Das Verbot sexistischer Werbung

sexismus1oder: Deutsche Frauenrechtler wollen ihr Eis mit Brüsten

Selten hat es in den offiziellen Kanälen der Marketingbranche solch einen Sturm der Entrüstung gegeben. Selten haben sich auch die Sprachrohre der Werbeindustrie so deutlich zu Wort gemeldet. Das tun sie vor allem dann, wenn sie um ihr Geld fürchten müssen. Und sie ziehen ins Feld, alle gemeinsam, und rüsten für den Widerstand.

Ein Kommentar von René Kiesel, Berlin

Der Gesamtverband Kommunikationsagenturen werde laut seines Geschäftsführers Ralf Nöcker „entschlossen dagegen vorgehen, eine weitere sinnlose Freiheitseinschränkung zu akzeptieren.“ Fast könnte der Eindruck entstehen, dass es um die Enteignung ihrer Betriebe geht, doch es kommt noch schlimmer: Justizminister Heiko Maas (SPD) hat angekündigt, eine Gesetzesnovelle vorzulegen, in der diskriminierende Werbung eingeschränkt werden soll. Werbetreibende fürchten nun um ihr Recht, ihre Produkte mit der nackten Haut von Frauen präsentieren zu dürfen.

„Deutschland hat ein modernes Frauenbild!“

Im Allgemeinen wird kein Zusammenhang mit den Silvestereignissen gesehen und daher sei eine Einschränkung der Werbung überhaupt nicht notwendig. So sagte Manfred Parteina, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbandes der deutschen Werbewirtschaft (ZAW): „Die SPD-Verbotspläne ignorieren, dass Deutschland ein modernes Geschlechterbild hat, das gerade auch die Werbung immer wieder zeigt. Über gesetzliche Werbeverbote ein neues Geschlechterbild zu verordnen, geht an den Fakten vorbei: Die Bürger brauchen nicht den Staat, damit er ihnen Werbebilder vorsortiert und vorschreibt.“ Das schlagende Argument ist natürlich, dass die Täter vor allem Migranten waren und daher vom rückschrittlichen Frauenbild in ihrem Kulturkreis geprägt waren und nicht von der deutschen Werbung. Die logische Schlussfolgerung kann also nur sein: lasst die ausländischen Männer mehr deutsche Werbung sehen, damit sie fortschrittlicher werden.

Das klappt bei deutschen Männern seit Jahrzehnten wunderbar. In einer Studie, die die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA)  2014 in den 28 EU-Mitgliedsstaaten erhob, gaben 33% aller Frauen an seit dem 15. Lebensjahr sexuelle oder körperliche Gewalt durch ihren Partner oder eine andere Person erfahren zu haben. Deutschland liegt mit 35% sogar noch über dem Durchschnitt. Wenn wir jetzt eine einfache Berechnung durchführen und uns an die Zahlen des statistischen Bundesamtes halten, gab es zum Zeitpunkt der Erhebung etwa 30,5 Millionen Frauen, die älter als 14 Jahre waren. Das bedeutet, dass ungefähr 10,5 Millionen Frauen physische Gewalt in der einen oder anderen Weise erfahren haben.  Die Dunkelziffer liegt sehr wahrscheinlich höher und es mag je nach Sozialisierung unterschiedlich aufgefasst werden, wo Gewalt beginnt und was noch „normal“ ist. Also Drohgebärden im Supermarkt zum Beispiel, wenn das Kind nervt und die Frau die falsche Zigarettenmarke auf das Band packt. Es wird ja nicht wirklich zugeschlagen. Daher können diese Zahlen nur ein ungefähres Bild vermitteln.

