Eine Regierung, die ihre Wahlversprechen erfüllt?

GriechenlandNach der Wahl von Syriza

Die neue griechische Regierung hat mit einer Reihe von Paukenschlägen begonnen und Begeisterung in Griechenland und international geweckt. Aber die großen Herausforderungen stehen ihr erst noch bevor.

von Wolfram Klein, Plochingen bei Stuttgart

Die Wahl von Syriza brachte vor allem die Stimmung zum Ausdruck, dass es nicht so weitergehen kann wie bisher. Die Begeisterung hielt sich nach den vielen negativen Erfahrungen mit gebrochenen Wahlversprechen zunächst in Grenzen. Es war kein Vergleich zu der Begeisterung über den Wahlsieg Mitterands in Frankreich 1981 oder Papandreous in Griechenland 1982, als Hunderttausende auf den Straßen tanzten.

Doch dann legte Syriza ein beachtliches Tempo vor. Eine Regierung wurde gebildet und zahlreiche begrüßenswerte Maßnahmen wurden angekündigt: der Stopp von Privatisierungen, die Wiedereinstellung entlassener Beschäftigter im Öffentlichen Dienst, die Anhebung von Sozialleistungen etc. Regierungsvertreter bekräftigten ihre Ablehnung des TTIP-Freihandelsabkommens zwischen EU und USA und des zerstörerischen Goldbergbaus in Skouries. Ministerpräsident Tsipras und Finanzminister Varoufakis tourten durch Europa auf der Suche nach Unterstützung für ihre Reformen und einen Schuldenschnitt.

Auch wenn es sich hierbei vor allem um Ankündigungen handelt, ist der Kontrast zu anderen Regierungswechseln in Europa in den letzten Jahrzehnten (einschließlich der Regierungsbeteiligungen von PDS und Die LINKE auf Länderebene in Deutschland) offensichtlich. Kein Wunder, dass die Unterstützung für Syriza in den Wochen nach der Wahl gestiegen ist. Selbstverständlich, dass Linke international die Pflicht haben, die griechische Regierung gegen Angriffe von rechts in Griechenland und international zu verteidigen.

Insbesondere deutsche Medien reagierten mit einem wahren Propaganda-Trommelfeuer auf das griechische Wahlergebnis. Sie verlangen, dass die neue Regierung die Vereinbarungen der Vorgängerregierungen einhalten müsse, obwohl sie durch blanke Erpressung zustande gekommen sind und zu einer wirtschaftlichen, sozialen und humanitären Katastrophe geführt haben.

Tatsächlich sind die griechischen Vorschläge bescheiden genug. Während die internationalen Gläubiger fordern, dass jährlich über 4% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) an die ausländischen Gläubiger abfließen sollen – ein verheerender Aderlass –, fordert die griechische Regierung eine Verminderung auf 1-1,5% des BIPs. Das wären immer noch beträchtliche jährliche Tributzahlungen, die die arbeitende Bevölkerung aufbringen müsste, die von den Krediten herzlich wenig gehabt hat. Wenn „verhandeln“ bedeutet, sich irgendwo in der Mitte zu treffen, wäre das Ergebnis für die griechische Bevölkerung schlimm genug. Varoufakis hat inzwischen auch die Bereitschaft erklärt, auf einen formellen Schuldenschnitt zu verzichten und sich mit einer Koppelung der Zins- und Tilgungszahlungen an die Wirtschaftsentwicklung zu begnügen.

Vor Syriza liegen die „Mühen der Gebirge“

Als Bertolt Brecht nach dem Krieg aus dem Exil zurückkehrte, schrieb er in seinem Gedicht „Wahrnehmung“: „Die Mühen der Gebirge liegen hinter uns, Vor uns liegen die Mühen der Ebenen.“ Bei Syriza ist es umgekehrt: ihr stehen die größten Herausforderungen noch bevor.

Das erste Problem ist die große Abhängigkeit des griechischen Bankensektors von der Geldzufuhr der Europäischen Zentralbank (EZB). Die EZB kann sie zur erneuten Erpressung gegenüber Griechenland nutzen. Insbesondere die deutsche Regierung drängt darauf. Trotz der nachgiebigen griechischen Haltung setzen Merkel und Schäuble auf Konfrontation statt Verhandlungen.

