Kreuzberger CSD: Queer bleibt radikal

kcsd_2015_poster_deÜber 5.000 demonstrierten am 27. Juni 2015 in Berlin

Transgenialer Protest nicht nur für die gleichgeschlechtliche Ehe, sondern gegen ein unterdrückerisches Herrschaftssystem

von Alexandra Arnsburg und René Kiesel, Berlin

Es ist auch eine Berliner Tradition seit 20 Jahren: Neben dem großen, professionellen Christopher-Street-Day gibt es seit zwei Jahrzehnten eine alternative Demonstration in Kreuzberg, die von Aktiven organisiert wird. Die Trennung beruhte nicht auf Kleinigkeiten. Als der CSD offiziell für die Ehe unter gleichgeschlechtlichen Paaren eintrat, fragten viele Kritiker_innen und linke Gruppen, ob sie daran noch teilnehmen könnten. Es ging um die politische Perspektive des Kampfes für die Rechte der LGBT-Bewegung (Lesbian, Gay, Bisexual, Transsexual – Lesbisch, schwul, bisexuell, transsexuell) und wofür der Tag noch steht. Anfangs als „Dreck des CSD“ beschimpft bietet der Kreuzberger CSD allen eine Plattform, die den Kampf um gleiche Rechte, Anerkennung und gegen Gewalt und Diskriminierung mit linken Forderungen verbinden. Der Aufruf (siehe Kasten) wendet sich gegen den rechten Kurs der privilegierten Schwulen und Lesben, die in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind und sie auch nicht mehr wirklich ändern wollen. Die Reden griffen die Probleme von Flüchtlingen auf und auch von sozialen Projekten und Mieterinitiativen, wandten sich gegen Nationalismus und Rassismus und gegen die Politik der deutschen Regierung im Interesse von Banken und Waffenkonzernen.

Homo-Ehe in den USA – alles klar?

Der 26. Juni 2015 war ein Tag, an dem viele Menschen rund um den Globus jubelten. Das höchste Gericht der Vereinigten Staaten, der Supreme Court, entschied, dass die Eheschließung gleichgeschlechtlicher Paare in allen Bundesstaaten legalisiert werden muss. Die Legalisierung der Ehe unter gleichen Geschlechtern, bzw. die rechtliche Gleichstellung war etwas, worauf die Bewegung sich seit Jahren orientierte und wofür sie kämpfte. Ohne diesen Druck, wäre es nicht möglich gewesen und ist als deren Erfolg zu werten.

Doch so sehr die Euphorie über diesen Entschluss geteilt wird, stellen sich berechtigte Fragen.

Warum jetzt? Die USA sind ein Land im Aufbruch. Jedoch nicht so, wie es sich die US-Kapitalistenklasse vorstellt. Fast täglich überschlagen sich Berichte über rassistische Polizeigewalt mit Todesfolge. Der Kampf um einen Mindestlohn von 15 US-Dollar nimmt Fahrt auf, die Black-Lives-Matter Bewegung bringt tausende auf die Straße. Währenddessen verschärft sich die wirtschaftliche und politische Krise des Landes, Millionen fristen ihr Dasein im Elend. Gerade Entscheidungen in einem Bereich der weiteres Potential zum sozialen Sprengstoff birgt, sollen den Druck auf die herrschende Klasse lindern und den Fokus auf positivere Aspekte lenken.

Zurecht titelt ein selbstgemaltes schild auf dem Kreuzberger CSD: It’s no time to celebrate! Still people were killed and harrassed! – Es ist nicht an der Zeit zu feiern! Menschen werden immer noch getötet und schikaniert!

„Eheschließung“ und das war’s?

Die beiden Gesetze Homo-Ehe und Anti-Diskriminierungsgesetz hierzulande sind wichtige Erfolge hinzu im Kampf um Anerkennung, doch beinhalten sie nur eine scheinbare Gleichbehandlung. Die Homo-Ehe ist ein Sondergesetz, das zwar Verbesserungen für gleichgeschlechtliche Paare bringt, jedoch nur denen, die ein Lebensmodell haben welches den bürgerlichen Vorstellungen von Ehe ähnelt. Alle anderen – egal mit welcher sexuellen Orientierung – fallen raus. Viele Rechte werden Ihnen nach wie vor vorenthalten. MigrantInnen dürfen auch hier nicht legal zusammenleben, da das Recht Anwendung findet, das im Herkunftsland gilt. Lediglich dort, wo Paare zur Kasse gebeten werden wie z. B. beim ALGII sollen alle gleich behandelt werden. Auch in den USA wurde lediglich das Verbot gleichgeschlechtlicher Ehen aufgehoben, was gut ist, aber noch weit entfernt von rechtlicher Gleichstellung. Das Anti-Diskriminierungsgesetz enthält die formale Grundlage um zu klagen, in der Realität wird davon wenig Gebrauch gemacht, da die Beweislast beim Kläger oder bei der Klägerin liegt und z. B. Ein Arbeitgeber auch andere Gründe finden kann um jemanden loszuwerden.

