Sozialismustag der Berliner SAV

FotoAktion und Diskussion

Am 31. Mai fand der lokale Sozialismustag der SAV Berlin im Haus der Demokratie und Menschenrechte statt. Aufgrund der kurzfristig geplanten Demonstration gegen den Bürgerkrieg in der Ukraine wurde das Programm kurzerhand umgestellt und eingeschränkt, um möglichst vielen Genossinnen und Genossen eine Teilnahme an der Demonstration zu ermöglichen.

von Heino Berg, Göttingen

Als die meisten DemoteilnehmerInnen mit ihren Fahnen und Transparenten im Haus der Demokratie eintrafen, diskutierten bereits einige GenossInnen mit Holger Dröge über die Aktualität des Trotzkismus und die Notwendigkeit des weltweiten Aufbaus von neuen Arbeiterparteien. Holger stellte dabei auch das neue Buch der SAV zu diesem Thema vor, das zum beeindruckenden Publikationsangebot auf dem Büchertisch gehörte.

Bilanz der Europawahlen

Anschließend fand die Podiumsdiskussion zur ungelösten Krise der Eurozone und zum Ergebnis der Europawahlen statt, die nach Meinung aller ReferentInnen von einer starken Polarisierung zwischen den politischen Lagern gekennzeichnet waren.

Andreas Wehr, Autor von Büchern und Artikeln über die Europäische Union, betonte, dass nur ein Scheinparlament ohne wirkliche Rechte gewählt worden sei. Diejenigen linken Parteien, die – wie Syriza in Griechenland oder die neue Linke in Spanien – die nationale Souveränität gegen die EU verteidigt hätten, seien stärker geworden, während die Linken in Frankreich, Italien oder Deutschland, die für eine soziale Reform der EU eintraten, kaum Fortschritte gemacht hätten.

Klairie Kountouri von Xekinima, der griechischen Schwesterorganisation der SAV, bewertete den Wahlerfolg von Syriza als positiv, wies aber auch darauf hin, dass Syriza im Verhältnis zu den Juni-Wahlen von 2012 Stimmen verloren habe, während nur die rechtsradikale „Goldene Morgenröte“ zulegen konnte. Die politische Anpassung der Syriza-Führung trübe die Freude darüber, dass sie als stärkste Partei aus den Wahlen hervorgegangen sei. Ein Sturz der Regierung Samaras stehe noch nicht unmittelbar bevor, weil die linken Parteien keine gemeinsame Regierungs- und Aktionsperspektive entwickelt hätten. Sie erläuterte die Bedeutung der Initiative der 1000, an der verschiedene Kräfte – darunter auch Xekinima – beteiligt seien, um linke Kräfte aus SYRIZA, der KKE, Antarysa auf der Grundlage eines sozialistischen Aktions- und Regierungsprogramms zusammen zu bringen.

Leila Messaoudi von Gauche Revolutionäre aus Frankreich erklärte in einer Skype-Übertragung, dass die Front Nationale von Marie Le Pen von der Enttäuschung über die sozialdemokratische Regierung von Hollande profitieren konnte, aber keineswegs stark verankert und schlagkräftig sei. Die „Front de Gauche“ von Melenchon habe keine politischen Perspektiven entwickelt und sich nicht klar genug von den „Regierungssozialisten“ abgegrenzt.

SAV-Bundessprecher Sascha Stanicic meinte, dass die Europawahl den Grundsatz bestätigt hätten: Wer regiert, verliert. Die Proteststimmen für rechte Parteien seien noch kein klares oder dauerhaftes Bekenntnis zu rassistischen Positionen. Die UKIP in Großbritannien habe sich rhetorisch durchaus als „Arbeiterpartei“ gegeben, um das Fehlen einer sozialistischen Massenalternative ausnutzen zu können. Die Linken hätten vor allem dort Dynamik entfalten können, wo sie sich – wie in den Niederlanden, Belgien oder Spanien – kritisch zu den etablierten Parteien und zur EU aufgestellt hätten. Das Abschneiden der deutschen LINKEN sei kein Grund zur Freude, wie Bernd Riexinger sagte, sondern eher Anlass zum Nachdenken.

