die es vorziehen, sich mit Wahlen und dem Parlamentarismus zu beschäftigen. Ihr politisches Verständnis besteht darin, Wandel nur mittels Regierungsinstitutionen durchführen zu können.

Die Regierungspraxis zum Beispiel in den sogenannten „Städten des Wandels“ (gemeint sind Großstädte wie z.B. Barcelona und Madrid, wo in den Rathäusern mittlerweile linke Kräfte regieren) hat gezeigt, das ein solcher Ansatz seine Grenzen hat. So hat die Linke im Vergleich zu den Dezember-Wahlen etwa in Madrid mehr als 100.000 Stimmen verloren. Anstatt sich dem Reformismus zu widmen, besteht Bedarf an einem politischen Ansatz, der die Grenzen des Kapitalismus herausfordert.

Ein weiteres Problem des UNIDOS PODEMOS-Bündnisses besteht darin, dass es de facto als Pakt zwischen den Führungszirkeln von „Podemos“ und der „Vereinigten Linken“ zustandegekommen ist. Von einer Einheitsfront, die ihre Legitimation von der Basis hat und demokratisch von unten bestimmt wäre, kann folglich keine Rede sein.

Will man aber Impulse zur Aktivierung der Menschen und für neue Kampagnen geben, so ist es wichtig, dass die entsprechenden Strukturen auch durch die „einfachen“ Mitglieder geprägt sind. Schließlich muss in den anstehenden Monaten für die nötigen Kämpfe mobilisiert werden. Eigentlich hätte demokratisch darüber diskutiert und geklärt werden müssen, welches Programm nötig ist, um die fundamentalen Probleme des Landes zu lösen: Armut, Ungleichheit, Massenarbeitslosigkiet, Zwangsräumungen, Kürzungen und steigende Studiengebühren.

Diese Themen kamen in den Wahlwerbespots von UNIDOS PODEMOS so gut wie gar nicht vor. Es ging darin vielmehr um die Frage, wie eine neue Regierung gebildet werden kann und woran welche Partei alles Schuld ist.

Wenn es in Zukunft tatsächlich zu einem Wahlsieg kommen soll, der eine Partei der Arbeiterklasse im spanischen Staat an die Macht bringen soll, um die Dinge wirklich zu verändern und die Lebensstandards zu verbessern, so muss man sich auf folgende Grundsätze stützen: mehr Organisation von unten, um eine wirklich demokratische Bewegung mit all jenen aufzubauen, für die wir stehen; ein klares Programm, das mit dem Kapitalismus und der Austerität bricht sowie Massenmobilisierungen zur Verteidigung unserer Rechte und Aufhebung der Angriffe der Vergangenheit. Das bedeutet, dass umgehende Reformen verbunden werden müssen mit einer notwendigen revolutionären und sozialistischen Politik.

Am Anfang muss ein Prozess des Austauschs stehen. In den sozialen Bewegungen, Gewerkschaften und unter den Mitgliedern von UNIDOS PODEMOS sowie der anderen Parteien, die dazu gehören, muss eine breite Debatte beginnen. Das fehlen einer ernstzunehmenden Analyse und Debatte hat dazu geführt, dass viele Menschen die falschen Schlussfolgerungen gezogen haben. Viele, zu viele sind davon ausgegangen, dass man sowieso nichts ändern kann.

Obwohl die Enttäuschung groß ist angesichts der starken Erwartungen, die alle, die sich der Linken zugehörig fühlen, hatten, dürfen wir nicht vergessen, dass sich mehr als fünf Millionen Menschen sehr bewusst für den echten und fortschrittlichen Wandel ausgesprochen haben. Das ist eine nicht zu unterschätzende Basis, die aufgrund der Kämpfe der letzten Jahre aufgebaut werden konnte. Wir haben das Potential, noch wesentlich mehr Menschen zu erreichen!