Sachsen-Wahl: Eine Nachlese

Foto:https://www.flickr.com/photos/acidpix/ cc BY 2.0
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Am 31. August wählte Sachsen ein neues Länderparlament

Der ehemalige sächsische Innenminister Heinz Eggert (CDU) erklärte am Tag nach der Wahl, die Menschen im Freistaat seien derart zufrieden, dass es viele schlicht und ergreifend nicht für nötig gehalten hätten, zur Wahl zu gehen. Dass bürgerliche Politiker immer wieder darauf angewiesen sind, ihre eigene Politik schön zu reden, ist nichts Neues, das Maß an Realitätsverlust, welches Eggert hier präsentiert, sucht hingegen seinesgleichen.

von Steve Kühne, Dresden

Denn eines kann man getrost als unstrittig ansehen: Bei einer Wahlbeteiligung von unter 50 Prozent und damit der zweitniedrigsten WählerInnenquote bei einer Landtagswahl nach dem Zweiten Weltkrieg, kann man die Wahl als Votum gegen alle etablierten Parteien, als „Abstimmung per Verweigerung“, interpretieren. Leider war traf dieser Unmut in Sachsen auch DIE LINKE. Auch ihre Politik wurde abgewählt.

CDU abgestraft

„Parole Spaß“ wird wohl die Anweisung der Landes-CDU an ihre Mitglieder und Funktionäre am Wahlabend gewesen sein. Man freute sich demonstrativ darüber, dass Tillichs Sparkurs Sachsen fünf weitere Jahre im Würgegriff halten wird. Dass nicht einmal jeder fünfte wahlberechtigte Sachse den Christdemokraten dafür seinen Segen gab, wurde dabei unter den Teppich breitgetretener Hurrastimmung gekehrt. Währenddessen sind Millionen Wahlberechtigte derartig von der Politik aller Parteien abgeschreckt, dass sie den Gang zur Wahlurne ablehnten. Ein Auftrag zum Regieren sieht anders aus!

Dass es der LINKEN nicht gelungen ist diese Frustration wenigstens in Teilen für sich nutzbar zu machen, muss alle Alarmglocken schrillen lassen. In Anbetracht dessen steht uns Zufriedenheit nicht gut zu Gesicht!

Die kommt schon mehr als genug von CDU und SPD, die wohl die nächste Koalition schmieden werden. Wenn dann der neue Shootingstar der Sozialdemokraten, Martin Dulig, der Mann, der stellvertretend für seine ganze Partei lächelt, am Kabinettstisch des streichwütigen Tillich Platz nehmen wird, um weitere Lehrerstellen zu streichen, die sächsischen Unis weiteren Einsparungen zu unterziehen und die Kommunen finanziell weiter auszubluten, wird gerade die DIE LINKE der Landeshauptstadt so einige Verrenkungen zu veranstalten haben.

Gerade erst hat diese nämlich mit Grünen, SPD und PIRATEN eine Kooperation im Dresdner Stadtrat vereinbart, die diesen Parteien die Mehrheit bringt (sozialismus.info berichtete). Damit droht DIE LINKE in der Elbmetropole gemeinsam mit dem neuen „Partner“ SPD Einsparungen umzusetzen, die dieser mit der CDU in der Landesregierung vereinbart hat. Da es in der Zusammensetzung von Landtags- und Stadtratsfraktion bei den Sozialdemokraten so einige Überschneidungen gibt, wird selbst auf personeller Ebene die direkte Verantwortung klar sein. Der Entschluss der Dresdner LINKEN, mit Sozialabbauparteien anzubandeln (wogegen sich auf dem Parteitag im Übrigen nur SAV-Mitglieder aussprachen), droht dann dramatische Auswirkungen zu haben, weil man auf diese Weise der Kürzungspolitik der Landes-SPD auf kommunaler Ebene die Durchsetzungsmehrheit verschafft.

Rechtsaußen gestärkt

Heiterkeit herrschte auch auf dem Elbdampfer, auf dem die Alternative für Deutschland (AfD) ihre Wahlpartie feierte. Aus Sicht der AfD gab es auch reichlich Gründe zum Feiern. Das ausgegebene Ziel der Zweistelligkeit wurde zwar knapp verpasst. Allerdings konnten sich Frauke Petry und Co. an immensen Zustimmungswerten ergötzen. In Dürrhennersdorf in der ostsächsischen Lausitz konnte die AfD ihre Position weiter ausbauen. Bei der Bundestagswahl stimmten dort 15,9 Prozent für die „Alternative“, bei der Europawahl schon 26,8 und bei der sächsischen Landtagswahl 33,6 Prozent.

