Schweden: Feministiskt initiativ

News Øresund - Johan Wessman © News Øresund(CC BY 3.0)
News Øresund – Johan Wessman
© News Øresund(CC BY 3.0)

Neue Frauen-Partei erzielt Erfolge

In nur wenigen Monaten ist die 2005 von der ehemaligen Vorsitzenden der Linkspartei Gudrun Schyman gegründete Feministiskt initiativ (Fi) in Schweden explosionsartig gewachsen und hat heute etwa 14.000 Mitglieder. Bei den Europawahlen erzielte die Partei 5,3 Prozent der Stimmen. Dadurch ist die Fi zu einem Faktor geworden mit dem bei den im Herbst in Schweden stattfindenden Wahlen zu rechnen sein wird.

von Anna Maria Berggren Ericsson

In den letzten Wochen jedoch ist Unruhe über die Fi in linken Medien aufgekommen, da zwei der Parlamentskandidatinnen der Partei erklärten, die Partei stehe für einen „Kapitalismus mit menschlichem Antlitz“. Viele fragen sich jetzt, wofür die Fi wirklich steht und ob die Partei tatsächlich eine Alternative für Arbeiterinnen und andere, die für ihre Rechte kämpfen, darstellt.

Seit die Fi im Jahr 2005 gegründet wurde, hatte sie keine großen Erfolge bei den Parlamentswahlen erreichen können. Ihr Stimmenanteil rutschte von 0,7 Prozent bei der Wahl 2006 auf nur noch 0,4 Prozent im Jahr 2010. Den Unterschied für die diesjährige Wahl erklärt Sprecherin Gudrun Schyman damit, dass sie jetzt Teil einer Volksbewegung sei. Diese Behauptung hat ohne Zweifel seine Berechtigung. Die anfänglichen, von interessierten Personen selbst organisierten „Home-Partys“ der Partei, sind zu großen Versammlungen angewachsen und heute gibt es rund fünfzig aktive Ortsgruppen im ganzen Land. In Stockholm nahmen in diesem Jahr 4.500 Menschen an Fi’s Erster-Mai-Demonstration teil, während sie in Göteborg fast doppelt so viele Teilnehmer wie die sozialdemokratische Demonstration mobilisieren konnte (In Schweden haben die Gewerkschaften keine eigenständigen Demonstrationen am 1. Mai, A.d.Ü.). Das ist beeindruckend für eine Partei ohne einen einzigen bezahlten Hauptamtlichen, deren Einnahmen – neben 45.400 Kronen (cirka 5000 Euro) jährlich aus Simrishamn, wo die Partei vier Sitze im Stadtrat hat – nur auf Spenden basieren.

Regierungspolitik gegen Frauen

Was macht die feministische Partei gerade jetzt so attraktiv? Es war Ende Januar diesen Jahres, als der Zustrom neuer Mitglieder ernsthaft begann. Ein Teil der Erklärung ist, dass viele Feministinnen aufgebracht waren, wie Feminismus in einem Programm im öffentlich-rechtlichen Fernsehkanal SVT dargestellt wurde. Nur wenige Stunden nach dem ersten Abschnitt des Programms bekam Fi siebzig neue Anträge auf Mitgliedschaft. Aber dass das Interesse auch Monate später immer noch steigt, kann weder durch die bevorstehenden Wahlen oder einzelne Medienveranstaltungen erklärt werden. Vielmehr ist es so, dass mehr und mehr Menschen genug haben von wachsender Ungleichheit, Sexismus und Rassismus.

Unter Premierminister Fredrik Reinfeldts Zeit an der Macht, weitete sich die Lücke im Jahreseinkommen zwischen Männer und Frauen von 45.000 auf 63.000 Kronen. Die Politik der Steuersenkungen kam vor allem Männern zu Gute, die mehr verdienen und in größerer Zahl Vollzeit arbeiten, während die Angriffe auf zum Beispiel die Krankenversicherung Frauen härter getroffen haben. Die Privatisierung des Sozialstaates und des Wohlfahrtssektors, das heißt von Pflegeeinrichtungen, Schulen und Kindergärten, Krankenhäusern usw., trifft in mehrfacher Hinsicht gerade Frauen hart. Die Personalbesetzung ist bei privaten Unternehmen in der Regel geringer und damit die Belastung für die MitarbeiterInnen höher. Jede zehnte Krone aus den Steuermitteln die an diese Unternehmen ausgezahlt wird, geht nach Berechnungen der Vänsterpartiet (Linkspartei) direkt in private Profite. Insgesamt waren die privaten Profite der Wohlfahrtsunternehmen im Jahr 2010 über neun Milliarden Kronen hoch, eine Summe die zum Beispiel genügt hätte, um 22.000 Krankenschwestern anzustellen.

