Auf dem rechten Auge blind

By Jasper Goslicki (Own work) CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons.jpg
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Bedrohung durch rechte Strukturen in Sachsen wächst

Es ist eine Statistik des Grauens. Zwischen 2012 und 2015 hat sich die Zahl rechtsmotivierter bzw. rassistischer Straftaten in Sachsen laut der Opferberatung RAA mehr als verdoppelt. Doch was sich in Sachsen von 2014 bis 2015 ereignete, kann nur als Dammbruch bezeichnet werden. Um 86 Prozent schossen rassistische Gewaltstraftaten in die Höhe.

von Steve Hollasky, Dresden

Gerade im ländlichen Raum entstehen flächendeckende Strukturen, innerhalb derer sich Rechte organisieren. Meistens wählen die Schlägertrupps die verharmlosende Selbstbezeichnung „Bürgerwehr“. Inzwischen wird es selbst dem sächsischen Innenministerium zu viel. In der „Leipziger Volkszeitung“ ließ man bereits im Januar verlauten: „Bürgerwehren dürfen die Grenze zur Selbstjustiz nicht übertreten.“ Wer sich an der Halbherzigkeit solcher Aussagen stört, der sei darauf hingewiesen, dass der Chef des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz, Gordian Meyer-Plath, beim Thema rechte Bürgerwehren sogleich in Erklärungsmuster für das Entstehen solcher Strukturen verfällt: „Hinter der steigenden Anzahl so genannter Bürgerwehren steht das sinkende Sicherheitsgefühl vieler Menschen.“

Wen sollen derartige Darstellungen noch wundern: Sachsens Innenminister, Markus Ulbig, hob in Sachsen mehrfach das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit auf, versuchte ein Willkommensfest zu verhindern und forderte polizeiliche Sonderkommissionen gegen „Ausländerkriminalität“. Und der Chef des sächsischen Verfassungsschutzes. Meyer-Plath, steckt bis über beide Ohren im NSU-Skandal und ist zudem „Alter Herr“ einer rechten Burschenschaft.

Dass unter einem derartigen staatlichen Apparat rechte Strukturen wachsen wird kaum überraschen. Das Ausmaß bleibt dennoch erschreckend.

Fallbeispiel Bürgerwehr Freital

Freital: In der 40.000-Seelen-Gemeinde geriet unlängst einer dieser Gruppen ins Visier der Fahnder. Die „Bürgerwehr Freital“ („FTL360“) wird von den Untersuchungsbehörden inzwischen als eine rechte Terrorgruppe angesehen. Immer wieder kam es zu gewaltsamen Übergriffen auf AntifaschistInnen, UnterstützerInnen von Geflüchteten und LINKE-PolitikerInnen. Im November 2015 waren die zwei führenden Köpfe der Vereinigung festgenommen worden. Einer von ihnen war Timo S. Er war unter anderem beteiligt an einer Verfolgungsjagd auf TeilnehmerInnen einer Pro-Asyl-Demonstration in Freital. Bekannt wurde der Fall vor allem deshalb, weil einer der Leute im verfolgten Auto Martin Dulig, der Sohn des stellvertretenden Ministerpräsident von Sachsen, gewesen ist.

Wer nun auf harte Strafverfolgung und Aufklärungsarbeit hoffte, der wurde enttäuscht. Die Erklärungen von Verfassungsschutz, Polizei und Staatsanwaltschaft bezüglich der Mitglieder der rechten Bürgerwehr grenzten an eine Verhöhnung der Opfer. Sie seien bis zum Tatzeitpunkt nicht als Rechte aufgefallen und es gäbe auch keine Nähe zu rechten Gruppierungen.

Inzwischen musste sich der sächsische Verfassungsschutz jedoch selbst revidieren: „FTL360“ sei mit anderen rechten Gruppen wie FRIGIDA (Freitaler PEGIDA-Ableger) und dem militanten „Widerstand Freital“ vernetzt. Außerdem seien diese Kräfte dem Neonazi-Spektrum zuzuordnen.

Scheinbar war man weitaus besser im Bilde, als man zugeben wollte. Weshalb man dennoch dem Generalbundesanwalt die Ermittlungsakten erst auf dessen Aufforderung zustellte, weshalb er es war und nicht die sächsischen Behörden, die die Freitaler Rechten als Terrorgruppe einstuften und den Polizeieinsatz vom April diesen Jahres und die Festnahme von fünf weiteren mutmaßlichen Rechtsterroristen anordnete, bleibt wohl das Geheimnis der sächsischen Ermittler. Und noch etwas ist höchst anrüchig: Angeblich befand sich im Umfeld der Gruppe ein verdeckter Ermittler, der seine Vorgesetzten über bevorstehende Anschläge auch in Kenntnis setzte.

Fallbeispiel Freie Kameradschaft Dresden

Ebenso vor sächsischen Gerichten fanden sich in den letzten Wochen Mitglieder der militanten „Freien Kameradschaft Dresden“ wieder. Die Nazis hatten unter anderem linke Jugendliche im Dresdner Alaunpark attackiert. Mit von der Partie war damals Timo S. Von der Bürgerwehr Freital – Sachsens militante Rechte ist vernetzt.

Fallbeispiel Christian Müller

Am Rande einer Demonstration der militanten Nazi-Partei „DER III.Weg“ im sächsischen Plauen, griff ein gewisser Christian Müller eine Gegendemonstrantin an. Er schlug ihr mit seinem Kamerastativ ins Gesicht. Müller ist kein Unbekannter. Er war einer Initiatoren des rechten Projekts „Volksfrontmedien“ und aus seinem Umfeld heraus erfolgte auch der Angriff auf ein Linksjugendcamp, bei dem eine 13jähroige Genossin schwer verletzt wurde.

Wir haben keine Zeit mehr!

Immer mehr scheint Sachsen zu einem Sammelpunkt rechter Kräfte zu werden. Zwar darf die Vernetzung unter ihnen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die verschiedenen Strömungen der sächsischen Rechten um die Vormachtstellung kämpfen. Dennoch ist die bereits erreichte Zusammenarbeit dieser Gruppen erschreckend. Das Netz von Bürgerwehren schreit geradezu nach Strukturierung und Zusammenfassung und es drängt sich der Verdacht auf, dass diese auch stattfinden.

Im Kampf gegen diese Gefahr ist der Staat keine Hilfe: Verfassungsschützer, die sich ausschweigen; Anschläge, die nicht verhindert werden; ein Innenministerium, dass rechten Bürgerwehren zugesteht Pfefferspray und Schlagstöcke tragen zu dürfen und eine Polizei, die ihren Gegner auf der Linken ausmacht. Nein, den Kampf gegen diese Gruppen muss die Linke gemeinsam aufnehmen: Gewerkschaften, LINKE, Antifa- und MigrantInnen-Gruppen müssen jetzt handeln. Wir brauchen Sicherheitsstrukturen, die unsere Veranstaltungen und Objekte vor rechten Angriffen schützen. Und wir brauchen eine Kampagne, die Menschen massenweise auf die Straße holt. Das kann nicht nur im Kampf gegen etwas gelingen, sondern nur durch den solidarischen, gemeinsamen Kampf für soziale Verbesserungen.