In der Debatte wurde vor allem die Bezugnahme von Andreas Wehr auf die nationalen Souveränitätsrechte gegenüber der EU diskutiert. Auch wenn auf nationaler Ebene mehr demokratische Rechte und Kampfpositionen als in der EU bestünden, ginge es nicht um einen positiven Bezug auf den Nationalstaat, sondern der Aufbruch zu den Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa.

Diskussion zur ukrainischen Frage

Nach einer kurzen Pause begann die Podiumsdiskussion zur Situation in der Ukraine, die von Wolfgang Gehrcke, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der LINKEN im Bundestag und zuständig für Außenpolitik, eröffnet wurde. Er meinte, dass sich die Ukraine schon mitten im Krieg befinde und dass wir es mit einer faschistisch geprägten Regierung in Kiew zu tun hätten. Er betonte, dass er kein Freund von Putin sei, man aber die Expansionspolitik von Nato und EU in dieser Region nicht mit der eher defensiven Haltung Russlands auf eine Stufe stellen dürfe. Er sagte unter Applaus, dass man in der Region, aber auch darüber hinaus – auch in Deutschland — alle Oligarchen enteignen müsste. Er forderte u.a. die Auflösung der Nationalgarde und den sofortigen Rückzug der Truppen.

Zur Regierungsfrage sagte Wolfgang: „Wenn der Preis der Regierungsteilnahme der Linken eine andere Außenpolitik ist, ist mir der Preis zu hoch. Dann kann man in der Opposition mehr bewegen.“ Die Hoffnung zu nähren, es könne eine Verständigung mit SPD und Grünen für eine Regierung in 2017 geben, sei falsch. Er frage sich, auf welcher inhaltlichen Grundlage das denn stattfinden solle.

Lucy Redler, Bundessprecherin der SAV, ging zunächst auf die Haltung der LINKEN zur Friedenspolitik ein. Die Enthaltungen und Ja-Stimmen für den Einsatz der Bundeswehr im Mittelmeer hätten eine Tür geöffnet. Sie betonte aber auch, dass sich die Parteilinke lautstark zu Wort gemeldet habe, um die friedenspolitischen Prinzipien der Partei zu verteidigen. Wichtig sei die Verbindung von der Friedensfrage und der Regierungsfrage. Vor dem Beginn des Kriegs gegen Jugoslawien durch die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 1999 hätten die Grünen auch nicht ihre Zustimmung zu Kriegseinsätzen gegeben. Die bisherigen Haltelinien seien nicht ausreichend, um einen Glaubwürdigkeitsverlust wie in Brandenburg zu verhindern, wo die LINKE den Erhalt ihrer Ministerposten über ihre Wahlversprechungen zur Braunkohle gestellt habe. Rot-rote Landesregierungen seien keineswegs ein „Exportschlager“ wie Katja Kipping meint, sondern das Gegenteil. Lucy sprach sich gegen Koalitionen mit Kriegsparteien und stattdessen für eine Einzelfallunterstützung derjenigen Maßnahmen von Rot-Grün aus, die im Interesse der Bevölkerung liegen.

In der Ukraine gehe es letztlich um eine neue Welt(un)ordnung. Die NATO- und EU-Osterweiterung und die Unterstützung politisch genehmer Kräfte in der Ukraine durch westliche Stiftungsgelder würden mit dem Ziel betrieben, den Einfluss Russlands zu schwächen. Das Kapital und seine Regierung in Russland sei schwächer als seine Konkurrenten in den USA und der EU, verfolge aber ebenfalls imperialistische Interessen. Daraus sollte man aber nicht ableiten, Putins Politik nicht zu kritisieren oder darin einen progressiven Gegendruck zu erkennen in der Logik „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“. Die Grenzen verliefen zwischen Oben und Unten – und nicht zwischen Ost und West. Die erste Aufgabe von Sozialisten seien nicht diplomatische Appelle an die Herrschenden, sondern die Solidarität mit allen Ansätzen für eine unabhängige Arbeiterbewegung, die sich in der Ukraine immerhin auf Gewerkschaften und linke Kräfte stützen könne. Sie nannte Beispiele von Demonstrationen und Streiks von Bergarbeitern in verschiedenen Regionen.