Die Angriffe auf die sozialen Errungenschaften sind von einer Steigerung der physischen Angriffe auf Feministinnen und AntirassistInnen begleitet. Wir sehen eine Verschlechterung des sozialen Klimas, in dem Frauen, die sich an der öffentlichen Debatte beteiligen, mit Drohbriefen und im Internet verbreitetem Hass geantwortet wird. Die gewalttätigen faschistischen Angriffe auf linke AktivistInnen offenbarten, dass die Gefahr sehr real ist. Gleichzeitig zeigte die antirassistische Demonstration in Stockholmer Ortsteil Kärrtorp am 22. Dezember 2013 mit 20.000 TeilnehmerInnen eine fantastische Bereitschaft, gegen den Neofaschismus zu kämpfen.

Im Herbst und Winter wuchs auch eine Bewegung gegen Vergewaltigung stark an, die die Forderung nach einem Einwilligungsgesetz aufstellte. Ausgangspunkt war eine Kampagne im vergangenen Sommer, die 150 Geschichten von Menschen sammelte, die sexuell missbraucht wurden. Ziel war es, das Verständnis in der Gesellschaft darüber zu erweitern, was eine Vergewaltigung ist und ein Rechtssystem einzufordern, das sich auf die Tat des Angeklagten konzentriert und zu klären, ob es eine Einwilligung zum Sex gab, anstatt darauf zu fokussieren, wie das Opfer sich benommen hat.

Die Unfähigkeit der oppositionellen rot-grünen Parlamentsparteien den Kampf gegen den neoliberalen Systemwechsel und dessen Auswirkungen zu organisieren sowie die Tatsache, dass die Politik der beiden Blöcke im Parlament zu oft viel zu ähnlich wirken, zeigt die dringende Notwendigkeit nach einer Alternative. Wahrscheinlich liegt hier der Grund, warum so viele Menschen jetzt zur Fi gekommen sind. Selbst wenn die Fi nicht Mitorganisatorin bei vielen der großen Demonstrationen diesen Jahres war, hat die Partei oft Rednerinnen gestellt, wie beispielsweise bei der Demonstration für ein Einwilligungsgesetz im Januar in Stockholm und bei mehreren der Demonstrationen, die nach der Messerattacke von Nazis in Malmö am 8. März organisiert wurden.

Die Fi begann als eine Partei, deren politisches Engagement sich auf Ein-Personen-Aktionen beschränkte. Zum Beispiel verbrannte die Fi-Gründerin Gudrun Schyman Geld, um auf die geschlechtsspezifischen Lohnunterschiede aufmerksam zu machen oder sie kaufte Aktien in verschiedenen börsennotierten Unternehmen, um die Frage der Geschlechterquoten in Vorständen auf Hauptversammlungen zu aufzuwerfen. Jetzt hat man in der Partei begonnen, die Bedeutung von Basisbewegungen anzuerkennen, insbesondere die der antirassistischen Bewegung. Auf ihrem Kongress im Jahr 2013 sprach sich die Fi Stellung für ein Non-Profit-Prinzip im Wohlfahrtssektor aus. Dies sowie der 6-Stunden-Tag mit vollem Lohn und das Recht auf Vollzeit, waren die wichtigsten Parolen der Partei am 1. Mai in Stockholm. Im Vorfeld der Wahlen zum Europäischen Parlament führte man den eingängigen Slogan „Raus mit den Rassisten – Rein mit den Feministinnen“ ein. Außerdem war die Spitzenkandidatin, Soraya Post, eine profilierte Aktivistin für die Verbesserung der Situation der Roma in Europa.

Intersektionalität

Ideologisch gesehen hat Fi den intersektionellen Feminismus zum Ausgangspunkt. Intersektionalität ist ein Begriff, der sich in der Geschlechterforschung in Schweden während der letzten zehn Jahre etabliert hat und davon ausgeht, dass verschiedene Diskriminierungsformen wie Sexismus, Rassismus und Klassenunterdrückung interagieren. Dabei geht es nicht darum zu zeigen, um welche Gruppe es „am meisten leid tut“, wie manchmal behauptet wird, sondern darum die Widersprüche aufzuzeigen, die die Gesellschaft auch innerhalb unterdrückter Gruppen erzeugt. Feministinnen mit einem intersektionellen Ausgangspunkt bevorzugen daher in der Regel Wörter wie „Solidarität“ statt „Schwesternschaft“, da letzterer ihrer Meinung die Klassenunterschiede zwischen Frauen nicht zum Ausdruck bringt.

