DIE LINKE bleibt Antikriegspartei

Foto: https://www.flickr.com/photos/die_linke/
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Zum Bundesparteitag der LINKEN

Wer von den Ergebnissen des LINKE-Bundesparteitags vom vergangenen Wochenende in Berlin eine klare Prognose für die weitere Entwicklung der Partei ableiten will, wird sich schwer tun. Die Entscheidungen, Wahlergebnisse und politischen Reden weisen in unterschiedliche Richtungen. Eins aber kann man sicher sagen: es ist Leben in der Partei. Und es wurde einmal mehr durch den Parteitag unterstrichen: DIE LINKE ist die einzige Antikriegspartei im deutschen Bundestag.

Von Sascha Stanicic

Nachdem der Europarteitag im Februar diesen Jahres einen Schritt nach Rechts in der Entwicklung der LINKEN markierte, schlug das Pendel an den ersten zwei Tagen des Berliner Parteitags in die andere Richtung aus – um dann bei den Wahlen zu den männlichen Mitgliedern des erweiterten Parteivorstands am Sonntag wieder umzukehren. Das weist darauf hin, dass erstens die Mehrheitsverhältnisse unter den Delegierten nicht in Stein gemeißelt sind (und eine beträchtliche Zahl nicht fest zu einem Lager bzw. einer der organisierten Strömungen gehört) und zweitens Parteitage dynamische Prozesse sind.

Die Tatsache, dass dieser Parteitag in der heißen Phase des Wahlkampfs für das Europaparlament und zehn Kommunalwahlen stattfand, spricht nicht für die Verfasstheit der Partei. Offensichtlich sollte hier ein Wahlkampf-Medienevent veranstaltet werden.

Angemessener wäre es wohl gewesen, einen Bundesparteitag zu einem Zeitpunkt stattfinden zu lassen, zu dem dieser besser in den Ortsverbänden vordiskutiert werden kann und die Delegierten sich nicht zwischen Durchführung eines Info-Standes und Lesen der Antragsmappen entscheiden müssen. Das nächste Mal sollte zudem einfachen Parteimitgliedern ermöglicht werden, im Saal am Parteitag teilzunehmen und auch mit Delegierten diskutieren zu können.

Im Mittelpunkt dieses Parteitags standen eine Vielzahl von Änderungsanträgen zur Satzung, die Debatte um die Ukraine, die Kommunal- und Landtagswahlen und die Wahl zum Parteivorstand.

Satzungsdebatte

Zurecht wurde der Zeitpunkt einer Satzungsdebatte angesichts der dramatischen politischen Entwicklungen hinsichtlich der Ukraine und des Diskussionsbedarfs innerhalb der Partei dazu in Frage gestellt. Doch Ordnung muss scheinbar sein und da es hieß, dass extra aufgrund der zu klärenden Satzungsfragen zu einem dreitägigen Parteitag eingeladen worden sei, hatten Änderungsanträge zur Tagesordnung, die ein Streichen der Satzungsdebatte zum Ziel hatten, keine Chance.

Unter vielen semantischen und zweitrangigen Anträgen befanden sich jedoch einige mit großer Sprengkraft, weil sie an die demokratischen Strukturen der LINKEN rührten. Diese waren unter anderem vom Forum demokratischer Sozialismus (FdS), dem so genannten Reformer- (also rechtem) Flügel der Partei, eingebracht worden. Dabei ging es um Anträge, die die Rechte der innerparteilichen Zusammenschlüsse und des Bundesausschusses einschränken und die Zahl der Parteivorstandsmitglieder von 44 auf 30 reduzieren wollten. Das zielte sicherlich auch darauf ab, den Einfluss der Parteilinken einzuschränken, die in den Zusammenschlüssen stärker vertreten ist. Alle diese Anträge wurden deutlich abgelehnt, während gleichzeitig die Delegiertenzahl für den Jugendverband beim Bundesparteitag von zwanzig auf dreißig erhöht wurde. Zudem beschloss der Parteitag in knapper Abstimmung einen Antrag, der die Fraktion auffordert, bis zum Ende des Jahres eine Doppelspitze zu wählen. Leider wurde flugs aus der Führung der Partei und Fraktion bekräftigt, dass dieser Antrag die Fraktion nicht binde und es sich nur um eine Empfehlung handle.

