Blockupy: 20.000 Stinkefinger gegen die EZB

Stinkefinger BlockupyGroßdemo und Blockaden gegen die Eröffnung der Zentralbank

Alle reckten die Stinkefinger hoch, als bei der Kundgebung am Römer die Hetze deutscher Medien und PolitikerInnen gegen Griechenland gegeißelt wurde. Trotzdem der Protest unter der Woche lag, die bundesweite Anreise erschwerlich war und die Polizei ein möglichst großes Abschreckungsszenario aufbaute, beteiligten sich über 20.000 Menschen an den Blockupy-Protesten in Frankfurt am 18. März.

von Michael Koschitzki, Teilnehmer der Proteste aus Berlin

Schon bevor die Mobilisierung zu Blockupy richtig anlief, hatten die Proteste bereits Erfolg. Die angekündigte Eröffnung der europäischen Zentralbank wurde verkleinert und kein Festakt daraus gemacht. So sahen sich die europäischen Herrschenden mit ihrem 1,3 Mrd Euro teuren Prunkbau auch in einem gewissen Legitimationsproblem, weil die EZB als Teil der Troika gleichzeitig den so genannten Krisenländern Sparpakete auferlegt.

So folgten auch tausende Menschen, die gegen die europäische Krisenpolitik demonstrieren wollten, dem Aufruf von Blockupy. Viele Jugendliche kamen zu den Protesten. Studierende hatten es natürlich einfacher, sich die Zeit dafür zu nehmen, aber es zeigte sich insgesamt, dass eine ganze Schicht den Kapitalismus ablehnt und bereit ist, gegen seine Institutionen zu demonstrieren. Viele Gruppen aus IL-Spektrum, Attac, Flüchtlingsinitiativen, Stuttgart-21-GegnerInnen und anderen hatten mobilisiert. DIE LINKE war dabei ein zentraler Teil, übernahm Anmeldung und andere Aufgaben. Sie war den ganzen Tag sichtbar vertreten und stellte DemobeobachterInnen. Sahra Wagenknecht erhielt für ihre Kritik an den Banken, den Milliardären und Schäubles Politik viel Applaus. Der Jugend- und Studierendenverband war im LINKE Block auch mit Unterstützung der SAV gut vertreten. Die GEW hatte als einzige Gewerkschaft zu dem Protest bundesweit aufgerufen und ein Vertreter redete. Naomie Klein verurteilte die Polizeirepression und sagte zur EZB, sie zünde zwar keine Autos an, aber setze die Welt in Flammen. Streikende von Amazon verlegten ihr Streiklokal nach Frankfurt. Hätte ver.di die Beschäftigten aller laufenden Tarifauseinandersetzungen zusammen mit weiteren DGB-Gewerkschaften mobilisiert, hätten noch ganz andere Teilnehmerzahlen erreicht werden und gewerkschaftliche und soziale Kämpfe die Demo stärker prägen können.

Großaufgebot der Polizei

Ein Polizeigroßeinsatz setzte den Ton für den Tag. Absperrungen begannen schon früh in der Woche. Journalisten wurde von der EZB Eröffnung ausgeladen. 28 Wasserwerfer, die Spezialeinheit GSG 9 und rund 10.000 Polizisten wurden nach Frankfurt verlegt, um die Eröffnungsfeier mit 25 Gästen zu schützen.

Ein Demonstrant trug ein Schild mit dem Zitat von Heinrich Böll „Gewalt gibt es nicht nur auf den Straßen, Gewalt in Bomben, Pistolen, Knüppeln und Steinen, es gibt auch Gewalt und Gewalten, die auf der Bank liegen und an den Börsen hoch gehandelt werden.“ Doch über letztere Gewalt, darüber was die Sparprogramme der Troika bedeuten, über die Gewalt der Kriege, die mit Waffen und Soldaten aus Europa geführt werden, sollte nicht geredet werden, wenn es um Blockupy-Tag ging.

Und das hat Tradition. Als 2012 die ersten Blockupy-Aktionen stattfanden, wurde Frankfurt zur demokratiefreihen Zone erklärt und mehrere Tage keine Versammlung zugelassen. Als es ein Jahr später zu keinen Ausschreitungen kam, wurde kurzerhand die Spitze der Demonstration gekesselt und angegriffen. Doch die gewünschte Entsolidarisierung fand nicht statt.

