Deutschland so reich und so arm wie noch nie

fische organizeNeue Armuts- und Reichtumsstudie veröffentlicht

Voller Erstaunen titelte „BILD“ vom 27. Februar: „So reich (und so arm) ist Deutschland“ – dabei ist es eine Binsenweisheit, dass Reichtum Armut schafft. Diesen Schluss unterstreicht nun von Neuem eine Studie des „Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung“ (DIW) im Auftrag der gewerkschaftsnahen „Hans-Böckler-Stiftung“.

von Steve Kühne, Dresden

Sozial ist Deutschland ein tief gespaltenes Land, so könnte man das Ergebnis der genannten Studie kurz zusammenfassen. Die ärmsten 28 Prozent der deutschen Bevölkerung haben keinen Euro gespart oder sind sogar verschuldet. Hingegen besitzen die reichsten 10 Prozent durchschnittlich 217.000 Euro! Angehörige des reichsten Prozents der deutschen Bevölkerung verfügten durchschnittlich über 800.000 Euro. Dabei erfasste die Studie Milliardäre und Multimillonäre nur unzureichend.

Während Westdeutsche 2012 durchschnittlich 94.000 Euro besaßen, waren es in Ostdeutschland nur 41.000 Euro. Frauen hatten demnach nur 72 Prozent des Vermögens von Männern.

Besonders dramatisch ist jedoch die von der Studie festgestellte Entwicklungstendenz. Während Erwerbslose 2002 durchschnittlich noch über Eigentum im Wert von gut 30.000 Euro verfügen konnten, sind es aktuell nur noch 18.000 Euro.

Die Studie des DIW mag die gesellschaftlichen Ungleichheiten belegen, bekannt sind sie schon lange. So liegt das Nettoprivatvermögen in Deutschland zurzeit bei 7,7 Billionen Euro. Davon besitzt das reichste Zehntel 63 Prozent, also über 4,9 Billionen Euro. Die ärmsten 10 Prozent haben Schulden von mehr als 15 Milliarden Euro angehäuft. Die gesamte deutsche Staatsverschuldung – deren Abbau ein gewichtiges Argument zur Legitimation des sozialen Kahlschlags der letzten 10 Jahre bildete – beträgt etwas über 2 Billionen Euro. Will man die öffentliche Verschuldung los werden, so sollten also gerade die in den letzten Jahren immer wieder mit Steuergeschenken verwöhnten reichsten zehn Prozent der Adressat von Vermögenseingriffen sein – wer den Reichen nichts nimmt, kann den Armen nichts geben!

Doch nicht „nur“ das in der sozialen Rangfolge des deutschen Kapitalismus am weitesten unten stehende Zehntel hat unter den sozialen Einschnitten und der generellen Ungleichheiten des Kapitalismus zu leiden. Die unteren 50 Prozent der deutschen Bevölkerung besitzen gerade mal noch ein Prozent (!) des gesamten Nettovermögens! Sie sind die Verlierer des rot-grünen, schwarz-roten und schwarz-gelben Sozialabbaus, denn 1998 verfügten sie noch über vier Prozent des gesamten Nettovermögens.

Die DIW-Studie stellt trocken fest, dass die Ungleichheiten in Deutschland so enorm sind wie in keinem anderen Land der Euro-Zone. Sie greift dabei auf den GINI-Koeffizienten zurück, der, je näher er an der Zahl eins liegt, die Existenz umso größerer gesellschaftlicher Ungleichheiten anzeigt. Während dieser Koeffizient in Frankreich bei 0,68 und in Italien bei 0,61 liegt, beträgt er in Deutschland 0,78!

Deutschlands Entwicklung bestätigt nur die globalen Entwicklungen. In den Tagen vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos trat die Hilfsorganisation „Oxfam“ mit der erschreckenden Meldung an die Öffentlichkeit, wonach die reichsten 85 Menschen über genauso viel Vermögen verfügten wie die ärmsten 3,5 Milliarden!

Die soziale Schere öffnet sich weltweit immer weiter. Als Marxist könnte man sich nun entspannt zurücklehnen, rechthaberisch die Arme verschränken und mit Spott darauf hinweisen, dass die Welt der bürgerlichen Sozialwissenschaftler Tausende Veröffentlichungen darauf verwendete, zu beweisen, dass Marx‘ These von der relativen Verelendung der Arbeiterklasse (bei gleichzeitig wachsender Kapitalakkumulation) im „Kapital“ ein Hirngespinst sei. In der Tat, unnütz beschriebenes Papier! Und dennoch Freude will im Angesicht dieser Zahlen, hinter denen Millionen menschlicher Schicksale und unsagbares Leid stecken nicht aufkommen. Viel mehr fällt einem unweigerlich ein anderes Marx-Zitat ein: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt drauf an sie zu verändern!“