Alles in allem waren die Abstimmungen am ersten Tag der Beratungen erste Punktsiege für die Parteilinke und ließen darauf hoffen, dass es nicht einfach eine Fortsetzung des Hamburger Parteitags vom Februar geben würde.

Ukraine

Die Krise in der Ukraine war das zentrale Thema des Parteitags. Durch den Druck der Parteilinken war es gelungen, dazu eine Generaldebatte von ungefähr einer Stunde durchzusetzen. Die Ablehnung von Krieg und Militarismus und die Warnung vor den Faschisten in der Ukraine zog sich durch viele Redebeiträge. Sevim Dagdelen, Mitglied der Linksfraktion im Bundestag, bekam viel Applaus, als sie forderte, dass die NATO aufgelöst werden müsse. Lucy Redler, Mitglied des AKL- BundessprecherInnenrats und der SAV, sprach sich dafür aus, jetzt in allen Orten Schritte zu unternehmen, um eine Antikriegsbewegung aufzubauen und den Protest gegen den Krieg und die westliche Medienpropagandha nicht rechten Verschwörungstheoretikern zu überlassen.

Verschiedene GenossInnen der Parteilinken hatten sich vor dem Parteitag auf einen Antragstext geeinigt, der ein deutliches Signal gegen die Kriegsgefahr, gegen die Beteiligung von Faschisten an der Kiewer Regierung und gegen die Politik der Bundesregierung, von NATO und EU zum Ausdruck brachte, gleichzeitig aber keine ausreichend klare Distanzierung von Putin beinhaltete und die Lösung der Krise weitgehend in bürgerlich-kapitalistischer Diplomatie und einer „Rückkehr zum Völkerrecht“ verortete. Dieser Antrag wurde kurz vor dem Parteitag im Parteivorstand diskutiert, mit einigen Änderungen übernommen, über die dann hinter den Kulissen gestritten und verhandelt wurde. Am umstrittensten war dabei eine neu eingebrachte Formulierung, die von vielen als einseitige Schuldzuweisung an Russland verstanden wurde. Es war deshalb nachvollziehbar, dass dies im Verlauf des Parteitags korrigiert wurde und es am Ende hieß, dass die Verantwortung für die Ukraine-Krise nicht „in erster Linie“ Russland trage.

Letztlich kam eine Einigung auf einen Text heraus, der zwar richtigerweise vor einem drohenden Krieg warnt, die Rolle der Faschisten betont und die Verantwortung der Bundesregierung unterstreicht, zugleich aber auf eine klare sozialistische Analyse und eine unabhängige Klassenposition verzichtet.

Dem Parteitag lag eine Alternative in Form eines Antrag des Kreisverbands Aachens vor, den SAV-Mitglieder in der Aachener LINKEN eingebracht hatten. Dieser unterschied sich in zentralen Fragen von dem vom Parteitag mit großer Mehrheit beschlossenen Papier: er analysiert den Ukraine-Konflikt klar als Folge der kapitalistischen Krise und innerimperialistischer Konflikte; er benennt neben dem Westen Russland deutlich als einen der imperialistischen Akteure; er erklärt, dass eine soziale und friedliche Perspektive für die Ukraine auf kapitalistischer Basis schwer vorstellbar ist und spricht sich explizit für eine sozialistische Veränderung aus; er richtet den Blick für eine Lösung der Krise nicht auf die herrschenden Regierungen und kapitalistischen Institutionen, sondern betont die Notwendigkeit des Aufbaus einer sozialistischen Arbeiterbewegung und einer Antikriegsbewegung und spricht sich außerdem statt für ein von den kapitalistischen Mächten bestimmtes Völkerrecht für das Selbstbestimmungsrecht der Nationen aus.

Dieser Antrag wurde dann von Marc Treude für die Antragsteller nach der Annahme des Kompromisspapiers vor-, aber nicht mehr zur Abstimmung gestellt. In der Debatte zuvor hatte unter anderem Kathrina Doll von Linksjugend[’solid] und der SAV sich deutlich in diesem Sinne positioniert.

