Nach dem Brexit: Aufbruch für die Arbeiterbewegung

Foto: Paul Mattson
Foto: Paul Mattsson

National Shop Stewards Network Konferenz in Großbritannien

Am 2. Juli fand in London die zehnte Konferenz des „National Shop Stewards Network“ (NSSN) statt. Das NSSN wurde 2006 unter der Leitung von Bob Crow, dem damaligen Führer der Gewerkschaft RMT (TransportarbeiterInnen) gegründet. Ihm gehören neun nationale Gewerkschaften an: RMT, PCS, (eine der Gewerkschaften im öffentlichen Dienst), FBU (Feuerwehrleute), CWU (Post), NUJ (Journalisten), NUM (BergarbeiterInnen), BFAWU (Nahrungsindustrie), POA (GefängniswärterInnen), NAPO (BewährungshelferInnen). Außerdem haben sich viele lokale und regionale Gewerkschaftsuntergliederungen anderer größerer Gewerkschaften angeschlossen, wie von UNISON und UNITE (Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes und Dienstleistungen), der LehrerInnengewerkschaft NUT und anderen.

von Angelika Teweleit

Das NSSN ist ein Zusammenschluss der linkeren, nach vorne treibenden Gewerkschaften, mit Unterstützung aus der Trade Union and Socialist Coalition und der Socialist Party. Das NSSN hat in den vergangenen Jahren bereits einen Beitrag geleistet, den Druck auf die großen Gewerkschaften aufzubauen, Massendemonstrationen gegen die Austerität zu organisieren. Bei der jährlichen Konferenz des TUC organisiert das NSSN Randtreffen mit jeweils mehreren hundert TeilnehmerInnen.

Das NSSN hat darüberhinaus in den vergangenen Jahren eine wichtige Rolle in der Gewerkschaftsbewegung übernommen. Indem es Kämpfe bekannt macht und gewerkschaftsübergreifende Unterstützung organisiert, übernimmt es häufig die Rolle, die eigentlich der Gewerkschaftsdachverband TUC (hier DGB) spielen sollte.

Solidarität

Das wurde auch bei der diesjährigen Konferenz deutlich, an der etwa 300 KollegInnen teilnahmen. So konnte ein Museumsarbeiter und Aktivist aus Wales nicht nur über den Einzug des walisischen Fußballteams in das EM-Halblfinale jubeln, sondern auch über den Erfolg ihres monatelangen Arbeitskampfes. Dieser Erfolg war auch der Unterstützung der Mitglieder des NSSN geschuldet. Weiterhin gab es einen beeindruckenden Bericht des führenden Vertreters der Ärzte-Gewerkschaft BMA, Yannis. Goutsoyannis, über die Protest- und Streikbewegung der „Junior Doctors“ gegen unerträgliche Arbeitsbedingungen im britischen Gesundheitswesen. Er betonte: „Die Zusammenarbeit der Gewerkschaften ist lebenswichtig, denn wir kämpfen für eine Gesellschaft in der die arbeitenden Menschen über ihre Geschicke bestimmen können. Die Solidarität war enorm wichtig für uns. Das waren gemeinsame Demonstrationen mit den LehrerInnen; U-Bahn-FahrerInnen, die Anstecker für uns verteilten; Postbeschäftigte, die Flugblätter für uns verteilten; Feuerwehrleute, die uns ihren Feuerwehrwagen für unsere Protestkundgebung ausliehen. Wir werden diese Solidarität zurück geben, wenn die LehrerInnen am Dienstag ihre Streikkundgebung abhalten!“

Lehrerstreik

Jane Nellist, Vorstandsmitglied der LehrerInnengewerkschaft NUT und Mitglied der Socialist Party, rief die Anwesenden dazu auf, am 5. Juli den nationalen Streik an den Schulen zu unterstützen: „Die Angriffe der Regierung sind die schlimmsten Kürzungen im Bildungswesen seit Generationen. Sie treffen Schulen in den sozial schwächeren Gebieten zuerst. In einer Umfrage in Coventry haben 81% der LehrerInnen gesagt, dass sie ihre Arbeit nicht schaffen können und 97% sagten, der Arbeitsdruck beeinträchtige ihr Leben.“ Die Regierung will die Mittel für Schulen kürzen und forciert gleichzeitig ein massives Privatisierungsprogramm, nach dem öffentliche Schulen zwangsweise in so genannte Akademies umgewandelt werden können. Das bedeutet zum einen, dass die Bildung großenteils in die Hände von Kirchen und Konzernen gelegt wird, zum anderen bedeutet es einen Generalangriff auf die geltenden Tarifverträge.

Dies ist nur ein Beispiel für die brutale Kürzungs- und Privatisierungspolitik unter der von Cameron geführten Tory-Regierung. Janice Godrich, nationale Sprecherin der Gewerkschaft PCS, rief den Anwesenden deshalb zu: „Wir beginnen diese Konferenz mit einem Grund zum Feiern: dem Rücktritt von David Cameron!“

Chance

Die meisten teilnehmenden GewerkschafterInnen teilten die Enschätzung des NSSN Sprechers Rob Williams und sehen die momentane Situation nach dem Brexit-Votum, dem Rücktritt des Regierungschefs und dem daraus folgenden Chaos im Tory-Lager als eine enorme Chance für die Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung. Oktay Sahbaz, eine Aktivistin der türkisch-kurdischen Community Gruppe Day-Mer sagte: „Ich glaube nicht, dass 17 Millionen Menschen in diesem Land Rassisten sind. Ich denke vielmehr, dass 17 Millionen Menschen genug haben von der Austeritätspolitik und so ihre Wut zum Ausdruck brachten.“

Nancy Taaffe, Mitglied der Gewerkschaft Unite und der Socialist Party, betonte, dass in der Kampagne um das Referendum Rassismus von beiden Seiten der bürgerlichen Lager betrieben wurde. Glenn Kelly, früheres Mitglied des UNISON Vorstands, betonte die Heuchelei des „Remain“-Lagers um Cameron und prangerte die Maßnahmen der Regierung an, die das Leben für MigrantInnen in den letzten Jahren brutal beeinträchtigt haben.

