Buchbesprechung: „The Snowden Files“

Extra Snowden files pfpEnthüllungen über die „Architektur der Unterdrückung“

von Clare Doyle, aus: „Socialism Today“ (Ausgabe: Juni 2014), dem Monatsmagazin der „Socialist Party“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in England und Wales)

Vor einem Jahr, im Juni 2013, machte die Veröffentlichung enormer Mengen an als „geheim“ bezeichneten Daten einen gewissen Edward Snowden von einem Angestellten in irgendeinem Hinterzimmer-Büro der „National Security Agency“ (NSA) zum bekanntesten Flüchtling der Welt vor den Fängen des US-amerikanischen Staates und des Systems, für das er bis dato gearbeitet hatte. Vor zwei Wochen bezichtigte der US-amerikanische Außenminister John Kerry Snowden, „ein Mann [zu sein], der sein Land verraten hat“. Er forderte seine Rückkehr in die USA aus dem Moskauer Exil, um sich der Justiz zu stellen. Hingegen sagte in dieser Woche der ehemalige Vizepräsident der USA, Al Gore: „Was er aufgedeckt hat […] beinhaltet Brüche der US-amerikanischen Verfassung, die gravierender sind als die Rechtsbrüche, die er selbst begangen hat“.

Das Buch „The Snowden Files“ von Luke Harding beschreibt die Arbeit der mit enormer Macht ausgestatteten Geheimdienste in den USA und Großbritanniens. Beim folgenden Artikel von Clare Doyle handelt es sich um die Rezension dieses Werks. Es ist die gekürzte Fassung ihrer Buchbesprechung, die in der Juniausgabe 2014 der Socialism Today erschienen ist.

Die Readaktion von www.Socialistworld.net, dem Internetportal des „Committee for a Workers´ International“ // „Komitee für eine Arbeiterinternationale“ (CWI), dessen Sektion in Deutschland die SAV ist

Es scheint, als sei das Buch „1984“ von George Orwell in London neu geschrieben worden: RezensentInnen kommentieren, dass dieser Klassiker der Weltliteratur, der vom allwissenden „Big Brother“ bzw. „Großen Bruder“ erzählt, wieder „erschreckend relevant“ geworden ist. In den sogenannten Demokratien dieser Welt hat die Überwachung der einzelnen BürgerInnen ein Ausmaß erreicht, das selbst Orwell sich nicht hätte vorstellen können. Unter der „Denk-Polizei“ wussten die von ihm beschriebenen BürgerInnen zumindest, dass jede ihrer Bewegungen beobachtet wird. Heute haben die „whistle-blower“ (dt.: Enthüller), die aus dem Inneren der größten Geheimdienste der Welt kommen, aufgedeckt, dass detaillierte Informationen von hunderten Millionen von Menschen „zusammengetragen“ wurden. Und das ohne deren Wissen, geschweige denn, dass sie dafür eine strafrechtliche Verfolgung zu fürchten hätten.

Das Buch „The Snowden Files“, das vor kurzem erschienen ist, trägt den Untertitel: „The Inside Story of The World’s Most Wanted Man“ (dt.: „Die persönliche Geschichte des meistgesuchten Mannes der Welt“). Es liest sich wie ein Spionage-Krimi mit dem Unterschied, dass nichts davon erfunden ist! Die Hauptperson darin ist noch nicht einmal ein Schurke, sondern eher ein „zu Unrecht im Exil Lebender“. Ein junger, sehr gut ausgebildeter, idealistischer Computer-Experte namens Edward Snowden erfährt, dass Dinge im Cyberspace vor sich gehen, die – wie er meint – mit der US-amerikanischen Verfassung, an die er doch so sehr glaubt, nicht vereinbar sind. Am Ende findet er sich als Flüchtling seines eigenen Staates wieder, im Gepäck fast zwei Millionen Datensätze an Informationen über das, was er als Spionage-System betrachtet, das außer Kontrolle geraten ist.

Das Buch stößt vor in die Tiefen der Geheimdienste, die von den Staaten USA und Großbritannien aufgebaut wurden. Sogar die sogenannten gewählten Volksvertreter „wissen von nichts!“ oder sind selbst damit beschäftigt, eigentlich illegale Machenschaften zu vertuschen. Vor der Überwachung durch den „National Security Service of America“ (NSA) und das GCHQ in Großbritannien ist buchstäblich niemand mehr sicher. Ihre Aktivitäten verletzen das demokratische Grundrecht auf Privatheit.