Nach dieser Vorgeschichte führte das Großaufgebot der Polizei, der EZB Prunkbau, die jahrelange Kürzungs- und Unterdrückungspolitik in Südeuropa auch zu den Ausschreitungen, die dann versucht wurden, für die Rechtfertigung des Einsatzes auszuschlachten. Wie viel davon Vorbereitung, möglicherweise auch staatliche Provokation oder auch Entladung von Zorn und Wut war, ist schwer zu sagen. Vor den Protesten machte schon das Eingeständnis eines ehemaligen Hauptkommissars der Polizei die Runde: „Ich weiß, dass wir bei brisanten Großdemos verdeckt agierende Beamte, die als taktische Provokateure, als vermummte Steinewerfer fungieren, unter die Demonstranten schleusen. Sie werfen auf Befehl Steine oder Flaschen in Richtung der Polizei, damit die dann mit der Räumung beginnen kann.“ Offensichtlich war, dass Barrikaden so lange brennen gelassen wurden, bis auch der/die letzte PressefotografIn und Kameramann/-frau ein Bild davon im Kasten hatte. Mit Wasserwerfer und Tränengas wurde dann gegen DemonstrantInnen vorgegangen und 134 AktivistInnen verletzt.

Wir lassen nicht zu, dass Politiker und Medien die gewalttätigen Ausschreitungen in Frankfurt hochstilisieren und zum Wesen der Blockupy-Proteste erklären. Das ist nichts anderes als ein Versuch von der eigentlichen Gewalt der kapitalistischen Verhältnisse abzulenken, die jeden Tag auf der Welt Todesopfer fordert. Zusätzlich soll es als Rechtfertigung dienen für ein noch größeres Polizeiaufgebot und staatliche Repression gegen die G-7-Protest im Juni im bayrischen Elmau.

Internationaler Charakter der Proteste

Bemerkenswert war der Internationalismus der Proteste. Aus zahlreichen europäischen Ländern waren Leute angereist. AktivistInnen aus Italien waren zu Hunderten vertreten und beteiligten sich sichtbar. Alle Beiträge auf den Bühnen wurden sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch abgehalten. Es gab RednerInnen aus Griechenland. Auch die SAV Frankfurt veranstaltete am Abend eine Diskussion zum Thema „Syriza am Scheideweg – was nun?“ mit einer Liveschaltung nach Griechenland, um Diskussion und Rückfragen dazu zu ermöglichen. An europaweiten Mobilisierungen sollte im Kampf gegen die Kürzungspolitik weiter angesetzt werden.

Die Grünen und die Gewaltdebatte

Schon zur Zeit der letzten Blockupy-Proteste waren die Grünen Teil der Frankfurter Stadtregierung und mussten Teile des Polizeiverhaltens mit verantworten. Als neues Mitglied der hessischen Landesregierung nahm Fraktionsvorsitzender Tarek Al-Wazir diesmal sogar an der Eröffnung der EZB teil. Im Stadtrat, Landtag und Bundestag beteiligten sie sich an der heuchlerischen Hetzkampagne gegen AktivistInnen und DIE LINKE und blasen ins gleiche Horn wie Innenminister Thomas de Maiziere, der den Demonstranten sämtliche politischen Inhalte absprach.

Dabei sind es gerade sie, die mit aller Staatsgewalt versuchen, die politischen Botschaften zu unterdrücken und zu verhindern. Mit der Forderung an DIE LINKE und Blockupy, sich von den Ausschreitungen zu distanzieren, versuchen sie auch die moderateren Teile der Bewegung abzuspalten und stärker ins kapitalistische Establishment einzubinden. Warum die Forderung der Distanzierung von Polizeigewalt und Überwachung nicht an Thomas de Maiziere gestellt wird, zeigt, wie sehr eine Umdrehung des Gewaltbegriffs stattfindet.

Es ist nachvollziehbar, dass ihre Politik Wut schürt, Wut auf den Prunk der Banken, Wut auf die Kürzungspolitik und auf Polizeischikane. Es ist nachvollziehbar, dass sich diese Wut auch in Widerstand gegen Polizei und Gegenstände entladen kann. Doch es gibt auch einen Teil der Bewegung, die Zerstörung und Randale zum politischen Instrument erhebt. Sie sehen darin eine Methode Gipfeltreffen unfinanzierbar zu machen und den Kapitalismus zu schädigen. Sie haben Zulauf, wenn massenhafter Widerstand und Streiks als fern und ineffektiv erscheinen.

Wir halten diese Argumente für falsch und in der Abwägung mit dem politischen Schaden, den individuelle Randale anrichtet, auch für wenig schwerwiegend. Eingeworfene Fensterscheiben und Schlägereien mit der Polizei führen eher dazu, dass die Medien sich in ihrer Berichterstattung auf die “Gewalt” konzentrieren und weniger über die Größe der Proteste und deren politische Ziele berichten. Die wirtschaftlichen Schäden werden von Versicherungen ausgeglichen oder durch Lohnkürzungen oder ähnliches von der Arbeiterklasse bezahlt. Jede entschlossene Massenaktion, jeder Streik, jede Straßenblockade stellt das staatliche Gewaltmonopol in Frage – aber massenhaft und kollektiv und nicht individuell und vereinzelt.

