Erneutes Aufflammen des Bürgerkriegs in der Ukraine

Foto: http://www.flickr.com/photos/kylaborg/ CC BY 2.0
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Welche Rolle spielen die imperialistischen Mächte?

Trotz aller ausgehandelten Waffenstillstände war der Bürgerkrieg im Osten der Ukraine nie vorbei. Die Spannung des schwelenden Militärkonfliktes entlud sich im November und Dezember 2014 in ununterbrochenen Artillerie- und Raketenbeschüssen der Städte, Kämpfen um strategisch relevante Ortschaften, wie zum Beispiel den Donezker Flughafen, sowie in Angriffen von Einsatzkommandos in allen Großstädten.

von Dima Yansky

Trotz der Waffenstillstände verging kein Tag ohne Opfer, sowohl in der Zivilbevölkerung als auch bei den Kämpfern beider Fronten.

In den vergangenen zwei Wochen entwickelte sich eine lokale militärische Auseinandersetzung in Form von großflächigen Angriffen mit Panzerkolonnen und zehntausenden Infanteristen unterstützt durch massive Artillerieattacken. Neu an dieser Situation ist, dass sich dieses Mal die Truppen der Kiewer Regierung in der Defensive befinden und die neuformierten verstärkten ostukrainischen Verbände aktiv neue Landgewinne machen. Sollten sich die derzeitigen Machtverhältnisse manifestieren, droht der Zentralregierung der Verlust großer Gebiete im Südosten des Landes, inklusive der Hafen- und Metallarbeiterstadt Mariupol.

Das Erschreckendste an dieser Situation ist, dass, obwohl beide Seiten ihre Hauptreserven noch nicht in den laufenden Kriegsauseinandersetzungen zum Einsatz gebracht haben, innerhalb weniger Tage hunderte Soldaten und ZivilistInnen dem Moloch des Krieges zum Opfer fielen. Aber eine weitere Zuspitzung mit noch mehr Opfern ist zu befürchten.

Was befeuert den Krieg in einem Land, in dem mehr als 70 Prozent der Bevölkerung gegen den Krieg sind, die Polizei Wehrpflichtigen auf den Straßen in sogenannten „Safaris“ auflauert und in dem die Wirtschaft in Trümmern liegt? Erstens haben die Hauptakteure des Krieges, die imperialistischen Blöcke NATO und Russland mit China im Rücken, keinen Kompromiss bezüglich des Blockgrenzlandes Ukraine gefunden. Die US-amerikanischen Kapitalisten agieren aggressiver (übrigens auch im Pazifik, von wo die USA ihren Hauptkonkurrenten China verdrängen oder zumindest schwächen wollen). In Osteuropa treten die USA dominanter auf. Die militärischen Lieferungen und finanziellen Spritzen an die Ukraine haben sich intensiviert, die Republikaner wollen sogar die Lieferung schwerer Waffen durchsetzen.

Auch fühlt sich die durch US-amerikanische Sanktionen schwer getroffene russische kapitalistische Elite zum Handeln genötigt. Entgegen aller Erwartungen des Westens ist derzeit keine bürgerliche Opposition gegen Putin entstanden. Im Gegenteil! Die kapitalistische Klasse des Landes wurde unter dem Druck der Sanktionen des Westens zusammengeschweißt und scheint so etwas wie ein imperialistisches Klassenbewusstsein zu entwickeln. Russische Imperialisten wollen ihre Milliarden, ihre Öl- und Gasfelder, ihre Pipelines und ihre begrenzten Absatzmärkte (besonders in der Ukraine) mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigen. Zusätzlich werden die Unruhen in der Ukraine als eine direkte Gefahr für die herrschende Clique verstanden. Denn ein sozialer Maidan könnte in der Krisenzeit auch für die russischen ArbeiterInnen und verzweifelten KleinbürgerInnen ansteckend sein.

Alle Versuche der russischen herrschenden Klasse, mit den USA und der NATO einen Kompromiss zu finden, sind nicht zuletzt wegen der harten US-amerikanischen Position gescheitert. Die Mehrheit der US-Kapitalisten will eine bedingungslose Kapitulation Putins und seines Regimes. Das geschwächte russische Regime fühlt sich in die Ecke gedrängt und zum Kampf gezwungen. Die kürzlich entstandenen ostukrainischen „Volksrepubliken“ werden wie in der Vergangenheit der russischen Politik folgen. Auch wenn einige Anführer und Kommandeure der Republiken für europäische Linke einen antifaschistischen Touch aufweisen, sind sie dennoch vollkommen von russischen Militärlieferungen und russischer Hilfe abhängig, um ihre Politik fortzuführen. Egal, welche Fahne diese militärischen Verbände in den Wind halten, im Augenblick sehen sie sich gezwungen, „gute Miene zum bösen Spiel“ zu machen und der Kremllinie, also der Linie der russischen Imperialismus, zu folgen.