Tobias Pflüger, stellvertretender Parteivorsitzender DIE LINKE und Mitglied im Vorstand der Informationsstelle Militarisierung, betonte, dass die Friedensfrage im Zentrum linker Politik stehe. Ihr seien alle anderen Fragen unterzuordnen. Wenn die LINKE Auslandseinsätzen zustimme, würde sie sich überflüssig machen. Unter den Funktionären der LINKEN gäbe es sicher einige, die solche Prinzipien aufweichen wollten, aber an der Basis gäbe es dagegen klare Mehrheiten. Auch wenn programmatische Grundsätze allein nicht ausreichen würden: Eine Absage an alle Auslandseinsätze (und nicht nur an Kampfeinsätze) würde eine Beteiligung der LINKEN an der Bundesregierung faktisch ausschließen, allerdings nicht für Landesregierungen, wo sich diese Fragen z.B. bei Rüstungsmessen aber auch sehr konkret stellen würden.

Die EU verhalte sich in der Ukraine wie ein imperialistischer Akteur unter Führung der Bundesregierung. Er erläuterte das Ziel des EU-Assoziierungsabkommens und die Ziele der EU-Osterweiterung. Es ginge um Freihandel und klassische neoliberale Politik wie Privatisierungen. Dasselbe was heute in Griechenland geschehe, sei auch in der Ukraine geplant. Die LINKE müsse sich gegen die sogenannten „Antiterror-Einsätze“ in der Ostukraine und gegen das Verbot der Kommunistischen Partei in der Ukraine wenden, auch wenn diese durch ihre Unterstützung von Janukowitsch viel Glaubwürdigkeit verloren habe. Steinmeier, der ja auch mit Faschisten rede, habe ein solches Verbot nur als „unklug“ bezeichnet. Auch Wolfgang Gehrcke meinte in der Debatte, dass die Kommunistischen Parteien in der Ukraine und in Russland wichtige Gesprächspartner für Linke seien.

In der Diskussion verteidigten mehrere TeilnehmerInnen den Slogan „Obama, Merkel, Putin: Hände weg von der Ukraine“ gegen Kritik an dieser sogenannten „Äquidistanz“. Selbstverständlich sei der „Hauptfeind“ für uns in Deutschland die Bundesregierung und die EU, aber wir dürften nicht den Eindruck erwecken, dass wir Putin und die russischen bzw. ukrainischen Oligarchen entschuldigen würden.

Einigkeit bestand darüber, dass DIE LINKE außerparlamentarische Solidaritätsaktionen gegen den drohenden Krieg in Europa mit organisieren müsse. Die Demonstration am Samstag, für die FriedensaktivistInnen und auch „Linke in der LINKEN“ die Initiative ergriffen hatten und auf der auch Tobias sprechen konnte, sei dafür ein guter Auftakt gewesen.

Fazit

Der Berliner Sozialismustag war – ähnlich wie die bisherigen dezentralen Veranstaltungen der SAV – eine gelungene Mischung von praktischer Aktion bei der Demonstration und fundierter Diskussion über die Bedingungen und Aufgaben von SozialistInnen in Deutschland und Europa.

Insgesamt nahmen etwas mehr als 80 Menschen an den Veranstaltungen teil. Die TeilnehmerInnen, darunter auch GenossInnen aus Niedersachsen und aus Rostock, konnten wertvolle Anregungen und Erfahrungen mit nach Hause nehmen. Ein Mitstreiter aus Göttingen ist am Samstag in die SAV eingetreten, was nicht nur den Berichterstatter sehr gefreut hat.