Nicht nur Politiker werden überwacht, die an G20-Treffen teilgenommen haben, oder eine Kanzlerin Merkel, die Privatanrufe auf ihrem Handy tätigt. Jede und jeder, die/der zum Hörer greift, eine Email schreibt, „soziale Netzwerke“ im Internet besucht, einen „tweet“ versendet oder ein Bild von sich selbst ins Internet hochlädt, wird ausgespäht. Wenn man davon ausgeht, dass ja ganze Kamera-Systeme in Netzwerken zusammengefasst für Filmaufnahmen von zahllosen öffentlichen und auch weniger öffentlichen Plätzen sorgen, und zu diesem Material noch die Datensätze von NSA und GCHQ hinzukommen, dann müssen die Speicherkapazitäten unvorstellbar groß sein, um all dieses Material festzuhalten.

Riskantes Geschäft

Das Buch „The Snowden Files“, das von Oliver Stone derzeit verfilmt wird, ist von einem Journalisten der britischen Tageszeitung „The Guardian“ geschrieben worden. Sein Name ist Luke Harding. Die Ironie dabei ist, dass sein Protagonist, Snowden, durch Moskau ein gewisses Maß an Schutz genießt, wohingegen Harding selbst durch das Putin-Regime im Endeffekt aus Russland herausbefördert wurde, weil er zu kritisch über das Putin-Regim berichtete.

Von den Zeitungen und den Medien allgemein wird oft behauptet, bei ihnen handele es sich um „die vierte Gewalt“ im Staat. Sie tanzen allerdings nach der Melodie ihrer millionenschweren Besitzer und verteidigen damit prinzipiell das „Establishment“. In der Regel geben sie den Ideen der Menschen, die sich für den sozialistischen Wandel der Gesellschaft einsetzen, nur wenig oder gar keinen Raum. Manchmal übernehmen sie in der Gesellschaft aber die Rolle einer Art von Sicherheitsventil. Dann werden Skandale aufgedeckt, die internen Abläufe des Staatsapparats beleuchtet, und es wird größere Transparenz sowie demokratische Kontrolle eingefordert.

Der „Guardian“ hat seine Verkaufszahlen ganz ohne Zweifel steigern können. Dasselbe gilt für seine Einnahmen aus dem Werbegeschäft. Der Grund dafür ist in ganz beträchtlichem Maße, dass die Sensation um Edward Snowden und seine Aussagen über diese Zeitung veröffentlicht wurden. Es gibt fast keine Ausgabe, in der nicht irgendein Bezug auf Snowden zu lesen wäre. Dazu zählen auch Artikel, die sich mit Themen wie „Das Recht, vergessen zu werden“ oder rechtlichen Schritten gegen „Google“ befassen.

Als das Blatt das von Snowden zur Verfügung gestellte Material zum „Überwachungsstaat“ veröffentlicht hat, ist es ein enormes Risiko eingegangen. Es mussten dafür große Summen – nicht zuletzt für die nötigen RechtsanwältInnen – in die Hand genommen werden. Die RedakteurInnen des „Guardian“ mussten notwendiger Weise äußerst diskret vorgehen. Schließlich drohte man auch ihnen für den Fall, dass sie sich von dem Snowden-Material nicht wieder trennen würden, plötzlich mit Gefängnis und Haftstrafen. (Und das trotz der Tatsache, dass Kopien des besagten Materials bereits „in großem Umfang“ in Berlin, Brasilien und Washington kursierten.) Sie mussten mit ansehen, wie Behördenvertreter ihre Büroräume aufsuchten, um ihre Computer auseinanderzunehmen. Überwacht wurde diese Aktion von zwei Angestellten des GCHQ, die extra aus der Zentrale des Nachrichtendienstes in Cheltenham gekommen waren und von den JournalistInnen prompt den Spitznamen „die Hobbits“ verliehen bekamen!

