Wohnungsnot muss nicht sein

Protest der SAV Rostock gegen hohe Mieten
Protest der SAV Rostock gegen hohe Mieten

So kann günstiger Wohnraum für Alle erreicht werden

Die Wohnungsnot ist mittlerweile ein oft vorgebrachtes Argument, mit dem eine „Überforderung“ begründet und die Begrenzung der Flüchtlingszahlen verlangt wird. Tatsächlich ist dies natürlich kein richtiges Argument – nach dem II. Weltkrieg hat man die Flüchtlinge auch nicht zurück geschickt und damals gab es eine viele größere Wohnungsnot. Aber stimmt es überhaupt? Sind wirklich alle Möglichkeiten ausgeschöpft oder gibt es Wege, für Flüchtlingen und für alle anderen Wohnungssuchenden gute und bezahlbare Wohnungen zu schaffen?

Von Georg Kümmel, Köln

Den politischen Willen vorausgesetzt würde man doch folgendermaßen vorgehen: Man würde eine umfassende Bestandsaufnahme aller Gebäude in jeder Kommune machen (und zwar unabhängig davon, wer der jeweilige Eigentümer ist): Wo und wie viele Wohnungen stehen leer und könnten sofort bezogen werden? Laut Pressemeldungen stehen derzeit in Deutschland zwei Millionen Wohnungen leer. Dagegen wird eingewendet, viele lägen in ländlichen Gebieten. Viele heißt – nicht alle. Etliche leerstehende Wohnungen liegen in den Städten und Großstädten. Die müsste man zuerst belegen. (Und viele Flüchtlinge würden sicher gerne in kleinere Kommunen ziehen, wenn sie dafür eine geräumige Wohnung ganz für ihre Familie alleine hätten, statt Feldbett an Feldbett mit 250 anderen in einer Turnhalle hausen zu müssen. Wie vielen Flüchtlingen wurden solche Angebote, auf freiwilliger Grundlage in eine Wohnung umzuziehen, gemacht?)

Gleichzeitig würde man in jeder Stadt eine Bestandsaufnahme machen, welche Gebäude es darüber hinaus gibt, die derzeit ungenutzt sind und sich zu Wohnzwecken umwandeln ließen. Man würde finden, dass es sehr viele gibt, vor allem leerstehende Bürogebäude. Laut statista.de stehen in den größten deutschen Städten zwischen 11,8 Prozent (Frankfurt) und 3,5 Prozent (Stuttgart) aller Büroflächen leer. Ein gewisser Leerstand (zwei bis drei Prozent) ist wegen Mieterwechseln unvermeidlich, aber die Statistik erfasst andererseits nicht die Bürogebäude, die aus spekulativen Gründen leer stehen. Technisch ist es kein Problem, fast jedes Gebäude innerhalb von drei, sechs oder längstens zwölf Monaten zu Wohnzwecken umzubauen.

Weiter müssten bei der Bestandsaufnahme alle bebaubaren Flächen erfasst werden. Natürlich ist es keine Lösung auch den letzten freie Flecken in der Großstadt zu bebauen. Aber es gibt überall Brachflächen, die versiegelt und damit ökologisch derzeit wertlos sind. Etwa betonierte oder asphaltierte, aber ungenutzte Industrieflächen, verfallende Industriegebäude, etc.. Dort könnte neuer Wohnraum entstehen.

Einwohnerzahl wie vor zwanzig Jahren

Dass die Probleme gar nicht so groß sind wie behauptet, zeigen folgende Zahlen:

1996 lebten in Deutschland 82,01 Millionen Menschen. 2014 waren es 81,2 Millionen. 2015 kamen eine Millionen Flüchtlinge. Demnach dürften jetzt wieder rund 82 Millionen Menschen in Deutschland leben, also in etwa so viel wie vor zwanzig Jahren. Dass es dennoch eine große Wohnungsnot in den meisten Städten gibt, hat offensichtlich andere Gründe: es gibt noch Wohnungen, aber die sind selbst für Durchschnittsverdiener unbezahlbar. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass massenhaft öffentliche Wohnungen privatisiert wurden. Diesen Prozess kann man umkehren, wenn man es politisch will.

