Protest gegen AfD-Bundesparteitag

stuttgartTausende in Stuttgart auf der Straße – Polizei gewalttätig

Morgens protestierten etwa 1500 Menschen bei der Stuttgarter Messe und konnten den Parteitagsbeginn um über eine Stunde verzögern. Am Nachmittag demonstrierten rund 5000 in der Stuttgarter Innenstadt

von Wolfram Klein, SAV-Vertreter im Aktionsbündnis gegen den AfD-Programmparteitag

Als bekannt wurde, dass die AfD ihrer Programmparteitag in Stuttgart (genauer: auf dem Gelände der Messe Stuttgart, das zu Leinfelden-Echterdingen südlich von Stuttgart gehört) abhalten will, bildete sich in Stuttgart ein Aktionsbündnis zur Vorbereitung der Gegenmobilisierung, an dem sich auch die SAV beteiligte. Wir waren uns von Anfang an einig, dass wir nicht nur in der Stuttgarter Innenstadt demonstrieren wollen, sondern uns auch vor Ort der AfD entgegenstellen wollen. Ein Kundgebungsredner für das Aktionsbündnis sagte dazu sinngemäß: Wenn Brandstifter zündeln, macht man nicht am anderen Ende der Stadt ein Fest für eine Welt ohne Feuer, sondern man löscht.

Mobilisierung

Bei den TeilnehmerInnen des Aktionsbündnis waren verschiedene Schwerpunkte erkennbar, Teile sahen ihre Aufgabe eher darin, für aus ganz Deutschland anreisende GegendemonstrantInnen Protest-Infrastruktur bereitzustellen, andere mehr darin, in Stuttgart selber zu mobilisieren. Da natürlich beides wichtig war und sich gegenseitig ergänzte, stand das einer solidarischen Zusammenarbeit nicht im Wege. Sicher wären mehr Leute gekommen, wenn die Mobilisierung vor Ort umfangreicher gewesen wäre, aber dazu hätten sich mehr Kräfte an der Mobilisierung beteiligen müssen. Gemessen an den begrenzten Kräften die die Mobilisierung getragen haben, ist einiges gelaufen, mit einem Ergebnis, das sich wirklich sehen lassen konnte. Ein Highlight der Mobilisierung in Stuttgart war der Warnstreik der kommunalen Beschäftigten am Montag, bei dem nicht nur eifrig Flugblätter für die Proteste verteilt wurden, sondern auch drei Redner (ein Betriebsrat der Stuttgarter Straßenbahnen, die ver.di-Jugend und ver.di-Geschäftsführer Cuno Hägele als Moderator) die Bedeutung der Proteste gegen die AfD erklärten und zur Teilnahme aufriefen. ver.di hat sich überhaupt von Anfang an am Aktionsbündnis beteiligt. Wenn das alle Gewerkschaften gemacht hätten, wäre noch einiges mehr drin gewesen.

Ziviler Ungehorsam und Polizeigewalt

Um den Parteitag möglichst zu behindern, war beschlossen worden, schon um 7.00 Uhr morgens mit den Protesten an der Messe zu beginnen. Für die Anfahrt gab es einen Treff um 6.00 Uhr am Stuttgarter Hauptbahnhof. Die S-Bahn zum Flughafen, wo sich die Messe befindet, platzte dann aus allen Nähten. Drei Haltestellen vor dem Flughafen hatte die S-Bahn einen 10-minütigen außerplanmäßigen Halt, laut Lautsprecherdurchsage „auf Anordnung der Polizei“. Ein Großteil der DemonstrantInnen stieg eine Haltestelle vor dem Flughafen aus, um sich zu Fuß zum Messegelände durchzuschlagen.

Rund um die Messe gab es vor allem Versuche, durch Straßenblockaden die Anreise der Parteitagsdelegierten zu behindern. Die Polizei ging mit Gewalt, Einkesselungen und Massenfestnahmen dagegen vor. Insgesamt wurden über 600 Festnahmen gezählt. Ich konnte mit ansehen, wie die Polizei in der Flughafenstraße meist junge (teils sehr junge) Menschen aus einem Kessel nach und nach abführte. Sie wurden zu einem Tischchen geführt, auf dem ein großer Haufen Kabelbinder lag, mit denen ihnen dort (und teils schon näher beim Kessel) die Hände auf den Rücken gefesselt wurden. Dann wurden sie anscheinend in eine provisorische Gefangenensammelstelle in einer Messehalle gebracht. Dabei ging es teils recht brutal zu. Wenn Polizisten bei Rangeleien mit DemonstrantInnen gewalttätig werden, ist das schlimm genug. Aber hier hatten sie es mit Menschen zu tun, die sich nicht wehrten (und auch nicht wehren konnten). DemonstrantInnen versuchten vom Straßenrand aus, die Festgenommenen mit Sprechchören moralisch zu unterstützen oder die Stimmung aufzulockern, indem sie ihnen – in Anlehnung an Monty Python – „Jeder nur ein Kreuz“ zuriefen (aber wahrscheinlich wäre den Festgenommenen eine Lockerung der Fesseln lieber gewesen als die Auflockerung der Stimmung). Gewürzt wurde die Polizeibrutalität von Schauergeschichten über gewalttätige DemonstrantInnen, die von den Medien leider oft kritiklos übernommen wurden. Die 20-Uhr-Tagesschau z.B. brachte es fertig, Bilder von Polizisten, die DemonstrantInnen mit Knüppeln und Wasserwerfern traktieren, mit Text über „gewalttätige Demonstranten“ zu unterlegen. Für wie dumm halten sie uns? Laut Twitter befanden sich unter den Festgenommenen auch drei Journalisten.