Wenige Stunden nachdem im vergangenen Jahr der erste Snowden-Artikel erschienen war, tauchten Mitarbeiter des Straßenbauamts vor dem Bürogebäude des „Guardian“ in der Broadway auf, rissen den Bürgersteig auf und „erneuerten“ diesen. Dasselbe geschah kurze Zeit später vor der Dependence des „Guardian“ in Washington und schließlich auch vor dem Wohnhaus des Chefredakteurs für die USA im New Yorker Stadtteil Brooklyn! Als Luke Harding für ein Interview mit Glenn Greenwald, einem der Journalisten, die Snowden in Hong Kong getroffen hatten, nach Rio de Janeiro reiste, erhielt er in seinem Hotel sogleich Besuch von einem adrett gekleideten, großgewachsenen US-Amerikaner, der ihm sehr freundlich gegenübertrat und ihm die Sehenswürdigkeiten der Copacabana zeigen wollte!

Die „Affäre Miranda“ wäre genauso lächerlich und vielleicht sogar amüsant gewesen, wenn sie für David Miranda selbst nicht so Angst einflößend gewesen wäre. Unter Bezugnahme auf ein Gesetz, mit dem eigentlich Terroristen außer Gefecht gesetzt werden sollten, wurde er im Transitbereich des Flughafens London Heathrow festgenommen. Er stand unter Beobachtung, weil er der Lebenspartner des Journalisten Greenwald ist und man vermutete, dass er Informationen übermitteln könnte, die die Sicherheit des britischen (und US-amerikanischen) Staates gefährden könnten. Seine Befragung dauerte neun Stunden! Auch sein Laptop wurde „festgesetzt“ und – ohne jede rechtliche Grundlage – zerstört. Mittlerweile hat Miranda rechtliche Schritte eingeleitet und lässt von den Gerichten prüfen, ob seine Festnahme rechtmäßig war (was ebenfalls Thema im „Guardian“ war). (Mirandas Partner, Glenn Greenwald, prüft unterdessen gemeinsam mit der Organisation „Privacy International“, wie man gegen die Hacker-Angriffe des GCHQ vorgehen kann.)

Noch faszinierender ist die Geschichte, die Harding an der Stelle erzählt, als er beschreibt, was geschah, als er gerade an einem ganz bestimmten Kapitel seines Buches arbeitete. Es ging dabei um die Offenlegung der „engen und geheimen“ Verbindungen der NSA zu US-amerikanischen Technologieunternehmen, was zweifelsohne die „Grundfesten“ der Behörde beschädigt hätte. Das Kapitel, an dem er gerade schrieb, begann sich plötzlich von selbst zu löschen! Erst als eine deutsche Zeitung einen Artikel über diesen mysteriösen Vorfall schrieb, stoppte der Löschungsvorgang. (Kein Wunder, dass der russische Geheimdienst wieder auf die die gute alte Schreibmaschine zurückgreift!)

All diese Beispiele zeigen, wie paranoid der britische und der US-amerikanische Geheimdienst sind. Das erklärt auch, warum die Zeitungen, die die entsprechenden Artikel veröffentlicht haben, besondere Verkehrungen getroffen haben. Schließlich sollte der Aufenthaltsort von Snowden – selbst als sie ihre Interviews mit ihm in einem Hotelzimmer in Hong Kong mitschnitten – absolut geheimgehalten werden.

Bradley Manning (der heute Chelsea heißt) wurde bereits einige Jahre zuvor vor Gericht gestellt und zu 35 Jahren Gefängnis verurteilt, weil er/sie illegale Aktivitäten der USA in Afghanistan und dem Irak veröffentlicht hat. Niemand, der Anfang 20 ist, freut sich über eine derartige Zukunftsperspektive. Hinzu kommt, dass seriöse MedienvertreterInnen es sich nicht leisten können, ihre Quellen zu gefährden, indem sie sie der Gefahr aussetzen, am Ende im Gefängnis landen zu können. In den USA droht einem freien Mitarbeiter eine Haftstrafe von 105 Jahren, wenn er Information nutzt, die durch einen Hackerangriff eines Privatunternehmens mit engen Verbindungen zur Regierung ausgespäht wurden.

Angriff auf die demokratischen Grundrechte

Die Geschichte, wie Snowden sich plötzlich in einer Wohnung in einem Vorort von Moskau wiederfindet, ist für jedeN KrimiautorIn Gold wert. Aus der Sicht von Snowden ist es aber nicht er, der kriminell vorgegangen ist, sondern es sind die Regierungen, die sich über grundlegende Menschenrechte hinweggesetzt haben und weiterhin hinwegsetzen.

