Tarifrunden 2014 – eine Zwischenbilanz

by ver.di Niedersachsen
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Starke Stimmung, der Niedriglohnpolitik Einhalt zu gebieten

von Torsten Sting, Rostock

In den vergangen Monaten wurden Abschlüsse in den Bereichen Druck, Chemie, Öffentlicher Dienst und der Telekom getätigt. Diese fanden vor dem Hintergrund einer in Deutschland noch recht stabilen ökonomischen Situation statt.

Die exportorientierte Industrie steht im Verhältnis zu vielen ausländischen Konkurrenten aktuell gut da. Aufgrund sprudelnder Gewinne hat sich die Lage der Haushaltskassen des Staates ebenfalls etwas entspannt (wobei es in einigen Kommunen und Bundesländern dramatisch bleibt). Hinzu kommt, dass die neu gebildete Große Koalition gerade nicht auf einen heftigen Konflikt mit den Gewerkschaften ausgerichtet ist.

Druck und Chemie

In der Druckbranche wurden vier „Nullmonate“ und danach drei Prozent mehr Lohn sowie weitere ein Prozent ab April 2015 bei einer Laufzeit von insgesamt 27 Monaten vereinbart.

Im Chemiesektor gibt es bei einem „Nullmonat“ und einer Vertragsdauer von 14 Monaten Gehaltserhöhungen von 3,7 Prozent. Erkauft wurde dies mit einer weiteren Aufweichung des Flächentarifvertrages. Die Erhöhung der Entgelte kann bis zu zwei Monate verschoben werden, wenn der Betrieb sich in „wirtschaftlichen Schwierigkeiten“ befindet. – In der Chemieindustrie existieren sicherlich Sonderfaktoren: Zum einen überdurchschnittlich hohe Gewinne, zum anderen eine besonders rechte Gewerkschaftsführung, der überhaupt nicht an einer Konfrontation gelegen ist.

Telekom

Hier gibt es nach zwei „Nullmonaten“ in diesem Jahr eine Lohnerhöhung von 2,9 für die unteren beziehungsweise 2,5 Prozent für die höheren Gehaltsgruppen. Im nächsten Jahr sind es 2,1 Prozent für alle Beschäftigten. Von den 72.000 KollegInnen haben sich 50.000 an Warnstreikaktionen beteiligt.

Im Übrigen ist es dem Arbeitgeber gelungen, die 28.000 KollegInnen von T-Systems (für die ver.di ebenfalls 5,5 Prozent gefordert hat) zu isolieren. In diesem relativ schlecht organisierten Bereich drohen auch noch 4.900 Entlassungen.

Öffentlicher Dienst

Die wichtigste Auseinandersetzung fand bei den über zwei Millionen Beschäftigten des Bundes und der Kommunen statt. Herausgekommen ist eine Entgelterhöhung ab dem 1. März von drei Prozent, mindestens jedoch 90 Euro monatlich und eine Stufenerhöhung von 2,4 Prozent ab dem 1. März 2015. Die Laufzeit gilt bis Ende Februar 2016. Eine Verbesserung gab es beim Urlaub; für alle gibt es wieder 30 Tage im Jahr. Über 300.000 Kolleginnen und Kollegen haben sich an den Warnstreiks beteiligt.

Bewertung

Die Durchsetzung einer sozialen Komponente im Öffentlichen Dienst, die den schlechter verdienenden Beschäftigten zu Gute kommt, ist ein wichtiger Fortschritt. Dies ist auch dem Druck vieler KollegInnen und Gewerkschaftsaktiven zu verdanken, die – nach der Enttäuschung und Kritik in der Tarifrunde 2012 – stark darauf gepocht haben. Dies kann ein Signal für andere Branchen sein.

Angesichts einer offiziell niedrigen Inflationsrate von derzeit einem Prozent gab es auch in linken Medien die Einschätzung, dass es sich um einen hohen Abschluss handelt. Legt man jedoch die hohen Preissteigerungen bei Lebensmitteln oder Mieten zugrunde, relativiert sich diese Aussage deutlich. Negativ ist zudem die lange Laufzeit des Vertrags (wie in den meisten anderen Branchen); damit gelingt es wieder nicht, die Tarifrunde der Länder mit der von Bund und Kommunen zusammenzubringen.

Kampfbereitschaft

Bei den zwei großen Warnstreikwellen im Öffentlichen Dienst war die Beteiligung sehr gut. Gerade in den Bereichen Nahverkehr und Flughäfen wurde die Macht der arbeitenden Bevölkerung eindrucksvoll zur Schau gestellt. Dass dies nicht zur vollen Durchsetzung der Forderungen führte, ist der Haltung der ver.di-Spitze geschuldet, die einem dafür nötigen Streik aus dem Weg gehen wollte.

Es hat sich auch gezeigt, dass Arbeitsverdichtung und Personalmangel aus Sicht vieler Beschäftigter des Öffentlichen Dienstes eine immer größere Rolle spielt. Daneben ist die Wut über die immer weiter auseinander klaffende Einkommensschere groß. Hier herrscht für viele Nachholbedarf. Leider wurde es verpasst, diese generell verbreitete Stimmung zu nutzen, und die einzelnen Tarifkonflikte in eine breitere gesellschaftliche Bewegung münden zu lassen. Bei der im Oktober anstehenden Konferenz „Erneuerung durch Streik“ sollten die Lehren daraus mitdiskutiert werden: www.rosalux.de/streikkonferenz