Noch einmal die Zahl: zehneinhalb Millionen Frauen. Zweieinhalb Mal die Stadt Berlin, vier Mal die Stadt Hamburg oder das gesamte Bundesland Baden-Württemberg. Und jetzt zurück zu Manfred Parteina vom ZAW: „Es geht aktuell um einen geplanten Missbrauch des Wettbewerbsrechts für Werbezensur. Aber kein Werbeverbot kann das Fehlverhalten von Einzelnen oder Gruppen verhindern. Das gilt auch für die schlimmen Vorfälle in der Silvesternacht in Köln und anderen Städten, die der ZAW aufs Schärfste verurteilt.“ Sicher lässt sich eine Debatte darum führen, wie die Ereignisse in Köln zu verhindern gewesen wären. Sie darf an dem Fehlverhalten der politisch Verantwortlichen und Einsatzleitung der Polizei in dieser Nacht nicht vorbei gehen. Dass aber die Verdinglichung von Frauenkörpern als Werbefläche, oft mit Andeutungen physischer oder sexueller Gewalt, eine Auswirkung auf die Gesellschaft hat, scheint den Werbeleuchten entgangen zu sein.Vor allem wie sehr durch diese Darstellung in den Medien die Hemmschwelle für tatsächliche Gewalt sinkt, die viel mehr mit Machtausübung und Züchtigung der Frau zu tun hat, als beispielsweise mit „männlichen Trieben“, was oft als Rechtfertigung genutzt wird. Statt gesellschaftlicher Veränderung, bekommen wir von selbsternannten Experten eine ungenießbare neoliberale Brühe serviert.

Was würde also Benedikt Holtappels, CEO der GGH MullenLowe GmbH empfehlen? „Ich würde jede Initiative unterstützen, die mehr Frauen in Führungsetagen bringt, gläserne Decken durchstößt und junge Frauen ermuntert, in sogenannte Männerdomänen vorzudringen.“ Seine Firma kreiert sehr erfolgreiche Werbekampagnen für Ikea und e.on, aber auch die „Rechts gegen Rechts“-Kampagne von EXIT-Deutschland zum Beispiel.

Fassen wir die Haltung der Werbeindustrie zusammen:

  1. Deutschland hat kein Problem mit dem hier vermittelten Frauenbild
  2. In Deutschland gibt es kein Problem mit sexistischer Gewalt
  3. Ein Werbeverbot hätte Köln nicht gehindert
  4. Köln hätte nicht verhindert werden können, da alles Ausländer waren
  5. Eine Prägung durch Medien und Werbung gibt es gar nicht
  6. Jede Frau ist ihres Glückes Schmiedin

Um den Brechreiz zu komplettieren, geben wir noch einen Albert Duin, Landessprecher der FDP-Bayern dazu: „1968 haben die Linken gegen die spießige Sexualmoral gekämpft, heute kämpft Heiko Maas gegen nackte Haut auf Litfaßsäulen. Sexismus ist ein gesellschaftliches Problem, das der Staat nicht durch Verbote lösen kann. Maas leistet mit seinem Vorschlag nur einer neuen Prüderie Vorschub. Zur Meinungsfreiheit gehört auch das Recht, sich mit unpassender Werbung zu blamieren.“ Der Bundesvorsitzende der Liberalen Christian Lindner attackierte Heiko Maas für dessen Vorstoß. Der Gleiche Lindner stellte sich vor zwei Jahren hinter seinen Vorgänger Rainer Brüderle, dessen aufdringliches Verhalten gegenüber einer Journalistin und weiteren Frauen eine bundesweite Debatte auslöste. Für die Liberalen gibt es offensichtlich ein Grundrecht auf sexistische Werbung und grenzüberschreitende Annäherungsversuche.

An dieser Stelle halten wir fest, dass es schon ganz schön dreist ist, uns für so dumm zu halten, dass wir den Scheiß nicht merken würden, der hier abläuft.

Neuer Deutscher Feminismus

Die Übergriffe und Gewalt gegen Frauen in der Silvesternacht in Köln waren auf so vielen Ebenen schockierend. Dass es überhaupt passierte. Das Ausmaß. Dass die Polizei nichts gewusst haben will. Dass sich niemand dafür verantwortlich zeigte. Noch während wir nach Worten rangen, um das Geschehene zu erfassen und eine Antwort darauf zu formulieren, wussten wir ganz genau, was passieren wird. Die Rechten jeglicher Färbung werden es für ihre Propaganda nutzen. Wie nach Charlie Hebdo hörten wir schon das Heulen der rassistischen Hyänen direkt hinter der Tür. Nicht zuletzt sorgte der anschließende massive rassistische Angriff dafür, dass die Diskussion nicht mehr um die Betroffenen und den Sachverhalt ging. Und der Angriff kam von Rechtsaußen bis zur viel beschworenen Mitte der Gesellschaft, denn jetzt ging es um „unsere“ Kultur, unsere aufgeklärte christlich-abendländische Gesellschaft, unsere Werte. Glücklicherweise fanden Tausende in Köln ihre Stimme schnell wieder und stellten sich mit Demonstrationen gegen Sexismus, Rassismus und seine gesellschaftlichen Ursachen.