Snowden begann seine berufliche Karriere in der Armee, arbeitete dann für die CIA und in den Büros der NSA in Genf, wo seine Arbeit darin bestand Daten zu sammeln. Er hatte sich nicht deshalb freiwillig für diese Arbeit gemeldet, weil er als „Linksradikaler“ vorhatte, als Maulwurf zu fungieren und den Staat zu unterminieren, wie es ein Autor zu Papier gebracht hat. Im Gegenteil war er tief besorgt um die Sicherheit seines Heimatlandes und die Verteidigung aller seiner demokratischen Werte. So zum Beispiel das Recht auf freie Meinungsäußerung, das – so dachte er – von der US-amerikanischen Verfassung geschützt würde. „Leidenschaftlich glaubte er an den Kapitalismus und den freien Markt“ (Harding, Luke: „The Snowden Files“, S. 29.).

Als er sich auf seinem Flug nach Hong Kong befand hatte Snowden keine Illusionen mehr in Präsident Barack Obama. In diesem Zusammenhang schreibt etwa die Zeitung „New Internationalist“ in ihrer April-Ausgabe: „Die Obama-Administration hat – entgegen all ihrer Verlautbarungen über das Recht auf freie Meinungsäußerung – mehr Anklagen gegen >whistle-blower< erhoben, als alle anderen Präsidenten seit 1917 zusammen“.

Nach dem 11. September 2001 waren viele „Demokraten“ genauso davon überzeugt wie der damalige Präsident Bush, dass die Machtbefugnisse des Staates, was die Möglichkeiten der Überwachung anging, ausgeweitet werden müssten. „Im darauf folgenden Jahrzehnt entstand sowohl in Amerika als auch in Großbritannien ein neuer politischer Wille, in die Privatsphäre des Einzelnen einzudringen“ (ebd., S. 85.).

Diese Schlussfolgerung geriet jedoch in Schieflage, vor allem deshalb, weil Bin Laden, der Anführer von „al Kaida“, sich des Zugriffs auf ihn entziehen konnte. Der Herausgeber der „Hindu“-Zeitung schrieb in diesem Zusammenhang: „Osama bin Laden brauchte nicht die Enthüllungen Edward Snowdens über [das Daten-Sammel-System] PRISM, um zu begreifen, dass die USA alle bits und bites der elektronischen Kommunikation ausspähen. Er hatte bereits aus der Welt der Telefonie seine Lehren gezogen und machte daher wieder Gebrauch von herkömmlichen Kurieren. Doch Millionen von Menschen in den USA, Großbritannien, Brasilien, Indien und andernorts – darunter auch die führenden Politiker der einzelnen Länder, Energieunternehmen und andere, die aus niederen Beweggründen ausspioniert wurden – wussten nichts davon, dass ihre Privatsphäre kompromittiert wurde“ (ebd., S. 320.).

In den USA hat ein Bundesrichter befunden, dass der Lauschangriff der NSA gegen die Verfassung verstößt. Er führte aus, dass die Regierung nicht ein Beispiel dafür nennen könne, dass die Datenauswertung der NSA tatsächlich einen geplanten Terroranschlag gestoppt hätte.

Auch wenn das Horten detaillierter Informationen über Privatpersonen vielleicht den Anschein erregen könnte, dem Grundrecht auf Privatheit der „normalen“ BürgerInnen zuwiderzulaufen, so hinderte dies die Regierung nicht daran, privaten Unternehmen enorme Summen zu überweisen, damit diese als Gegenleistung mit ihr kooperieren. Der Konzern „American Telephony“ akzeptierte es, ein sogenanntes „Metadaten-Programm“ aufzuspielen, mit dem sämtliche Telefonate aufgezeichnet werden können, um diese Aufzeichnungen dann der NSA zu übergeben. „Google“, „Facebook“, „Apple“ und alle anderen großen Internet-Unternehmen willigten ein, mit dem Überwachungsstaat zu kooperieren und erlaubten es diesem, auf all ihre Daten zurückzugreifen. Sie bettelten sogar darum, dies tun zu dürfen … um sich am Ende dafür auch noch bezahlen zu lassen! (Insgesamt beläuft sich die Summe, die allen fünf Abhördiensten der Staaten USA, Großbritannien, Australien, Kanada und Neuseeland zur Verfügung steht auf 120 Milliarden US-Dollar.)

