„Die Stimmung ist gekippt“

Sonja GruschÜber die Verantwortung der Regierung am Flüchtlingsdrama und die große Solidaritätsbewegung in Österreich. Ein Gespräch mit Sonja Grusch von der Sozialistischen LinksPartei.

Wie ist die Flüchtlingssituation in Österreich und wie verhalten sich Staat und Regierung?

Die aktuelle Situation ist katastrophal. Es gibt das seit Monaten völlig überfüllte Erstaufnahmezentrum in Traiskirchen, da müssen Menschen auf dem nackten Boden schlafen. Kinder wurden im Freien, ohne medizinische Versorgung geboren. Minderjährige unbegleitete Flüchtlinge waren tagelang auf sich alleine gestellt. Es gibt teilweise sogar zu wenig Essen. Die Zustände sind – noch dazu wo Österreich eines der reichsten Länder der Welt ist – absolut untragbar. Aber lass mich eines klarstellen: das war ja absehbar, dass viele Flüchtlinge kommen. Die Situation in Syrien, in Libyen, im Irak etc. – das ist ja alles lange bekannt. Das heißt, die Regierung lässt es ganz bewusst darauf ankommen. Die wollen diese Bilder von völlig überfüllten Lagern, das passt zu ihrer rassistischen „Das Boot ist voll“-Propaganda. Das ist allerdings nach hinten losgegangen. Denn das Mitgefühl, die Solidarität, die Hilfsbereitschaft der ganz normalen Leute ist enorm. Viele haben Wohnungen oder Zimmer angeboten, Tausende fahren zu den Flüchtlingslagern und jetzt auch auf die Bahnhöfe und bringen Essen, Hygieneartikel etc. Zehntausende haben am 31. August in mehreren Städten demonstriert. Das sind nicht die Parteien, nicht die PolitikerInnen, die helfen. Das sind ArbeiterInnen, SchülerInnen, Arbeitslose, RentnerInnen – Menschen die selbst nicht so viel haben.

Stimmt es, dass in Traiskirchen sogar zivile HelferInnen von der Polizei gestoppt wurden?

In Traiskirchen hat das Innenministerium die Betreuung einer privaten Firma (ORS) übergeben. Da gibt es viele Berichte über rassistisches Verhalten, JournalistInnen dürfen teilweise nicht ins Lager, private HelferInnen auch nicht. Sogar den „ÄrztInnen ohne Grenzen“ wurde zeitweise der Zutritt verwehrt. Nun gibt es Berichte, dass Flüchtlingen die Handy-Kamera zerkratzt wurde damit sie keine Fotos über die unhaltbaren Zustände mehr machen können. Es gibt auch Berichte, dass am Wiener Westbahnhof die Caritas versucht hat mit Hilfe der Polizei zivile HelferInnen zu stoppen. Regierungsnahen NGOs wie der Caritas, die einen extrem bevormundenden Umgang mit Flüchtlingen hat, ist es offensichtlich nicht so recht, wenn Menschen selbst was tun wollen. Ich finde natürlich auch, dass die Hilfe koordiniert und organisiert werden muss. Aber das kann auch mit demokratischen Strukturen geschehen, unter Einbeziehung der Flüchtlinge. Wenn das so von oben passiert, dann dient das auch dazu, das ganze zu entpolitisieren. Es soll verhindert werden, dass Leute fragen, warum Menschen überhaupt fliehen müssen, warum die Regierung zwar Milliarden zur Bankenrettung hat, aber angeblich nicht genug Geld, um ein paar tausend Flüchtlinge zu versorgen.

Wie war die Reaktion auf den Tod der Flüchtlinge in einem LKW, der vor wenigen Tagen bekannt wurde?

Die Stimmung ist schon in den letzten Wochen gekippt. Die Bilder aus Traiskirchen haben viel Emotionen erzeugt. Und dann wurde bekannt, dass 71 Flüchtlinge, darunter vier Kinder, in einem LKW gestorben sind. Die Innenministerin versucht natürlich, die Verantwortung auf die Schlepper zu schieben. Doch bei den Demos danach war klar, dass die Festung Europa, an der die österreichische Regierung fleißig mitbaut ,der eigentliche Grund für all die Toten ist.

Wie sehen Solidarität und Proteste aus und was fordert die SLP?

Die Demonstration in Wien am 31. August war riesig, über 20.000 Menschen. Schade war nur, dass es kaum Ansätze gegeben hat, was all die Menschen tun können. Wie sie helfen können, aber vor allem auch, wie sie den Protest weitertragen können um eine menschliche Flüchtlingspolitik zu erreichen. Wir von der SLP sind seit langem aktiv gegen Abschiebungen und gegen die rassistischen Fremden- und Asylgesetze. Uns ist es wichtig, die Verantwortung auch der österreichischen Politik und Wirtschaft für die Fluchtursachen aufzuzeigen. Der Islamische Staat kämpft auch mit Waffen einer österreichischen Firma. Die Öl- und Gasfirma OMV besitzt seit 2010 den größten Öl- und Gas-Konzern der Türkei ‚Petrol Ofisi‘. Es ist bekannt, dass der IS Öl über die Türkei an westliche Firmen verkauft. Wichtig ist es auch immer darauf hinzuweisen, dass es nicht darum geht, entweder den Flüchtlingen zu helfen oder Geld für Soziales oder Wohnen zu haben. Allein in Wien stehen 80.000 Wohnungen aus Spekulationsgründen leer. Wenn man die enteignet gibt es genug Wohnungen für Flüchtlinge und WienerInnen. Oder die über 100.000 MillionärInnen in Österreich – die haben genug Geld um Flüchtlinge menschenwürdig zu behandeln UND für Bildung, Jobs und Gesundheit für alle zu bezahlen. Wir fordern „Flüchtlinge bleiben – Millionäre enteignen“ um diesen Zusammenhang aufzuzeigen. Das führt natürlich auch zu Diskussionen – aber eigentlich wird immer mehr Leuten klar, dass die Fluchtursachen im Kapitalismus liegen und es daher neben der unmittelbaren Hilfe auch um eine grundsätzliche Änderung geht. Also zu einer Gesellschaft wo Menschen und nicht Profite im Zentrum stehen.

Interview: Sascha Stanicic