Auch in der Ukraine selbst, trotz der Unpopularität des Krieges, zeigten sich fast alle Teile der herrschenden Klasse für eine Fortsetzung des Krieges bereit. Erstens, so banal es klingen mag, verdienen die ukrainischen Oligarchen am Krieg. 40 Prozent des Staatsbudgets werden in die Waffenproduktion und in andere Kriegsinvestitionen geleitet. Zweitens bietet der Krieg eine perfekte Kulisse, hinter der die Regierung brutalste neoliberale Reformen durchführen will. „Alles für den Sieg“ und die Ausgaben für die Armee steigen um 300 Prozent, für die Polizei um 200 Prozent. „Alles für den Sieg“ und das Bildungssystem bekommt 25 Prozent weniger als im Vorjahr, 400 Dorfschulen werden geschlossen und vermutlich werden hunderttausend LehrerInnen ihre Arbeit verlieren. „Alles für den Sieg“ und das staatliche Gesundheitssystem bekommt 20 Prozent weniger. „Alles für den Sieg“ und die Gaspreise werden für die Bevölkerung vier- bis fünfmal teurer. „Alle für den Sieg“ und viele sozialen Leistungen werden eingefroren und schließlich allmählich abgeschafft. „Alles für den Sieg“ und die staatlichen Betriebe werden in großem Stil über Nacht privatisiert. „Alles für den Sieg“ und die GewerkschafterInnen und Linken werden von bewaffneten nationalistischen Milizen verprügelt und zu Feinden der Nation erklärt. „Alles für den Sieg“ und die protestierenden ArbeiterInnen werden zu Moskauer Spionen abgestempelt.

Die neue Oligarchenregierung von Milliardär Poroschenko plant, sich innerhalb kürzester Zeit von ihrem „sowjetischen Erbe“ zu befreien, mit anderen Worten: Man will das soziale Netz endgültig zerschneiden, das alte Arbeitsrecht ein für alle Mal zerschlagen, um das Land schließlich in ein neoliberales Paradies zu verwandeln. Der Krieg schafft also die perfekten Voraussetzungen für eine neoliberale Wirtschaft a la Pinochet unter einem rasant gewachsenen Polizeiapparat, Geheimdienst und alle möglichen militärischen Verbände.

Auch die ukrainischen Rechtspopulisten und Nationalisten sehen im Krieg eine Chance, die ukrainische Bevölkerung zu „verschmelzen“ und Klassenunterschiede in Vergessenheit geraten zu lassen. Die Opfer dafür nehmen sie gerne in Kauf: „Die Nation entsteht aus dem Blut ihrer Helden“, so lautet das Lieblingsmotto der ukrainischen Nationalisten in diesen Tagen. Die einzige Fraktion der ukrainischen Bourgeoisie, die industrielle Lobby des Südostens, die an einem Frieden und wirtschaftlicher Anbindung an Russland interessiert wäre, ist derzeit zu geschwächt, um sich zu behaupten.

Trotz des heutigen Ausmaßes der Zerstörung steht uns, wie es scheint, der Hauptschrecken des ukrainischen Bürgerkrieges noch bevor. Ungelöste Widersprüche, die wachsende Konkurrenz der alten und der neu entstandenen kapitalistischen Blöcke wird die Ukraine, genau wie Libyen, Syrien, Libanon, Jordanien, Somalia oder den Kongo weiter spalten.

Einen friedlichen Kapitalismus hat es nie gegeben und wird es niemals geben. Blut schmiert die Maschinerie des Kapitalismus genau so gut wie Öl. Wollen wir dem Krieg in der Ukraine sowie allen anderen Kriegen ein Ende setzen, so müssen wir das Chaos und die blutige Anarchie der kapitalistischen Wirtschaft beenden. Die Ukraine genau wie der Rest der Welt braucht einen neuen Maidan – eine Massenbewegung von ArbeiterInnen und Jugendlichen, die jedoch ihre eigenen demokratischen Organisationen aufbauen und den Kampf gegen Ausbeutung und Militarismus mit dem Kampf für eine sozialistische Veränderung verbinden muss.