Doch der Damm war gebrochen. Lutz Bachmann posierte mit T-Shirts, auf denen stand „Rapefugees not welcome“, Erika Steinbach twitterte das Ende unserer offenen Gesellschaft herbei. In verschiedenen Intonationen wurde von führenden Mitgliedern der AfD ein Drohszenario aufgebaut: das sei nur ein Vorgeschmack, das seien Zustände wie nach dem Krieg, das Ende der deutschen Zivilisation sei nahe. Mit einem Mal entdeckten Männer, von denen es vorher niemand für möglich gehalten hätte, ihre feministische Ader.

Die Position der AfD könnte auch so zusammen gefasst werden: „Wenn Frauen zuhause am Herd bleiben, passiert ihnen draußen weniger.“ Wobei an dieser Stelle noch einmal ins Gedächtnis gerufen werden muss, dass die eigenen vier Wände für Frauen in Deutschland immer noch der gefährlichste Ort sind. Die Position der offener radikalen Rechten wie NPD, Die Rechte oder Pro NRW lässt sich vielleicht wie folgt stereotyp wiedergeben: „Bleib‘ mal schön zuhause Mandy, wir regeln das. Der Einzige, der dich hier anfässt, bin ich.“ oder „Finger Weg von unseren Weibern. Deutsche Frauen zuerst für Deutsche.“

Zum ebenfalls neu entdeckten Feminismus der SPD und dem Maas’schen Gesetzvorstoß schreibt die AfD auf Facebook:

„Zensur und Verbot von zu viel nackter Haut auf Werbeplakaten – das scheinen die Probleme unseres Justizministers zu sein, während der Verfassungsschutz zugibt, dass er den IS unterschätzt hat, die Lage in Deutschland aufgrund der vielen Islamisten sehr gefährlich sei und ausländische Clans das Leben in so mancher Stadt bestimmen.“

Demnach geht es den deutschen Frauenfreunden dann doch zu weit, wenn sie keine Brüste mehr auf Plakaten sehen. Und überhaupt sei das nur ein Zugeständnis an die schleichende Islamisierung. Ohne die gravierende Situation vieler Frauen auf der Welt in sogenannten islamischen Ländern relativieren zu wollen, ist in der christlichen Welt mitnichten alles in Ordnung. Extreme Beispiele sind Russland, Polen, Irland und der Spanische Staat, in dem die abendländische Kirche eine herausragende Rolle spielt und in der Frauenrechte mit Füßen getreten und fortwährend eingeschränkt werden. Die westliche Freiheit besteht also darin, dass Frauen ausziehen können, was sie wollen? Oder müssen sie nicht eher ausziehen, was andere wollen, und aussehen, wie andere wollen, um überhaupt Anerkennung zu bekommen? Ist das Freiheit? Für Frauen sicher nicht. Aber auch für Männer nicht.

Was für ein trauriges Leben ist es, einer gesellschaftlichen Rolle gerecht werden zu müssen, in der keine Gefühle gezeigt werden dürfen und sich die Kinder und die Frau unter zu ordnen. Disziplinierung und Erziehung der Familie werden an den Mann abgetreten. Auf physischer und psychischer Ebene. Warum? Damit sie untergeordnet bleiben, damit sie sich mit schlechteren Jobs zufrieden geben, damit sie nicht den Mund aufmachen. Und dann? Die Männer stehen da, die Löhne werden schlechter, das Leben beschissener, sie stehen den Frauen gegenüber und denken, diese wären biologisch und emotional weniger fähig und wert. Und hintenrum wird ein Klassensystem aufrecht erhalten, das beide Seiten in den Abgrund stößt. Es zerbricht dann, wenn beide Seiten gemeinsam Schulter an Schulter einen organisierten Kampf dagegen führen.