Auch wenn der Widerstand in Deutschland noch nicht mit dem Widerstand in restlichen Europa Schritt hält und auch wenn wegen der Blockade der Gewerkschaftsführungen Kämpfe nicht mit aller Entschlossenheit geführt werden, sind Einzelaktionen keine Abkürzungen dazu, diesen Widerstand voranzutreiben und zu entwickeln. Die über 20.000, die in Frankfurt unter der Woche gegen die Macht der EZB und der Banken demonstriert haben, sind dafür ein guter Schritt in die richtige Richtung.

Die SAV war mit zahlreichen GenossInnen aus mehreren Bundesländern bei den Blockaden und der Demonstration vertreten. Wir veröffentlichen hier einen Augenzeugenbericht von Manuel Dornieden, Mitglied von SAV, Die LINKE und Linksjugend aus Göttingen.

Blockupy EZB „achtzehnnulldrei“-Widerstand von unten gegen Klassenkampf von oben

Schon im Vorfeld wurden die Proteste in Frankfurt zur EZB-Eröffnung von den Herrschenden zum bürgerkriegsähnlichen Ausnahmezustand erklärt, was sich in der Mobilisierung von über 9000 Polizisten, GSG-9 Beamten und sämtlichen Wasserwerfern der Republik zeigte. Wenn sich zudem die Spitze aus Troika und EZB zu einer Eröffnungsfeier hinter Stacheldraht verstecken muss, sagt das sehr viel über die „Beliebtheit“ dieser „Gremien“ aus.

Der Sonderzug von Berlin über Göttingen nach Frankfurt startete mit Verspätung, aber mit super Stimmung unter den ca. 1000 AktivistInnen. Wir wurden in farbliche Blöcke eingeteilt, die verschiedene Bereiche für Aktionen bekamen. In Frankfurt angekommen, wurden wir auf verschiedene Unterkünfte verteilt. Nach ca. 2 Stunden „Wachkoma“, Schlaf kann das nicht nennen, setzte sich unser „blauer Block“ gegen ca. 6 Uhr morgens in Bewegung Richtung EZB zu Blockadeaktionen. Schon sehr früh kam es aus diesem Block von mehreren hundert AktivistInnen heraus zur Errichtung von teilweise brennenden Barrikaden. Steine flogen in Richtung Polizei und Scheiben gingen zu Bruch. Von Aufteilung und Absprachen innerhalb des Blocks war schon keine Rede mehr, es war sehr unübersichtlich. Kurz danach bewegte sich die in Hundertschaften formierte Staatsmacht schneller in unserer Richtung.

Ich hatte vorher mit einem Genossen vereinbart, das wir im Zweifelsfall stehen bleiben und uns nicht „kesseln“ lassen. Das taten wir kurz danach, weil auch mehre Szenen dabei waren, die mich auch emotional schockierten, wie z.B. Pflastersteinwürfe aus kurzer Distanz auf einen normalen Streifenwagen, welcher dadurch fast mit einer Hauswand kollidierte.

Man muss sich aber auch mit den Ursachen beschäftigen. Warum sind diese Menschen so aggressiv? Die Brutalität der Angriffe auf die Lohnabhängigen besonders in Griechenland und anderen Südeuropäischen Ländern erzeugt Wut und sozialen Unruhen. Wenn diese nicht organisiert sind, kommt es nach Provokationen durch die Polizei manchmal zu individuellen Überreaktion, die von den Herrschenden gegen unseren berechtigten Widerstand ausgeschlachtet werden können. Die Troika unter deutscher Führung mit Ihrer Austeritätspolitik und die EZB mit ihrer Zinspolitik zugunsten des Großkapitals haben als Agressor jahrelang den Nährboden für diese, teilweise auch ausufernde Wut gesät. Über den Vormittag verteilt waren ca. 6000 Aktivisten in der Stadt unterwegs. Von der Partei DIE LINKE waren die Vorsitzende Katja Kipping, Christine Buchholz, Inge Höger, Sabine Leidig und Nicole Gohlke und sicher auch noch andere vor Ort. Die LINKE bildete insbesondere bei der Abschlusskundgebung einen starken und gut erkennbaren Block.