Soweit auch absolut zu wenig Wohnungen vorhanden sind, liegt das zum einen daran, dass jahrelang zu wenige gebaut wurden. Eine weitere Ursache ist die extrem ungleichmäßige wirtschaftliche Entwicklung zwischen vielen Regionen, die zu Wanderungsbewegungen innerhalb Deutschlands führt. Die Vernachlässigung des ländlichen Raumes (Verkehr, Internet, Gesundheitsversorgung, Bildung, Kultur) führt zur Landflucht. Entsprechenden politischen Willen vorausgesetzt, könnte man hier gegensteuern.

800.000 neue Wohnungen in einem Jahr

Es gäbe also eine Vielzahl Möglichkeiten, der Wohnungsnot entgegen zu wirken, ohne dass massenhaft neue Wohnungen gebaut werden müssten. Aber auch das wäre kein Problem. Im kriegszerstörten Deutschland schaffte man es ab 1952 jährlich über 500.000 Wohnungen zu bauen. Der Rekord wurde 1973 erreicht. 810.444 Wohnungen wurden damals in einem Jahr fertig. Ein Großteil der Mietwohnungen die in den 1950er, 1960er und 1970er Jahren gebaut wurden, waren Sozialwohnungen. Doch weil diese nach und nach aus der Mietpreisbindung fielen und immer weniger Sozialwohnungen neu errichtet wurden, gab es auch schon vor dem jüngsten Zuzug von Flüchtlingen einen dramatischen Mangel an bezahlbarem Wohnraum. 2014 wurden insgesamt überhaupt nur nur noch 245.000 Wohnungen fertiggestellt, und davon waren nur 9.874 Sozialwohnungen! (Quelle: www.tagesschau.de)

Die schnelle Bereitstellung und Schaffung von ausreichend Wohnungen ist also kein technisches Problem sondern eine politische Frage.

Um die Flüchtlinge schnell aus den unwürdigen Sammelunterkünften herausholen und in Wohnraum unterbringen zu können und um auch anderen Wohnungssuchenden die Chance auf angemessenen Wohnraum zu geben, müsste man bereit sein, leerstehende Wohnungen und Gebäude zu beschlagnahmen. Gesetzlich besteht diese Möglichkeit grundsätzlich. Aber sie wird fast nie genutzt. Die Wohnungsvergabe müsste dann durch demokratisch gewählte und kontrollierte Komitees nach einem Bedarfskatalog erfolgen.

Profite schützen oder Menschen?

Das Ziel muss sein, bezahlbaren Wohnraum für alle zu schaffen, egal ob Flüchtling oder nicht. Doch private Kapitalbesitzer bauen Wohnungen nur, wenn sie damit einen entsprechenden Gewinn erzielen können. Außerdem gibt es eine Besonderheit auf dem Wohnungs-“Markt“. Um Wohnungen zu bauen, braucht man Baugrund in den Städten und Großstädten. Der Boden ist aber seiner Natur nach nicht vermehrbar (auch nicht für viel Geld) sondern begrenzt. Grundstückspreise in der Stadt sind daher grundsätzlich (überteuerte) Monopolpreise.

Die Wohnungsversorgung gehört deshalb in öffentliche Hand. Wir brauchen öffentliches Eigentum an Grund und Boden, kommunalen Wohnungsbau, Wiederherstellung des öffentlichen Eigentums an allen Wohnungen, die früher direkt oder indirekt in öffentlicher Hand waren (Kommunen, Land, Bund, Bahn, Post) und die Überführung großer Wohnungsbaukonzerne in öffentliche Hand – demokratisch kontrolliert und verwaltet.