Die Briten bewiesen dabei übrigens einen ganz besonderen Enthusiasmus und gingen noch geheimnistuerischer mit den von ihnen angehäuften Informationen um als die NSA. Mit Hilfe von faseroptischen Kabeln auf dem Grund des Atlantik sorgte man dafür, dass 100 Prozent der Kommunikationstätigkeiten nach und innerhalb Großbritannien(s) abgefangen wurden. Als ans Tageslicht kam, was in den geheimen Anlagen von Bude, einem kleinen Ort in der Region Cornwall, vor sich ging, bekam der Begriff „besondere Partnerschaft“ für das Verhältnis zwischen Britannien und den USA plötzlich eine ganz neue Bedeutung. Nicht einmal alle Regierungsmitglieder waren über das ganze Ausmaß der illegalen Methoden, die dort zur Anwendung kamen, eingeweiht. Angeblich sollten damit die BürgerInnen Großbritanniens (und der Welt!) geschützt werden. Kein Wunder, dass man hinter Snowden herjagte, bevor dieser etwas „ausplaudern“ konnte!

Auf der Flucht

Noch bevor er zum „whistle-blower“ wurde, arbeitete auf Hawaii, danach in Genf und schließlich in Japan. Nun arbeitete er für „ein langjähriges Mitglied aus der Waffen- und Militärbranche“, so John Naughton in der britischen Zeitung „The Observer“, der damit eine gewisse Firma namens „Booz Allen Hamilton“ beschrieb. Es handelt sich hierbei um ein Unternehmen mit 24.500 Beschäftigten, einem Börsenwert von 2,5 Mrd. US-Dollar und jährlichen Einnahmen von 5,8 Mrd. Dollar.“ („The Observer“, 23. März 2014).

Als Snowden sich dann entschieden hatte, alles an die Öffentlichkeit zu bringen, musste er erst einmal sicherstellen, dass er von der Insel überhaupt wieder verschwinden konnte. Nicht einmal seiner Freundin, Lindsay Mills, konnte er eine Nachricht zukommen lassen, um ihr mitzuteilen, dass er gehen wird – geschweige denn wohin.

Nachdem dann mit den Journalisten Ewen McAskill, Greenwald und der Dokumentarfilmerin Laura Poitras detaillierte Verabredungen getroffen worden waren, um sich geheim mit Snowden in Hong Kong zu treffen, begann er damit, in Interviews mit ihnen ziemlich verheerende Aussagen zu machen. Für ihre Arbeiten erhielten die Journalisten eine ganze Reihe von Presseauszeichnungen.

In accepting the George Polk award for national security reporting, Poitras said: „Dieser Preis geht nun aber wirklich an Edward Snowden“. Greenwald meinte, dass jede dieser Auszeichnungen eine Rechtfertigung für das ist, was Snowden getan hat und dass er „Anerkennung verdient anstelle von Anklagen und jahrelanger Haft“. Snowden selbst ist jüngst nach Deutschland eingeladen worden, um vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss auszusagen, der angesichts der Überwachung durch die NSA eingerichtet wurde. Doch nur weniger Stunden, bevor Kanzlerin Merkel zu einem in ziemlich angespannter Atmosphäre abgehaltenen Treffen aufbrach, verweigerte ihm die Regierung die Einreise. Merkel war auf dem Weg in die USA, um dort ausgerechnet ein „auf Gegenseitigkeit beruhendes Nicht-Spionage-Abkommen“ zu unterzeichnen!

Als er in Hong Kong war (wo man ihm lächerlicher Weise den Vorwurf machte, mit dem chinesischen Staat zusammenzuarbeiten), zog sich das Netz um ihn immer enger zusammen. („Wenn ich ein Agent Chinas wäre, weshalb bin ich dann nicht auf direktem Weg nach Peking geflohen? Dort könnte ich wahrscheinlich in einem Palast leben, und mittlerweile wieder meine Katze streicheln“.) Sarah Harrison, die Mitarbeiterin eines anderen „flüchtigen whistle-blowers“ (Julian Assange), bot ihm ihre Hilfe an. Sie reiste nach Hong Kong, um ihm die nötigen Papiere zu besorgen und ihn aus dem Land heraus zu begleiten. Mittlerweile gilt auch sie als flüchtig und darf nicht mehr nach Großbritannien zurückkehren, wo sie unter Bezugnahme auf Absatz sieben des Anti-Terrorgesetzes festgesetzt werden könnte.

