Griechenland: Sozialer Euro? Fehlanzeige!

Syriza„Kontrollierter Ungehorsam“ oder scheibchenweise Kapitulation?

Deutsche Medien beschäftigen sich ausgiebig damit, dass führende SYRIZA-Politiker keine Krawatten tragen, Yanis Varoufakis sein Hemd nicht in der Hose trägt und mit der Frage, ob er Deutschland 2013 den Stinkefinger gezeigt hat. Dabei wurden durch den Wahlsieg von SYRIZA zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder in Europa grundlegende Fragen sozialistischer Politik auf die Tagesordnung gesetzt.

von Wolfram Klein, Plochingen bei Stuttgart

Aber genau das ist die Todsünde von SYRIZA: Sie haben die Propaganda, es gäbe keine Alternative, durchbrochen. Politiker in den südeuropäischen Ländern, die ähnlich wie Griechenland unter der Kahlschlagpolitik der Troika leiden, haben sie für alternativlos erklärt und fürchten jetzt die praktische Widerlegung durch SYRIZA und ihre eigene Abstrafung an den Wahlurnen. Sie unterstützen Wolfgang Schäuble und Angela Merkel in der Fortführung der verheerenden Kürzungspolitik, deren Ende auch ihren eigenen Ländern Linderung des sozialen Elends bringen würde. Die Hoffnung auf Bündnispartner für SYRIZA bei den Verhandlungen im Februar über eine Verlängerung der Finanzhilfe wurde enttäuscht. Eine Abkehr von der Kahlschlagpolitik im Rahmen des Euro – ein sozialer, „guter Euro“ – kam nicht.

Fast nur Kosmetik

Die Vereinbarung vom 20. Februar über die Verlängerung des „Rettungsprogramms“ brachte vor allem kosmetische Änderungen: Statt von Troika ist von Institutionen die Rede, deren Aufpasser kommen nicht in die Ministerien, sondern bekommen ihre Unterlagen im Hotel. SYRIZA meinte, schwammige Formulierungen würden ihren Spielraum erhöhen … Aber Gelder werden erst ausgezahlt, wenn Präzisierungen nachgeliefert werden.

Beim Schuldendienst wurden die Verpflichtungen gelockert, aber das wird durch die Verschlechterung der Wirtschafts- und Haushaltslage aufgefressen. Ende 2014 schrumpfte die griechische Wirtschaft wieder um 0,4 Prozent – also schon vor dem Wahlsieg von SYRIZA ging es wieder abwärts! Die Steuerzahlungen lagen (auch im Vorgriff auf einen SYRIZA-Wahlsieg) im Dezember um 14, im Januar um 20 Prozent unter den Erwartungen.

Exemplarisch für den fortgesetzten Ungehorsam von SYRIZA gegenüber der Ex-Troika war der Beschluss des griechischen Parlaments vom 18. März über 200 Millionen Euro Hilfe für die Ärmsten der Armen. Am Vortag wurde bekannt, dass Declan Costello, Direktor für wirtschaftliche und finanzielle Fragen bei der EU-Kommission, dies brieflich zu einem nach dem Abkommen vom 20. Februar unzulässigen „einseitigen Schritt“ erklärt hatte. Ein Bürokrat, den bisher nur Insider kannten, will einem frisch gewählten Parlament verbieten, das größte Elend zu lindern! Erfreulicherweise ist das griechische Parlament an dieser Stelle nicht eingeknickt.

„Kontrollierter Ungehorsam“? Kapitulation?

Wir können die Frage umformulieren: Nicht „kontrollierter Ungehorsam“ oder scheibchenweise Kapitulation, sondern „kontrollierter Ungehorsam“ und scheibchenweise Kapitulation oder das Sprengen der Ketten der Vereinbarungen mit der Troika und des Kapitalismus. Im ersten Fall: ständig neue Konflikte, begleitet von Kapitalflucht, kaum Investitionen wegen der Unsicherheit – also eher wachsende Finanz- und Wirtschaftsprobleme. Auch deshalb wäre zu befürchten, dass diese Konflikte immer wieder mit einem Einknicken von SYRIZA enden würden. Nach und nach könnten die durch den SYRIZA-Wahlsieg entstandenen Hoffnungen Frust und Demoralisierung weichen. Nicht nur in Griechenland, auch zum Beispiel in Spanien … Und damit die Chancen auf einen Wahlerfolg von Podemos und einen Wechsel in Spanien und eine Verschiebung der Machtverhältnisse in Europa untergraben.

Die Alternative dazu sind entschlossene Maßnahmen durch die griechische Regierung, wie Kapitalverkehrskontrollen, Verstaatlichung der Banken und der anderen „Kommandohöhen der Wirtschaft“, Arbeiterkontrolle über die Produktion. Ein solcher Kurswechsel von SYRIZA käme wohl nur durch eine starke Bewegung der arbeitenden und arbeitslosen Bevölkerung zustande. Dann würde Griechenland noch viel mehr zum Hoffnungsträger werden.