Rechtspopulistische UKIP erringt zweiten Parlamentssitz in Britannien

Foto: http://www.geograph.ie/snippet/11160 CC BY-SA 2.0
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Die sozialdemokratische Oppositionspartei „Labour“ ist keine Alternative mit ihrer Haltung pro Austerität

Dieser Leitartikel aus „The Socialist“, dem Wochenzeitung der „Socialist Party“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in England & Wales) erschien zuerst in englischer Sprache am 26. November.

Bei den Nachwahlen im Bezirk Rochester and Strood, die am 20. November stattgefunden haben, wurde ein zweiter Abgeordneter der „United Kingdom Independent Party“ (UKIP) gewählt, der zuvor für die konservativen „Tories“ im britischen Parlament saß. Die steigende Wut der viel zitierten „99 Prozent der Bevölkerung“ beginnt sich bei Wahlen auszudrücken und die völlige Unfähigkeit der Verteidiger des Kapitalismus, irgendeine Art von Ausweg anzubieten, wird offenbar. Vielleicht reicht es auch schon, den Chef der UKIP zu zitieren, der zu den nächsten Parlamentswahlen Folgendes zu sagen hatte: „Alles ist möglich!“.

Mark Reckless kam mit 42 Prozent auf rund 16.867 Stimmen. Der Stimmanteil der „Tories“ ging im Vergleich zu 2010 um 14 Prozentpunkte zurück, im Falle von „Labour“ lag der Wert rund 12 Punkte darunter und die „Liberaldemokraten“ verzeichneten einen Rückgang von mehr als 15 Prozent. Sie kamen nur noch auf etwas mehr als 300 Stimmen.

Reckless, ein verhätschelter arbeiterfeindlicher „Tory“ bezeichnete sich in seiner Rede nach der Wahl ungeheuerlicher Weise als Erben des Protestes der Levellers (polit. Strömung für Demokratie und Freiheit; Anm. d. Übers.), der Chartisten (Reformbewegung des 19. Jh.s; Anm. d. Übers.) und Suffragetten (Vorkämpferinnen für das Frauenwahlrecht; Anm. d. Übers.). Die UKIP kann die Geschichte nur deshalb derart verdrehen, weil es an einer Massenpartei der ArbeiterInnen fehlt, die tatsächlich in der Tradition dieser Bewegungen stehen würde. Die GewerkschaftsführerInnen, die gezögert und Maßnahmen zum Aufbau einer neuen Partei unterlassen haben, tragen die schwere Bürde der Verantwortung. Sie haben ihm bei diesem Prozess einen Bärendienst geleistet.

Untersuchungen haben ergeben, dass 81 Prozent der UKIP-SympathisantInnen meinen, „die Konzerne würden die einfachen Leute ausnutzen“. Sie werden bitter enttäuscht sein vom neuen Repräsentanten von Rochester und der gesamten UKIP-Führung sowie deren Entscheidungsträgern. Als Abgeordneter der „Tories“ hat Reckless mit Nachdruck für die Verringerung der Unternehmenssteuer gestimmt. Die Millionäre und weitere Angehörige des oberen „einen Prozent der Bevölkerung“, von denen die UKIP finanziert wird, sind sich mit ihm einig.

Die großen Parteien knicken ein

Rochester steht auch für den Trend weg von der Dominanz des Zwei-Parteien-Systems. Diese Tendenz wird als „neue Fragmentierung“ bezeichnet. Sie ist Ausdruck der Legitimitätskrise, von der sämtliche alten Stützen der kapitalistischen Gesellschaft befallen sind: Regierungen, die Mainstream-Medien, Banken, Polizei etc.

Heute denken nur zehn Prozent der WählerInnen, dass britische „Politiker“ ihr Bestes tun, um dem Land zu helfen. Seit 1979 ist der Stimmanteil, der bei Parlamentswahlen auf die Sozialdemokraten von „Labour“ bzw. auf die konservativen „Tories“ entfallen ist, von insgesamt 81 Prozent auf 65 Prozent im Jahr 2010 gefallen und geht seitdem weiter zurück. In dieser Zeitspanne, die drei Jahrzehnte umfasst, hat sich die Anzahl derer, die in Armut leben (und bei vielen von ihnen handelt es sich um ArbeiterInnen) verdoppelt. Im selben Zeitraum hat sich die britische Wirtschaft ebenfalls verdoppelt.