Gemeinsamer Kampf für die Rechte von MigrantInnen

Alle waren sich einig, dass eine sehr wichtige Aufgabe die Verteidigung von MigrantInnen und der gemeinsame Kampf sein muss. Das NSSN spielt schon seit langem eine wichtige Rolle in der Verteidigung der Rechte von migrantischen ArbeitnehmerInnen. Deutlich wurde das durch die Anzahl der Anwesenden und RednerInnen mit Migrationshintergrund. Spanisch sprechende Arbeiter einer Reinigungsfirma in London, die sich seit Monaten im Streik befinden und nun einen Hungerstreik beginnen, erhalten Unterstützung durch das NSSN. Kumaran Bose, Gewerkschaftsaktivist in einem Supermarkt, der zur Tesco-Gruppe gehört, sprach über seinen Kampf für die Rechte der Beschäftigten, die ihre Löhne gekürzt bekommen hatten. Er organisierte die Belegschaft und jetzt sind etwa 50% der Beschäftigten Mitglieder der Gewerkschaft. Er bekam stehende Ovationen, als er sagte: „Ihr könnt mir alles nehmen – meinen Lohn, mein Haus, aber ihr könnt mir nicht mein Selbstvertrauen nehmen. Ich werde den Kampf fortführen, weil ich weiß, dass ihr im Unrecht seid.“

Corbyn verteidigen!

Die Konferenz fand vor dem Hintergrund des offenen Versuchs der Labour-Rechten statt, den gewählten Vorsitzenden Jeremy Corbyn zum Rücktritt zu zwingen. Am Wochenende der Konferenz entschieden sich einige, die kommen wollten, zu Hause zu bleiben, um sich in ihrer Stadt an einer der vielen Protestdemonstrationen von tausenden von Corbyn-UnterstützerInnen zu beteiligen. Das Vorgehen der rechten Labour-Abgeordneten, dazu noch die dreiste Rücktrittsforderung von David Cameron im Unterhaus an Corbyn („Um Himmels Willen – gehen Sie“) führte zu einer Welle von Unterstützung im ganzen Land. Allein letzte Woche traten 60.000 Menschen in die Labour Party ein.

Dave Nellist, Sprecher der „Trade Union and Socialist Coalition“, die bei Wahlen als linke Alternative zur Labour Party antritt, betonte: „Die größte Angst der Tories, der Labourrechten und der Bosse ist, dass es zu Neuwahlen kommt und Corbyn Premierminister werden könnte. Zentrale Aufgabe ist jetzt, Corbyn die volle Unterstüzung zu geben, damit er gegen die Angriffe von rechts standhält.“ Er und andere forderten Corbyn und die Momentum-Gruppe auf, die Labour Party Strukturen für alle Linken und soziale Bewegungen zu öffnen, um seine Position jetzt zu verteidigen.

Sean Hole, nationaler Sprecher der Gewerkschaft RMT, stellte fest: „Die Labour Party ist zwei Parteien in einer. Auf der einen Seite Corbyn und seiner UnterstützerInnen und auf der anderen Seite dieselben alten rechten ‚Blairites‘, die auf lokaler Ebene für Kürzungen stimmen und die mit den Tories für das Bombardement von Syrien gestimmt haben. Als Gründungsmitglied der Labour Partei kann man die RMT durchaus als ‚enttäuschtes Elternteil‘ bezeichnen. (…) Sollte es tatsächlich zu einer Spaltung der Labour Party kommen, würde einer Affilierung der RMT an eine wirkliche Labour Pary, die für die Interessen der arbeitenden Menschen kämpft, nichts im Weg stehen.“

Chris Baugh, 2. Vorsitzender der PCS, versicherte ebenfalls die Unterstützung für Corbyn und forderte eine Konferenz aller Gewerkschaften, linken Organisationen und Corbyn-UnterstützerInnen zu organisieren. Die Anwesenden verabschiedeten eine entsprechende Abschlusserklärung und forderten, dass eine solche Konferenz ein Programm gegen Kürzungen, für die Erhöhung des Mindestlohns, Re-Verstaatlichung, für ein soziales Wohnungsbauprogramm und gegen Rassismus und eine Kampagne für Neuwahlen starten.

Die Konferenz strahlte eine Stimmung des Aufbruchs und der Ernsthaftigkeit aus. Nichts ist automatisch. Eine Konferenz, wie sie gefordert wird, wäre ein Meilenstein, um die Kräfte zu sammeln und den Kampf zu führen. Auf der Grundlage einer gewerkschaftlich getragenen Massenbewegung wäre eine von Corbyn geführte Regierung möglich, die unter dem Eindruck der Bewegung weitreichende Reformen durchführen könnte. Genau das ist es, was den Herrschenden in Großbritannien und in ganz Europa die Angst in die Glieder fahren lässt. Die EU der Bosse ist in einer tiefen Krise. Es wird Zeit für ein Europa von unten.