Irland: „Sie wollen eine Atmosphäre der Angst schaffen“

Paul MurphyVerhaftungswelle gegen Aktivisten, die das Einführen von Wassergebühren bekämpfen. Ein Gespräch mit Paul Murphy

Paul Murphy vertritt die Anti-Austerity Alliance (AAA) im irischen Parlament und ist Mitglied der Sozialistische Partei.

In der vergangenen Woche wurden durch die Polizei täglich Aktivisten wie Sie festgenommen, die sich gegen die Einführung von Wassergebühren engagieren. Sie wurden zum Verhör auf Polizeistationen gebracht und ohne Anklage wieder freigelassen. Warum wurde Ihnen keine Vorladung zugestellt?

Es wäre tatsächlich das normale Vorgehen, mit Verdächtigen einen Termin für ein Verhör zu arrangieren. Das war auch das Auftreten der Polizei gegenüber korrupten Politikern und Bankern in den vergangenen Jahren. Wenn man das mit dem Verhalten gegenüber Aktivisten der Anti-Wassergebühren-Bewegung vergleicht, die in Tallaght an einer Sitzblockade gegen die stellvertretende Ministerpräsidentin Joan Burton teilgenommen hatten, sagt das viel aus über über den Charakter des Staates. Bisher haben rund 100 Polizisten ungefähr 20 Menschen festgenommen. Unter ihnen waren auch minderjährige Jugendliche. Dabei wurden wir am frühen Morgen vor Sonnenaufgang aus unseren Betten geholt. Das waren politische Handlungen, die eine Atmosphäre der Angst unter den Anwohnern von Tallaght schaffen sollen.

Was wird Ihnen vorgeworfen?

Wir wurden unter dem Verdacht der Freiheitsberaubung verhaftet. Das ist eine schwere Anschuldigung, die mit bis zu 15 Jahren Gefängnis bestraft werden kann. Wenn tatsächlich Anklage deswegen erhoben werden sollte, wird das aber ins Leere laufen.

Was ist der politische Hintergrund dieser Polizeiaktionen?

In den vergangenen Monaten hat es eine explosionsartige Bewegung gegen die Einführung von Wassergebühren gegeben. Vor kurzem wurden die Gebührenzähler installiert, im April werden die ersten Rechnungen verschickt. Wir schlagen vor, dass diese nicht gezahlt und die Gebühren boykottiert werden. Ein großer Zahlboykott wird den Druck auf die Regierung enorm steigern.

Doch es geht um mehr als die Frage, ob wir für Trinkwasser zahlen müssen. Seit sechs Jahren sehen wir eine brutale Austeritätspolitik. Der Lebensstandard der arbeitenden Bevölkerung ist deutlich gesunken. Es gibt akute Krisen im Schul- und Gesundheitswesen. Tausende sind in Armut abgerutscht. Die Wassergebühren sind nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat und Wut in Widerstand verwandelte.

Diese Bewegung ist eine echte Bedrohung für das Establishment. Im vergangenen Jahr wurden bei Nachwahlen ich und ein weiteres Mitglied der Sozialistischen Partei ins nationale Parlament gewählt, wo wir nun zu dritt den Kampf der Anti-Austerity-Alliance unterstützen. Wenn die Wassergebühren verhindert werden, wird wahrscheinlich die Regierung zurücktreten müssen, und jede zukünftige Staatsmacht wird es sehr schwer haben, weiterhin Austerität, also eine Kürzungspolitik, umzusetzen.

Wird Irland nun den Weg von Griechenland und Spanien beim Kampf gegen Austerität einschlagen?

In der internationalen Presse wird Irland oft als die „Erfolgsgeschichte“ der Troika dargestellt. Das ist aber nicht der Fall. Die irische Wirtschaft befindet sich in einer sehr prekären Situation. Es stimmt auch nicht, dass die irische Bevölkerung die „bittere Medizin“ der Austerität akzeptiert hat. Es gab eine große Bereitschaft, sich zur Wehr zu setzen, was aber vor allem wegen der Weigerung der Gewerkschaftsführungen, Widerstand zu organisieren, bisher nicht stattfand.

Die Wahl der Syriza-Regierung in Griechenland und das Erstarken linker Bewegungen in Spanien hat der Initiative gegen die Wassergebühren und gegen Austerität Rückenwind gegeben. Jetzt kommt es darauf an, dass dies auch in Irland eine politische Ausdrucksform findet.

Die Anti-Austerity-Alliance bringt Aktive aus der Arbeiterklasse zusammen. Wir sind schon erfolgreich bei Wahlen angetreten und haben nun die vielen anderen Anti-Wassergebühren-Gruppen aufgefordert, auch Kandidaten aufzustellen. Wenn das geschieht, kann das die Basis für den Aufbau einer starken politischen Interessenvertretung für die Arbeiterklasse sein.

Das Interview führte Sascha Stanicic. Es erschien zuerst in der Tageszeitung junge Welt vom 17. Februar 2015.