Reden und Wahlen

Die „großen“ Reden des Parteitags wurden von den beiden alten und neuen Vorsitzenden Bernd Riexinger und Katja Kipping, dem Spitzenkandidaten der Europäischen Linken und SYRIZA-Vorsitzenden Alexis Tsipras aus Griechenland und dem LINKE-Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi gehalten.

Während Bernd Riexinger viele wichtige und gute Positionen zu sozial- und wirtschaftspolitischen Fragen darlegte und sich auch deutlich gegen Zustimmung zu Auslandseinsätzen als Türöffner für Regierungskoalitionen mit SPD und Grünen aussprach, vermisste man bei ihm als linkem Gewerkschafter deutliche Worte zur Politik der Gewerkschaftsführungen und der Aufgabe von LINKE-Mitgliedern in den Gewerkschaften. Riexinger, der für viele bei seiner Wahl vor zwei Jahren als ein Mann des linken Flügels galt, hat seitdem oftmals eher dazu beigetragen, dass inhaltliche Konflikte nicht ausgetragen, sondern überdeckt werden. Er hatte auch einen nicht unwesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass in der Partei unkritisch mit der Frage von Regierungskoalitionen auf Landesebene umgegangen wird und die Illusion der Existenz eines „linken Lagers“ (bestehend aus LINKE, SPD und Grünen), welches parlamentarisch genutzt werden müsse, verstärkt wurde.

Er erhielt ein gutes Wahlergebnis von 89 Prozent, was vor allem ausdrückt, dass er von den verschiedenen Flügeln innerhalb der Partei akzeptiert wird.

Katja Kipping erhielt mit 77 Prozent der Stimmen weniger Unterstützung. Sie nutzte ihre Rede zu einer an manchen Stellen zwar wortradikalen, aber dann doch deutlich „realpolitischen“ Positionierung und einer klaren Propagierung der rot-roten Regierungskoalition in Brandenburg, die sie als „Exportschlager“ bezeichnete. Sie negierte den Widerspruch zwischen Regieren und außerparlamentarischem Widerstand, was eigentümlich klang angesichts der Proteste von Greenpeace und anderen Umweltgruppen vor den Toren des Parteitags aufgrund des von der rot-roten Regierung in Brandenburg betriebenen Braunkohleabbauplans.

Die Regierungskoalition in Brandenburg und der Kurs auf rot-rote oder rot-rot-grüne Landesregierungen in anderen Bundesländern, vor allem in Thüringen, wurde auf dem Parteitag kaum in Frage gestellt. Die Parteilinke hatte sich auf die Debatte zur Ukraine konzentriert und hat in der Frage von Regierungskoalitionen auf Landesebene ohnehin unterschiedliche Haltungen.

Lucy Redler brachte in ihrer Vorstellung zur Kandidatur zum Parteivorstand eine grundsätzliche Kritik an Regierungskoalitionen SPD und Grünen zum Ausdruck. Der Parteitag hingegen bejubelte den thüringischen LINKE-Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, der in seiner Rede jedoch zumindest die Betonung darauf legen musste, dass ein Regierungswechsel im Land auch zu einem deutlichen Politikwechsel führen müsse. Ob dies mit der SPD und unter Bedingungen kapitalistischer Krisenhaftigkeit und Schuldenbremsen überhaupt möglich ist, wurde jedoch nicht kritisch diskutiert,

Wahlen zum Parteivorstand

Während die Wahlen zu den beiden Vorsitzenden ohne GegenkandidatInnen reichlich unspektakulär verliefen, wurde die Wahlen zu den stellvertretenden Parteivorsitzenden, zum Schatzmeister und zum erweiterten Vorstand mit Spannung erwartet, da sie die innerparteilichen Kräfteverhältnisse zum Ausdruck bringen würden.

