Fischerboote werden zu Schleuserbooten

groth1Interview mit Annette Groth, Bundestagsabgeordnete für DIE LINKE

Griechenland wird kolonialisiert, gegen Flüchtlinge werden die Außengrenzen militarisiert und jetzt noch TTIP, TISA und CETA. Was sagt das über den Charakter der EU?

Die EU ist ein imperiales Herrschaftsprojekt, mit dem die Herrschenden eine neoliberale Agenda durchsetzen. Ziel ist, die Interessen der transnationalen Konzerne abzusichern und im Rahmen der innerimperialen Konkurrenz die Position der Monopole der Konzerne aus den EU-Kernländern auf dem Weltmarkt weiter zu verbessern. Für diese Politik nehmen die Herrschenden der EU eine soziale und wirtschaftliche Zerstörung anderer Länder in Kauf.

Du hast Dich viel mit der Politik der EU in Afrika beschäftigt. Was genau passiert hier?

Am Beispiel der Afrika-Politik ist der imperialistische Charakter der EU besonders zu sehen. Die großen europäischen Fischfangflotten räumen beispielsweise inzwischen das Meer vor Westafrika leer. Kein Wunder, dass Fischerboote dann zu Schleuserbooten werden. Mit den ‚Europäischen Partnerschaftsabkommen‘ (EPA) versucht die EU seit vielen Jahren den afrikanischen Markt für die Waren der EU zu öffnen und gleichzeitig den europäischen Konzernen einen ungehinderten Zugang zu den Ressourcen in den afrikanischen Staaten zu gewährleisten. Aminata Traore, die ehemalige Kultusministerin Malis sagte zu den Freihandelsabkommen: „Europa schickt uns seine Hühnerbeine, seine Gebrauchtwagen, seine abgelaufenen Medikamente und seine ausgelatschten Schuhe, und weil eure Reste unsere Märkte überschwemmen, gehen unsere Handwerker und Bauern unter. (…) Für uns sind diese Abkommen die Massenvernichtungswaffen Europas“. Dem kann ich eigentlich nichts mehr hinzufügen.

Zwingt diese Ausbeutung Menschen zur Flucht?

Ausdrücklich ja. Die Geflüchteten, die in der EU ankommen, sind auf Grund von zwei Hauptursachen auf der Flucht: Einerseits auf Grund der Kriege der NATO-Staaten gegen Länder wie Irak oder Libyen und der massiven Unterstützung des versuchten Sturzes von Assad. Zum anderen fliehen sie auf Grund des Elends und der ökonomischen Perspektivlosigkeit in vielen Regionen Afrikas infolge der menschenverachtenden neoliberalen Auswirkungen des heutigen kapitalistischen Wirtschaftssystems.

Welche Folgen wird der Abschluss der derzeit verhandelten Freihandelsabkommen EPA Deiner Meinung nach haben?

Die britische Hilfsorganisation Christian Aid hat vor einigen Jahren in einer Studie errechnet, dass die Handelsliberalisierung in den vergangenen zwanzig Jahren den afrikanischen Ländern südlich der Sahara über 270 Milliarden US-Dollar gekostet hat. Sie schrieb in der Studie: „Wären diese Länder nicht zur Liberalisierung gezwungen worden, für die sie als ‚Belohnung‘ Kredite und Schuldenerlass erhalten haben, hätten sie genug Gelder zur Verfügung gehabt, um jedes Kind impfen zu können und jedem Kind den Schulbesuch zu ermöglichen. Zwei Jahrzehnte der Liberalisierung hat diesen afrikanischen Ländern so viel gekostet, wie sie an Entwicklungshilfe erhalten haben.“ Diese katastrophale Tendenz wird sich durch die geplanten EPA’s und die Freihandelsabkommen TTIP und CETA deutlich beschleunigen.

Auch dem EU-USA-Handelsabkommen TTIP wird nachgesagt, dass Afrika dabei der große Verlierer ist. Siehst Du das auch so?

Eindeutig ja. Laut einer Studie des Münchner Info-Instituts werden zum Beispiel Mexiko, Niger und Algerien zu den größten VerliererInnen gehören. Es ist interessant, dass in dieser Studie, die im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung erstellt wurde, deutlich steht, dass „die großen Verlierer einer Eliminierung der Zölle die Entwicklungsländer“ sein werden.

Welche Konsequenzen sollte die Partei DIE LINKE daraus in Bezug auf ihre Haltung zur EU ziehen?

Eine Debatte über den Charakter der EU innerhalb der Linken ist mehr als notwendig. Spätestens mit dem Vertrag von Maastricht wurde die Europäische Union als neoliberales Projekt festgeschrieben. Die PDS-Fraktion hat damals völlig zu Recht im Deutschen Bundestag gegen diesen Vertrag gestimmt. Heute erleben wir, wie die EU ständig weiter militarisiert wird, die Außengrenzen der EU durch Maßnahmen wie den Einsatz von FRONTEX zur Festung Europa ausgebaut werden und die Regierungen der EU für die ökonomischen Interessen der großen Konzerne soziale Leistungen immer weiter schleifen lassen und abbauen. Ich bin persönlich sehr skeptisch, ob die heutige EU reformierbar ist. Deshalb unterstütze ich die Forderung nach einem Neustart der EU, wofür wir den Lissabon-Vertrag grundlegend in Frage stellen müssen. n

Annette Groth ist menschenrechtspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Das Interview führte Ursel Beck

Die SAV fordert:

  • Stopp aller derzeit verhandelten Freihandelsabkommen
  • Schluss mit der neoliberalen Politik von Privatisierungen, Deregulierungen, Liberalisierungen, Sozialabbau. Mehr Rechte und Schutz für ArbeitnehmerInnen und VerbraucherInnen.
  • Für die Ausweitung des Widerstands nach der Demo am 10.10.2015 durch eine vom Europäischen Gewerkschaftsbund, Europäische Linkspartei, attac und allen anderen Unterstützerorganisationen der Europäischen Bürgerinitiative gegen TTIP und CETA organisierte europaweite Demo in Brüssel in den nächsten Monaten
  • Vernetzung des Widerstands gegen TTIP und CETA in Europa mit dem Widerstand in den USA und Kanada. Gemeinsame internationale Protest- und Widerstandsaktionen bis hin zu durch die Gewerkschaften organisierte Arbeitsniederlegungen
  • Rückführung aller privatisierten Bereiche in öffentliches Eigentum und demokratische Verwaltung und Kontrolle
  • Nein zur EU der Banken und Konzerne. Nein zu ESM und Fiskalpakt. Weg mit dem Memorandum gegen Griechenland. Nein zur Erpressungspolitik der Troika und Eurogruppe.
  • Streichung der Schulden Griechenlands und Verstaatlichung der Banken und Konzerne unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung.
  • Statt Freihandel, Konkurrenzkampf und Produktion für den Profit – demokratische Kooperation und Planung nach den Bedürfnissen von Mensch und Umwelt
  • Nein zum Europa der Banken und Konzerne – für ein sozialistisches Europa der arbeitenden Bevölkerung
  • Für sozialistische Demokratie weltweit