Wenn es um die Klassenfrage geht, stellt sich jedoch heraus, dass die Analyse von Fi Mängel hat. Das erste Kapitel des Parteiprogramms, „Wohlfahrt als ein Werkzeug“, beginnt mit folgender Aussage: „Die Feministische Initiative hat eine Vision von einer Gesellschaft, wo jedeR gut durchs Leben geht. Das erfordert, dass die Gesellschaft in jeder Hinsicht die Menschenrechte beachtet und das Recht auf Gesundheit, Arbeit, Wohnen, Bildung, Sozialfürsorge und Sicherheit gewährleistet. Politik soll dazu dienen, die Chancengleichheit aller Menschen unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, ethnischer Zugehörigkeit, Klasse, Sexualität, Funktionsfähigkeit oder geschlechtlicher Identität zu sichern.“

Hier schlagen die Gedanken einen Purzelbaum, wenn sie die soziale Klasse als eine gleichwertige Kategorie mit den anderen Diskriminierungsformen, denen sie entgegen wirken wollen, benennen. Klassenzugehörigkeit bedeutet ja gerade, dass nicht jeder die gleichen Chancen auf Arbeit, Bildung und Sicherheit hat. Eine Gesellschaft, in der alle die gleichen Möglichkeiten haben, wäre dann nicht mehr eine Klassengesellschaft, und Klassenzugehörigkeit hätte aufgehört zu existieren (dagegen würden die Menschen wahrscheinlich sich immer noch nach Hautfarbe und Geschlechtsidentität unterscheiden, auch wenn dass dann nicht mehr zu einer Sonderbehandlung führt).

Anstatt abstrakt von Klassenzugehörigkeit zu reden, weisen sozialistische Feministinnen auf die Notwendigkeit hin, dass alle Menschen der Arbeiterklasse kollektiv den Kampf aufnehmen müssen um eine Veränderung der Gesellschaft zu erreichen. Diese Schlussfolgerung ziehen wir nicht nur, weil wir über Unterdrückung empört sind, sondern vor allem, weil wir die Arbeiterklasse als notwendigen Faktor ansehen, der durch Organisation, Streik und letztlich Revolution das existierende Wirtschaftssystem untergraben kann.

Zu unserer bunt gemischten Klasse gehören Beschäftigte im öffentlichen Dienst, junge prekär Beschäftigte, Menschen ohne Papiere, teilzeitbeschäftigte Mütter mit kleinen Kindern, Heterosexuelle, RollstuhlfahrerInnen, EinwandererInnen der dritten Generation, Transpersonen, Arbeitslose und andere. Wie die Fi richtig meint, überlappen sich die Kategorien übereinander und ein intersektionelles Verständnis hat deshalb große Bedeutung für einen erfolgreichen Kampf. Was doch die verschiedenen Kategorien eint, ist, dass wir alle dabei gewinnen würden den Kapitalismus abzuschaffen, der einige wenige von der Arbeit anderer profitieren lässt.

Die Fi erhebt heute viele gute Forderungen nach Reformen und hat eine radikale Gesellschaftskritik, aber insgesamt fehlen leider sowohl ein Programm, woher das Geld dafür kommen soll als auch Strategien, wie sie die Wirtschaftsmacht herausfordern wollen.

Eine echte Kritik am System wäre zum Beispiel darauf hinzuweisen, das die gesamten Dividenden von börsennotierten Unternehmen in Schweden in diesem Jahr nach Angaben der Nachrichtenagentur TT voraussichtlich zwischen 150 und 250 Milliarden Kronen belaufen werden. Das ist vergleichbar mit den jährlichen Nettokosten für das gesamte Gesundheitssystem in allen Landesteilen von knapp über 200 Milliarden Kronen. Die zwanzig größten Unternehmen geben ganze zwei Drittel ihrer Gewinne für Dividenden anstatt für Investitionen aus. Dies liegt in der ökonomischen Natur dieses Systems, denn ein Unternehmen, das darauf setzt die Dividenden zu reduzieren, würde mit sinkenden Aktienwerten konfrontiert sein. Die logische Schlussfolgerung ist, dass das ganze System grundlegend geändert werden muss.