[box type=“shadow“ ]Aus dem Aufruf des Kreuzberger CSD 2015

„Berlin, die Hauptstadt der Queeren

Die queeren Szenen der Stadt waren schon immer sehr vielfältig. Mainstreamschwul, oldschool lesbisch, hipster queer, polit trans*, radikalfemm, fetisch butch… Alles hat seinen Platz und entfaltet sich in einer rasanten Geschwindigkeit – nicht nur Identitäten und Positionen, sondern auch politische Richtungen. So hat sich in Berlin, innerhalb der Szene, ein starker rechtspopulistischer Flügel entwickelt, der in vielen Themen laut mitmischt. Hierfür gab und gibt es immer noch mediale Aufmerksamkeit und jede Menge (auch finanzielle) Unterstützung aus der Berliner Politik. Öffentliche Küssaktionen für „Liebe, Vielfalt und Toleranz“, Demos gegen Homphobie vor Moscheen, Stadtfeste für Homo-Traditionen… Initiator_innen dieser und weiterer Aktionen verstehen sich gern als „Szenegröße“ in der Verantwortung, Medien für skandalöse Berichte zu befüttern oder Sicherheitsorganen, dem Abgeordnetenhaus, dem Abschiebesenator und von knallgrün bis braunschwarz allen Parteien mit ihrer „Expertise“ beiseite zu stehen. Eine eindimensionale Identitätspolitik wird dabei hochgehängt und das Konzept der „Mehrfachzugehörigkeit“ komplett ausgeblendet. Das Ergebnis: die tagtägliche Reproduktion von Rassismus, Sexismus und Transphobie.

Refugees Welcome?!

Auch ein falschverstandener Post-Kolonialismus hat seinen festen Platz in der Homo-Hauptstadt. Aus der privilegierten westlichen Position werden Länder und Kontinente bewertet: ob sie „gay-friendly“ sind oder nicht. Während in Berlin die Refugee-Bewegung seit über zwei Jahren mit allen Mitteln um das „Überleben“ kämpft, brüsten sich Parteien und schwullesbische Organisationen mit dem Spruch „Refugees Welcome“, so auch der kommerzielle CSD. Die Scheinheiligkeit dieses Spruches zeigt sich in der nicht-Kommentierung der gewaltvollen Räumung des Oranienplatzes und der Gerhart-Hauptmann-Schule, der Anschläge auf den verbliebenen Infopunkt und der Abschiebung vieler Refugees. Lobbyverbände nehmen gerne „Sexuelle Identität als Asylgrund“ als glanzvollen Agenda-Punkt auf, aber die Schikanen gegenüber queeren Refugees bei der Ausländerbehörde und in Lagern ist kein Thema, mit dem sie verbündete Regierungsvertreter_innen konfrontieren.“[/box]

Die Grenze verläuft zwischen Oben und Unten

Ein Manager hat andere Interessen als sein Angestellter, auch wenn beide schwul sind. Die Kämpfe um Anerkennung haben nicht die Schwulen und Lesben unter den Herrschenden ausgetragen, sondern die unterdrückten Schichten. So gingen in New York in der Christopher Street diejenigen auf die Straße, die es sich nicht in einer kleinen teuren Szene einrichten konnten, vor allem viele Drag Queens. Die Privilegierten bekannten sich erst, als die Schlachten geschlagen waren.

Gemeinsam kämpfen

Es genügt nicht, dass Aktivist_innen der LGBT Bewegung eine Klientelpolitik betreiben und sich in eigene Strukturen zurückziehen und einmal im Jahr eine Parade veranstalten. Sie müssen in allen Bereichen der Gesellschaft wahrnehmbar sein. Der Kampf um soziale Verbesserungen für alle gehört dazu. Diskriminierung bei der Wohnungssuche kann nur ein Ende haben, wenn es genügend bezahlbaren Wohnraum für alle gibt. Ein Ende der Diskriminierung am Arbeitsplatz kann er nur geben, wenn es genügend gut bezahlte Arbeit für alle gibt. Starke und kämpferische Gewerkschaften können Mobbing am Arbeitsplatz bekämpfen und Kampagnen für gleiche Rechte organisieren. Sie können einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die Solidarität zwischen KollegInnen unterschiedlicher sexueller Orientierung, Geschlecht und Herkunft herzustellen. Eine Partei wie die LINKE kann keine Bewegung ersetzen, aber sie hat das Potential, Fragen wie kostenlose Krankenversicherung oder Finanzierung öffentlicher Räume oder von unterstützenden Projekten aufwerfen, Forderungen im Parlament einbringen und gleichzeitig Massenproteste organisieren.

Kapitalismus bekämpfen

Im diesem System müssen gerade in Krisenzeiten, die der Kapitalismus aufgrund von Konkurenz und Profitwirtschaft immer wieder selbst erzeugt, Minderheiten herhalten, um die Mehrheit beherrschen zu können. Tatsächliche Gleichberechtigung wird erst möglich durch die Beseitigung des Kapitalismus, der Sündenböcke produziert und sie zur Aufrechterhaltung braucht. Erst dann kann Rassismus, Sexismus und soziale Ungleichheit verschwinden. Egal ob homo, hetero, bi, trans oder inter – der Kapitalismus bietet uns keine Zukunft. Eine andere Gesellschaft, eine sozialistische ist nötig.