Mehr Personal! Jetzt!

Der Öffentliche Dienst ist am Rand der Belastungsgrenze

Mit der schnell gestiegenen Anzahl von Flüchtlingen/Asylsuchenden haben sich Mängel im öffentlichen Dienst gezeigt, die schon vorher existierten, aber in den extremen Situationen deutlich zu Tage getreten sind.

von Marén Wiese, Rostock

Der Stellenabbau hat in den letzten Jahren zu einer immensen Arbeitsverdichtung und damit auch zu erhöhten Krankenständen geführt. Bundesweit wurden im Öffentlichen Dienst zwischen 2000 und 2014 etwa 360.000 Stellen abgebaut. (OEB-Information, Dezember 2015) Das geschah oft auch durch Ausgliederung und Privatisierung von Aufgaben, was zu Lasten von Beschäftigten und BürgerInnen geschah.

Probleme sind hausgemacht

Neben dem Wegfall von vielen Stellen wurden aber auch freie Stellen im Schnitt sechs Monate nach dem Freiwerden nicht wieder besetzt. Die Aufgaben wurden auf die übrigen MitarbeiterInnen in den Bereichen aufgeteilt oder konnten über einen längeren Zeitraum nicht wahrgenommen werden. Auch wurden oft nicht ausreichend Fachkräfte ausgebildet.

Vor allem in den Jugend- und Sozialämtern wurde das Personal reduziert, indem nach Fallzahlen das Personal bestimmt wurde und nicht nach realen Personen. Denn ein Fall kann ganze Familien umfassen.

Mit der steigenden Zahl von Flüchtlingen wurden diese Mängel öffentlich sichtbar. Um den Mangel kurzfristig zu beseitigen, wurde auf Zeit- und Leiharbeitsfirmen zurückgegriffen. Personalräte und aktive GewerkschafterInnen haben hier zu recht darauf hingewiesen, dass dies keine Lösung auf Dauer sein kann und darf.

Schleifen der Mitbestimmungsrechte

Gerade in den Verwaltungen von Bund, Ländern und Kommunen ist die Schmerzgrenze schon lange erreicht. So wurden im BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) aber auch in vielen Landesbehörden vor allem BeamtInnen zu Überstunden, Sonntagsarbeit und Schichtdienst verpflichtet. In den Kommunen waren diese oft nur auf „freiwilliger Basis“ erbracht worden. Gleichzeitig wurden aber auch teilweise Mitbestimmungsrechte der Personalräte ausgehebelt. Als Begründung wurde die aktuelle schwierige Lage angebracht. Selbst das Recht auf Information wurde mit fadenscheinigen Begründungen umgangen bzw. nur Informationen, die von der Dienststelle für relevant gehalten wurden weitergegeben. Diese Praxis wird in vielen Fällen beibehalten.

Mehr Personal

Eine Bestandsaufnahme, wie viel Personal im öffentlichen Dienst gebraucht wird, ist notwendig. Diese muss auf den realen Bedarf ausgerichtet sein und nicht, wie zum Beispiel in Mecklenbug-Vorpommern, nach den Vorgaben der Kreisgebietsreform, wo das Einsparpotential der fusionierten Kreise ermittelt werden sollte. Dabei hat sich sogar bei dieser Ermittlung herausgestellt, dass es insgesamt ein Defizit an Personal gibt!

ver.di könnte eine führende Rolle spielen, um eine bedarfsgerechte Analyse zum Personalschlüssel im Öffentlichen Dienst zu erstellen und daraus entsprechende Forderungen abzuleiten. Das Beispiel der KollegInnen an der Berliner Uniklinik Charité beweist, dass ein Tarifkampf für einen besseren Personalschlüssel möglich ist und dies wird nun von ver.di in 15 Kliniken im Saarland aufgegriffen. So könnten auch für die anderen Bereiche des Öffentlichen Dienstes neben Lohnforderungen vor allem auch die Forderung nach mehr Einstellungen nach Tarif aufgestellt werden. Für Schulung und Einarbeitung sollten Qualifizierungsmaßnahmen jederzeit kostenlos und zugänglich sein, finanzielle Mittel müssen dafür in ausreichendem Maß bereitgestellt sein.

Übernahme Azubis

Die Forderung nach unbefristeter Übernahme aller Azubis könnte diese aktiv in den Arbeitskampf mit einbeziehen. Genauso wichtig ist die Integration von MigrantInnen in die Verwaltung, was bisher noch sehr stiefmütterlich behandelt wird. Oft sind MigrantInnen nur als DolmetscherInnen in den Ämtern und Behörden tätig und nicht als vollwertige MitarbeiterInnen. Hierzu haben ver.di-Mitglieder auch einen Entwurf für eine Vereinbarung zwischen Arbeitgebern und Personal- bzw. Betriebsräten geschrieben.

35-Stunden-Woche

Die Diskussion über die Forderung nach einer Arbeitszeitreduzierung auf 35 Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich sollte in der jetzigen Tarifrunde begonnen werden. Mit ausreichender Vorbereitung und Diskussion in den Betrieben und Dienststellen könnten viele MitarbeiterInnen von dem Kampf um diese Forderung wieder begeistert werden. Denn viele streben schon heute die Reduzierung der Arbeitszeit an, können es aber oft nicht aus finanziellen Gründen umsetzen. Als Lehre aus der Vergangenheit müsste Personalausgleich tarifvertraglich fest geschrieben werden, um zu verhindern, dass der Umfang der zu bewältigenden Arbeit sich entsprechend der Stundenzahl ebenso verringert.

Besser für alle

Bei der Frage nach der Finanzierung sind die Forderungen nach einer Anhebung des Spitzensteuersatzes, der Wiedereinführung der Vermögenssteuer und einer schärferen Verfolgung von Steuerflüchtlingen zentral. Die Aussicht auf eine „bürgerfreundlichere“ Verwaltung, mehr und bessere Sozialdienste und insgesamt eine bessere Daseinsvorsorge durch mehr Personal kann auch die Solidarität in der Bevölkerung für einen Arbeitskampf enorm erhöhen. Zudem würde es helfen, denjenigen, die Flüchtlinge und MigrantInnen zu Sündenböcken für sozialen Mangel zu machen, das Wasser abzugraben. Weniger gestresste MitarbeiterInnen würden mehr Zeit haben, Menschen zuzuhören, Fragen zu beantworten und Anträge besser zu bearbeiten.