Allerdings gibt es außerhalb Deutschlands angesichts der verheerenden Folgen der ganz Südeuropa von Merkel und der Troika aufgezwungenen Politik durchaus Offenheit gegenüber einem Lockern der Daumenschrauben. Dazu kommt die Sorge vor den möglichen Folgen eines Herausmobbens Griechenlands aus dem Euro, das die Folge einer Konfrontation mit Griechenland sein könnte. Dann wäre ein neues Aufflammen der Eurokrise zu befürchten, die dem Euro den Todesstoß versetzen könnte. Möglicherweise stimmt auch die Sorge, Griechenland könnte aus der EU-Front gegenüber Russland ausscheren, kompromissbereit gegenüber Griechenland.

Aber selbst wenn Merkel und die EZB vor dem Äußersten zurückschrecken und es zu einer Einigung kommt, ist die Frage, wie viel wirtschaftlicher Schaden bis dahin angerichtet wird? Wie viele Euro werden bis dahin aus den Banken abgezogen und im Ausland oder im Tresor in Sicherheit gebracht? Welche Banken kommen dadurch ins Trudeln? In was für einen Teufelskreis gerät die griechische Wirtschaft dadurch etc.?

Und sogar, wenn diese Klippen vermieden werden: Syriza will die angekündigten sozialen Notmaßnahmen nicht durch neue Schulden, sondern durch die Besteuerung der Reichen finanzieren. Motor des Kapitalismus ist aber die Profitmaximierung, in Griechenland ebenso wie bei uns. Wenn die griechische Regierung hier Ernst macht, werden die Kapitalisten mit (noch mehr) Kapitalflucht, Steuerhinterziehung, Verlagerung ins Ausland reagieren bzw. durch die Drohung damit solche Maßnahmen zu verhindern versuchen. Es ist bezeichnend, dass bereits die Rede davon ist, die Steuerprivilegien der Reeder (für die die juristische „Verlagerung“ ihrer Schiffe ins Ausland natürlich nicht schwer ist) nicht anzutasten. Nachdem die Regierung die Privatisierung des Hafens Piräus gestoppt hat, spricht Varoufakis inzwischen davon, den Hafen an den chinesischen Cosco-Konzern zu verkaufen, um „die Wirtschaft zu modernisieren“ und „die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen“.

Die Grenzen des Kapitalismus

Bei jeder dieser Hürden droht die Gefahr, dass Syriza einknickt und den eigenen Versprechen untreu wird. Die Alternative dazu wäre, über das Programm von Syriza und der Regierung hinaus zu wirklich antikapitalistischen Maßnahmen zu greifen.

Ein Problem stellt auch vor diesem Hintergrund der rechte Koalitionspartner ANEL dar, der zu antikapitalistischen Maßnahmen nicht bereit sein wird. (Dagegen ist die Empörung der bürgerlichen Medien, die kein Problem mit der Beteiligung der noch weiter rechts stehenden LAOS an der Kürzungsregierung 2011-12 hatten, heuchlerisch.) Aber auch die Führung von Syriza hat nicht die Absicht, den Rahmen des Kapitalismus zu sprengen.

Aber es hat in der Geschichte schon einzelne Beispiele gegeben, dass Regierungen unter den Druck der Ereignisse (der Erfahrung, dass ihr eigenes reformistisches Programm nicht funktioniert) und vor allem dem Druck der eigenen Basis (der arbeitenden Bevölkerung, der andernfalls ein Schrecken ohne Ende droht) weiter gingen als sie beabsichtigt hatten. Deshalb war es eines der positivsten Zeichen, dass die griechische Bevölkerung am 5. Februar zu Zehntausenden auf die Straße ging und gegen die EZB-Entscheidung protestierte, griechische Staatsanleihen nicht mehr als Sicherheiten für Kredite zu akzeptieren.

Die weitere Entwicklung ist eine Auseinandersetzung lebendiger Kräfte, deren Ausgang offen ist. Eine entscheidende Frage wird sein, wie erfolgreich die antikapitalistische Linken innerhalb und außerhalb von Syriza sich und die Arbeiterklasse organisieren können (und ob das Sektierertum der Kommunistischen Partei KKE, das der Führung von Syriza in die Hände spielt, überwunden werden kann).

Linke international haben die Aufgabe, alle fortschrittlichen Maßnahmen der griechischen Regierung zu unterstützen. Es gilt zudem, für konkrete weitergehende Schritte zu werben, praktische Unterstützung für die kritischen Kräfte links von der Syriza-Führung zu organisieren und zugleich vor Illusionen in die Reformierbarkeit des Kapitalismus zu warnen.