Mangels geladener Gäste entschloss man sich zu fortgeschrittener Stunde auf dem von der AfD geenterten Dresdner Elbkahn am Wahlabend auch die zahlreichen Schaulustigen an Bord zu holen, die dann mit der gescheiterten Unternehmerin und Spitzenkandidatin der AfD, Frauke Petry, über ihre Vorstellungen diskutierten und dabei einmal mehr das abgeschmackte Herangehen der AfD geboten bekamen, allen alles zu versprechen, selbst dann, wenn es mit dem Programm der Rechtspopulisten offenkundig kollidierte.

Das Dramatische daran jedoch ist, dass es der AfD gelang, sich als „Partei der Underdogs“ darzustellen, Hoffnungen, Wut und Enttäuschung zu bündeln. Mehr Unterstützung für Familien, mehr Demokratie und Geld für LehrerInnen statt für Banken – mit solchen Slogans gelang der AfD der propagandistische Coup. Politik ist Interessensvertretung und dass die AfD nicht die Interessen derjenigen vertritt, die unter den Auswirkungen der kapitalistischen Krise leiden, dass sie ganz andere Interessen im Kopf hat, erahnt man, wenn man bedenkt, dass die Familienförderung der AfD sich nur auf Mami-Papi-Kind bezieht; mehr Volksabstimmungen dem Volk vor allem dann geboten werden sollen, wenn es gegen Minarette und Zuwanderung geht und gegen „Asylmissbrauch“ gewettert wird; Wenn der Sprecher der Partei, Konrad Adam, in der Tageszeitung „Die Welt“ einen Wahlrechtsverzicht für UnterstützungsempfängerInnen fordert; und man zwar kräftig gegen die Banken wettert, aber dann doch verlangt, dass die Griechen „ihre“ Schulden bezahlen.

Dass die AfD bei der Landtagswahl gerade in den Dresdner Wahlbezirken mit überdurchschnittlich hohem Armutsanteil großen Zuspruch bekam, zeigt, dass das lange nicht allen klar ist! Die Weigerung großer Teile der sächsischen LINKEN, im Wahlkampf klar Front gegen die AfD zu machen (Veranstaltungen usw.), was SAV-GenossInnen immer wieder einforderten und innerhalb der Partei so gut es ging selbst umsetzten, muss als schwerer Fehler der LINKEN erkannt werden.

Die Mär von der AfD, die der NPD die Stimmen abluchst, kann man getrost vergessen. Schauen wir noch einmal auf den Wahlkreis 51. In Neustadt holte die NPD dort 7,6 die AfD 10,9 Prozent der Stimmen; in Sebnitz bekam die NPD 15,2 und die AfD 10,8 Prozent der Stimmen und in Reimhardtsdorf-Schöna, wor die NPD auf 16,1 Prozent WählerInnen kam, schaffte die AfD sogar 10,8 Prozent. In Bautzen 5, dem Wahlkreis 56, steigerte sich die NPD im Vergleich zur Wahl 2009 von 7,0 auf 10,9 Prozent und der AfD gaben 14,8 Prozent der WählerInnen ihre Stimme.

NPD

Die NPD gab zwar 13.000 WählerInnen an die AfD ab, von der CDU kamen aber 33.000 Stimmen zu den Rechtskonservativen. Erschreckend hieran ist aber vor allem, dass DIE LINKE 15.000 Stimmen – 2.000 mehr als die NPD (!) – an die Truppe von Bernd Lucke verlor. Dass Letztgenannte den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde verstolperten, hat sicherlich zahlreiche Gründe: Die erfolgreichen Blockaden ihrer Aufmärsche, die inneren Querelen … Leider aber nicht den entschlossenen Angriff der LINKEN im Wahlkampf. Wenn man einmal von dem hilflosen Versuch, das Thema Rassismus aufzugreifen, der in dem Plakat „Sächsisch und weltoffen“ Ausdruck fand, absieht, gab es noch nicht einmal ein Flugblatt, das sich mit der NPD auseinandersetzte.