In einem Artikel in der Zeitung Fria Tidning vom 26. April diesen Jahres verkündeten Veronica Schwert und Kenneth Hermele von der Fi, dass die Partei sich für einen „Kapitalismus mit menschlichem Antlitz“ und „besser funktionierenden globalen Kapitalismus“ einsetze.

Marxistische Feministinnen argumentieren, dass der Kapitalismus ein System mit inneren Widersprüchen ist, das nie besonders gut funktionieren kann, wie die aktuelle Wirtschaftskrise in Europa und den USA deutlich gezeigt hat. Bei den wenigen Gelegenheiten, wo der Kapitalismus eine etwas „menschlichere“ Seite gezeigt hat, passierte das dank massiver Frauen- und Arbeiterkämpfe. Immer wieder wurden Reformen auch schnell wieder zurückgenommen, so bald die Bewegungen von unten ihre Kraft verloren. Auch Rassismus, den die Fi so deutlich abschaffen will, ist eng mit dem kapitalistischen System verwoben, das darauf setzt die Menschen zu spalten, um sie härter ausbeuten zu können.

„Kapitalismus“ wird an mehreren Stellen im Parteiprogramm der Fi erwähnt, aber nur im Sinne von „Normen“ und einer Kritik an den Profiten der Risikokapitalanleger. Dies ist etwas anderes als die Rede des ehemalige Parteivorstandsmitglieds Tiina Rosenberg über die Notwendigkeit einer Klassenperspektive und sogar der Abschaffung des Kapitalismus. Rosenberg verließ den Vorstand im Herbst 2005 nach einem massiven Medienrummel. Einer der Gründe war, dass sie nicht an die Idee der Vereinigung von rechten und linken Feministinnen innerhalb der gleichen Partei glaubte.

Dies ist jedoch der Weg, den die Partei nun zu gehen beschlossen hat, auch wenn sie sagt, dass sie lieber eine rot-grüne als eine bürgerliche Koalitionsregierung im Herbst sehen würde. Nach einer Meinungsumfrage von YouGov im Mai kommen vier von zehn WählerInnen der Partei aus dem blauen (d.h. bürgerlichen) Block, vor allem aus der Liberalen Partei Folkpartiet.

FI als neue Organisationsform

Die Fi selbst erklärt ihre Entscheidung, sich außerhalb der Links-Rechts-Skala zu sehen damit, dass sie auch die traditionellen Formen der Demokratie in Frage stellen will. Von außen betrachtet scheint die Partei eine sehr offene Organisation zu sein. Auf ihrer Website informiert sie bereitwillig, dass die Mitgliedschaft in der Fi und gleichzeitig in einer anderen Partei erlaubt ist. Zusätzlich zu den lokalen Mitgliedsgruppen können Mitglieder auch thematische Arbeitsgruppen bilden, wo die TeilnehmerInnen sich mit so genannter Politikentwicklung beschäftigen. Zu diesem Zeitpunkt gibt es zwei solcher Gruppen, über Tierrechte und Umweltfragen. Diese Haltung, über den Rahmen der traditionellen Parteiorganisation gehen zu wollen und für neue Formen zu stehen, kann ein Grund sein, warum sich auch viele Linke trotz der unklaren Politik von der Partei angezogen fühlen.

In den neunziger Jahren war es eine sozialdemokratische Regierung, die zwischen 1994 und 1998, mit Unterstützung der Linkspartei unter der jetzigen Fi-Politikerin Gudrun Schyman als Parteichefin, für massive soziale Kürzungen und Steuererhöhungen in Höhe von insgesamt 114 Milliarden Kronen verantwortlich zeichnete. Eine Partei, die die Arbeiterklasse repräsentiert, kann niemals für solche Angriffe stimmen. Sie muss stattdessen das Parlament als eine Plattform nutzen, um den Kampf von unten aufzubauen und den Kapitalismus herauszufordern. Wie Gudrun Schyman handeln wird, sollte sie erneut ins Parlament einziehen, bleibt abzuwarten.

Für alle, die den taktischen Ratschlag für die Erreichung politischer Veränderung der Sozialistische Gerechtigkeitspartei erfahren wollen, sagen wir: Organisieren und sich am Kampf beteiligen!

Anna Maria Berggren Ericsson ist Mitglied der Rätttvisepartiet Socialisterna (Sozialistische Gerechtigkeitspartei) in Schweden. Der Artikel erschien zuerst in der sozialistischen Wochenzeitung Offensiv. Die Übersetzung besorgte Katja Raetz.