Mehr oder weniger nackte Haut?

Dass die Rechten kein Orientierungspunkt für die Lösung der Frage nach sozialer Gleichheit von allen Menschen sind, ist deutlich geworden. Dass die SPD es auch nicht sein kann, wird dadurch klar, dass die Agenda 2010, Hartz-Gesetze, maßgeblich von dieser Partei vorgeschlagen, beschlossen und umgesetzt wurden. Nicht erst die Schuldenbremse bei den Kommunen macht eine bedarfsgerechte soziale und psychologische Betreuung von Frauen in Notsituationen unmöglich. Sozialkürzungen treffen vor allem Frauen. In Folge der Weltwirtschaftskrise stieg die häusliche Gewalt noch einmal erheblich in den am schwersten getroffenen Ländern an.

Sollte man deshalb gegen die gesetzliche Einschränkung diskriminierender Werbung sein? Mit Sicherheit nicht. Auch wenn es nicht der erfolgversprechendste Ansatzpunkt ist, sollte man sich nicht gegen eine potentielle Verbesserung der Situation in der Darstellung von Frauen stellen. Grundlegend kann gesagt werden, dass durch die Darstellung nackter Haut zu einem kommerziellen Zweck eine Vergegenständlichung erfolgt, da der Inhalt nicht etwa die Betrachtung an sich ist, sondern eine Kaufentscheidung hervor rufen soll, also Warenaustausch statt Ästhetik. Damit wäre auch die moralische Frage berührt, wie viel Haut denn nun gut ist. Es sei nicht zu vergessen, dass es einer gesellschaftlichen Diskussion und Veränderung des heute Akzeptierten bedarf. Denn die nicht-kommerzielle Darstellung von sexistischen Inhalten beispielsweise sollte nicht etwa mit Fortschrittlichkeit verwechselt werden, da auch in dem Fall ein bestimmtes Frauenbild vermittelt wird. Insgesamt sind moralische Schranken sehr elastisch, unterscheiden sich von Person zu Person und unterliegen vor allem dem wandelnden Einfluss ihrer gesellschaftlichen Umstände. Letztendlich kann es daher keine Schablone geben, sondern es muss von den Betroffenen selbst, von demokratisch gewählten Komitees und VertreterInnen der Frauenverbände entschieden werden, was sexistisch ist und was nicht. Das gilt im Bereich der Werbung ebenso wie für die gesamten Medienindustrie oder den Inhalt von Gesetzen.

Wird ein solches Gesetz etwas ändern? Vielleicht an einigen kleinen Stellen, falls das Gesetz jemals durchkommen wird. Aber die Frage, ob ein Werberat nach bürgerlich-moralischen Gesichtspunkten handelnd, in der Lage sein wird, die gesellschaftliche Darstellung von Frauen grundlegend zu ändern, kann getrost mit Nein beantwortet werden. Vielleicht könnte man sagen: „Glaube keinem sexistischen Plakat, das du nicht selbst entfernt hast.“ Soll heißen, dass Sexismus nur als gemeinsame Aktion bekämpft werden kann. In der Schule, Uni und im Betrieb. Sei es eine Aufklärungskampagne, wie sie durch Gewerkschaften organisiert werden könnte. Sei es eine gemeinsame konkrete Aktion, um sexistische Werbung zu entfernen. Grundlegend wirft das aber die Frage auf: wer kontrolliert eigentlich, welche Bilder wo produziert werden und welches gesellschaftliche Bild dadurch vermittelt wird? Bis jetzt sind es private Produzenten, die möglichst viel Geld damit machen wollen. Um es grundlegend zu verändern, müssen wir die Sachen selbst prüfen und in die eigene Hand nehmen. Profitinteressen schaden uns – Frauen, Männern, Transmenschen, Tieren, Umwelt, allen. Und mal ganz ehrlich – wer brauch schon Werbung? Wenn wir weniger arbeiten würden, hätten wir genug Zeit, uns ein genaueres Bild von Produkten zu machen. Wenn wir allerdings selbst entscheiden würden, was produziert wird, wüssten wir schon so viel besser Bescheid.