Die „Socialist Party“ hat erklärt, dass eine niedrige Wahlbeteiligung nicht auf die Apathie der WählerInnen zurückzuführen ist sondern auf die enorme Wut. Die Wahlbeteiligung beim Referendum über die Unabhängigkeit in Schottland war dafür ein Paradebeispiel: Die Menschen aus der Arbeiterklasse und vor allem die jungen Leute haben eine Möglichkeit gesehen, die Parteien in Westminster für die Austerität abzustrafen. Auf diese Weise haben 1,6 Millionen Menschen auch den Versuchen der Parteien „Labour“, „Conservatives“ und „Liberal-Democrats“ in den Wind geschlagen, die mit dem „Project Fear“ Angst schüren wollten vor einer Aufspaltung des Landes. Die Drohkulisse bestand aus „Banken, die umgehend schließen“ würden, „Arbeitsplatzverlust“ und eine „Währungskrise“.

In England ist die UKIP – wenn auch nicht der einzige, so doch der Haupt-Profiteur der Proteste auf Wahlebene. Der Politikwissenschaftler Matthew Goodwin hat ermittelt, dass die UKIP in den ersten zehn Monaten des Jahres 2013 in den Printmedien 23.000 Mal erwähnt wurde. Es ist aber nicht nur die Presse, die Werbung für die UKIP macht. Ein Autor des rechtslastigen Magazins „The Spectator“ fasste den Ansatz der „Tories“, den diese gegenüber ihren Herausforderern verfolgen, wie folgt zusammen: „Die UKIP ist rechts, wählt sie nicht“. Der Premier und Parteivorsitzende Cameron scheint sich abzurackern, um mit der Politik der UKIP hinsichtlich der Themen EU und Einwanderung mithalten zu können. Er hat es in seiner Partei mit einem Aufstand von rechts zu tun.

Die Austerität von „Labour“

Dasselbe passiert auch bei der sozialdemokratischen „Labour Party“. Neue Untersuchungen haben gezeigt, dass Menschen, die sich wegen der Zuwanderung Sorgen machen, sich um die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und die öffentliche Daseinsvorsorge sorgen. Doch anstatt sich für einen spürbaren Anstieg des Mindestlohns einzusetzen, Gewerkschaften zu unterstützen, die Maßnahmen zur Verteidigung der Arbeitsbedingungen ergreifen etc., verkünden die Schattenminister von „Labour“, dass sie die Zuwendungen, die Arbeitssuchende aus der EU in Anspruch nehmen können, einschränken wollen. Dazu zählen auch die Leistungen für Kinder.

Anstatt der Arbeiterklasse mit all den Menschen unterschiedlicher Herkunft Respekt zu zollen, äfft der „Labour“-Vorsitzende David Miliband in Wirklichkeit nur dem konservativen Premierminister David Cameron und UKIP-Chef Nigel Farage nach, die das Thema Einwanderung benutzten, um von der Verantwortung der Konzerne, der Finanzindustrie und der kapitalistischen Politiker abzulenken, die diese für die Wirtschaftskrise und die Angriffe auf die Arbeiterklasse tragen – im Namen der Austerität.

Es war der twitter-Beitrag und der darauffolgende Rücktritt von Emily Thornberry, der Justizministerin im Schattenkabinett und Mitglied aus dem ersten Glied von „Labour“, der (kurzzeitig) die Aufmerksamkeit der JournalistInnen der kapitalistischen Presse erregte, die über die Nachwahl berichteten. In besagtem twitter-Beitrag postete Thornberry ein Foto eines mit England-Fahnen geschmückten Hauses, das der Kommandozentrale von „Labour“ eine Panikattacke bescherte. Schließlich wurde von der Boulevard-Presse der politischen Rechen sofort behauptet, dies sei der Beleg für die arrogante Sichtweise, die „Labour“ auf die Arbeiterklasse hat.