Der profilierte Friedensaktivist Tobias Pflüger trat zum stellvertretenden Parteivorsitz gegen den FdS-Mann Dominic Heilig und Axel Troost, den man zum Zentrum der Partei zählen kann, an. Troost und Pflüger machten das Rennen und das FdS zog sich zu einer Beratung zurück und ließ den Parteitag unterbrechen. Die Wahl von Pflüger ist ein wichtiger Erfolg der Parteilinken. Mit ihm und Janine Wissler, hessische Fraktionsvorsitzende und Unterstützerin der Gruppe Marx21, sind nun zwei Stellvertreterposten mit ausgewiesenen Parteilinken besetzt. Das muss unbedingt dazu genutzt werden, dass der geschäftsführende Parteivorstand in seiner alltäglichen Arbeit ein antikapitalistischeres Profil und eine stärkere Bewegungsorientierung entwickelt, auch wenn es in diesem keine Mehrheit für die Parteilinke gibt und Wissler sich nach den letzten hessischen Landtagswahlen sehr offen für die Bildung einer rot-rot-grünen Landesregierung gezeigt hatte.

Die Wahl zum Schatzmeister war ebenfalls eine Kampfkandidatur, jedoch zwischen zwei Kandidaten, die sich weniger in ihren politischen Positionen, als in ihrer Arbeitsweise und im Verhältnis zu den beiden Vorsitzenden unterschieden. Da wohl das Arbeitsverhältnis zwischen dem bisherigen Schatzmeister Raju Sharma und insbesondere Bernd Riexinger extrem schlecht war und Sharma als wenig konstruktiv galt, hatten sich Kipping und Riexinger deutlich für Thomas Nord als neuen Finanzchef der Partei ausgesprochen. Letzterer wurde dann in zwei Wahlgängen mit knapper Mehrheit gewählt.

Bei den Wahlen zum erweiterten Parteivorstand traten auf der Liste zur Sicherung der Mindestquotierung zwölf Kandidatinnen des linken Flügels an. Zehn von ihnen – darunter Nina Eumann, Anne Geschonnek und Claudia Haydt – wurden in den Parteivorstand gewählt.

Mit 153 Stimmen und 31 Prozent erhielt Lucy Redler ein beachtliches Ergebnis, es fehlten jedoch zwölf Stimmen zur Wahl in den Parteivorstand. Heidrun Dittrich, Mitglied des BundessprecherInnenrats der AKL und der SAV, hatte ebenfalls ihre Kandidatur eingereicht, zog diese zugunsten anderer linker Kandidatinnen auf der Frauenliste zurück, nachdem ein Wahlverfahren beschlossen worden war, dass es linken KandidatInnen schwerer machte.

Während die Wahlergebnisse bei den Kandidatinnen des linken Flügels erfreulich ausfielen, sah das am nächsten Tag beim Wahlgang für die gemischte Liste anders aus. Hier fielen leider gleich mehrere Kandidaten aus der Sozialistischen Linken (SL) wie Ralf Krämer, Harri Grünberg, Alban Werner und Harald Schindel, aber auch der von Sahra Wagenknecht unterstützte Martin Hantke und Florian Wilde durch. Von 13 explizit den linken Strömungen zuzurechnenden männlichen Kandidaten wurden nur sieben in den Vorstand gewählt.

Fazit

Insgesamt scheinen sich die Verhältnisse im Parteivorstand nicht qualitativ verändert zu haben, wenn auch drei Mitglieder weniger als im vorherigen Vorstand explizit der Parteilinken zuzurechnen sind. Das FdS ist, trotz der Niederlage von Dominic Heilig bei der Wahl zum Stellvertreter, im Gesamtvorstand gestärkt. Während die Parteilinke insgesamt im neuen Vorstand etwas schwächer vertreten ist, gehören mehr GenossInnen aus dem AKL-Spektrum dem neuen Parteivorstand im Vergleich zum vorigen an.

Politisch hat sich die Partei bezüglich der Ukraine-Krise deutlich von allen anderen im Bundestag vertretenen Parteien abgehoben und als Kraft gegen den Krieg aufgestellt. Der Zug in Richtung rot-rot-grüner Regierungskoalitionen auf Landesebene (und später auch im Bund) rollte aber weiter.

Die paradoxe Entwicklung der Partei, wie die SAV sie in ihrer Stellungnahme zum Parteitag dargelegt hat, geht also weiter. Das macht es umso wichtiger, die Partei vor Ort auf kämpferischer Basis aufzubauen und gleichzeitig die Parteilinke zu stärken und für einen konsequent sozialistischen Kurs einzutreten.