Dieses Gesetz, so beschreibt sie es, ist gemacht worden, um als „Gesetz oder Drohung verstanden zu werden, >mit dem die Regierung beeinflusst werden soll<, es >wurde mit der Absicht formuliert, um in politisch, religiös, rassistisch oder ideologisch begründeten Fällen weiterzukommen< und um dann zum Einsatz zu kommen, wenn es zu >schweren Sicherheitsbedenken< hinsichtlich der Gesundheit oder der Sicherheit der Öffentlichkeit kommt“. Das an sich sollte allen AktivistInnen schon Sorge bereiten. „Nationale Sicherheit“, so ergänzt sie, „ist ein Schlagwort, das von Regierungen bemüht wird, wenn es darum geht, die eigenen illegalen Handlungen zu rechtfertigen. Dabei kann es sich um den Einmarsch in ein anderes Land handeln oder um das Ausspionieren der eigenen BürgerInnen.“ (aus: „The Guardian“, 15. März 2014). Sarah Harrison geht davon aus, dass selbst die Suffragetten (Kämpferinnen für die Rechte der Frau; Anm. d. Übers.) und die Menschen, die sich am Protestmarsch von Jarrow (für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen im vorletzten Jahrhundert; Anm. d. Übers.) beteiligten, rechtlich belangt worden wären, wenn es damals schon ein solches Gesetz gegeben hätte.

Eine entschlossene Massenbewegung kann von Gesetzestexten jedoch nicht aufgehalten werden. Gegen Paragraphen ist erfolgreicher Widerstand möglich, und am Ende kann man sie auch wieder aufheben. SozialistInnen und GewerkschafterInnen müssen aber gegen jeden Versuch des Staates angehen, die Opposition gegen die Herrschenden in Ketten legen zu wollen. Nachdem Snowden das geheime Sammeln der Daten von Parlamentsmitgliedern als Teil der geheimen „Tempora“-Operation des GCHQ ans Licht gebracht hat, sind vor noch nicht allzu langer Zeit zwei Politiker der „Grünen“ gegen die Regierung vorgegangen. (Warum sie nicht im Sinne aller in Britannien Ausgespähten handelten, bleibt ihr Geheimnis!) Ihnen wurde entgegnet, dass das GCHQ „seine geheimdienstlichen Tätigkeiten üblicherweise nicht kommentiert“!

Am 23. Juni dann schafften es Sue Harrison und Edward Snowden, aus Hong Kong herauszukommen und vom Flughafen aus, auf dem Weg nach Kuba, bis nach Moskau zu gelangen. Dort dauerte es weitere 39 Tage, bevor Snowden den Ankunftsbereich auf dem Moskauer Airport Scheremetjewo verlassen konnte. Sein Pass ist von den USA für ungültig erklärt worden. Schließlich beschuldigte man ihn bereits seiner „kriminellen Machenschaften“ gegen den Staat.

PilotInnen und eine ganze Reihe europäischer Flughäfen erhielten beunruhigende Anweisungen, wonach kein Flugzeug landen dürfe, das möglicherweise Edward Snowden an Bord habe. Eines dieser Flugzeuge beförderte gerade den bolivianischen Präsidenten Evo Morales, der von einer Konferenz in Moskau auf dem Weg nach Hause war. Auch ihm verweigerte man in einer Reihe europäischer Länder die Landerlaubnis, weil man den Verdacht hatte, auch Snowden könne mit an Bord der Maschine sein!

In einer anlässlich einer Pressekonferenz gehaltenen Ansprache auf dem Moskauer Flughafen erklärte Edward Snowden dann am 12. Juni des vergangenen Jahres, in was für einer Situation er sich befinde und weshalb er so große Opfer aufgenommen habe, um seine Mission zu erfüllen. Ironischer Weise wurde diese Pressekonferenz trotz der bekanntermaßen starken Abneigung eines Herrn Putin gegenüber NGOs vornehmlich von NGOs organisiert, die sich mit Menschenrechtsfragen befassen. Am Ende nahmen 150 JournalistInnen und FotografInnen daran teil.

Weil er ganz offensichtlich nach Russland gekommen war, wollten einige KommentatorInnen Snowden schon als „neuen Kim Philby“ (Doppelagent des „Kalten Krieges“; Anm. d. Übers.) hochstilisieren. Am 17. April stellte der Putin vor laufenden Kameras und live im russischen Fernsehen einige heikle Fragen und bereinigte damit im Prinzip alle bisherigen Unklarheiten. So fragte er den russischen Präsidenten: „Fängt [Ihr Land] die Kommunikation von Millionen von Menschen ab, analysiert oder speichert diese?“. Und: „Wenn dies theoretisch legal wäre, könnte ein solches vorgehen moralisch überhaupt gerechtfertigt werden?“. Laut Snowden „verneinte“ Putin die erste Frage und „umging“ die zweite.