Wie sich das rechte Spektrum in Sachsen nach der Wahl weiter entwickeln wird, steht zu großen Teilen noch immer in den Sternen: Wird die NPD zunehmend versuchen, das militante Lager zu bedienen? Wird sie von weiteren Flügelkämpfen gelähmt werden? Wird es der AfD gelingen, sich mittelfristig zu verankern? Wird es zwischen beiden verstärkte Konkurrenzkämpfe geben?

Sicher ist, dass mit dem Einzug der sächsischen AfD der rechteste Teil der „Alternative für Deutschland“ gestärkt wurde. Das erkennt man nicht nur an ihren Wahlkampfslogans, sondern auch an ihrem Personal. Gleich mehrere Direktkandidaten hatten zum Besuch von FPÖ-Veranstaltungen in Österreich aufgerufen und nun will auch der designierte Alterspräsident des sächsischen Landtages auf sein Amt verzichten. Die politische Vergangenheit des AfD-Manns Detlev Spangenbergs in rechtsradikalen Gruppierungen war ans Tageslicht befördert worden. Er hatte gleich in mehreren Nazi-Gruppierungen mitgearbeitet. Teile der AfD-Mitgliedschaft speisen sich nach Berichten des MDR aus (ehemaligen) Nazi-Aktivisten.

LINKE-Führung applaudiert sich selbst

Gegenüber den „Dresdner Neuesten Nachrichten“ erklärte Antje Feiks, Geschäftsführerin der sächsischen LINKEN, man sei an der Spitze der Landespartei mit dem Wahlausgang (18,9 Prozent) zufrieden: „Wir konnten uns stabilisieren und gleichzeitig neue Wählerschichten erschließen.“ Im Anbetracht der zweiten Landtagswahl in Folge, die ihre Partei im Minus abschneidet, muss man diese Worte wohl als unerwartet euphorisch bezeichnen.

Selbst der sächsische LINKEN-Vorsitzende Rico Gebhardt, dessen Schmusekurs mit SPD und Bündnisgrünen der LINKEN nicht gut bekommen ist, merkte am Wahltag im Interview mit „Phoenix“ an: „Es könnte sein, dass wir nicht ganz durchgedrungen sind mit unserem Gestaltungsanspruch.“ Was genau das bedeuten soll, wird wohl auch Gebhardt selbst nicht recht klar gewesen sein. Dann erklärte der Mann, dessen Lieblingsprojekt „Rot-Rot-Grün“ heißt, zu allem Überdruss auch noch, um die Finanzierbarkeit der LINKEN-Forderungen müsse sich keiner Sorgen machen, schließlich wolle man die Schuldenbremse achten und bei der Einstellung von PolizistInnen und LehrerInnen sei man nahe an der CDU – welch ungeahnte Konstellationen da vor dem geistigen Auge entstehen …

Ansonsten freute sich Gebhardt „ganz deutlich“, „auch vor der SPD“, zweitstärkste Kraft geworden zu sein. Dennoch war es ihm schwer möglich die anhaltenden Stimmenverluste der LINKEN im Freistaat zu verschweigen. Die lägen, so Gebhardts These, an den Koalitionsofferten von Grünen und SPD im Vorfeld der Wahlen an die CDU. Wodurch ein echter Lagerwahlkampf unmöglich geworden sei. Zu Deutsch: DIE LINKE wird nicht gewählt, weil die SPD mit der CDU in die Koalition will.

Fakt ist, dass „Rot-Rot-Grün“ in Sachsen noch bevor Koalitionsgespräche als rechnerische Möglichkeit am Horizont der Verheißungen aufgetaucht sind, als gescheitert angesehen werden kann. Fakt ist auch, dass die sächsische LINKE trotz des miserablen Ergebnisses noch mit einem blauen Auge davon gekommen ist. Denn noch gut ein Jahr vor dem Landtagswahltermin lag sie in Umfragen bei nur 14 Prozent.