Vorher kam es dann noch zu einem Angriff auf eine Polizeiwache, wo mehrere Fahrzeuge in Flammen aufgingen. Dieser wurde sehr schnell in den bürgerlichen Medien zusammen mit anderen brennenden Blockaden, auch Autos, rauf und runtergespielt. Das am Vormittag auch gegen friedliche Aktivisten mehrfach im großen Stil Wasserwerfer, Pfefferspray, Tränengas und Schlagstöcke zum Einsatz kamen, wurde natürlich nicht erwähnt. Das passt ja auch nicht in das Bild der Krawalltouristen, die angeblich vor allem aus dem Ausland angereist waren, um die friedliche Gesellschaft hierzulande zu stören: Gezielte Meinungsmache zugunsten des Mainstreams gegen eine international organisierte Solidarität. Von Politikern bürgerlicher Parteien wurden dann auch sofort härtere Sicherheitsmaßnahmen im Inland gefordert. Das riecht nach der öffentlichen Legitimierung des Einsatzes der Bundeswehr im Inland wie beim G7-Gipfel.

Nach der kurzen Betrachtung des 1,3 Mrd € teuren, abgeschirmten EZB-Gebäudes haben wir uns wieder in Bewegung gesetzt. Das führte in einem kleinen Park dazu, das wir von null auf nix von der anstürmenden Polizei in eine kleine Straßengablung gedrängt wurden. Kurz darauf befanden wir uns wieder in unserem blauen Block, von der Polizei von allen Seiten bedrängt und geschubst. Sie versuchte, uns auseinander zu treiben. Wie vorher vereinbart, haben wir uns bei passender Gelegenheit in eine Seitenstraße zurückgezogen. Dann machten wir uns auf den Rückweg zu unserem Quartier. Dort kursierten dann wilde Gerüchte was bisher passiert ist und was noch kommen könnte. Von 300 Festnahmen war die Rede, von der Stürmung eines autonomen Zentrums bis hin zum möglichen Angriff der Polizei auf unsere Unterkunft. Nach den Ereignissen des frühen Morgens und praktisch ohne Schlaf waren das die nächsten, krassen emotionalen Momente, die ich in diesem Ausmaß bisher nicht kannte….

Wir entschieden uns dann, zur DGB-Demo in der City um 12 Uhr zu gehen. Diese war mit ca. 2000 Leuten bunt gemischt, ruhig und friedlich. Die Staatsmacht gestattete jedoch nur eine sehr kurze Route. Widerstand gab es dagegen nicht, der Großteil der Demo ging direkt zum Römer, wo ab 14 Uhr weitere Kundgebungen stattfinden sollten. Etwa zur gleichen Zeit befanden sich ca. 400 ItalienerInnen eingekesselt an der Hanauer Landstraße, welche erst später am Nachmittag frei kamen. Am Römer versammelten sich über 20.000 Menschen! Es gab kämpferische Redebeiträge von Gewerkschaftern, Aktivisten und Linken Politikern aus Europa, u.a. von Sahra Wagenknecht und einem Genossen der Syriza. Aufgrund der durchwachten Nacht und der Ereignisse des Tages war ich relativ fertig.

Als ich meine Genossen der Sozialistischen Alternative am Infostand traf, änderte sich das aber schnell wieder durch inhaltliche Gespräche. Gemeinsam mit 20.000 Menschen den Mittelfinger in den Himmel dem Polizeihubschrauber entgegen zu strecken war die symbolische Antwort auf die Verleumdungen der bürgerlichen Presse gegen den griechischen Finanzminister. An der großen Schlussdemo hab ich aufgrund der Belastungen des Tages nicht mehr teilgenommen. Das Szenario, das die Polizei die Verwüstungen tagsüber mit voller Absicht zugelassen und organisiert hat, um am Ende nochmal richtig zuzuschlagen, ging mir nicht mehr aus dem Kopf… Es ist dann aber zum Glück nichts mehr in dieser Richtung passiert. Bis zu 25.000!!! Menschen demonstrierten nochmal friedlich durch die Frankfurter Innenstadt und zeigten damit den Herrschenden, das sie sich durch Einschüchterungsversuche nicht abschrecken lassen, um für ein Europa auf nicht kapitalistischer Basis auf die Straße zu gehen!!! Das bedeutet für mich, die gewählte Regierung in Griechenland nicht bedingungslos zu unterstützen, sondern sie durch den Druck von unten zu einem Bruch mit der Troika zu bewegen! Dafür ist Internationale Solidarität nötig! Das gilt auch für die Wahlen in Spanien.

Eine Veranstaltung der SAV-Frankfurt im DGB-Haus war anschließend noch sehr interessant. Dort sprach ein griechischer Genosse per Live-Chat genau über diese Aufgaben und Herausforderungen auf dem Weg zu einem sozialistischen Europa.

Der Weg zum Bahnhof blieb dann friedlich und der Sonderzug nach Göttingen war pünktlich. Die erfreulichste Nachricht kam kurz nach der Abfahrt per Durchsage: von den Festnahmen, die sich dann auf unter 50 herausstellten, waren bis dato fast alle wieder frei. Danach ging es mit ausgelassener Stimmung nach Hause… „achtzehnulldrei..“ wir waren dabei!