Der ausgeklügelte Staatsapparat

Der Staat, wie Lenin es ausführt, ist das „Exekutivkomitee“, das ausführende Organ der herrschenden Klasse in der Gesellschaft. Das von Snowden aufgedeckte Ausspionieren richtete sich nicht nur gegen „befreundete“ Staaten sondern auch gegen Millionen von unschuldigen Privatpersonen. Im Kapitalismus spielt sich die „Demokratie“ in sehr klar abgesteckten Grenzen ab. Dazu gehört auch, dass die Abgeordneten, die in die Parlamente gewählt werden, den Anschein erwecken sollen, als entscheide in Wirklichkeit „das Volk“.

Die Politik, die bewaffneten Kräfte, Gerichte, Gefängnisse und die „akzeptierten“ Medien sind allesamt Teil eines ausgeklügelt verschachtelten Apparates, der aufgebaut wurde, um zu verhindern, dass die viel zitierten „99 Prozent der Bevölkerung“ das viel zitierte „eine Prozent“ vom Sockel stößt, das den unverhältnismäßig größeren Anteil am vorhandenen Reichtum einheimst, weil ihm der Großteil des Bodens, der Industrie, der Banken und der Wirtschaft gehört. Im Kapitalismus hat der Staat außerdem die Aufgabe, die nationalen Interessen gegen die Interessen anderer kapitalistischer Staaten und ihrer herrschenden Klassen zu verteidigen. Infolgedessen kommt es zur geheimen Ausspähung der anderen Staaten durch den mächtigsten aller Staaten.

Snowden erkannte nicht nur, wie die US-amerikanische Verfassung im Namen der „Sicherheit“ mit Füßen getreten wurde. Seine „Enthüllungen“ verdeutlichten auch, dass das Mittel des „cyber wars“, der Kriegführung im Internet, nicht allein dem chinesischen Staat obliegt. „Jetzt sieht es danach aus, als habe die NSA dasselbe getan – nur schlimmer!“ (Harding, S. 219). Dass in den USA fünf Militäroffiziere aus China angeklagt worden sind, weil sie US-amerikanischen Großkonzernen angeblich „hunderte Terabytes“ an Daten gestohlen haben, ist ein bislang beispielloser Vorgang. An der Aussage von Generalstaatsanwalt Eric Holder vom 19. Mai wird sehr deutlich, dass der Staat USA unter Inkaufnahme zunehmender Spannungen zwischen den beiden Großmächten der Welt die Interessen der amerikanischen Konzerne verteidigt.

Snowden erlebte hautnah, wie der US-amerikanische und der britische Staat unter Hinweis auf die Sicherheit und nach geheimen Absprachen mit großen Unternehmen sowie einigen Ministern der Regierung fortwährend jede Transparenz verhinderten. Die Tragödie des 11. September 2001 hat sowohl die Schwäche der Geheimdienste offengelegt als auch dazu geführt, dass die Forderungen der Staatsapparate nach wesentlich stärkerer Überwachung und einem umfassenden Ausbau des Militärischen im Interesse der Großkonzerne ungleich zugenommen haben. In Folge dessen wurden Milliarden von Dollar an öffentlichen Geldern, die aus den Steuern der viel zitierten „99 Prozent der Bevölkerung“ stammen, an private Unternehmen beiderseits des Atlantik überwiesen.

Wie hoch diese Ausgaben waren, wurde durch die Veröffentlichung der „Snowden Files“ bekannt. Der Punkt ist, dass eine Bewegung her muss, die stark genug ist, um eine Herausforderung für die Herrschaft des viel zitierten „einen Prozent“ darzustellen und die die Gesellschaft von der schmutzigen Vorgehensweise befreien kann, mit der dieses „eine Prozent“ darangeht, um die alten Zustände zu erhalten. Wir brauchen eine sozialistische Gesellschaft ganz ohne Schnüffler und Spione, die im Endeffekt nur im Interesse der Großkonzerne und ihrer politischen Handlanger agieren.