Fakt ist damit auch, dass Gebhardts Kuschelversuche mit SPD und Grünen DIE LINKE in eine Sackgasse führen. Die Richtigkeit von Lafontaines Ausspruch, nach dem niemand eine zweite SPD brauche, liegt als Minus von 1,7 Prozentpunkten deutlich vor der sächsischen LINKEN. Sollte sie jetzt nicht endlich umdenken, droht der überalterten Partei in Sachsen ein schlimmer Aderlass.

Nicht nur, dass der Abstand zur SPD zusammenschmilzt. In einigen Gemeinden taten sich ganz andere Parteien als Konkurrenten im Kampf um Zuspruch auf. In Sebnitz (Wahlkreis 51) schob sich die NPD mit 16,2 Prozent vor DIE LINKE (14,6 Prozent) und in Reinhardtsdorf-Schöna, im selben Wahlkreis, hängte die braune Truppe unter Landeschef Holger Szymanski DIE LINKE mit 16,1 zu 11,8 Prozent sogar ab!

LINKE muss Kehrtwende vollziehen!

Diese Wahl hat eine unglaublich problematische Tendenz zu Tage gefördert: DIE LINKE hat es nicht geschafft, gesellschaftliches Protestpotenzial anzuziehen, ihm eine Stimme zu geben, ihm Ausdruck zu verleihen. Wer mit dem Sozialabbau der letzten Jahre unzufrieden war, der blieb zu Hause, oder noch viel schlimmer, der wählte rechts. Das ist auch einem Versagen der LINKEN anzurechnen, die in Sachsen auf Koalieren mit Sozialabbau- und Kriegsparteien setzt, statt konkrete Kampfangebote zu machen. Sollte DIE LINKE daraus nicht endlich die richtigen Schlüsse ziehen, werden die nächsten Wahlen zum Landesparlament von Sachsen für die Bewegung gegen Sozialabbau, den antifaschistischen Kampf und DIE LINKE selbst alles andere als angenehm!

Deshalb muss sie jetzt umsteuern. Zahlreiche AktivistInnen stellen sich überall in Sachsen rechten Strukturen und Gedankengut entgegen. Viele von ihnen sind Mitglieder der LINKEN. Doch im Wahlkampf gab es keinen Versuch, diese AktivistInnen wenigstens einmal zusammenzurufen, zu besprechen, wie die Situation vor Ort ist. Es gab keinen Versuch, Material gegen NPD und AfD zu produzieren. So half die Führung der LINKEN indirekt dem rechten Spektrum bei dessen Erfolg.

In den nächsten Monaten muss DIE LINKE das Ruder herumreißen. Sie muss auf Kampf statt auf Anbiederung an Grüne und SPD setzen. Dabei müsste es vor allem darauf ankommen, die Kämpfe zu vernetzen: SchülerInnen, Eltern, ReferendarInnen und LehrerInnen kämpfen für dringend notwendige Einstellungen von neuen KollegInnen in den Schuldienst. An den Universitäten, besonders in Leipzig, ging das letzte Semester mit Protesten gegen Einsparungen zu Ende. In Dresden engagierten sich AnwohnerInnen gegen überdimensionierte Großprojekte. Nur wenige Tage vor der Landtagswahl, als in Dresden DIE LINKE gerade eine Kooperation mit SPD und Grünen für ein gemeinsames Vorgehen im Stadtrat unterschrieb, gingen sachsenweit Kita-Beschäftigte für einen besseren Personalschlüssel auf die Straße.

Auf der Wahlkampfabschlussveranstaltung der LINKEN in Dresden rief Spitzenkandidat Rico Gebhardt zu einer Vernetzung der Kämpfe auf. Nur leider tat DIE LINKE bislang nichts, um dies zu erreichen. Genau darum müsste es jetzt gehen. Eine sachsenweite Konferenz, die den finanziellen Bedarf feststellt und eine Strategie für ein gemeinsames Vorgehen erörtert, wäre ein Quantensprung für den Kampf, doch DIE LINKE agiert weiter rein parlamentarisch.

Mitglieder der SAV werden in der LINKEN für ein kämpferisches Vorgehen eintreten. Wer eine andere LINKE will, eine Partei, die kämpft statt koalierend unterzugehen, der muss vorrangig die organisierten SozialistInnen in der LINKEN stärken und Beispiele geben, wie der Widerstand gegen Sozialraub gestärkt werden kann. Nur so kommt DIE LINKE aus der Sackgasse.