Die Haltung der „Labour“-Partei gegenüber der Arbeiterklasse offenbart sich, wenn erklärt wird, dass man mit den Kürzungen der „Tories“ fortfahren wird, sollte die Partei die nächste Regierung stellen. In dem Fall würden Kürzungen und Privatisierungen auf kommunaler Ebene durchgeführt. Auch die 13 Jahre, in denen „Labour“ die Regierung gestellt hat und ihre Ablehnung, die gewerkschaftsfeindlichen Gesetze wieder aufzuheben, die die „Tories“ einst eingeführt haben, zeugt von der Abneigung der Sozialdemokraten gegenüber den Beschäftigten und der Arbeiterklasse.

Die nächsten Wahlen finden in einem guten halben Jahr statt und in den Umfragen liegt „Labour“ nur knapp vorne. Die Reaktion auf den Twitter-Beitrag von Thornberry ist allerdings nichts, wenn man sie mit der Angst vergleicht, die die „Labour“-Führung hat, wenn sie als „rote“ Partei bezeichnet wird. Dabei ist sie alles nur nicht das!

ArbeiterInnen in Irland kämpfen gegen die Wasser-Abgabe

In Irland haben die bürgerliche Presse neue Gipfel bestiegen, von denen aus sie die Abgeordneten der dortigen „Socialist Party“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Irland) ins Visier nehmen. Unsere Abgeordneten spielen derzeit eine zentrale Rolle in der Massenbewegung gegen die Wasser-Abgabe. Die Arbeiterklasse in Irland ist als „duckmäuserisch“ verspottet worden, weil sie angeblich nicht Willens war, auch nur einen Hauch von Widerstand gegen die Austerität zu leisten. Dann wurde sie plötzlich als „kämpferisch wie ein Löwe“ bezeichnet, weil sie sich gegen die zuletzt neu eingeführte Wasser-Abgabe wehrt. Überall, wo Minister der Regierung (übrigens auch die von der irischen „Labour“-Partei) sich wagen, ihr Gesicht zu zeigen, werden sie von Mobilisierungen der ortsansässigen Menschen begrüßt, die aus den Gemeinden der Arbeiterklasse kommen und laut ausrufen: „Genug ist genug!“.

Auch wenn wir in Großbritannien noch keine Proteste dieses Ausmaßes erleben durften (an einem Tag demonstrierten in einem Land wie Irland, das insgesamt weniger als fünf Millionen EinwohnerInnen hat, 200.000 Menschen!), so liegen bei uns dieselben Bedingungen für ganz ähnliche Wutausbrüche vor. Auch hier in Großbritannien herrscht die Austerität gegen die „99 Prozent“ und im Sinne des viel zitierten „einen Prozent der Bevölkerung“. Die Tatsache, dass die „Socialist Party“ – teilweise wegen des besonderen Wahlrechts dort – Abgeordnete hat und dass unsere Schwesterorganisation in Irland einen vorzüglichen Ruf als kämpferische Partei hat, hat dazu geführt, dass die Bewegung im irischen Parlament, dem „Dáil“, eine Stimme hat.

Was für ein „Modell“?

Douglas Alexander von der britischen „Labour“-Partei war so gnädig anzuerkennen, dass es die Wut ist, die das „gesamte Modell der britischen Politik verändert“. Der Punkt ist aber, dass „Labour“ kein „Modell für die Arbeiterklasse“ anbietet und sich stattdessen alle Mühe gibt, die Interessen der Konzerne zu vertreten.

Der einzige Weg, diese Politik des „business as usual“ zu beenden, besteht darin, eine neue dynamische, demokratische Massenpartei zu gründen, die den Kampf als Mittel wählt und sich auf Organisationen der Arbeiterklasse gründet. Die Mitläufer von UKIP können von der Arbeiterbewegung gestoppt werden, wenn sie jetzt aktiv wird und zum Aufbau einer politischen Stimme der Beschäftigten aufruft.

Als Teil der „Trade Unionist and Socialist Coalition“ (dt.: „Gewerkschaftliche und sozialistische Vereinigung“) setzt sich die „Socialist Party“ dafür ein, dass 1.000 KandidatInnen bei den Stadtrats- und 100 KandidatInnen bei den Parlamentswahlen im Mai nächsten Jahres antreten. Damit kann in der Praxis gezeigt werden, was wirklich gebraucht wird. Außerdem können damit die Menschen aus der Arbeiterklasse einbezogen werden, die schon den Schluss gezogen haben, dass es eine Alternative geben muss.