John Malamatinas hat im „Neuen Deutschland“ seine Erlebnisse im Polizeigewahrsam geschildert. Danach mussten die Festgenommenen stundenlang ohne Essen, Wasser, Toilettenzugang, mit zu eng zugelzogenem Kabelbinder gefesselt. Mehrere Gefangene kollabierten. Malamatinas zitiert Augenzeugenberichte über Prügel von Gefangenen durch die Polizei.

Am 30. September löste die gewaltsame Räumung des Stuttgarter Schlossgartens für Stuttgart 21 für bundesweite Empörung und Massenproteste. Nach über fünf Jahren, nachdem polizeiliche einfache Körperverletzungsdelikte verjährt waren, wurde der Polizeieinsatz gerichtlich für illegal erklärt. Danach traf sich der Grüne Ministerpräsident Kretschmann mit Opfern der Polizeigewalt und entschuldigte sich für seinen CDU-Vorgänger. Jetzt hat die abgewählte, aber noch amtierende Grünen-SPD-Koalition demonstriert, dass unter ihr die Polizei ähnlich brutal gegen Proteste vorgeht (zu denen ihre eigenen Jugendorganisationen mit aufgerufen haben).

Kundgebungen und Demonstration

Um zehn Uhr hätte es eine Kundgebung auf der Messe Piazza vor dem Tagungsort der AfD geben sollen. Die Kundgebung war fünf Wochen vor dem Parteitag angemeldet worden. Wenige Tage vorher wurde der Kundgebungsort verboten und statt dessen der daneben gelegene Fernbus-Terminal als Ort zugewiesen worden. In der Kürze der Zeit waren juristische Mittel gegen diese Entscheidung nur sehr beschränkt möglich und erfolglos. Begründet wurde das Verbot damit, dass die Messe Piazza zu klein sei und zu wenig Fluchtwege habe. Der Fernbus-Terminal ist wesentlich kleiner und mögliche Fluchtwege wurden dann von der Polizei während der Kundgebung blockiert. Es reicht ihnen nicht, zu lügen. Sie machen sich nicht mal die Mühe, geschickt zu lügen und speisen uns mit den plumpsten Lügen ab. Ganz offensichtlich wollte die Stadt der AfD den roten Teppich ausrollen und ihr GegendemonstrantInnen direkt vor ihrem Versammlungsort nicht zumuten. Eine Woche vorher hatte der Landesparteitag der AfD in Waiblingen stattgefunden. Dort war eine Kundgebung direkt vor dem Gebäude möglich gewesen.

Damit nicht genug, hat die Polizei obendrein nach Berichten wiederholt Parteitagsdelegierten mit Gewalt den Weg quer über den Kundgebungsplatz freigemacht. Als dann die Kundgebung (mit etwa halbstündiger Verspätung, um mehr Zeit für die Blockaden etc. rund um den Parteitag zu haben) stattfand, lief sie ohne größere polizeiliche Störungen ab.

Insgesamt haben sich an den Protesten auf dem Messegelände nach Schätzungen etwa 1.500 Menschen beteiligt, von denen rund 600 in Polizeigewahrsam genommen wurden.

Von den übrigen fuhren die meisten dann in die Stuttgarter Innenstadt, wo um 13.00 Uhr eine Kundgebung mit anschließender Demonstration begann. Bei der Mobilisierung hatte sich schon gezeigt, dass vielen Menschen ein Protestprogramm von 7.00 Uhr morgens bis zum Nachmittag zu stressig war und sie sich auf einen der beiden Orte (vorzugsweise den in der Innenstadt) beschränken würden. Trotzdem war es richtig, auch an der Messe zu protestieren, aber es war klar, dass der Protest in der Innenstadt deutlich größer werden würde. Tatsächlich schwoll der Demozug dann auch auf rund 5000 Menschen an. Hier trat die Polizei nicht so provozierend auf, auch wenn sie z.B. neben Teilen der Demo im Spalier ging.

In verschiedenen inhaltlichen Beiträgen bei der Kundgebung beim Fernbus-Terminal und der Demo in der Innenstadt wurde deutlich, dass die AfD eine direkte Bedrohung nicht „nur“ für Geflüchtete und MigrantInnen ist, sondern auch für Lohnabhängige, Frauen, Homosexuelle (es gibt z.B. enge Verbindungen zwischen der AfD und der homophoben „Demo für alle“, die alle paar Wochen Stuttgart heimsucht) und andere.

Die Proteste gegen den Parteitag waren wichtig, aber die Aufklärung der Bevölkerung über den wahren Charakter der AfD und die Bekämpfung der Vorurteile und Ängste die weit über die WählerInnen der AfD hinaus zum Beispiel in Bezug auf Geflüchtete oder Muslime bestehen, ist eine Daueraufgabe. Der Ortsverband Bad Cannstatt – Mühlhausen – Münster der LINKEN hat auf die Initiative von SAV-Mitgliedern am 19. April eine inhaltliche Veranstaltung zur AfD gemacht und dafür im Stadtteil und darüber hinaus mobilisiert (meines Wissens die einzige derartige Veranstaltung in Stuttgart im Rahmen der Mobilisierung gegen den Parteitag) und arbeitet an einem inhaltlichen Faltblatt zur Entkräftung weit verbreiteter Vorurteile. Die SAV selbst hat bei den Protesten eingeladen zu einer Diskussionsveranstaltung zum Thema „Es gibt keinen Kapitalismus ohne Rassismus“ am 4. Mai.